Classen-Kappelmann
[576] Classen-Kappelmann. Als im Sommer 1863 der preußischen Volksvertretung beim Schlusse der Landtagssession vom Ministerium zuerst der Vorwurf gemacht war, der Landtag trage lediglich die Schuld des Conflictes; als gleich hinterher die Preß-Ordonnanz vom 2. Juni erschien, die nun den Streit in das Land hineintrug: da war die unmittelbare Folge, daß sich in allen Theilen des Staates die Wähler für das Abgeordnetenhaus erklärten. Die Regierung verhinderte aber, daß die Meinung des Landes so umfassend zum Ausdruck gelangte, als es in der Absicht der Staatsbürger lag; sie verhinderte alle Immediat-Vorstellungen, alle Deputationen und machte die in den Stadtverordneten-Collegien vorbereiteten, zum Schutze der Verfassung unternommenen Kundgebungen zu nichte. Da entstand in der drittgrößten Stadt des Staates der Gedanke, eine allgemeine, öffentliche Demonstration zu machen, welche die Meinung des Volkes, die sich auf keine andere Weise offenbaren konnte, zum Ausdruck brächte; der Gedanke entstand in der Hauptstadt am Rhein, weil sich hier am besten die Gelegenheit darbot ihn auszuführen und zwar in Gestalt eines Allen zugänglichen Festes zu Ehren der verfassungstreuen Vertreter. Einer der größten Säle der Welt, der Gürzenich, reichte dennoch nicht vollständig aus, die allein von den beiden westlichen Provinzen herzuströmenden Theilnehmer alle aufzunehmen. Dagegen bot die für den folgenden Tag arrangirte Fahrt auf dem Rhein Gelegenheit zur Kundgebung der Gesinnung in so reichem Maße, daß die Festlichkeit ihren Zweck vollständig erreichte.
Die Regierung verklagte damals den Mann, dessen Bildniß Ihr wohlgelungener Holzschnitt heute in die weite Welt trägt, wohin sein Name längst gedrungen. Classen-Kappelmann, schon damals das Haupt der Verfassungstreuen, mußte büßen. Zwar konnte man seinem stets streng gesetzmäßigen Vorgehen nichts anhaben, aber er hatte als Vorsitzender des Comités den Aufruf zum Feste geschrieben, und aus seiner männlichen Sprache ein paar Worte herauszufinden, die sich zur Anklage eigneten, war glücklich gelungen. Eine Geldbuße von fünfundzwanzig Thalern war die Folge auf der einen Seite – eine alle Schichten der Bevölkerung durchdringende Ehrenanerkennung ergab sich auf der andern.
Nach fast halbjähriger mühevoller Sitzung waren vor einigen Monaten die preußischen Abgeordneten mit einer Schlußrede entlassen worden, welche das Volk kurzweg den „großen Anklageact“ nannte. Dringender als vor zwei Jahren, dringender als je trat damit die Pflicht an das Land heran, zur Entkräftung des officiellen Tadels den Vertretern des Landes den Beweis zu geben, daß das Volk unerschütterlich festhält an der Verfassung und zu seinen gesetzlichen Vertretern steht. Zugleich wollte man die Mißdeutung des Festes abwehren, das man gelegentlich des Jubiläums der fünfzigjährigen Vereinigung der Rheinprovinz mit Preußen am 15. Mai d. J. gefeiert und seiten der Regierung zu einem Feste der Anerkennung des jetzt in Preußen herrschenden Systems zu stempeln versucht hatte.
So wurde denn wenige Tage nach dem Schluß des Landtags die Feier eines zweiten, umfassenderen, nicht blos die Vertreter des Rheinlandes, sondern „die verfassungstreuen Abgeordneten des ganzen Landes“ begreifenden Abgeordnetenfestes in Köln von Classen-Kappelmann vorgeschlagen und mit großer Begeisterung aufgenommen. Das Festcomité wurde aus Mitgliedern der verschiedenen Parteien zusammengesetzt. Vergebens suchten deshalb die Ankläger später nach irgend einem Vorwand, das so entstandene Festcomité zu einem politischen Verein zu stempeln. Die Furcht, das Fest werde die Berufung des Ministeriums auf die Feier des 15. Mai thatsächlich widerlegen, siegte über die Bedenken, welche das Vereinsrecht entgegenstellte. Man schritt zu einem Verbote, und wahrscheinlich hatte man dabei geglaubt, es werde die polizeiliche Einschüchterung das Fest im Keime schon ersticken. Das war eine Rechnung ohne den Wirth – ohne Classen-Kappelmann!
Am nämlichen Tage, als das Verbot erschien, erließ er als Vorsitzender des Comités einen Protest an den Polizeipräsidenten; er schrieb darin die schönen Worte: „Bei aller Achtung vor den Anordnungen der Obrigkeit gebietet uns die Bürgerpflicht, auch unsere Rechte, wie sie uns durch die Verfassung und die Landesgesetze gewährleistet sind, hoch und heilig zu halten und uns die Ausübung der Dankbarkeit, als einer der edelsten und schönsten Pflichten gebildeter Menschen, nicht verkümmern zu lassen.“
Als er in seiner schlichten Weise ohne lange Einleitung diese Worte dem Comité vorlas, wider Willen in seiner sonst so ruhigen Redeweise die tiefste Erregung verrathend – da machte er in wenig Minuten die zahlreichen Mitglieder zu entschlossenen Männern der That. In dem zweiten Schriftstücke: „An die liberalen Bürger von Rheinland-Westphalen“, sagte der Vorsitzende des Festcomités u. A.: „Kann durch ein einfaches Scriptum eines Beamten ein Artikel der Verfassung suspendirt werden, so ist die gesetzliche Freiheit vernichtet. Jede gesetzwidrige, unlautere Absicht liegt uns fern, und wenn von oben Gewalt an Stelle der Gesetze treten soll, so mögen diejenigen die Folgen verantworten, die sie heraufbeschwören!“
Ja, sie haben die Folgen schon sehr empfindlich verspürt! Der Nächste, der in die Schranken trat, war der Oberbürgermeister von Köln. Ohne amtlich irgendwie veranlaßt zu sein, da ja die Polizei gar nicht zu seiner Competenz gehört, ließ er sich vom Diensteifer verleiten, den Vertrag über die Miethe des städtischen Saales im Kaufhause Gürzenich zu brechen. Er erhielt eine Antwort, die in demselben Maße, in welchem er sich unberufen einmischte, mehr als alle übrigen Proteste geharnischt war: „Wir hätten lieber gesehen, daß Sie als gewählter Oberbürgermeister der ersten Stadt der Rheinprovinz sich auf Seite jener Bürger gestellt hätten, die ein unantastbares Recht der beschworenen Verfassung und ihre persönliche Freiheit, wie sie durch die Landesgesetze gewährleistet sind, vertheidigen. Die hohe Stellung, welche Sie durch das Vertrauen Ihrer Mitbürger einnehmen, legt Ihnen nach unserm Dafürhalten nicht blos die Pflichten einer guten, geregelten Verwaltung auf, sondem involvirt auch die moralische Verpflichtung, als bonus paterfamilias an der Spitze des großen Gemeinwesens, Ihre Mitbürger soviel als möglich vor gesetzwidrigen Eingriffen in ihre Rechte zu schützen und den Sinn für Gesetzlichkeit und Freiheit zu pflegen, zum Wohle von Stadt und Staat. Man sollte glauben, daß Sie jede Mitbetheiligung von sich abgewiesen hätten, den Vertretern des Volkes von neunzehn Millionen den städtischen Saal zu schließen und einem Feste Hindernisse in den Weg zu legen, das von den edelsten Sympathien der Nation getragen wird.“
Dic männliche Sprache des Mannes, der schon so oft dem Unrecht kühn die Spitze geboten, verfehlte auch nach außen ihre Wirkung nicht; die auswärtigen Comité-Mitglieder wehrten mit aller Energie das Verbot des Festes ab und der Polizeipräsident Geiger bekam eine Blumenlese von Protesten. Drei Tage vor dem Feste geschah eine gewaltsame Auflösung des Comités; ohne weitere Begründung wurde dasselbe ein politischer Verein genannt, man stellte Haussuchungen bei mehreren Kölner Mitgliedern an, um herauszubringen, daß mit auswärtigen Vereinen, als welche man sogar die Fractionen des Abgeordnetenhauses qualificirte, eine ungesetzliche Correspondenz gepflogen worden. Man fand harmlose Briefe, Zusagen oder Ablehnungen, nichts weiter – nirgends den so sehnlich gewünschten Anhalt zur gerichtlichen Klage, die gleichwohl gegen Classen erhoben wurde und gegenwärtig noch der Entscheidung harrt.
Aber man hatte vorläufig das Comité factisch gesprengt, und um den Schlag zu pariren, trat Classen jetzt in eigenem Namen hervor. Er hattc den Gürzenich gemiethet, ihm waren die sechs Dampfboote zur Rheinfahrt verpachtet, er lud jetzt auch die Abgeordneten und die Theilnehmer zum Feste ein. Die Polizei ging folgerecht nun auch gegen seine Person allein in’s Treffen, erließ einen Vorführungsbefehl und als er zu Hause nicht zu finden war (er befand sich in seiner eine Stunde entfernten Fabrik zu Sielsdorf), umstellte sie den Ein- und Ausgang mit Wachen. Es lag auf der Hand, daß man mit seiner Verhaftung besondere Absichten hatte. Ein Attentat auf den geachtetsten und populärsten Mann hätte unbedingt die Erbitterung im Volke von Köln bis zur höchsten Aufregung gesteigert und vielleicht Scenen herbeigeführt, die ein Einschreiten der Behörden nöthig machten. Und damit wäre das Fest, das alle sonstigen Gewalteingriffe wohl stören, aber nicht hindern konnten, vernichtet worden durch die Gefangennehmung des Mannes, dem Alle Alles verdankten: Niemand hätte noch Lust behalten, nach Köln zu kommen, um sich dergleichen Maßregelungen auszusetzen.
Das Comité beschloß daher sofort, den Vorsitzenden zu ersuchen, daß er sich nicht eher der Polizei stelle, als bis das Fest vorüber sei. Classen richtete darauf durch die „Rheinische Zeitung“ einen öffentlichen Aufruf an seine Mitbürger, ermahnte zur strengen Innehaltung des bisherigen gesetzlichen Weges und warnte davor „das Fest politisch-reifer Männer durch Widersetzlichkeit gegen die Gewalt zu entweihen“. Die Durchführung des Festes fiel damit dem Comité wieder anheim und nun traten jene Vorfälle im Kölner zoologischen Garten, im Gasthofe Bellevue zu Deutz, in Oberlahnstein ein, welche in der ganzen gebildeten Welt das gewaltigste Aufsehen gemacht haben und zweifelsohne allen unsern Lesern bekannt sind.
Am Montag nach dem Feste, Morgens zehn Uhr, stellte sich Classen-Kappelmann dem Richter. Daß man ihn nur hatte verhaften wollen, um während des Festes eine Absicht damit zu erreichen, trat nun klar hervor, denn man entließ ihn, ohne auch nur eine Vernehmung zu versuchen, sofort „bis auf Weiteres“. Erst am 2. August wurde er von dem Untersuchungsrichter wegen der dreifachen Beschuldigung vernommen: 1) durch seine Einladung an die Abgeordneten und Festgenossen zu einer Versammlung unter freiem Himmel aufgefordert, 2) einem politischen Verein vorgestanden und 3) das Statut dieses Vereins nicht eingereicht zu haben.
Mit neuer Kraft zu seinen Geschäften zurückkehrend, sah sich nun aber der schlichte Mann zu seiner großen Ueberraschung in einen Strudel von Ovationen hineingezogen, denen er nicht entfliehen konnte. Die Bitten seiner Freunde um ein photographisches Portrait für die „Gartenlaube“, lehnte er ab mit den Worten: „das fehlte noch!“ und jene erlangten das Bild, das Ihrem Holzschnitt zur Vorlage gedient, nur dadurch, daß sie sein eigenes Argument, „es gilt der Sache, nicht der Person“ für ihren Wunsch anwendeten. „Huldigt der Sache statt der Person!“ ermahnte er seine Freunde und seine Verehrer – aber wie war hier Eins vom Andern zu trennen? Nicht seinen Freunden, sondern seinen erbitterten Feinden war es beschieden, die Person zu treffen trotz der Sache. Classen-Kappelmann ward auf dem Arndt-Feste in Bonn insultirt, trotzdem er als Abgesandter der Stadtverordneten von Köln erschienen war! Und zu dieser groben Verletzung des Anstandes gab sich ein Mann her, den seine Stellung wie seine Verhältnisse vielleicht mehr als irgend einen Collegen im ganzen Staate unabhängig machen – der Oberbürgermeister Kauffmann in Bonn!
Daß in gleichem Sinne die armen Sclaven der Reaction, die Zubringer der feudalen Presse wirken, nimmt Niemand Wunder; daß sie insultiren und verleumden. ist ein Theil ihres Gewerbes – aber noch nie ist es ihnen so sauer geworden, wie bei unserm Manne, denn er bietet nicht einmal der Bosheit eine Handhabe. Zuletzt, ermüdet von vergeblichen Anstrengungen und verzweifelnd am Erfolge, verlegten sich die „guten Leute“ auf’s Ermahnen, die Kreuzzeitung warnte den allgemein Gefeierten vor den Nachwehen der Popularität. Das Junker-Organ möge sich aber beruhigen: Classen-Kappelmann ist keine Eintagsgröße. Er hat dem Kampfe, den er diesmal mit dem schönsten Erfolge geführt, sein ganzes Leben geweiht. Ihre weltverbreitete Zeitschrift hat noch vor zwei Monaten (in Nr. 23) eine Schilderung seiner langjährigen, umfassenden Wirksamkeit gebracht, die längst geschrieben war, ehe man die jetzigen Erfolge des Mannes ahnen konnte. Nun bezeugen alle braven Menschen in Nähe und Ferne, durch Adressen, Geschenke und Ovationen, daß sie ihn lieben und ehren, und sein Herz erntet mit diesen Gaben die Frucht einer Saat, die, schon von dem Jüngling sorgsam gepflegt, von dem Manne mannhaft vertheidigt, langsam reifte: die Frucht seiner Liebe zu Allen, es ist die Liebe Aller zu ihm!