Charlotte Birch-Pfeiffer (Die Gartenlaube 44/1861)

Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Charlotte Birch-Pfeiffer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 693–696
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[693]

Charlotte Birch-Pfeiffer.

Es war im Jahre 1812, als eines Nachmittags ein älterer Mann in der Uniform eines höheren Beamten des baierischen Kriegsministeriums in Begleitung eines zwölfjährigen Mädchens durch die Corridors der königlichen Residenz in München den Gemächern zuschritt, welche König Max Joseph I. bewohnte. Der Mann war der königlich baierische Oberkriegscommissar Pfeiffer, das Mädchen seine Tochter. König Max hatte den wackeren Beamten, den er von Stuttgart berufen hatte, zu einer Audienz beschieden; das Mädchen war auf diesem Wege die Begleiterin, die Führerin ihres Vaters, denn der Vater war erblindet.

Es war ein Verwaltungsgegenstand, über welchen der König von seinem Beamten Bericht haben wollte. Obgleich des edelsten Sinnes beraubt, führte der Oberkriegscommissar dennoch seine Geschäfte fort und war um keinen Preis zu bewegen, seine Pension zu nehmen. Als der fragliche Gegenstand erörtert war, richtete der König seine Aufmerksamkeit auf das Mädchen, welches bisher im Hintergrunde des Audienzzimmers stehen geblieben war, wenn etwa der Vater irgend ihrer Hülfe bedürfte.

„Pfeiffer, ist das Deine Tochter?“

König Max pflegte nämlich diejenigen seiner Diener, welche ihm persönlich bekannt und werth waren, mit „Du“ anzureden.

„Majestät, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Lieblingstochter vorstelle. Sie ist die Gefährtin meiner Einsamkeit, ich kann mit ihr von Allem reden und fühle mich in Allem von ihr verstanden.“

„Das ist schön, das ist brav von Dir, mein Kind,“ versetzte der König, das junge Mädchen in die vollen blühenden Wangen kneifend. „Wie alt bist Du denn?“

„Zwölf Jahre, Majestät.“

„Was, Mädchen? Hätt’ darauf geschworen. Du wärest in dem Alter der Auguste.“ Damit meinte der König seine Tochter, die jetzige Kaiserin-Mutter von Oesterreich, die um einige Jahre älter war. „Na, wie heißt Du denn?“

„Charlotte, Majestät, aber nur im Taufschein, für das gewöhnliche Leben heiß’ ich nur „Die Lottl“.“

„Blitz, da fällt mir etwas bei. Du bist wohl diejenige –? Die Königin hat mir’s erzählt, und der hat es der Schmidt, der Confirmandenlehrer, mit großer Heiterkeit mitgetheilt. Bist Du schon confirmirt?“

„Ich besuche eben den Unterricht.“

„Denn ist’s auch richtig.“

Der Vater sah bald den König, bald die immer verlegener werdende Tochter an. Der Oberhofprediger der Königin Caroline, Dr. Schmidt, ein vortrefflicher Mann, der, beiläufig erwähnt, zu der Zeit, als er nach München kam, im Jahre 1800, als Ketzer in ganz München keine Wohnung bekommen konnte, sodaß König Max sich genöthigt sah, ihn in die Residenz aufzunehmen, dieser Mann war der einzige Geistliche der damals noch kleinen protestantischen Gemeinde Münchens und leitete den Confirmandenunterricht. Er sprach eben mit seiner großen Begeisterungsfähigkeit von dem Leben nach dieser Erde und von den Freuden, die uns in der himmlischen Seligkeit erwarten, als plötzlich „die Lottl“ aufstand und an den von Eifer erglühenden Lehrer die schüchterne Frage richtete:

„Sie – Herr Oberhofprediger, woher wissen’s denn das so genau?“

[694] Der König erzählte dem Vater dieses Intermezzo und fügte lachend zu dem Mädchen bei: „Aber merk’ Dir das für die Zukunft, die Herren haben es nicht gern, wenn man sich in religiösen Dingen zu neugierig zeigt. Aber Pfeiffer, nun sage mir – das Mädchen scheint Geist zu haben – was soll denn aus ihr werden?“

„Majestät, das ist eben mein einziger Kummer,“ antwortete der Vater mit einem tiefen Seufzer.

„Kummer? Wie so Kummer? Rede!“

Statt des Vaters nahm aber jetzt die Tochter das Wort, wohl fühlend, daß der Augenblick gekommen sei, der ihr Schicksal entscheiden sollte.

„Ich wüßte schon, Majestät, was aus mir werden sollte, und wozu ich den Drang und das Talent in mir verspüre. Ich möchte am allerliebsten zum Theater gehen.“

„Theater?“ wiederholte der König. „Wie ist Dir denn dieser Gedanke gekommen, Mädchen?“

„Ich selber trage die Schuld, Majestät,“ nahm der Vater für die Tochter das Wort. „Der Schiller – der verwünschte Schiller!“

„Was hast Du denn gegen den Schiller?“

„Was ich gegen ihn habe, Majestät? Viel – sehr viel. Aber freilich habe ich selbst dem Mädchen immer von ihm erzählt und sie auf seine Werke aufmerksam gemacht. Majestät, Schiller war mein Stubencamerad auf der Carlsschule, wir haben zusammen in einem Zimmer gewohnt, und ich war derjenige, der das Manuskript der „Räuber“ vor den Augen der Aufseher in das Bettstroh versteckt hatte. Hätte ich aber gewußt, daß mein Herr Camerad mein Kind auf solche Gedanken bringen würde, Majestät, wahrhaftig, ich hätte die Räuber ausgeliefert. Dann wäre es mit der ganzen Dichterei zu Ende gewesen.“

Der König lachte über den halb ernsten, halb komischen Ausbruch des biederen Mannes. „Also zum Theater willst Du gehen?“ wandte er sich wieder gegen die Tochter.

„Aber der Vater, Majestät – der Vater will nicht, er sagt, das sei für die Tochter aus einer guten Familie keine Carriére. Darüber werde in der ganzen Stadt München gesprochen werden.“

„Dummes Zeug, Alter! Du bist ein braver Mann, was kann Dich das Gerede kümmern? Und wenn das Mädchen Lust und Talent hat, so soll sie dem Zuge auch folgen, wie sich auch die müßigen Mäuler darüber verziehen mögen. Es bleibt dabei. Dein König will’s. Das Mädchen soll zum Theater. Der Zuccarini soll ihr lehren, was sich lernen läßt, und wenn sie soweit ist, dann lass’ mir’s sagen, damit ich komme und applaudire.“

Dieses Mädchen war Charlotte Birch-Pfeiffer, und diese Scene mit König Max Joseph dem Gütigen ist gerade so vorgefallen, wie wir sie unseren Lesern erzählt haben.

„Die Lottl“ war in ihrem dreizehnten Jahre geistig wie körperlich so weit entwickelt, daß sie bereits im Jahre 1813 in einem Stücke von Plötz, „Moses Errettung“, auf der Bühne des damals unter der königlichen Hoftheaterintendanz stehenden Isarthortheaters zum ersten Male in einer Liebhaberinrolle auftreten konnte. Der König hatte sein Versprechen gehalten, er wohnte der Vorstellung bei und applaudirte nach Kräften. Nach mehreren Engagements an verschiedenen Theatern machte die junge Künstlerin im Anfang der zwanziger Jahre eine größere Gastspielreise, die sie nach Hamburg führte, wo sie mit dem größten Beifalle zwanzig Gastrollen gab, und später nach Berlin, wo sie berufen war, die Stelle der Crelinger, damaligen Mdme. Stich, welche durch unliebsame Vorfälle für einige Zeit für die Bühne des königlichen Schauspielhauses unmöglich war, auszufüllen. Hier hatte sie sich des Beifalles von Zelter zu erfreuen, dessen Bekanntschaft sie auch später machte und der sich in einem seiner gedruckten Briefe an Goethe voll Anerkennung über sie ausspricht. Geist und Bildung brachten sie bald mit Varnhagen, der Rahel, deren Bruder Ludwig Robert, mit Gans[WS 1] und der Familie Beer zusammen, von der Michael Beer, der Verfasser des Struensee, dem wenn auch nicht schönen, doch in hohem Grade anziehenden Mädchen besondere Aufmerksamkeit widmete, und Giacomo Meyerbeer der Frau bis zur Stunde ein treuer Freund geblieben ist. Nach mehreren Gastspielen in Holland, in Petersburg privatisirte Frau Birch-Pfeiffer, nach ihrer Verheirathung mit dem trefflichen Publicisten Dr. Birch, in München, übernahm 1837 das Theater in Zürich und gab dasselbe im Jahre 1844 auf, einem Rufe Küstner’s nach Berlin folgend, um im dortigen Schauspielhaus die Stelle der Frau Amalie Wolf, geborenen Malcolmi, Goethe’s Liebling, einzunehmen.

Wir haben es an dieser Stelle weniger mit der Schauspielerin, als mit der dramatischen Schriftstellerin zu thun. Die erste, welche Frau Birch-Pfeiffer ermunterte, als Bühnenschriftstellerin aufzutreten, war keine geringere als die Rahel. Es war bei dem ersten Auftreten der Künstlerin in Berlin in dem Raupach’schen Stücke „Die Fürsten Kawanski“. In einer Parterreloge des Hauses saß die Schwester der Debütantin. Plötzlich hörte sich diese von einer neben ihr sitzenden Dame mit den Worten angeredet: „Sie sind die Schwester der Fräulein Pfeiffer.“ – „Woher wissen Sie das?“ fragte nach der ersten Ueberraschung die Schwester. – „Woher?“ lächelte Rahel. „An Ihrer Angst und aus Ihrem Gesichte. Übrigens haben Sie keine Sorge, die kommt durch. Mein Name ist Varnhagen. Machen Sie mich mit Ihrer Schwester bekannt.“

Die Bekanntschaft wurde noch an demselben Abend gemacht, und beide Frauen führten durch mehrere Jahre einen sehr lebhaften Briefwechsel. Rahel war immer diejenige, welche die Künstlerin antrieb, die Feder für die Bühne in die Hand zu nehmen.

Das erste Stück der Bühnenschriftstellerin war „der böhmische Mägdekrieg“ und erschien 1828 auf dem Theater an der Wien. Jedoch begann erst mit „Pfefferrösel“ die Reihe jener sprüchwörtlich gewordenen Erfolge, die ihren Namen populär gemacht haben, wie selten einen, Erfolge, wie sie auf der deutschen Bühne bisher nur Kotzebue aufzuweisen hatte, dessen die deutsche Bühne sich ebenso wenig wie seiner Nachfolgerin zu schämen braucht. Mit dem letzten Stücke „der Goldbauer“ hat Frau Birch-Pfeiffer ihr neunundsiebzigstes Stück geschrieben. Als einst ein berühmter Schriftsteller in Zürich sie fragte: „Wie machen Sie es nur, daß Sie solche Erfolge zu Wege bringen?“ antwortete sie ihm: „Das will ich, Ihnen sagen, Sie schreiben mit dem Kopfe, ich mit meinem Herzen.“ Sie hatte damit das Geheimniß ausgesprochen. Gemüth, eine hie und da etwas derbe Herzlichkeit und eine unverwüstliche innere Frische sind neben einem bedeutenden schriftstellerischen und dramatischen Talent die Ingredienzien, welche ihr die Gunst des Publicums durch so viele Jahre gesichert haben. Dabei sind drei Dinge bei ihrer Thätigkeit für die Bühne nicht außer Acht zu lassen. Kenntniß der Bühne, des Publikums und des Lebens. Fürwahr, es erfordert einen ungewöhnlichen Fond von Geist, neunundsiebzig Stücke zu schreiben, von denen ein Drittel Originalarbeiten und zwei Fünftel Repertoirestücke geworden sind, und immer wieder etwas Neues, Fesselndes und Spannendes zu bringen, um die mit jedem Stücke sich steigernden Ansprüche des Publicums zu befriedigen. Es ist wahr, daß Shakespeare und Schiller bessere Dramen geschrieben haben, als die Birch-Pfeiffer, und daß man an ihre Erzeugnisse nicht den höchsten künstlerischen Maßstab legen darf, aber schon in der großen classischen Periode unserer Literatur war Kotzebue neben Schiller und Goethe ebenso gut für die Bühnen eine Nothwendigkeit, wie die Birch-Pfeiffer heutzutage, wo wir noch dazu keinen Goethe und keinen Schiller mehr am Leben haben. Sie amüsirt das Publicum, sie füllt die Theaterkassen, und die Bedingung einer idealen Kunstrichtung ist eben nur eine gefüllte Theaterkasse. Daß wir aber keinen Ueberfluß, wir wollen gar nicht sagen an guten, sondern nur brauchbaren neuen Bühnenstücken haben, möge eine statistische Notiz beweisen. Von hundert im letzten Vierteljahr bei der General-Intendanz in Berlin eingereichten Stücken waren erst zwei, die für die Bühne brauchbar waren, und dabei wird jedes Stück von sechs Personen gelesen.

Uebrigens gehörte von Seiten einer Frau ein wahrhaft männlicher Muth dazu, weniger um die Spießruthenhiebe der Kritik zu ertragen, als sich durch dieselben aus dem einmal betretenen Wege nicht irre machen zu lassen. Schon dieser Muth der Ueberzeugung muß uns Achtung einflößen. In Frankreich hätte diese Frau mit ihrer Productionsfähigkeit ihren Platz unmittelbar neben Scribe erhalten, und ein französisches Journal nannte sie jungst auch „un auteur français que le hasard a fait naître en Allemagne.“

Wenn jede Kritik gegen die Birch-Pfeiffer ein Pfeil gewesen wäre, es existirte von ihr schon längst kein Härchen mehr. Und wenn die Gegner nur die Gegner ihres Princips, nicht ihrer Erfolge gewesen, wenn sie nur bei dem Papier geblieben wären! Aber nein! Am Morgen der Ausführung eines Stückes ließ ihr der vormärzliche Polizeipräsident von Berlin, Herr v. M., sagen, daß eine Partei sich gebildet, mit der Absicht, das Stück am Abend auszupfeifen. Die Verfasserin möge sich dadurch nicht abschrecken lassen, es seien alle Vorkehrungen dagegen getroffen worden. Es waren aber keine Vorkehrungen nöthig. Das Stück war „Dorf und Stadt“.

[695] Unantastbar steht der Privatcharakter der „Verfasserin“ par excellence da. Wo es gilt, ein Talent, sei es in welcher Richtung, zur Geltung zu bringen, immer ist „die Mutter“ mit ihrer vielvermögenden Hand bereit und einen gar nicht unbedeutenden Theil ihrer Tantiemen verwendet sie auf Unterstützung hülfloser Menschen.

Machen wir jedoch der Dame einen Besuch. Wir flaniren unter den Linden in Berlin. Von da bis zur Krausenstraße Nr. 70, Ecke der Friedrichsstraße, ist nicht mehr gar weit, und die zwei Treppen, freundlicher Leser, wirst Du auch noch steigen können.

Also vorwärts!

Wir klingeln. Ein männlicher Kopf mit weißgrauem, vollem Haar und schwarzem Schnurrbart erscheint. Es ist Gustav, der geflügelte Merkur des Hauses, allen Besuchern desselben wohlbekannt. Gustav ist kein gewöhnlicher Diener, er vergißt zwar leicht, aber schadet nichts, er hat doch „Sinn für das Höhere“. Gustav steht mit allen Künstlerinnen, und deren kommen nicht wenige in ein Haus, aus dem so gute Rollen hervorgehen, auf dem besten Fuße und besitzt seine persönlichen Bekanntschaften alle in einem photographischen Album. Gustav servirt immer in Escarpins und ist glücklich, wenn die schöne K. eingeladen ist, um ihr aus lauter Verehrung in der Zerstreuung die Bratensauce auf das seidene Kleid zu schütten. Gustav ist auch der beste Beurtheiler dramatischer Neuigkeiten. Die Stücke seiner Herrin stehen ihm natürlich am höchsten.

„Haben Sie gestern das neue Stück gesehen, Gustav?“

„Zu dienen, Herr Doctor.“

„Wie war’s?“

Gustav zuckt die Achseln, und das ist bedenklich.

„Der Autor,“ meint er, „hat Talent – ein hübsches Talent, aber noch gar kein Geschick. Und dann bin ich eben nicht sehr portirt für Stücke mit weißer Wolle.“

„Was meinen Sie damit?“

„Nun, eben Stücke aus den alterthümlichen Zeiten, in denen die Inexpressibles noch nicht in der Mode waren und alle Leute in weißem langweiligen Wollenzeuge gingen.“

„Ah so!“

„Aber wenn es den Herren beliebt, die Frau Doctorin sind in ihrem Zimmer.“

Damit will Gustav fein ausdrücken, daß uns nicht der mit blauem Damast garnirte, mit exotischen Gewächsen, Statuen und Oelgemälden geschmückte große Salon zum Aufenthalte angewiesen wird, sondern daß uns die besondere Gunst zu Theil wird, von „Frau Doctorin“ in ihrem Arbeitszimmer empfangen zu werden.

Fürchte Dich nicht, mein freundlicher Leser und Begleiter, daß Dir eine hagere, lange Figur mit einem rothen, kühn um die Schultern drapirten Shawle, einer unaussprechlichen Coiffure und einem gelehrten Citate entgegentreten wird, Du kommst zu keinem Blaustrumpfe, sondern zu einer Frau, die nichts weniger als hager, in einem grünsaffianenen kleinen Lehnstuhle sitzt, die in ihrer äußeren Erscheinung jede Extravaganz sichtlich zu vermeiden scheint, ein graues Wollenkleid trägt, die natürlich und freundlich wie jeder andere wohlwollend gesinnte Mensch zu Dir spricht, bei Deinem Eintritt die Brille ablegt, bei der ersten Begrüßung vielleicht über Kopfweh oder sonst ein Uebel klagt, dann aber dieses vergessend die Unterhaltung voll frischen Humors weiter führt.

Das ganze Zimmer ist grün, grüne Tapeten, grüner Teppich, grüne Vorhänge, an den Wänden umher sind die Bilder von Collegen oder Freunden des Hauses angebracht. Unter Letzteren sehen wir Schönlein, den großen Arzt, den berühmten Rechtslehrer von Keller, umgeben von Ansichten von Zürich, wo sich das Freundschaftsband mit diesen Männern geknüpft hat. Da ist auch eine Abbildung der königl. preußischen Dampfjacht „Grille“, welche von dem hochseligen Könige, dem besonderen Gönner der Verfasserin, bekanntlich ihren Namen nach dem Stücke derselben erhalten hat. Vor dem Schreibtisch baut sich eine andere Bilderwand auf, die besonderen Günstlinge aber haben ihren Platz auf dem Schreibtische selbst. Da ist die anmuthige Herzogin v. B., von ihr selbst geschenkt, die kleine Goßmann in verschiedenen Birch’schen Rollen, aus früheren Zeiten Charlotte von Hagen und an der Spitze aller Uebrigen die einzige Tochter der Schriftstellerin, die Hofgerichtsräthin v. H. in Freiburg, eine Frau von hoher geistiger Begabung. Auf diesem Schreibtisch, von welchem die Waise von Lowood, die Grille etc. ausgegangen sind, liegen Manuscripte, Zeitungen, Bücher, fliegende Zettel, erbrochene Briefcouverts, Büchschen und Fläschchen aller Art wirr und zerstreut durcheinander, aber nur auf den ersten Anblick. Der zweite überzeugt uns, daß in dieser Unordnung die größte Ordnung ist. Jeder Zettel, jeder Streifen Papier hat seinen bestimmten Platz. Auf einem hochgesteckten Zettel sind die Namen der Almosenempfänger des heutigen Tages oder derjenigen Personen aufgezeichnet, an die im Laufe des Tages Briefe geschrieben oder Aufträge bestellt werden müssen.

„Außer der trefflichen Herzogin von Orleans hat wohl noch keine Dame soviel Briefe geschrieben, wie Sie, Frau Doctorin?“

„Ja, wenn ich doch, wie die Liselotte von der Pfalz, immer nur an Freunde schreiben dürfte, aber so kommt eine Masse Dinge an mich heran, die mich innerlich gar nicht berühren. Und doch darf ich ein an mich gerichtetes Vertrauen nicht unerwidert lassen, und könnte ich darauf auch nur mit einem wohlwollenden Worte antworten. Bitte Sie, bin im Leben genug darüber gescholten worden, daß ich nicht unter die Classiker gegangen bin; welches Recht hätten die guten Leute erst, wenn ich auch noch unhöflich würde! Ich bin eine alte Frau, habe mich von Welt und Geselligkeit so ziemlich zurückgezogen, Arbeiten ist mir ein Bedürfniß, um so mehr, als ich nur fünf Stunden des Tages habe, von 5 bis 10 Uhr Abends, wo ich über meine Geister gebieten kann. Ich habe wieder etwas unter der Feder, aber wann ich es vollenden werde? – ich weiß es nicht. Vor Allem muß ich hinaus in die Sommerfrische. Wenn wir auch nur immer die Wirkungen unserer Sachen vorausbestimmen könnten! Wir arbeiteten um ein halb Theil so leicht. Aber mir ging es immer so, daß gerade die Sachen, auf die ich alles Vertrauen setzte, fehlschlugen, und andere Stücke, die ich Anstand nahm hinauszugeben, das meiste Glück gemacht haben. Das Publicum ist ein wunderlich Ding.“ Hier nimmt die Verfasserin aus einer kleinen, goldenen Dose eine Prise.

„Entschuldigen Sie, meine Herren, ich weiß zwar, daß Schnupfen für eine Frau ein großes Laster ist; Sie werden mir aber verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß dieses große Laster meinen Augen sehr wohl thut.“

Die kleine goldene Dose, aus der sie den Tabak nimmt, erregt durch ihre eigenthümliche Form unsere Aufmerksamkeit. Wir besehen sie näher, sie erregt unsere Bewunderung durch ihre wundervoll getriebene Arbeit.

„Die Arbeit ist auch nicht von heute,“ erklärt Frau Birch-Pfeiffer. „Diese Dose ist ein Geschenk Ludwigs XIV. an einen Vorfahren meines Mannes, einen Dänen, der in irgend einer diplomatischen Angelegenheit an den Hof von Versailles gesandt worden war.“

„Und diese Dose ist wohl auch das magische Medium, vermöge dessen es Ihnen so gut gelang, sich in die galante Zeit von Versailles zurückzuversetzen, die alte Maintenon und Ludwig XIV., Mazarin mit seinen Nichten zu belauschen und den flatterhaften Herzog von Richelieu auf seinen Liebesabenteuern zu verfolgen?“

„Vor Allem aber erhält sie mir den Tabak frisch, und das ist ihr erster Vorzug,“ ist die bündige Antwort der Verfasserin.

Wie viele interessante Menschen haben in diesen Räumen wohlwollende, wahrhaft mütterliche Aufnahme gefunden! Eine der bedeutendsten Erscheinungen auf diesem Boden war jedenfalls Jenny Lind, als sie zum ersten Male nach Berlin kam. Bekanntlich hatte Meyerbeer die berühmte Schwedin zur Aufführung seines Feldlagers nach Berlin kommen lasten.

Meyerbeer,“ erzählte Frau Birch-Pfeiffer, „hatte mich gebeten, mich des Mädchens anzunehmen, vor Allem aber sie deutsch vocalisiren zu lehren, da sie bisher nur schwedisch und italienisch gesungen hatte. Meyerbeer brachte sie zu mir. Sie kam aus Paris, sah aber gar nicht nach Paris aus. Ein großer Hut, ein unscheinbares Kleid, und ein fast abgetragener Wollenshawl war ihre Pariser Toilette, und dabei benahm sie sich so ängstlich und eckig, daß ich wirklich nicht wußte, was ich aus, diesem Wesen machen sollte. Meyerbeer wollte mich vor Allem ihre Stimme hören lassen, öffnete das Clavier und schlug die ersten Töne der Arie der Alice aus dem Robert an. So wie die ersten Töne erklangen, war dieses scheue, zurückhaltende Geschöpf plötzlich Leben und Feuer, legte rasch den Hut ab, warf den Shawl fort und sang nun die Arie mit jener wundervollen Engelsstimme, die schon nach den ersten Takten mir die Thränen aus den Augen lockte. Ich war, ehe ich die Stimme gehört, noch nicht entschlossen, ob ich die Verpflichtung übernehmen sollte, aber nun war ich keinen [696] Augenblick mehr in Zweifel, denn hier war nicht mehr von freiem Willen die Rede, hier zwang das Genie, welches Gott in diese jungfräuliche Seele gehaucht hatte. Ich wünschte allen unseren Künstlerinnen die Energie und Ausdauer in ihren Studien, wie sie dieses zarte Mädchen an den Tag legte. Ich studirte mit ihr die Norma, mit der sie musikalisch ganz fertig war, nur der deutsche Text machte ihr noch Schwierigkeiten, besonders die Stelle: „daß es zersplittere,“ in der sie mit ihrer weichen schwedischen Zunge die Schärfe des Wortes „zersplittere“ nicht herausbringen konnte; sie sprach immer statt des z ein s, überhaupt das Wort ohne dessen markige, charakteristische Kraft. „Lassen wir es sein, liebe Jenny, es geht heute nicht, und ich muß in die Probe zur Marquise von Billette.“ Die Probe währte ohngefähr vier Stunden. Ich komme nach Hause, höre Clavier spielen, eine Singstimme und frage meine Leute: „Wer ist denn da?“ – „Frl. Jenny,“ war die Antwort. – „Die ist wohl erst gekommen?“ – „Nein, sie ist gar nicht weggewesen.“ – „Wie?“ In demselben Augenblicke, wie ich das Zimmer betrete, kommt sie mir mit geharnischtem Schritt entgegen, faßt mit fast männlicher Kraft meinen Arm und schmettert mir die Stelle mit der vollsten Wucht und Schärfe entgegen. Sie hatte in diesen vier Stunden die einzige Stelle wohl an zweihundert Mal probirt. Hier in dieser Schatulle,“ damit deutete die Verfasserin auf einen rothsammetnen mit vergoldeter Bronze verzierten kleinen Kasten, „hier sind meine Diamanten, die Briefe Jenny Lind’s und Mendelssohn Bartholdy’s an mich. Letztere werden bald in einer Biographie Mendelssohn’s im Druck erscheinen. Aber wundern Sie sich nicht, wenn ich vermeide, Musik zu hören, ich kann nicht mehr, ich, habe das Größte, die Harmonie der Sphären von diesen beiden Menschen hier in diesem Zimmer gehört.“

In diesem Augenblicke klopft es, und ein kleiner ältlicher Mann mit scharf geschnittenen Zügen und einer unendlichen Bescheidenheit im Auftreten tritt in’s Zimmer.

Wir wollen uns entfernen.

„Bitte, bitte, bleiben die Herren, wir sind alte Freunde,“ spricht Frau Birch, auf den Herrn deutend, „und Ihnen wird es gewiß interessant sein, die Bekanntschaft eines berühmten Mannes zu machen. Meine Herren, Sie stehen dem Komponisten des Robert und der Hugenotten gegenüber.“

Der Eingetretene ist Giacomo Meyerbeer.

„Ich komme mit einer Bitte zu Ihnen, liebe Freundin. Einem deutschen Hofe geht es à contre-coeur, in meinem Nordstern einen Czaar betrunken auf der Bühne zu sehen. Es ist darum eine Aenderung der Situation im Texte nöthig, und diese bitte ich Sie mir zu machen. Sie verstehen es so vortrefflich, auf meine Intentionen einzugehen, viel besser als Scribe, der mir oft recht viele Schwierigkeiten machte.“ Nun erzählt der berühmte Componist einen komischen Vorfall, der ihm mit Scribe bei „Robert der Teufel“ passirt war. „Sie kennen, meine Herren, vielleicht den ersten Act, wo die als Ritter auftretenden bösen Geister im Französischen die Textworte haben: „Nous le tenons“. (Wir halten ihn.) In diesen drei Worten habe ich versucht, den infernalischen Triumph der bösen Geister in düsteren Klangfarben auszudrücken.

„Was haben Sie da gemacht!“ rief Scribe, der der Hauptrede beiwohnte. „Den Triumphgesang der Hölle,“ antwortete ich. „Die Dämonen glauben jetzt Robert in ihrer Mitte zu haben “ – „Mein Gott, ich habe mit dem „le“ ja nicht Robert, sondern den Spielsatz gemeint,“ rief Scribe, der sich aber bald beruhigte, da er fand, daß die Sache in dieser Auffassung sich denn doch besser machte.“

Die belebte Unterhaltung wird durch den eintretenden Gustav unterbrochen; dieser meldet den Herzog von K.

„Der Herzog?“ ruft Frau Birch, ihre Toilette betrachtend. „Aber so muß Hoheit doch immer zu einer Zeit kommen, wo man für ihn nicht in Scene gesetzt ist. Nun gut, so mag sich Hoheit mit meiner Alltagserscheinung begnügen. Eine deutsche Schriftstellerin kann nicht, wie Madame de Staël , in Turban und Sammtschleppe am Schreibtische sitzen. Es soll mir eine besondere Ehre sein, Seine Hoheit zu empfangen,“ ruft sie dem abgehenden Gustav zu. „Morgen, lieber Freund,“ wendet sie sich an Meyerbeer. „sende ich Ihnen die Aenderung. Und Sie, meine Herren, werden mich entschuldigen. Fürsten sind verwöhnte Menschenkinder, und Kunst und Leben zwei verschiedene Dinge. Ich kann einen Fürsten wohl in einer Komödie bei einem Rendezvous, aber niemals vor meiner Wohnung in der Krausenstraße warten lassen. Leben Sie wohl und wiederholen Sie das Vergnügen, welches mir Ihr Besuch gewährt hat.“

Georg Horn.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ganz