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[492]
Tobias.

Unter den Israeliten, die von Salmanassar nach Ninive geschleppt wurden, befand sich auch Tobias vom Stamme Naphthali; ein redlicher und wohlhabender Mann, der Jedermann Gutes that und auch den Muth hatte, die Leichname der Kinder Israel, welche der König hatte tödten lassen, gegen das Verbot heimlich zu begraben. Er musste deshalb flüchten, kam aber nach Salmanassars Tode wieder und hielt ein Freudenfest. Aber mitten in der Lust hörte er, es liege schon wieder ein Todter auf der Strasse. Da wurde seine Freude zu Leid, und er fing das traurige Geschäft des Begrabens wieder an. Dargestellt in einem berühmten Nachtstück von Castiglione und in einem Stich von Bourignon (Hortense). Ermüdet davon schlief er ein, da liess eine Schwalbe ihren Koth auf sein Auge fallen, und er wurde blind. Da verliessen ihn alle Freunde, und er wurde ein Spott der Menschen. Sein Weib Hannah ernährte ihn redlich mit Spinnen, als sie aber einmal eine verlaufene Ziege mit heimbrachte, und er das Meckern derselben hörte, bestand er darauf, fremdes Gut müsse unangetastet bleiben, und duldete nicht, dass die Ziege geschlachtet wurde. Da wurde ihm sein Weib böse und warf ihm vor, dass er nichts verdienen könne. Rembrandt hat diese Scenen: wie er die Ziege bemerkt, wie er [493] das Weib tadelt und wie sie ihm zürnt, mehrmals und mit besonderer Vorliebe gemalt; besonders schön ist die tiefe Dämmerung des Zimmers auf einem Bilde Rembrandts in Berlin. Kugler I. 229. Wie Tobias die Frau tadelt, malte auch Victor in einem ausgezeichneten Bilde in England (Waagen II. 568.).

Tobias betete schmerzlich; dann zog er eine alte Handschrift hervor und gebot seinem jungen Sohne Tobias, dieselbe nach der Stadt Rages zu einem alten Bekannten, Namens Gabel, zu tragen, dem er einst Geld geliehen, und in seiner jetzigen Noth ihn um Rückgabe des Geldes zu bitten. Beim Abschied aber gab er dem Sohne noch Lehren mit, welche das unübertroffene Muster väterlicher Ermahnungen sind.

Bevor aber der junge Tobias noch abreiste, erschien, von Gott gesandt, der Engel Raphael, gab sich für einen gewissen Azarias aus einem befreundeten israelitischen Geschlecht aus, und bot sich an, den Jüngling zu begleiten. Wie der Engel in’s Haus tritt, malte Rembrandt (ehemals in Salzdahlen). Den Abschied des jungen Tobias mit seinem himmlischen Gefährten vom elterlichen Hause malte Murillo in Petersburg (Hand I. 378.).

Unterwegs an einem Flusse wurde der junge Tobias durch einen grossen Fisch erschreckt; aber der Engel hiess ihn den Fisch an’s Ufer ziehen, und dessen Galle und Leber als Heilmittel mitnehmen. Diese idyllische Scene ist sehr oft, namentlich als Staffage in Landschaftsbildern gemalt worden; zweimal von Titian in Dresden und Venedig, von Andrea del Sarto im Wiener Belvedere, von Salvator Rosa in Paris (Waagen 533), von Caravaggio in England (Waagen II. 313.), von C. Maratti (gest. von Capelli), von Rubens, von Rembrandt in England (Waagen I. 224.), von Eckhout, ehemals in Salzdahlen, von Elzheimer in England und Cassel, von Waterloo.

Unterdess ging Raphael für Tobias zu Gabel und cassirte das Geld ein und lud ihn mit zur Hochzeit. Während diese nun herrlich und in Freuden lebten, sah es in des alten [494] Tobias Hause gar betrübt aus. Die Mutter glaubte ihren Sohn verloren, weil er so lange nicht wiederkam, und sass täglich auf einem Berge am Wege, nach ihm aussehend. Da endlich kam Tobias mit dem Engel, der langsam nachreisenden Braut vorauseilend. Ihr Hund sprang ihnen voran, wedelnd und voll Freude zuerst in’s Haus laufend. Da fuhr der Alte so voll Freuden auf, dass er in seiner Blindheit sich stiess, die Mutter aber küsste den Sohn und weinte vor Freude. Die Heimkehr malte Dow (sein grösstes Bild, Passavant, England 220.) und Berghem. Der fromme Sohn aber hatte, auf Raphaels Rath, nichts Dringenderes nach der ersten Begrüssung des alten Vaters zu thun, als die Fischgalle auf seine blinden Augen zu legen, wodurch er sogleich wieder sehend wurde.

Nach sieben Tagen kam auch die schöne junge Frau mit Gefolge und Schätzen an. Da hatte des Engels Sendung ihren Zweck erreicht: die guten Menschen waren alle glücklich geworden. Der alte und junge Tobias aber beriethen sich, wie sie den Azaria belohnen wollten; als sie ihm aber die Hälfte all ihres Gutes anboten, antwortete er: „Lobet Gott, denn er hat mich gesendet, euch zu segnen nach der Trübsal; ich bin Raphael, der sieben Engel einer, die vor dem Herrn stehen.“ Da fielen Vater und Sohn auf ihr Angesicht. Der Engel aber sprach: „Fürchtet euch nicht, lobet und danket.“ Und er verschwand vor ihren Augen. — Der alte Tobias lebte noch zweiundvierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder.

In dieser unübertrefflich lieblichen Idylle wird der Sieg der Unschuld theils über das Unglück, theils über das dämonisch Böse verherrlicht. Da dies auf der Hand liegt, ist es unsinnig, heidnisch mythische Beziehungen im Buch Tobias zu suchen, z. B. in der Schwalbe das Herbstsymbol, in der Blindheit das Wintersymbol und im Fisch das Frühlingszeichen sehen zu wollen. An dergleichen hat der Verfasser des Buches gewiss nicht gedacht.

Tobias ist eine Personification der Menschheit überhaupt [495] unter dem gnädigen Schutze Gottes, Seitenstück zu Hiob, in dem dieselbe leidende Menschheit jedoch mehr reflectirend erscheint. Hiob rechtet mit Gott und wird mit Worten zurechtgewiesen. Der alte und junge Tobias sind geduldiger, und ihr Vertrauen wird belohnt. Darum hat Hiob mit dem Teufel zu schaffen, der dem jungen Tobias zwar auch naht, aber dem Engel, der sich vor den Jüngling stellt, auf der Stelle weichen muss. Der alte Tobias, der Verfolgung leidet, weil er eine fromme Pflicht gegen die Todten erfüllte, ist die personificirte Ehrlichkeit, und der junge die personificirte Unschuld. Wo noch diese beiden Eigenschaften im Volke leben, da ist Gottes Engel auch nicht fern und hilft aus aller Noth. Das ist der schöne Sinn des Buches Tobias. – Unter dem Fisch aber, der da den Alten heilt von seiner Blindheit und den Jungen schützt gegen die Macht des Teufels, ist Christus vorgebildet. Vgl. d. Artikel Fisch. Tobias mit dem Fisch kommt vor auf altchristlichen Gräbern. Bellermann, Katakomben von Neapel S. 35. Das will sagen: So ihr Christo vertrauet, wird die Blindheit des Todes und die Macht der Hölle von euch weichen.