Die erste chinesische Eisenbahn

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die erste chinesische Eisenbahn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 35
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[35] Die erste chinesische Eisenbahn. Daß sich das Reich der Mitte den neueren Errungenschaften der europäischen Kultur gegenüber bisher nicht eben sehr entgegenkommend verhielt, ist bekannt. Auf keinem Gebiete fällt dies mehr auf als auf dem der Eisenbahnen; denn China besitzt auf seinen 11 Millionen Quadratkilometern Land und für seine 360 Millionen Einwohner heute kaum 200 Kilometer Eisenbahn.

Der erste Versuch zur Einführung des modernen Verkehrsmittels wurde anfangs der siebziger Jahre gemacht, und zwar bei der Hafenstadt Shanghai. Dieses „Liverpool des Ostens“ liegt an dem Flusse Wusung, welcher sich bei der gleichnamigen Stadt in den Jangtsekiang ergießt und welcher sowohl bei Shanghai als bei Wusung tief genug ist für die größten Panzerschiffe. Unmittelbar oberhalb der Mündung aber ist der Fluß in seiner ganzen Breite durch eine Sandbarre gesperrt, über der auch bei höchster Flut nur etwa 5½ Meter Wasser stehen – ein recht unangenehmes Hindernis für die Schiffahrt.

Infolge dieser Barre sind die großen Post- und Frachtdampfer der eurapäischen Linien gezwungen, wenn sie ankommen, bei Wusung zu leichten, d. h. einen Teil der Ladung auszuladen und, wenn sie abgehen, die Ladung dort erst zu vervollständigen. Chinesische Schiffer übernehmen in beiden Fällen das Geschäft, die Waren von oder nach den großen Schiffen zu befördern.

Weil aber Zeit Geld ist, so kamen die beteiligten Dampferkompagnien auf die Idee, eine Bahnlinie zwischen Shanghai und Wusung bauen zu lassen, die ihnen raschere Arbeit gemacht hätte als die chinesischen Dschonken. Auf ihr Ansuchen und durch Vermittlung der verschiedenen Gesandten erhielt auch eine europäische Gesellschaft die Genehmigung zum Bau gedachter Bahn. Mit großen Unkosten wurde das Material für die etwa 45 Kilometer lange Strecke aus Europa beigeschafft und endlich nach jahrelangem Bau stand 1876 diese erste Eisenbahn Chinas fertig da, von den Europäern gefeiert als die Bahnbrecherin einer neuen Aera.

Allein die Rechnung war ohne den Wirt gemacht.

Hunderte, ja Tausende von Menschen hatten aus dem Güterverkehr zu Wasser als Schiffer, Ladeknechte etc. ihren Lebensunterhalt gezogen. Sie standen da und hatten nichts, als jener Verkehr zum weitaus größten Teil der Bahn zufiel. Zudem verbot ein uralt ehrwürdiges Gesetz den „Wasserchinesen“ – und dazu gehörten alle diese Fischer, Kahnführer, Bootsleute etc. – jegliche Art von Geschäftsbetrieb auf dem Lande. Begreiflich darum, daß sie die neue Einrichtung mit feindseligem Grolle betrachteten. Religiöser Fanatismus kam hinzu, und eines Tags riß eine wütende Menge die Schienen auf, schoß mit Kanonen nach den Zügen, und als die Regierung die Bahn pflichtgemäß schützen wollte, erhob sich die ganze Gegend in offenem Aufruhr.

Schließlich gab die Regierung nach. Sie kaufte die Bahn an und ließ sie abbrechen. Ein Jahr, nachdem man sie unter hochtönenden Worten eingeweiht, war die erste Eisenbahn in China wieder vom Erdboden vertilgt. Die Schienen wanderten nach Takao auf der Insel Formosa, um dort zu Hafenbauten verwendet zu werden; da es aber dazu an Geld fehlte, so blieben sie liegen, bis sie vom Rost zerfressen wurden.