Briefsteller für Liebende
[272] Briefsteller für Liebende. Unter den literarischen Zeitproducten kann es wohl kaum etwas Abgeschmackteres, ja Verderblicheres geben, als jene „Briefsteller für Liebende“, welche als ein trauriger Nothhelfer für Geistes- und Gemüthsarmuth leider einen meist guten Absatz finden und in den geheimen Schubläden heranreifender Jünglinge und Jungfrauen oft genug sich bergen. Die weitaus verderblichste Folge dieser Machwerke ist, daß sie die Wahrheit des Gefühls, wenigstens die Naivetät des Herzens, verderben. Schon längst aber besitzen wir ein Buch der Art, das weithin alle diese Schriften überragt und das nicht nur mit gutem Gewissen, sondern dringend allen Jünglingen und Jungfrauen zur Lectüre empfohlen werden kann, und zwar nicht blos denen, die, wenn’s nun einmal sein muß, eine Mustervorschrift für den Ausdruck ihrer Gedanken haben wollen, sondern überhaupt allen, die ihr Herz veredeln und gegenseitiger Neigung die rechte, wahrhaft befriedigende Richtung geben wollen. Dieser wahre Musterbriefsteller ist das längst erschienene, aber noch lange nicht genug im Volke bekannte und gelesene herrliche Buch: Der Briefwechsel zwischen Schiller und seiner späteren Frau, Charlotte („Schiller und Lotte“), also ein wirklich durchlebter Briefwechsel. Auf der einen Seite dies echt weibliche, feinfühlende Wesen Charlottens, das in demuthvoller Hingabe und mit liebender Geschäftigkeit den hochgebenden Gedankenkreis des Geliebten hinanzusteigen strebt, auf der andern Seite er, hinter dem „im wesenlosen Scheine“ lag, „was uns Alle bändigt, das Gemeine“, der angezogen von diesem für alles Hohe und Schöne empfänglichen Gemüthe liebend wieder zu ihr hinabsteigt und ihr mit der ganzen Fülle seiner Liebenswürdigkeit entgegenkommt. Ich kenne kein sinnigeres Geschenk eines Bräutigams an die Braut, einer Mutter an die Tochter, als diesen Briefwechsel zwischen Schiller und Lotte, und möchte darum Eines recht sehr wünschen: daß die Verlagshandlung eine billige Volksausgabe desselben veranstalte.
Fr. Hg.