Christliche Liebe der römischen Clerisei

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Christliche Liebe der römischen Clerisei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 582–584
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[582]
Christliche Liebe der römischen Clerisei.


Da sich unser hochwürdiger Clerus so gern als den Geschäftsträger der Religion der Liebe und Bevollmächtigten des milden Erlösers aufspielt, auch sehr namhafte Verdienste um die Erziehung und Bildung der christlichen Nationen zu haben behauptet – welche sich freilich in der geringen Erleuchtung der italienischen, spanischen, französischen, tirolischen, ober- und niederbaierischen, westphälischen, brasilianischen, mexikanischen, überhaupt sämmtlicher katholischer Volksmassen nicht recht klar herausstellen – so möchte es vielleicht als heilsames Correctiv seiner Einbildung dienen, wenn hin und wieder einzelne Acte seiner Liebe, seiner Erziehungs- und Bildungskunst aus dem localen Dunkel, in welches sie sich gern hüllen, zu allgemeiner Betrachtung hervorgezogen werden.

So fand vor wenigen Wochen zu Schruns im Montavon ein eigenthümliches Begräbniß statt. Das Montavon ist ein interessantes Thal, das im Süden des Landes Vorarlberg liegt, von der Ill durchströmt und durch eine hohe Gebirgskette von dem bündnerischen Prätigau getrennt wird. Der vordere Theil der Landschaft, wo die Dörfer Schruns und Tschaguns zu finden, ist warm und fruchtbar; die inneren Thäler sind kühler und weniger ergiebig, aber mit schönen Almen gesegnet. Die Montavoner wandern vielfach in die Fremde und kommen namentlich als Krautschneider bis an den Niederrhein hinunter. Zu Hause sind sie fleißig, betriebsam, mitunter etwas tiefsinnig und grüblerisch. Es sollen sich unter diesen Bauern verhältnißmäßig mehr Leute finden, welche Bücher lesen, als in manchen Städten. Gegen die Fremden erweisen sie sich sehr zuvorkommend und höflich. Auch ist das Talent, eine Wirthschaft einzurichten und gut zu führen, hier oft zu treffen. Die Gasthöfe zu Schruns haben zwar den ländlichen Typus, der allen unverdorbenen Menschen so sehr behagt, noch weislich beibehalten, sind aber innerhalb dieser Schranke – ohne Unter- und Oberkellner, ohne „Bougies“ und „Service“ – vortrefflich zu nennen. Der Ruf von den seltenen Reizen dieses Thales und von der Liebenswürdigkeit seiner Bewohner scheint in jüngster Zeit bis in die Mark gedrungen zu sein, denn unter den heurigen Fremden stellte sich plötzlich auch für längeren Aufenthalt der preußische Culturkampfsminister ein, welcher zu seiner mehr und mehr hervortretenden Beliebtheit gleich anfangs einen guten Grund legte, indem er Allen, die ihn mit „Excellenz“ ansprachen, sofort bedeutete, er habe seine sämmtlichen Titel in Berlin gelassen und sei lediglich als Dr. Falk in’s Montavon gekommen.

In dem wohlgebauten und wohlhabenden Schruns lebte nun unter ärmlichem Dache ein wackerer Schmiedegeselle, der sich Johann Josef Zudrell nannte, im Dorfe aber allgemein „das Schmidli“ hieß. Er war im Jahre 1814 geboren und heirathete mit dreiundzwanzig Jahren eine einundzwanzigjährige Montavonerin, der er mit inniger Liebe ergeben blieb, bis sie eine Woche vor ihm starb. Ursprünglich war er Schmiedemeister gewesen, aber da er als solcher unter seinen mächtigen Genossen ohne Capital nicht gedeihen konnte, so verkaufte er seine Werkstätte und ging bei seinem Vetter als Geselle in die Arbeit. Er hatte sich namentlich mit der Verfertigung von Hobeleisen für jene Krautschneider zu beschäftigen, welche, wie wir oben erzählt, in die fernsten Länder gehen. Damit verdiente er täglich einen Gulden; ein kleiner Grundbesitz, den er sehr gut zu behandeln wußte, gewährte einigen Zuschuß, und seine Frau, die eine geschickte Blumenzüchterin war, brachte auch etliches Geld in’s Haus. So lebte das Schmidli arm, aber ehrlich dahin. Seine Dürftigkeit hielt es nicht ab, zu seinem eigenen Sohne noch den einer verstorbenen Schwester in Pflege zu nehmen, ihn studiren zu lassen und mitunter auch neue Bücher zu kaufen. In seinem Innern gährte es nämlich ohne Unterlaß; er meditirte immerdar über Staat und Kirche und konnte vor lauter Nachdenken manche Nacht nicht einschlafen. Um nun zu erfahren, was andere Denker über dieselben Dinge herausgebracht, verwandte er seine Mußestunden am liebsten auf die neue deutsche Literatur, namentlich auf Journale und populär philosophische Werke. Er wollte aber über seine geistigen Errungenschaften auch mit andern Leuten reden, ja trotz seiner Bescheidenheit sogar mit ihnen disputiren.

Zu diesem Ideenaustausch wählte er immerhin lieber die Studirten als die Ungeschulten, und wie früher mit dem verstorbenen Dr. Vonbun, dem Sammler der evangelischen Sagen, so pflog er später seine wöchentlichen Colloquien auch mit dessen Nachfolger, dem vielbelesenen Dr. Huber zu Schruns, ja es war ihm keine kleine Freude, wenn er sich zuweilen auch mit gebildeten Touristen auseinandersetzen, sie widerlegen oder von ihnen lernen konnte. In den letzten Sommern mehrten sich diese Gelegenheiten, denn sein leiblicher Sohn hatte sich als Fremdenführer aufgethan. Die Alpenfahrer, die ihn suchten, und unter ihnen oft sehr bekannte Namen, kamen seitdem gern in das unansehnliche Häuschen, durchstöberten die Büchersammlung und plauderten lange mit dem Alten, dessen Wissen sie Alle überraschte.

Auch in religiösen Dingen pflegte das Schmidli selbst zu denken und sich eine gewisse Freiheit der Forschung einzuräumen, was ihn den geistlichen Herren, die ja weder denken, noch forschen dürfen, sehr verdächtig machte. Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit wollte ihm so wenig einleuchten, wie dem weisen Hefele, dem großen Ketteler und den anderen deutschen Bischöfen, nur daß der Montavoner Schmiedgeselle weniger Schmiegsamkeit bewies – er hatte keine Pfründe zu verlieren. Da er seine Meinung über jene katholische Errungenschaft offen aussprach, so entstand ein Anstoß mit der Priesterschaft und deshalb ging Zudrell heuer nicht mehr zur österlichen Beichte. Er war aber in allen Stücken ein gerader, wahrheitsliebender Mann, der für seine Ueberzeugung überall offen eintrat, obgleich er nur vom Taglohn lebte. Drum wurde er auch von allen Schrunsern geachtet, von seinen engeren Freunden hochgeschätzt. In seiner Art war er der einzige im Lande Vorarlberg.[1]

[583] Aber auch er kam zu sterben, und man meldete dem Herrn Pfarrer den Todesfall. Dieser faßte Bedenken und meinte, das Schmidli sei, wenn nicht ein Heide, doch ein arger Ketzer und „Verfassungsfreund“ gewesen; sei neulich hinter die österliche Beichte gegangen, habe lasterhafte Bücher gelesen und auch manche neuere Glaubenswahrheiten nicht sehr fest geglaubt. Er müsse nach Brixen telegraphiren; von dort gehe alle Weisheit aus. Aber die Brixener fordern das Jahrhundert gern in die Schranken. Es erging daher der Bescheid, dem todten Schmidli, wenn er zu Grabe getragen würde, die clericale Begleitung gänzlich zu versagen.

Der selige Zundrell hatte aber zwei Söhne hinterlassen, einen leiblichen, welcher, wie schon gemeldet, Fremdenführer, dazu Holzschnitzler, aber leider auch ein Bücherleser, und den Pflegling, Namens Tschugmel, welcher Lehrer an der Lehrerbildungsanstalt zu Innsbruck geworden ist. Beide nahmen das Brixener Orakel mit Ruhe entgegen, schrieben aber sofort mit eigener Hand drei sogenannte Partezettel, hefteten sie an drei Schrunser Häuser an und luden „nur auf diesen Wege“ zum Leichenbegängniß ihres Vaters ein, das am Freitag, den 28. Juli, Nachmittags halbzwei Uhr stattfinden sollte.

Indessen lief die Kunde von diesen Vorgängen bald nach Bludenz und nach Feldkirch, den beiden gebildeten und freisinnigen Städten des Walgaues. Die Freunde des Verstorbenen und der Verfassung waren rasch entschlossen, sich zusammen zu thun, dem theuern Landsmanne die letzte Ehre zu erweisen und, so weit es blinden Laien möglich, dem Begräbnisse Anstand und Würde zu verleihen. Drum zeigte sich auch am besagten Freitag auf dem einzigen Sträßchen, das in’s Thal führt, ein ungewöhnliches Leben. Viele Landleute, Männer und Weiber in feiertäglicher Tracht, sowie eine große Anzahl von Gefährten, waren in Bewegung und strebten gegen Schruns in seinem grünen Winkel.

Zur angesagten Stunde versammelten sich die Leidgäste vor des Schmidli anspruchsloser Behausung. Es mochten ihrer hundert erschienen sein, was für Manche, namentlich jene aus dem Dorfe, immerhin ein Wagniß, denn die Vergeltung wird nicht auf sich warten lassen. Die Bürgermusik von Bludenz, in gleicher schmucker Tracht, eröffnete den Zug und stimmte, statt des versagten Glockengeläutes, Beethoven’s Trauermarsch an. Ihr folgte der Sarg, den sechs ehrenfeste Bürger von Schruns auf die Schultern genommen hatten; nach diesem gingen der Kreuzträger mit dem umflorten Kreuze, der Sohn und Pflegesohn und die Leidtragenden aus Nah und Fern, darunter der Reichstagsabgeordnete Rudolf Ganahl, der Bezirkshauptmann Kenner von Feldkirch und andere angesehene Herren und Frauen.

Als sie im warmen Sonnenscheine auf dem Friedhofe angekommen waren, trat Herr Dr. Huber aus Schruns vor das offene Grab, erhob seine Stimme und dankte allen, die durch ihr Hiersein zeigten, daß sie den von der römischen Kirche Verstoßenen nicht als Verstoßenen aus der Christenheit betrachteten, allen, die dem für das Recht der freien Ueberzeugung mit der Fahne in der Hand gefallenen Kämpfer das letzte Geleit gegeben. Er schloß mit der Aufforderung, für den Dahingeschiedenen das Vaterunser, „das gemeinsame Gebet der Christen“, zu beten, worauf alle Anwesenden mit lauter Stimme seinen Ansinnen entsprachen. Hierauf legte Herr Rudolf Ganahl, „als Führer und Vertreter der liberalen Partei im Lande“, einen von den Bludenzer Verfassungsfreunden gespendeten Kranz auf das Grab „des wackern, unerschrockenen Streiters für Freiheit, Wahrheit und Recht“. (Einen zweiten Kranz hatte eine geistreiche Dame gespendet, die Wittwe des überall geliebten und verehrten, edlen J. Sh. Douglaß, der vor zwei Jahren am Spullers-See durch einen Sturz vom Felsen verunglückte.) Als dritter Grabredner trat Herr Kaufmann, ein junger Ingenieur von Bludenz, auf. Man möge, sprach er, kühn und offen mitkämpfen den Kampf gegen die clericale Vergewaltigung; dann werde das Andenken an den heimgegangenen Zudrell niemals der Vergessenheit anheimfallen.

Nach diesem setzte Herr Heim, der Redacteur der Feldkircher Zeitung, das umflorte Kreuz in die Erde, „das Zeichen der Liebe und der Versöhnung“, worauf Christian Zudrell, der Sohn, der Fremdenführer und Holzschnitzler, mit bewegter Stimme allen Anwesenden für ihre ehrenvolle Theilnahme dankte. So endete ein Leichenbegängniß, dem zwar der Pfarrer und das Glockengeläute, nicht aber Andacht, Ernst und würdige Feierlichkeit fehlten. Ersterer war an diesem Tage in die Berge gegangen, um nicht zuschauen zu müssen, wie sein Verstoßener geehrt wurde.

Uebrigens lag es sehr nahe, bei dieser Gelegenheit an eine Geschichte zu denken, die sich vor zwei Jahren zu Hillisau im Bregenzer Wald ereignet hat. Dort lebten damals zwei Lehrer, welche bei allen Processionen am lautesten vorbeteten und in den ultramontanen Casinos die glühendsten Reden gegen die „Freimaurer“ abließen. Nun traf es sich aber, daß mehr als ein Dutzend Schulmädchen ihren Eltern offenbarten, die frommen Herren Lehrer hätten sich verbrecherischer Angriffe gegen sie schuldig gemacht. Der eine derselben ging nun sofort in den Wald und erhängte sich, war aber kaum abgeschnitten, als der ehrwürdige Clerus von Hillisau den Selbstmörder auch schon mit außergewöhnlicher Feierlichkeit bestattete. Es liegt allerdings im Interesse der Brixner Geistlichkeit, die Angriffe auf Feiertagsschülerinnen und schöne Knaben unter der gewöhnlichen Taxe zu halten, dagegen aber den Zweifel an die Unfehlbarkeit des Papstes als die schwärzeste Verworfenheit zu brandmarken, obgleich der Glaube daran auch den deutschen Bischöfen nur par ordre du Moufti eingetrieben worden ist.

Damals betrat der Beneficiat von Wilburger zu Hillisau die Kanzel, bejammerte das unverdiente Schicksal seiner „edlen“ Freunde und verwünschte jene Eltern, welche die fluchwürdige Anzeige bei Gericht gemacht. Nur ihre teuflische Bosheit habe das entsetzliche Unglück herbeigeführt!! Das ländliche Publicum ist durch die dermalige clericale Erziehung und Bildung schon dermaßen corrumpirt, daß es nach der Predigt die armen Eltern schadenfroh verhöhnte: „Heute hat er’s ihnen hineingesagt.“

Der andere Lehrer wurde übrigens damals eingefangen und bald darauf zu Feldkirch zu acht Jahren schweren Kerkers verurtheilt. Er hatte sich mit ekelhafter Scheinheiligkeit zu vertheidigen und alle seine Schandthaten abzuleugnen versucht. Auch der Herr Beneficiat erhielt für seine schönen moralischen Sprüche wegen Aufwiegelung eine Gefängnißstrafe von acht Tagen.

Bei diesem Leichenzuge zu Schruns kam uns aber noch ein anderer in Erinnerung, der vor fünf Jahren in einer Stadt am Eisack die Gemüther beträchtlich erregte. Am 21. Juni 1871 verschied nämlich im „Elephanten“ zu Brixen ein junger Ingenieur protestantischer Confession, Herr Leopold von Razynski aus Altona, der in Meran keine Genesung gefunden und sich daher wieder nach der Heimath gesehnt hatte.

Mutter und Schwester, die bei ihm waren, gedachten nun, an den protestantischen Pastor in Meran zu telegraphiren und ihn zum Begräbniß zu laden, allein der hochwürdige Stadtpfarrer war auch schon da und erklärte, daß nach einem Beschlusse des noch hochwürdigeren Ordinariates ein protestantischer Geistlicher in Brixen überhaupt keine kirchliche Function vollziehen dürfe. Seine passive Assistenz sagte der Herr Stadtpfarrer allerdings zu, was die erwähnten Damen in Ermangelung eines Besseren annahmen – aber Seine Hochwürden zogen später dennoch vor, durch ihre Abwesenheit zu glänzen. In der Stadt des heiligen Cassian kennt man die Liebe, wenigstens die christliche, nicht. Eigentlich wollte man die Ketzerleiche auch in der christkatholischen Todtencapelle nicht zulassen; da jedoch der Elephantengasthof überfüllt war, so mußte es gleichwohl geschehen, wobei sich denn etliche schon weidlich gehetzte Brixner gar christlich darüber aufhielten, daß man „den crepirten Lutheraner“ in ihr Heiligthum einlasse. Endlich kam es zum Leichenzuge, welcher sich still und feierlich zur „Grabstätte der Akatholiken“ begab. Diese ist ein kleiner Pferch, der an den katholischen Friedhof angeleimt ist, mit einem ärmlichen Mäuerlein umgeben, mit einem ärmlichen Gatter, und einem ärmlichen Schilde, auf welchem jene Aufschrift steht. Der „Elephant“ hatte die Leuchter geborgt, das Crucifix und andere Nothwendigkeiten aber waren im Laden gekauft worden, weil weder das Spital noch die Pfarrkirche die geweihten Gegenstände zu solchem Gebrauche herleihen wollte. Zufällig war nun damals der Feldmarschalllieutenant Graf von Castiglione auf der Durchreise in Brixen, bekanntlich ein edler, geistreicher Mann. Dieser stellte sich, indignirt über solches Treiben, in voller Uniform an die Spitze des Zuges und warf auch die erste Schaufel Erde auf den Sarg. Darauf trat die Gemahlin des Bezirkshauptmanns von Chizzali muthig hervor und betete mit lauter Stimme ein Vaterunser am Grabe, und alle Anwesenden stimmten gehobenen Herzens ein. Und wie die leicht bewegliche Menge ist [584] – als sie gewahrt hatte, daß sich solche Leute an der Trauerfeier betheiligt, und daß die Frau Bezirkshauptmännin vorgebetet, brach neuerdings ein Murren aus. „Die katholischen Pfaffen hätten der Leiche doch etwas mehr Ehre erweisen können, denn ein Protestant ist doch auch ein Christ, so zu sagen.“

Das marmorne Grabmal, das bald nachher aufgerichtet wurde, ist übrigens seitdem von fanatischen Händen schon öfter beschädigt worden. Dazu finden sich in diesen Kreisen immer Kräfte.

Solche seltsame Geschichten sind im Bisthum nicht selten zu erleben.

Der jetzige Fürstbischof von Brixen, H. Vincenz von Gasser, ist ein geistreicher Mann, der in aller Wissenschaft auf der Höhe des Jahrhunderts steht. Er lebt in seiner Burg fast ohne Fehl und Sünde, pflegt in seinem Haushalte ascetische Einfachheit und verwendet alle Einkünfte, die ihm nach seinem geringen Bedarfe übrig bleiben, auf Zwecke, die er für heilsam hält. Im Umgang beobachtet er eine Feinheit, welche seine Landsleute nur selten erreichen. Er hat selbst unter den Männern keinen persönlichen Gegner, und die Weiber bitten alle knieend um seinen Segen, wenn er würdevoll durch Brixens stille Gassen wandelt. Es geschieht zwar selten. Immer ist es schade, wenn ein solcher Mann jetzt Bischof wird. Je mehr Verstand er besitzt, desto mehr muß er ja opfern.

Wie schön ist der Vorsatz, einem blinden, verwahrlosten Volke die Augen zu öffnen, seine Erziehung und Aufklärung zu übernehmen, eine unwissende träge Clerisei für Wissenschaft und geistige Thätigkeit zu erwärmen, die gebildeten Männer und Frauen, die „den Pfaffen“ ausweichen, wieder mit ihnen zu versöhnen, alle für die Gemeinsamkeit des christlichen Zieles, die Veredlung der Menschheit, zu begeistern, auf diese Art den ganzen Sprengel umzuformen und ihn voll neuen erfreulichen Lebens dem Nachfolger zu hinterlassen; allein die Parabel von dem vergrabenen Pfunde scheint im Katholicismus gleichwohl den geistigen Fortschritt nicht zu verbieten. Oder soll die Kanzel immer nur zu politischen Hetzereien, nicht auch zu vernünftigen Zwecken verwendet werden? Wäre es nicht des Versuches werth, nach unzähligen Milliarden abgeleierter Vaterunser einmal auch eine neue Idee in diese verödeten Geister zu leiten? Der gestirnte Himmel, der Bau der Welt und der Erde, der Thiere, der Pflanzen, sie sind ja auch lauter Wunder, die von der Weisheit Gottes zeugen und das menschliche Herz nicht minder erheben, als die Wunden der Jungfer Lateau und andere Jesuitenschwänke; durch solche Bestrebungen würde der Stand der Priester allen Menschenfreunden theuer werden; er würde wieder wie vor Zeiten nicht nur der erste, sondern auch der geachtetste im Lande sein.

Zur Zeit wird freilich jeder neue Bischof, der aus dem stillen Bücherleben in die geistliche Praxis tritt, schon in den Flitterwochen wahrnehmen, daß das Christenthum in seinem Sprengel noch gar nicht angebrochen ist, Gottvater lebt bekanntlich „im Austrag“; der heilige Geist hat seine Functionen eingestellt (daß er beim Vaticanum mitgewirkt, wird ja allgemein als Fabel anerkannt); von dem Herrn Jesu Christ geht noch mitunter die Rede, aber er hat, gleichsam sich auch in’s Privatleben zurückzuziehen, in dem Herzen der Mamsell Alacoque eine Commandite auf Erden gegründet, deren Actionäre mehr himmlische Vortheile ziehen sollen, als er selbst zu gewähren im Stande wäre. Die Weltregierung hat die Mutter Gottes übernommen; wo ihre Fürsicht nicht ausreicht, treten die lieben Heiligen ein, welche durch Gelübde, Geschenke, Processionen und Wallfahrten bestochen werden müssen. Eine Andacht, eine Feierlichkeit folgt der andern; die beste Arbeitszeit geht in der Kirche auf, und das Volk wird trotz seiner Heiligkeit täglich ärmer und bedauernswerther.

„O du grundgütiger Himmel!“ sagt der neue Bischof nach solchen Betrachtungen seufzend zu sich selber. „Abgesehen von einigen Handgriffen, welche unsere Priester für specifisch christlich ausgeben, leben wir doch Alle noch mitten in der blödesten Vielgötterei, im blindesten Heidenthume. Aber es soll Licht werden. Herr Generalvicar, lassen Sie sofort einen aufgeweckten Hirtenbrief hinausgehen, sagen Sie, daß der bischöfliche Stuhl auf die bisherige Naivetät seiner Diöcesanen verzichte! Sie sollen lernen, aufgeklärt, gebildet werden. Nicht die Freimaurer sind das größte Uebel, sondern die Dummheit ist es. Fort mit dem heidnischen Trödel! Laßt uns endlich Christen werden!“

Aber der Generalvicar reist zuerst über die Berge nach Rom, wo der heilige Vater vor dem Bambino kniet, während der Vatican sein Medusenhaupt schüttelt und dann spricht: „Lassen wir’s lieber beim Alten! Jetzt pickt noch Alles zusammen, aber wenn wir z. B nur das Märlein von Adam und Eva wegblasen, so rumpelt das ganze künstliche Gerüst über einander. Wenn wir die Bauern so klug machen wollten, müßten wir zuerst selbst etwas lernen. Wir haben uns bisher mit Messelesen und Sündenvergeben kunstlos, aber anständig durchgeschlagen. Sollen wir nun selbst den Ast absägen, auf dem wir sitzen? Fort, ja fort, aber nicht mit dem süßen Heidenthume, das uns nie geschadet, sondern, wie die Honoratioren des Ober-Innthales schon längst begehrt, fort mit der infernalischen Intelligenz, die uns jenes nie ersetzen kann!“

So mag es seiner Zeit Herrn Vincenz Gasser ergangen sein. Auch er gedachte vielleicht, den schlummernden Geist seiner Herren und Ritter, seiner Bürger und Bauern zu wecken und im Brixener Bisthume ein geläutertes Christenthum einzuführen, aber auch er wurde von der römisch-heidnischen Strömung fortgerissen. Um volles Vertrauen zu gewinnen, schritt er aber im heidnischen Geiste bald ebenso energisch einher, wie er’s ursprünglich im christlichen gewollt. Am vollständigen Opfer seines Intellects sollte Niemand zweifeln.

So ließ er denn seine Bischofsjahre in lauter unnützen Bestrebungen verlaufen. Hauptsächlich lag ihm der Widerstand gegen jede Verbesserung im Schulwesen und die Glaubenseinheit am Herzen. So verlor er seine Zeit mit Hetzereien, welche bei den Denkenden nur Mitleid erregt hätten, wenn sie nicht dem Lande so schädlich geworden wären. Wie seine bairischen Kampfgenossen hat aber auch er nur eine Niederlage nach der andern zu verzeichnen. Auf seiner Seite ist seit zwanzig Jahren nicht der mindeste Fortschritt zu bemerken; Alles, was etwa bessere Zeiten verspricht, geht von den Liberalen aus. Von Allem, was er angestrebt, hat er nichts erreicht. „Qui nihil fecit!“ werden eines Tages selbst seine Verehrer von ihm sagen.

  1. Doch nicht! Wir erinnern nur an den Bregenzer Volksdichter Michael Felder. (s. Gartenlaube 1867, Nr. 15.)
    Die Red.