Bunte Plaudereien aus London, Paris und vom Meeresstrande. Nr. 2

Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Bunte Plaudereien aus London, Paris und vom Meeresstrande. Nr. 2
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 680–682
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Nr. 1 in Heft 37
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Bunte Plaudereien aus London, Paris und vom Meeresstrande.

Nr. 2.
Schauspieler Kean – Ein Volksstück – Kein Souffleur – Eine Abendgesellschaft von Flüchtlingen – Kemety, Klapka, Freiligrath, M. Hartmann –
Joachim und seine ungarischen Luder – Der Magnetiseur Laurent und Demoiselle Prudence – Der Erzbischof von Upsala und seine Geschichte.

Obgleich die Theater in London jetzt sämmtlich ihr Festkleid angezogen haben, so bieten selbe doch nichts Außerordentliches. Die Schauspielkunst der Engländer steht nach meiner Ansicht so weit hinter der unsrigen zurück, als wir Deutschen in dieser Beziehung den geborenen dramatischen Künstlern, den Franzosen, nachstehen, und selbst der hochgefeierte, mit allen hohen Buchstaben angekündigte Charles Kean erschien mir in der Rolle des Cardinal Wolsey in dem neu scenirten Shakespeare’schen Drama „König Heinrich der Achte“ nur als ein talentbegabter, routinirter Coulissenreißer, keineswegs aber als das Genie, welches seine Landsleute so gern aus ihm machen wollen. Dagegen versteht er die mise en scene musterhaft zu leiten und hat darin in dem oben angeführten Drama wirklich ein Meisterstück geleistet. Die Costüme, Auszüge, das Arrangement der Hoffestlichkeiten, Alles ist mit der genauesten Sachkenntniß und bis in’s kleinste Detail als treues Abbild jener Zeit wiedergegeben, die Behandlung der massenhaften Gruppirungen mit so feinem Geschmack und Kunstsinn geleitet, wie ich es noch an keiner andern Bühne Europa’s zu bewundern Gelegenheit hatte.

Außerdem stehen die Engländer in Decorations- und Beleuchtungseffecten unübertroffen da. Einem solchen Kunstwerke dankt ein seit Jahresfrist ununterbrochen und stets bei überfülltem Hause gegebenes Volksstück „Peep o'day“ den Hauptgrund seines Erfolges. Es soll ein armes Mädchen, durch einen Schuft von Lord zu einer Scheintrauung verführt, für immer stumm und unschädlich gemacht, in eine abgelegene Schlucht in Irland gelockt und dort ermordet werden. Wir sehen den gedungenen Banditen in der Mitte der Bühne die Grube graben, die das Opfer aufnehmen soll. Auf beiden Seiten starren riesige Felswände empor, wovon die eine im tiefsten Schatten liegt, während die roh in Stein gehauenen Stufen und die den gegenüberstehenden Fels überwuchernden Schlingpflanzen, sowie der Steg, welcher beide Steinufer mit einander verbindet, vom grellsten Mondlicht bestrahlt sind. Eben so hell beleuchtet bildet der Hintergrund einen natürlichen Wasserfall und eine weite, weite Fernsicht in ein zerklüftetes Felsthal. Den dunkeln Fels umstehen hohe Bäume, nicht flach gemalt, sondern in Stamm und Laubwerk der Natur täuschend ähnlich nachgebildet. Wir sehen das arme Opfer in dem im Mondlicht unheimlich leuchtenden rothen irischen Mantel[1] arglos den schwanken Steg entlang wandeln, an dem verborgenen Mörder vorüber, die Schlucht betretend. Nur das Echo antwortet ihrem schrillen Hülferuf, vergebens bedroht sie ihren Bedränger mit der Rache Gottes und eines Freundes, von dem sie wisse, daß er zu ihrem Schutze herbei eile. Rasch klimmt der Räuber die Felswand empor, zerschmettert den schmalen Steg, der allein herab in den Abgrund führt, und lacht jetzt im höhnischen Spott der Drohungen des verzweiflungsvoll ringenden Weibes, diese immer näher und näher dem offenen Grabe entgegen zerrend. Da ertönt ein Signal, der Retter erscheint auf der Plattform der Felswand, vergebens einen Weg suchend, der Armen zu Hülfe zu eilen. Jetzt holt der Henker mit dem Beil aus, um sein Nachtwerk zu vollenden, oben ein Schrei des Entsetzens, und schneller, als es sich erzählen läßt, ergreift der Freund der Gefährdeten einen mächtigen Zweig des an der Felswand stehenden gewaltigen Baumes und schwingt sich, dem Schutze des Höchsten sich empfehlend, an dem Aste hängend in den Abgrund hinab. So rettet der junge Held seine Geliebte im Augenblick der höchsten Gefahr und unter dem stürmischen Jubel des athemlosen Publicums.

Auch die übrigen Scenen dieses wechselvollen, an derb-komischen und grell-tragischen Momenten überreichen Drama’s sind prächtig arrangirt, namentlich die irischen Volksscenen, wenn sich gleich das Spiel der Darstellenden nie über die stark gefärbte Mittelmäßigkeit erhebt. Nur einen wirklich großen Schauspieler habe ich in London zu bewundern Gelegenheit gehabt, allein dieser hat sich nach französischen Mustern herangebildet und spielt in der Weise Bouffé’s! und Frederic Lemaître’s in dem Theatre Olympique. Mr. Robson, so heißt der Mann, ist die Stütze dieser Bühne und mit Recht der Liebling der Londoner Theaterfreunde. In dem Drama: „Porter’s Knot“, welches, wenn ich nicht sehr irre, aus dem Französischen übersetzt ist, spielt er einen schlichten, durch seinen Sohn in unverschuldetes Unglück gestürzten Kofferträger an einer Eisenbahn mit einer erschütternden Wahrheit und Naturtreue. Lebhaft hat mich der Künstler an unseren heimischen Döring erinnert, welcher derlei Rollen ebenfalls bewunderungswürdig spielt. Ich bedaure, daß mir Raum und Zweck dieser Zeitschrift nicht erlauben, in die Details dieser genialen Leistung einzugehen.

Eine Merkwürdigkeit der englischen Theater ist die, daß kein Souffleur existirt; wie wünschenswerth wäre die Nachahmung dieser trefflichen Sitte an unseren deutschen Bühnen! Die Eintrittspreise zu den Theatern Londons sind im Vergleiche zu denen in Deutschland enorm.

Ich verschone den freundlichen Leser mit einer abertausendsten Schilderung der zwei großartigsten Gebäude Europas und deren Einrichtung, des Ausstellungs- und des Krystall-Palastes, so mächtig auch der Eindruck dieser modernen Weltwunder auf jeden Fremden einwirkt. Die Kunstschätze Calcuttas, die Goldpyramide aus Californien, der 125 Karat schwere, stets von einer Anzahl Schaulustiger umstellte Diamant, die „Sonne“, von dem Juwelenhändler Coster aus Amsterdam eingesandt, interessirte mich weniger, als die genial erfundenen Maschinen, die in Unzahl aufgestellt sind, von dem Apparat an, wo z. B. für den Champagnergourmand klares Wasser auf einer Seite hinein gegossen wird und auf der anderen als Eis wieder herauskommt, bis zu den riesigen Kuppeln der Leuchtthürme und den sinnreichen Vorrichtungen an denselben. Unter den zahllosen Bildern der Gallerie sind die unseres Berliner Malers Gustav Richter stets von einer Menge Bewunderer umschwärmt, ebenso die Kirchenarbeiten von getriebenem Zinkblech von Fried. Peters aus Berlin.

Das Schauen hat uns ermüdet, und so wollen wir einer freundlichen Einladung des Schriftstellers Max Schleßinger folgen, der jedem gebildeten Leser wohl aus seinen geistreichen Schilderungen Englands und Ungarns bekannt ist, und den Abend in seinem gastlichen Hause verleben. Mit echt englischem Comfort bewohnt derselbe ein bequem und elegant eingerichtetes Haus, und öffnet dasselbe mit größter Urbanität jeden Freitag seinen Landsleuten, den an ihn empfohlenen Fremden und seinen Freunden. Die Wände des Salons aus Bedford-Place könnten viel erzählen von Berühmtheiten aller Nationen, die dort verkehrt und sich erfreut hatten an des Besitzers gastlichem Heerde. Mir wird der dort verlebte Abend unvergeßlich bleiben. Ein großer Theil der Anwesenden bestand aus ungarischen Flüchtlingen, unter diesen die Generäle Kemety, der Vertheidiger von Kars, jetzt Ferik Pascha, und Klapka, der Held von Komorn. Zu den gewöhnlichen Besuchern dieser Abendcirkel gehört auch noch Freiligrath, jetzt mit Klapka zusammen angestellt als die Directoren der Schweizerbank, der kleine Dr. Kaufmann, in dessen schwächlichem Körper ein starker Geist wohnt, Moritz Hartmann, der Commerzienrath Wolff aus Gladebach bei Köln, der die preußische Expedition nach Siam und Japan mitgemacht und einen reichen Schatz von Erfahrungen und Erinnerungen aus fernen Zonen gesammelt hat, Joachim, der berühmte Violinspieler und Löwe der diesjährigen Concertsaison in London, ein Kranz schöner, feingebildeter [681] Damen, unter welchen die Frau des Hauses in liebenswürdigster Weise die Honneurs macht.

Das Gespräch dreht sich in verschiedenen Gruppen in buntester Weise um Tagesfragen; für mich hatte unter den Anwesenden General Klapka das meiste Interesse. Wir tauschten die Erinnerungen an unsere Jugendzeit aus; noch immer stand der bildschöne junge Officier der ungarischen Garde, ein Stammgast des Josephstädter Theaters in Wien, an dem ich damals meine ersten künstlerischen Erfolge erntete, lebhaft vor mir; er hatte noch die Titel aller Stücke, die damals an der Tagesordnung gewesen, im frischen Andenken, ebenso die Namen aller Künstler und – Künstlerinnen, welch’ letzteren die glänzende Erscheinung des prächtigen „Gardisten“ theilweise sehr gefährlich geworden war. Es machte mir unbeschreibliche Freude, als mir General Klapka jetzt, nach 26 Jahren, noch Details aus meiner damaligen Carriere mittheilte, welche mir bewiesen, daß er mir doch noch ein Plätzchen in seinem Gedächtniß aufbewahrt hatte, aus welchem selbst sein reichbewegtes, glänzendes Schlachtenleben mich nicht hatte verdrängen können. Klapka, der sich von Politik gänzlich zurückgezogen und, wie gesagt, als einer der Directoren der Bank of Switzerland größtentheils in Genf lebt, ist noch jetzt einer der schönsten Männer seiner Zeit, namentlich übt der Glanz seiner prachtvollen, tiefdunklen Augen einen magnetischen Eindruck aus.

Horch! die Zaubergeige des Ungars Joachim ertönt! Alles rückt näher an den Meister, aus dem Bibliothekzimmer zieht der Wunderklang die dort Weilenden in den Salon, festgebannt in theilnehmenden Gruppen. Der Ungar spielt vor seinen verbannten Landsleuten heimische Volksmelodien. Man muß diese ungarischen Weisen von Joachim, der, wie Keiner, seine ganze Seele in sein Instrument zu legen versteht, gehört haben, man muß diese tiefe Wehmuth, diese heiße Sehnsucht, dies wilde Jauchzen der Töne von Joachim selbst vernommen haben, um den gewaltigen Eindruck zu begreifen, den diese vaterländische Musik auf die Ungarn hervorbrachte. Je nach dem Temperament der Anwesenden äußerte sich die Empfindung der Zuhörer in verschiedener Weise. Der sinnige Klapka saß, den Kopf in die hohle Hand gestützt, vor sich hinstarrend in einer Ecke des Sophas, das dunkle Auge schien durch einen Thränenschleier zu schwimmen, andere summten die wohlbekannten Nationalmelodien unwillkürlich mit oder drückten sich unbewußter die verschlungenen Hände, während der heißblütige Kenneth den Virtuosen stürmisch an die Brust drückte, mit Küssen bedeckte, in welche sich warme Tropfen mischten, die dem Auge entrollten. Immer wieder und wieder mußte der Künstler dem stürmischen Verlangen nach Wiederholung genügen, und immer ertönte dem Landsmann ein schallendes „Eljen“ entgegen. Es dauerte lange Zeit, ehe der Strom der Unterhaltung wieder in sein ruhiges Bett sich abdämmte und Einer der Anwesenden einige ergötzliche Anekdoten aus der Heimath zum Besten geben konnte.

Nach Beendigung der ungarischen Revolution und der Rückkehr zur alten Ordnung bereiste eine hochgestellte Person die verschiedenen ungarischen Provinzen, um sich von dem jetzigen Zustande der Dinge aus eigener Anschauung zu überzeugen. Er kam auch in eine ungarische Stadt, die sich früher, sowohl im Civil als Militär, durch ihre antiösterreichische widerspenstige Gesinnung ausgezeichnet hatte. Eine Abtheilung Husaren empfing den hohen Herrn mit lautem „Vivat“-Ruf. Dieser frug den Commandeur: „Sagen Sie mir, Herr Obrist, warum lassen Sie die Leute nicht in ihrer Landessprache rufen, warum „Vivat“ und nicht „Eljen“?“

„Entschuldigen Hoheit,“ antwortete der verlegene Officier, „wenn ich die Kerle „Eljen“ rufen lasse, dann habe ich sie nicht mehr in meiner Gewalt, denn dann rufen sie Alle „Eljen Kossuth!““

Die Rede kam auch auf Naturwissenschaften und namentlich auf den thierischen Magnetismus und dessen geheimnißvolle Wunder. Der deutsche General ***, einer der gebildetsten Militärs im ***Lande, früher ein intimer Freund Alexander’s von Humboldt, erzählte seine Begegnisse mit dem Magnetiseur Professor Laurent aus Paris, der mit einer Somnambüle, Dlle. Prudence, in Frankreich, Belgien und zuletzt in Ostende Experimente ausführte, die kein Verstand des Verständigen begreifen konnte. In Frankfurt am Main wurde ihm die Erlaubniß verweigert, mit dem zum Schatten abgemagerten Wesen für Geld öffentlich Schaustellungen zu geben; wie recht die Behörde gehandelt, bewies der bald darauf erfolgte Tod der Dlle. Prudence. General *** erzählte unter Anderem, daß die Hellseherin seine und seiner Freunde Gedanken errathen und von ihrem Magnetiseur gezwungen wurde, in somnambülem Zustand Handlungen auszuführen, die irgend einer der Anwesenden auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. So z. B. wurde vor sie hin, die auf einer mäßig erhöhten Tribüne vor den Zuschauern saß, ein Tischchen mit einem leeren Glas gestellt. Laurent bat den General, auf ein Blatt Papier die Namen der Flüssigkeiten zu schreiben, welche Dlle. Prudence in ihrem Zustande zu trinken glauben solle; dieser schrieb die Worte „Champagner“, später „Blut“, und behielt den Zettel bei sich. Nun forderte Laurent den General auf, ihm die Hände zu reichen, das Geschriebene fest in Gedanken zu behalten, ehe er sich mit der Seherin in geistigen Rapport setze. Auf den Befehl zu trinken, nahm sie das leere Glas, setzte es anfangs mit allen Zeichen des Behagens an die Lippen, plötzlich stieß sie einen schrillen Laut des Entsetzens aus und schleuderte das Trinkgefäß mit den Zeichen des höchsten Abscheus von sich.

Eine der hochgestelltesten Personen in Deutschland flüstert auf die Aufforderung des Professors, eine Blume zu denken, dem General das Wort Veilchen in’s Ohr, widerruft aber und sagt: „ich will lieber die Rose wählen.“ Da lispelt die Somnambule behaglich: „welch’ ein schöner Geruch von Rosen und Veilchen!“

Wenn man auch allgemein überzeugt war, daß Laurent ein feiner Betrüger, die Prudence eine in seinem Solde stehende treffliche Schauspielerin war, so hat doch keine der zahllosen wissenschaftlichen Autoritäten, die jenen Vorstellungen beiwohnten, je die Art und Weise ergründen können, in welcher die Betrügereien bewerkstelligt wurden, und welche von der Prudence mit dem Leben bezahlt wurde.

Ich gebe Ihnen, schloß der würdige General seine anregende Erzählung, noch einen Vorfall zum Besten, den ich aus dem Munde meines Königs habe. Ich wiederhole das mir Mitgetheilte ohne Nebenbemerkung, ohne Commentar und erwähne blos, daß die Persönlichkeit der handelnden Personen die Annahme eines Scherzes im höchsten Grade unwahrscheinlich macht.

Der Erzbischof von Upsala besuchte auf einer Reise durch Deutschland auch unsern königlichen Hof und hatte die Ehre, von Sr. Majestät zur Tafel gezogen zu werden. Bald kam die Rede auf den maßlosen Abglauben, der jetzt noch in den Lappmarken herrsche, wo noch der Glaube an Zauberer und erbliche unheimliche Künste in manchen Familien bis zur Stunde fest wurzelt. Der Erzbischof selbst war vor mehreren Jahren von der höchsten Landesbehörde an der Spitze einer Commission dahin gesandt worden, um dieses wüste irreligiöse Treiben mit Ernst und Strenge zu untersuchen und auszurotten. Ein Arzt und ein höherer Beamter waren dem Priester zu dieser Mission beigegeben worden.

„Bei dem Mangel an Verkehrsmitteln,“ fuhr der Erzbischof in seiner Erzählung fort, „war unsere Reise ebenso lang als beschwerlich. Der Zweck derselben war nur uns bekannt, und wir nahmen, diesen in ein tiefes Geheimniß hüllend, für unsere Wohnung die Gastfreundschaft eines reichen Mannes in Anspruch, der in dem unheimlichen Rufe stand, über finstere Zaubermittel gebieten zu können. Zu unserer Verwunderung deutete nichts im Aeußeren oder im Haushalt desselben darauf hin, diesen Ruf zu begründen. Mit der gewohnten Gastlichkeit der Lappmarken wurden uns von dem Wirth des Hauses, einem offen aussehenden behäbigen Manne, die besten Zimmer eingeräumt und Alles, was Küche und Keller vermochte, aufgeboten, die Gäste zu ehren. Zu unserem Erstaunen machte aber weder unser Gastgeber, noch irgend ein anderer Mensch im Orte ein Hehl daraus, daß Peter Lärdal – so hieß der Mann – im Besitze übernatürlicher Kräfte, ja geradezu ein „Zauberer“ sei. Am dritten Tage, als wir gemüthlich am Frühstückstische beisammen saßen, brachte ich unter dem Vorwande der Neugierde das Gespräch auf das Thema und frug Lärdal, ob es ihm nicht unangenehm sei, in solchem Rufe zu stehen. Ein feines Lächeln glitt über die Züge des Mannes: „Was nützt es denn, hochwürdigster Herr Erzbischof, daß Sie mir den Zweck Ihrer Frage verbergen wollen? Sie und diese Herren sind ja doch nur deshalb da, um die Wahrheit dieses Rufes zu ergründen und mich zur Verantwortung zu ziehen.“ „Nun denn,“ entgegnete ich energisch, „wenn Ihr es schon wißt, ja, wir sind hier, um diesen Aberglauben zu zerstören und diesem Unsinn ein Ende zu machen.“

„Das mögen Sie halten, wie Sie wollen und können, aber Unsinn, lieber Herr, Unsinn ist die Sache nicht,“ antwortete Lärdal mit leichtem Kopfschütteln.

„Was wollen Sie damit sagen?“ antwortete ich in strengem Tone.

[682] „Ich will Ihnen den Glauben in die Hand geben. Meine Seele, mein Geist, oder wie Sie es nennen wollen, soll vor Ihren Augen des Körpers Haus verlassen und sich an einen Ort begeben, den Sie selbst bestimmen werden. Nach der Rückkehr will ich Ihnen Beweise dafür liefern, daß meine Seele in Ihrem Dienst an dem von Ihnen bezeichneten Platze gewesen. Wollen Sie diese Ueberzeugung haben?“

„Die widerstreitendsten Empfindungen,“ fuhr der Erzbischof fort, „bemächtigten sich meiner. Furcht vor dem Bewußtsein, zu einem frevelhaften Spiel mit dem Heiligsten meine Hand zu bieten, der Wunsch, einem etwaigen Betrug auf die Spur zu kommen und ihn zu entlarven, und heftige Neugierde, zu erfahren, wie der schlichte Mann sein Wort lösen werde, kämpften in mir. Letztere, das Erbtheil aller Evakinder, trug den Sieg davon. Ich willigte in den Vorschlag und trug Lärdal auf, seine Seele in mein Haus zu senden, mir zu sagen, was in diesem Augenblick meine Frau beginne, und die Beweise für seine Anwesenheit daselbst zu liefern. Es versteht sich von selbst, daß meine Reisegefährten, von noch brennenderer Neugierde beseelt, als ich, mit meinem Thun vollständig einverstanden waren.

„Nun wohl, Ihr Herren,“ sprach Lärdal, „gönnen Sie mir eine Viertelstunde Zeit zu meinen Vorbereitungen.“ Kaum war diese verflossen, so erschien unser Hauswirth wieder, in der Hand eine Pfanne mit trockenen Kräutern tragend. „Ihr Herren,“ fuhr er fort, „ich werde diese Kräuter anzünden und den Duft derselben einathmen. In wenig Minuten wird mein Geist aus meinem Körper entweichen und alle Anzeichen des Todes an diesem sichtbar werden. Hüten Sie sich, meine Herren,“ fuhr er sehr ernst mit feierlich gehobener Stimme fort, „in diesem Zustande Versuche zu meiner Wiederbelebung zu machen, oder mich auch nur zu berühren, der Erfolg wäre mein sicherer Tod. In einer Stunde wird sich mein Körper von selbst wieder beleben und Ihnen Nachricht aus der Heimath bringen.“

Nach einer unheimlichen Pause, während welcher Keiner von uns ein Wort der Entgegnung finden konnte, setzte der Zauberer die trockenen Kräuter in Brand und hielt seinen Kopf über den übelriechenden, narkotischen Dampf derselben. In wenig Minuten bedeckte Leichenblässe sein Gesicht, der Körper fiel nach kurzen Zuckungen in den Lehnstuhl, in welchem jene Procedur vorgenommen wurde, zurück und lag regungslos, in Allem einem Todten gleichend, da.

„Um Gotteswillen,“ rief der Arzt entsetzt aus, „der Mensch scheint sich vergiftet zu haben, er stirbt wirklich, wenn man ihm nicht schnelle Hülfe bringt!“

Ich mußte ihn mit Gewalt zurückhalten, ehe er seinen Vorsatz ausführen und auf den Bewußtlosen hinstürzen konnte.

„Haben Sie vergessen, daß der Unglückliche uns beschwor, in dem jetzt eingetretenen Fall seinen Körper nicht zu berühren, wenn wir ihn nicht wirklich tödten wollen? Haben wir gegen unser Gewissen unsere Einwilligung zu dem unheimlichen Experiment gegeben, so müssen wir auch den Erfolg abwarten.“

Nach einer in athemloser Spannung verlebten endlosen Stunde kehrte langsam, aber sichtlich wieder die Farbe des Lebens auf die Wangen des Entseelten zurück, die Brust hob sich unter stürmischen Schlägen, die nach und nach in ein regelmäßiges Athemholen übergingen.

Bald darauf wendete er sich mit den Worten an mich: „Ihre Frau ist in diesem Augenblicke in der Küche.“

„Ja wohl,“ entgegnete lächelnd der Arzt, „um diese Stunde pflegen, wie Sie wohl wissen, alle Frauen bei uns in der Küche zu sein.“

Ohne diesen ungläubigen Einwand einer Entgegnung zu würdigen, beschrieb mir Lärdal meine Wohnung und Küchenräume, die er meines Wissens nie betreten hatte, bis in’s kleinste Detail mit der pünktlichsten Genauigkeit. „Zum Beweis, daß ich wirklich dort war,“ schloß er seinen Bericht, „habe ich den Ehering Ihrer Frau, den selbe bei der Zubereitung einer Speise vom Finger streifte, auf den Grund des Kohlenkorbes versteckt.“

Ich schrieb sofort – es war am 28. Mai – nach Hause, und frug meine Frau, was sie um elf Uhr an diesem Tage begonnen habe. Ich bat sie, ihr Gedächtniß recht genau zu prüfen und mir recht sorgfältig Bericht abzustatten. Nach funfzehn Tagen, so lange brauchte bei den schlechten Verbindungswegen der Brief und die Antwort Zeit, schrieb mir meine Frau, sie wäre den 28. Mai um elf Uhr mit der Bereitung einer Mehlspeise beschäftigt gewesen. Es wäre ihr der Tag unvergeßlich, weil ihr an demselben ihr Trauring verloren gegangen wäre, den sie kurz vorher am Finger gehabt habe und trotz alles Suchens nicht wieder finden könne. Wahrscheinlich habe ihn ein Mann entwendet, der sich, in der Kleidung eines wohlhabenden Bewohners der Lappmarken, einen Augenblick in der Küche gezeigt, aber, als er um sein Begehren gefragt worden sei, sich wortlos wieder entfernt habe.“

Der Trauring fand sich später in der Küche des Erzbischofs im Kohlenkorbe wieder vor.

Es versteht sich von selbst, daß die Mittheilung dieser Geschichte von allen Anwesenden mit ungläubigem Lächeln und nach Beendigung derselben unter lebhafter Debatte über die Möglichkeit des Ereignisses aufgenommen wurde. Alles lachte, und einige der Flüchtlinge stellten das Ganze als eine geistreiche Mystification des Königs hin. Der ehrwürdige General aber versicherte ernstlich, daß die Erzählung von dem betreffenden Würdenträger der Kirche wirklich vorgetragen worden war, und so gingen wir denn scherzend über die Gläubigkeit des neunzehnten Jahrhunderts bald auf ein anderes Thema über.
Franz Wallner.
  1. Die Löwinnen Londons tragen jetzt solche Mantel das neueste Erzeugniß des Modejournals.