Textdaten
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Autor: Ferdinand Groß
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Titel: Das Burgtheater in Wien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 787
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[787] Das Burgtheater in Wien. Mitte Oktober feierte die österreichische Kaiserstadt eine Reihe denkwürdiger Theatertage. Das alte Burgtheater, das seit etwa 112 Jahren im Dienste gestanden, wurde am 12. Oktober geschlossen, das neue am 14. Oktober eröffnet. Ein grellerer Gegensatz, als diese beiden Schauspielhäuser zu einander bilden, läßt sich unmöglich ersinnen. Im alten Hause nahm weder das verwitterte Gebäude, noch der Zuschauerraum, dessen einziger Schmuck acht einst vergoldete Sterne an der rauchgeschwärzter Decke waren, die Aufmerksamkeit des Publikums in Anspruch. Man hatte sich daselbst mit nichts als mit dem Stücke und dessen schauspielerischer Wiedergabe zu beschäftigen. Da überdies auch auf der Bühne bis zu Dingelstedts Zeit von einer schönen oder stilvollen Ausstattung keine Rede war, herrschte in diesem Musentempel das Wort mit unumschränkter Gewalt. Für das Auge war nichts gethan, dieses fand keine Gegenstände für etwaige Schaulust. Und Laube, der dem Burgtheater seine glanzvollste Epoche bereitete, hatte keinen Sinn für Aeußerlichkeiten. Er beging, was Möbel, Dekorationen u. dergl. betraf, geradezu absichtlich Sünden gegen den guten Geschmack, um darzuthun, daß hier die dramatische Dichtung das Scepter führe, wie Tapezierkünste aber als überflüssig angesehen würden. Unter Laube genoß das Orchester des Burgtheaters einen verzweifelt schlechten Ruf, aber das war ihm eben recht, denn am liebsten hätte er, wie er sich ausdrückte, „eine ganz stille Bude“ geleitet. Mit Dingelstedts cyklischen Unternehmungen kam ein Aufschwung in Beachtung von Kostümen, Zimmereinrichtungen etc., aber nach wie vor legte das schlecht beleuchtete, schlecht ventilirte, gesellschaftliche Neigungen der Besucher ignorirende Haus der Entfaltung wirklichen Prunkes enge Schranken auf.

Aber gerade aus seinen Schwächen schöpfte das Burgtheater seine besten Eigenschaften; seine Gebrechen wurden ihm zur Quelle einer ganzen Reihe unvergeßlicher Erfolge. In einem großen Hause hätte sich die intime, die Wahrheit einfach und ohne Aufdringlichkeit vertretende Wiener Spielweise nicht so rein entwickeln können wie in dem kleinen, das so viele wahrhaft bedeutende Vertreter deutscher Bühnenkunst emporwachsen ließ. Ein La Roche − um nur einen von vielen zu nennen − wäre in einem anderen Theater einen anderen Weg gegangen. Seine Kleinmalerei war in das alte Burgtheater eingefügt wie in einen selbstverständlichen Rahmen.

Und nun das neue Haus, das freilich eine Nothwendigkeit war, weil das andere den modernen Forderungen gar zu arg widersprach! Man sehnte sich − trotz aller Pietät, welche die Stätte üppigen Ruhmes zu ehren wußte − nach einem Theater mit Licht und Luft; man wollte, daß auch im Beiwerk der gute Geschmack sich geltend machen dürfe, und eine junge Generation weiblichen Geschlechtes wünschte sich vielleicht auch eine Möglichkeit, sich selbst mit allen angeborenen und − angezogenen Reizen bemerkbar zu machen. Das neue Burgtheater, das wir in Bild und Wort schon am Anfang dieses Jahres vorgeführt haben (siehe Nr. 4 der „Gartenlaube“), kommt solchen Neigungen gefällig entgegen. Als Bauwerk herrlich, fordert es geradezu, daß die darzustellenden Stücke nicht nur gut gespielt, sondern auch effektvoll und mit einem gewissen Aufwande inscenirt werden, und unsere lieben Frauen laufen − Dank namentlich dem klaren und milden elektrischen Lichte − keine Gefahr, ihren natürlichen Vorzügen oder den Meisterleistungen ihrer Schneider die gebührende Würdigung vorenthalten zu sehen.

Die besagten Festtage begegneten einer getheilten Stimmung. Man freute sich des neuen Hauses, das man herbeigewünscht, und sehnte sich doch ein wenig nach dem alten, über das man sich lustig gemacht hatte.

Der Abschiedsabend in der „Bude“ brachte Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und einen Epilog aus der Feder des Direktionssekretärs Alfred Freiherrn von Berger. Dieser Epilog bietet eine gedrängte Rückschau auf die Geschichte des Burgtheaters. Aus der Schar derer, welche mit dankbarer Erinnerung genannt wurden, trat besonders scharf die Gestalt Kaiser Josefs II. hervor. An ihn gemahnte der Epilog:

„Laßt uns getrost die altbewährte Kraft
Verjüngen an dem Bild des großen Kaisers,
Der einst in ahnungsvoller Morgenzeit
mit mächt’gem Schöpferwillen diese Burg
Des Künstlergeistes aus dem Nichts erschuf,
Der, wie ein Seher, mit dem Kaiserscepter
Aus scheinbar taubem Grund die Quelle schlug,
Die, fromm gehütet, bald ein Hain umgrünte,
Ein heil’ger Hain von Lorbeern und von Palmen,
In dem die Nachtigall der Dichtung schlägt!“

Auch Lessing wurde gefeiert als „zweiter geist’ger Ahnherr dieses Hauses“, Laube dagegen − der sich mit seinem Buche über das Burgtheater ein- für allemal die Gunst der officiellen Kreise verscherzt hatte − „todtgeschwiegen“. Dagegen wandte der Epilog sich an die dahingegangenen bedeutenden Schauspieler, die er als Schutzgeister anrief; dann erfolgte die Bitte an die Stammgäste, in Treue zu verharren, und schließlich klangen die Verse in die Zuversicht aus, man werde „im neuen Haus das alte Burgtheater“ wiederfinden. Damit war das Leichenbegängniß beendet, und es folgte die fröhliche Wiederauferstehung. Das neue Haus wurde mit einem „scenischen Prolog“ von Josef Weilen eröffnet, auf welchen Grillparzers Fragment „Esther“ und „Wallensteins Lager“ folgten. Der „scenische Prolog“, eine echte und rechte Gelegenheitsdichtung, führt den „Geist des alten Burgtheaters“ vor, der über die Pracht des neuen erschrickt, aber vom „Genius der Poesie“ beruhigt wird, ein Bestreben, in welchem diesen Thalia und Melpomene unterstützen.

Auch wir wollen hoffen, daß − namentlich nachdem das neue Kunstinstitut in Dr. August Förster einen bewährten Fachmann als Direktor erhalten − der „Geist des alten Burgtheaters“ in der That unberechtigte Schwarzseherei treibt, wenn er bekennt:

„Und doch will Angst und Sorge mir nicht schwinden;
Wo lockend so viel Reiz dem Aug’ sich heut,
An Farbenglanz und marmornen Gestalten,
Da ist es schwer, den Hörer fest zu halten;
man schaut bewundernd, doch man lauscht zerstreut,
Die Stimmung ist, die heil’ge Stimmung fort,
Leicht mit dem Außen wandelt sich das Innen −
Ich soll den Kampf mit all’ der Pracht beginnen,
Und meine einz’ge Waffe ist das Wort.“

Ferdinand Groß.