Christliche Symbolik/Thurm
Symbol der Festigkeit, Uneinnehmbarkeit, Unangreifbarkeit. „Der Name Gottes ist der festeste Thurm.“ Sprichw. Sal. 18, 10. Daher auch Sinnbild der keuschen Jungfräulichkeit. Maria wird der Thurm Davids, der elfenbeinerne Thurm genannt. Auch die Keuschheit hat unter den christlichen Tugenden [490] zum Attribut den Thurm. Kunstbl. 1821. S. 178. Desgleichen die heilige Barbara, nicht blos weil sie in einen Thurm eingesperrt wurde, sondern auch weil sie keusch und im Glauben felsenfest war. Der Thurm dieser Heiligen hat drei Fenster, d. h. die Heilige wurde durch den wahren Glauben an die Dreieinigkeit stark und fest. — Ein Thurm ist auch Attribut der heiligen Leocadia, weil sie aus einem herabgestürzt wurde.
Kirchenthürme kamen bei den ältesten Basiliken noch nicht vor, sie entstanden erst in der karolingischen Zeit in Frankreich, und charakterisiren die deutsche Baukunst eben so, wie die Kuppeln die morgenländische. Den ersten Anfang zu Thürmen machten die von den Kirchen gesondert aufgestellten und höheren Baptisterien, die man nachher mit dem Schiff der Kirche vereinigte und in deren Spitze man die Glocken aufhing. Allein das Bedürfniss, die Glocken hoch zu hängen, damit sie weiter gehört werden, erklärt die Tendenz der abendländischen Baukunst zu sehr hohen und spitzen Thürmen nicht allein. Offenbar wirkte die Gewöhnung an die riesenhaften Tannen des nördlichen Europa und das Bedürfniss, in den weiten Ebenen des niedern Deutschlands an den Kirchthürmen Anhaltspunkte der Orientirung zu haben, auf den Bau so hoher Spitzthürme ein. Auch finden wir die höchsten in den Niederlanden und in den Reichsstädten der norddeutschen Fläche. Sobald aber einmal aus natürlichen Gründen so hohe Bauten beliebt wurden, suchte die Frömmigkeit damit auch kirchliche Symbolik zu verbinden. Kreuser, Kirchenbau I. 565, erklärt die Kreuzform im Grundriss der Kirchen als Crucifix und sieht demnach in den beiden Thürmen, zwischen denen der Eingang in die Kirche auf der Westseite liegt, die Nägel der Füsse, in den beiden Seitenthürmen, die sich zuweilen finden, die Nägel der Hände, und in den Capellen des Chors die Dornenkrone. Inzwischen erklärt das nicht genügend die Höhentendenz, die vielmehr als ein Aufstreben der menschlichen Sehnsucht, des Gebets und der Tugend zum Himmel empor gedacht werden [491] muss. Wie die Tugenden auf der Himmelsleiter wetteifernd emporsteigen, so die Thürme der gothischen Kirchen. Dass ihnen aber von oben die himmlische Liebe entgegenkomme, wurde ausgedrückt im Symbol des Marienschuhs, der gerade immer die höchsten Spitzen gothischer Thürme ziert. Vgl. den Artikel Schuh. Die sieben Thürme zu Limburg an der Lahn können unbedenklich auf die sieben christlichen Tugenden bezogen werden, wie die häufig vorkommenden drei Thürme auf Glaube, Liebe und Hoffnung, womit sich noch der Begriff verbindet, dass diese drei Tugenden festgegründet stehen.
Die griechischen Kirchen haben gewöhnlich drei, fünf oder dreizehn Kuppeln, immer eine höhere und grössere in der Mitte der anderen; drei bedeuten die heilige Dreieinigkeit; fünf Christum mit den vier Evangelisten; dreizehn Christum mit den zwölf Aposteln. v. Haxthausen, Studien über Russland I. 51.
Zahl, Höhe und Stellung der Thürme zur Kirche sind ausserdem conventionell. Dass die Pfarrkirche nur einen, die bischöfliche zwei, die erzbischöfliche drei Thürme haben müsse, ist nicht feste Regel. Fest steht dagegen, dass die Bettelklöster statt des Thurmes nur einen kleinen Dachreiter auf dem gewöhnlich sehr hohen und breiten Dach haben, die Karmeliterkirchen aber nur einen sehr hohen Thurm. Ueber die Unzuverlässigkeit der desfalls voreilig angenommenen Regeln vgl. Kreuser, Kirchenbau I. 171.
Die morgenländischen Kuppeln bedeuten das Himmelsgewölbe und sind inwendig gewöhnlich mit Scenen aus dem Himmelreich, Himmelfahrten, Engelreigen oder Sternen bemalt. Die abendländischen Thurmspitzen enden in ein Kreuz, um auszudrücken, dass das Kreuz hoch über alle Erde erhoben ist, dass es Himmel und Erde verbindet, dass es, von unten her gesehen, das Ziel der höchsten Sehnsucht, von oben her gesehen, der Ausdruck des himmlischen Erbarmens ist. Der Wetterhahn über dem Kreuze hat die Bedeutung des Lichtbringers und Weckers der Völker aus dem alten [492] Schlafe des Heidenthums, beziehungsweise auch eines Erweckers vom Schlafe des Todes zur Auferstehung. Zuweilen ist auch das Standbild der Gnadenmutter auf den Thürmen erhöht, z. B. über dem Mailänder Dom. Hier ist sie zugleich Gnadenbringerin vom Himmel her und Fürbitterin der Menschen von der Erde aus.
In den Steinornamenten der durchbrochenen gothischen Kirchthürme herrscht die Symbolik der Rosetten vor, worin die Formen von Kreuzen, Sternen, Herzen verflochten erscheinen, und womit vorzugsweise wieder nur Glaube, Liebe und Hoffnung ausgedrückt wird.