Textdaten
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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Abenteuer in Texas
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 272
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[272] Abenteuer in Texas. Mehrere Jahre, mit die angenehmsten meines Lebens, habe ich vor dem Ausbruche des amerikanischen Bürgerkrieges in Texas verbracht. Während des Krieges durchzog ich als Neutraler mancher Herren Länder und bin nun vor ein paar Wochen nach einer kleinen Zehntausend-Meilen-Reise hierher zurückgekehrt, um Geschäftsaußenstände von meinen alten Freunden, den rechtschaffenen Pflanzern, einzutreiben. Daß meine alten Freunde, die rechtschaffenen Pflanzer in Texas, mich eher auf irgend einen amerikanischen Blocksberg, als hierher, zurückwünschten, ist unter den Umständen sehr erklärlich, und daß ich in einem Lande, wo es noch vor Kurzem nichts Seltenes war, daß Räuber bei hellem, lichtem Tage in die Wohnungen drangen und den Bewohnern die Füße auf glühende Kohlen legten, um Geldcontributionen zu erpressen; wo die Deutschen wie wilde Thiere zu Tode gehetzt wurden; wo man Unionisten zum Vergnügen aufhängte und alle Landstraßen von Mördern, Spitzbuben und Gesindel aller Art wimmelten – daß ich in einem solchen Lande als plötzlich gleichsam von den Todten erstandener Gläubiger fast des halben County’s nicht eben auf Rosen ruhe, ist ebenfalls sehr erklärlich, da, wie bekannt, bei Geldsachen sogar in friedlichen Ländern die Gemüthlichkeit aufhört.

Indeß haben sich jetzt die Gemüther im Süden Gott Lob so ziemlich beruhigt und ich muß es dankbar anerkennen, daß man mich hier nicht nur nicht mehr als passende Eichenast-Fahne betrachtet, sondern im Gegentheil, sogar in Geldangelegenheiten, äußerst zuvorkommend und freundschaftlich behandelt. Jede Regel hat aber ihre Ausnahmen. Vor einigen Tagen – es war am 22. Februar, dem Geburtstage Washington’s – befand ich mich in meinem hiesigen Hauptquartier, einem Advocaten-Bureau, in dem mich meine alten Freunde, die Pflanzer, gelegentlich mit Zwanzigdollar-Goldstücken und Rollen von „Greenbacks“ – amerikanisches Papiergeld, so benannt nach seiner grünen Farbe – erheitern, und stand, meinen Meerschaum rauchend, gemüthlich am lustig brennenden Kaminfeuer, indeß ich mit zwei anwesenden Rechtsgelehrten einen Baumwollen-Casus kritisch beleuchtete, wobei es sich darum handelte, ob meine Wenigkeit oder die unter Oncle Sam’s Namen den Süden ausplündernden Baumwollen-Diebe das nächste Anrecht auf ein Dutzend Ballen Baumwolle hätten, als ein halbangetrunkener Texaner in die Stube hereinwankte und in einem Lehnstuhl mir dicht gegenüber Platz nahm.

Unser Besucher war seit den letzten Jahren der Schrecken der Stadt gewesen. Alle zwei, drei Tage kam er in den Ort und schoß beliebig mit seinen zwei geladenen Revolvern – die er beständig schußfertig im Gürtel trug – in den Straßen herum, wobei verschiedene Male nur wie durch ein Wunder sowohl Herren als Damen seinen planlos umherfliegenden Kugeln entgingen. In mehreren Privatgefechten hatte er seine Widersacher mit Messerstichen gefährlich verwundet und einen derselben erschossen, ging aber dessenungeachtet und obgleich vor dem Gesetze als Mörder denuncirt, frei in der Stadt umher, da sich Niemand getraute, ihn zu arretiren.

Er war auf unser Bureau gekommen um sich bei dem einen der daselbst wohnenden Advocaten, den er aus Versehen Tags zuvor auf der Straße fast erschossen hatte, für seinen Scherz zu entschuldigen. Mit mir hatte er nie Streit gehabt. Seine Frau Mutter, die eine ansehnliche Pflanzung in der Nähe unserer Stadt besitzt, war in früheren Jahren einer meiner besten Kunden gewesen, so daß ich mit der Familie unseres Besuchers auf freundschaftlichem Fuße stand, obgleich ich diesem Sprößlinge derselben von jeher am liebsten möglichst weit aus dem Wege ging, weil ich an seinen Pistolenübungen wenig Gefallen fand.

Ich begrüßte ihn freundschaftlich: „Wie geht’s, Pomp?“ (Pompejus hieß der Ritter). Wie der Blitz riß er einen seiner geladenen Revolver aus dem Gürtel und hielt ihn mir, nur zwei Fuß entfernt, vor’s Gesicht, indem er den Hahn halb spannte und rief: „Rede nicht zu mir, Du verdammter Deutscher; ich schieße Dir den Schädel vom Kopf herunter!“

Ich gestehe es, mich überlief es eiskalt, als ich so hülflos vor diesem Tiger in Menschengestalt stand und ihm in’s unheimlich blitzende Auge schaute. Bei einer wilden Bestie im Käfig wäre mir wohler gewesen. Daß er nicht im Scherz zu mir redete, sondern bittern Ernst meinte, war unverkennbar. Was gilt auch das Leben eines Dutchman, wie man verächtlicher Weise unsere Landsleute an dieser Seite des Oceans öfters titulirt, einem solchen edelgeborenen Amerikaner, der sich himmelhoch über jenen erhaben dünkt! Er würde nicht mehr Gewissensbisse darüber empfinden, eine so tief unter ihm stehende Creatur, einen Deutschen, niederzuschießen, als ob er ein Licht ausgeblasen hätte.

Ich blickte meinem Dämon möglichst kaltblutig in’s Auge, was, wie mir instinctmäßig bewußt war, meine einzige Hoffnung auf Rettung aus meiner peinlichen Lage blieb, da er mir bei der geringsten Bewegung ohne Frage eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte.

„Ich will Dich, glaube ich, doch todtschießen,“ fuhr er, abgebrochen, zwischen den Zähnen murmelnd, fort und spannte den Hahn vollends – Klick! Unbeweglich stand ich etwa drittehalb Fuß vor der Mündung der Pistole, während es mir vorkam, als packte mich eine kalte Hand im Genick. Dann sagte ich bittend, doch bestimmt: „Laß das dumme Zeug, Pompejus, schieße nicht auf mich.“

Nachdem er, vorgebeugt im Lehnstuhl vor mir sitzend, den Finger am Drücker und die Mündung der Pistole gegen meinen Kopf haltend, mich fast zwei Minuten lang in dieser Stellung stier angeblickt, besann er sich eines Bessern und steckte den Revolver langsam wieder in den Ledergurt, worauf ich mich entfernte.

Meine beiden Freunde, die Advocaten, welche rechts und links etwas entfernt von mir an ihren Schreibtischen saßen und mir nicht helfen konnten, bemerkten späterhin, daß sie mein Leben nicht fünf Cents werth erachtet hätten und ihnen vor Entsetzen bei der jetzt geschilderten Scene der Athem still gestanden. Daß Pompejus für diesen „Spaß“ nicht bestraft wurde, versteht sich von selbst.

Und hier möchte ich denen meiner Landsleute, die nach den Südstaaten auszuwandern gedenken, den Rath geben, die ungeschminkte Darstellung dieser Scene sich tief in’s Gedächtniß zu prägen und wohl zu erwägen, was es bedeute, ein Land, wo so etwas möglich ist, für die friedliche Heimath zu vertauschen. Allerdings stehen dergleichen Fälle hier zu Lande jetzt vereinzelt da; die Mehrzahl der besseren Classe der Bewohner ist zuvorkommend gegen Fremde, deren zahlreiche Einwanderung man sehnlichst wünscht, und der Haß gegen Deutsche verschwindet mehr und mehr, aber – die Pompejusse sind immer noch keine Seltenheit im Süden.

Aus dem Staate Texas, Ende Februar 1866.
Theodor Kirchhoff.