Textdaten
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Autor: C. Richter
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Titel: Blütenesser
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 52 und 54
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Blütenesser.

Von C. Richter.


Es war in der schönen Jahreszeit, da die Tage am längsten sind. Mit Ränzel und Stab waren wir Großstädter über Berg und Thal, durch duftende Tannenwälder und blumige Wiesen gezogen und hielten Rast an den südlichen Abhängen des Thüringer Waldes in der grünen Laube eines „alten“ Freundes, den das gütige Schicksal in ein ruhiges kleines Städtchen verschlagen hatte. Nach dem Mittagsmahle erquickten wir uns bei Kaffee und Cigarren, als die liebenswürdige Hausfrau mit einer Schüssel eintrat und uns etwas Süßes zum Knuspern anbot. Es war ein seltenes, den meisten von uns völlig unbekanntes Gebäck: Holunderblüten, zu zierlichen Sträußchen gebunden, in Mehlteig getaucht, in schwimmender Butter gebacken und mit Zucker bestreut. Diese gebackenen Blumen mundeten dem einen vortrefflich, dem anderen schmeckten sie fade, wie dies bei allen Süßigkeiten und Delikatessen der Fall ist. Die originelle nach einem alten Familienrezept bereitete Spende der Hausfrau gab jedoch Anlaß zu einer Unterhaltung über Blumengerichte, der namentlich die Damen der Gesellschaft gern zu lauschen schienen und deren Inhalt hoffentlich auch die Leser und Leserinnen der „Gartenlaube“ interessieren dürfte.

Heutzutage schmücken die holden Blumen unsere Tafel, an ihre Verwendung in der Küche denken die wenigsten. Nur einige Blüten erfreuen sich als Gemüse der allgemeinen Beliebtheit.

In dieser Hinsicht ist vor allem der Blumenkohl zu erwähnen, der von vielen als die Krone aller Kohlgemüse gepriesen wird. Was wir von ihm verzehren, sind die Blütenstände, die durch eine Wucherung des Zellgewebes zu dichten Massen verwachsen sind. Wer diese feine Kohlart zuerst gezüchtet hat, darüber schweigt leider die Geschichte. So viel wissen wir aber, daß der Blumenkohl eine verhältnismäßig junge Errungenschaft der Gartenkultur ist. Im sechzehnten Jahrhundert tauchte er in Italien auf und soll nach dorthin von Cypern her eingeführt worden sein. Rasch aber erwarb er sich die Gunst der Feinschmecker; schon vor zweihundert Jahren wurde er in Deutschland angebaut, und berühmt sind in der Gegenwart die Kulturen zu Erfurt und Bamberg geworden. Auch Kopenhagen erzeugt treffliche Sorten, vor allem aber sprießt er in den sonnigen Gefilden Südfrankreichs und Algiers; von dort kommen in den Wintermonaten ganze Wagenladungen des köstlichen Gemüses nach den nördlichen Ländern Europas.

Ein Verwandter des Blumenkohls ist der Spargelkohl. Er stammt aus Italien, wo er Broccoli genannt wird. Auch von ihm verzehrt der Mensch die Blütenstände. Bei den meisten Sorten des Spargelkohls bilden sie jedoch keine „Köpfe“. Der Spargelkohl treibt vielmehr seitliche Blütensprossen, die im Aussehen und Geschmack dem Spargel ähnlich sind. Besonders beliebt ist der violette italienische Broccoli.

Ein Blumengemüse liefert uns ferner die Artischocke, die mehr im Süden als im Norden gewürdigt wird. Ihr eßbarer Teil ist der Blütenkopf, vor allem der Blütenboden und der fleischige Teil der Schuppen.

Abgesehen von diesen Gewächsen finden Blüten in unserer Küche nur als Würzen Verwendung, und auch zu diesem Zwecke bedienen wir uns fast ausschließlich ausländischer, aus wärmeren Ländern eingeführter Blütenknospen. Es gab aber eine Zeit, wo in der Küche auch die Blumen von unserer heimatlichen Flur und aus unseren Gärten häufig und mit Vorliebe verwendet wurden. Blättern wir in den Kochbüchern aus vergangenen Jahrhunderten, so begegnen wir nicht selten allerlei Blumengerichten.

Mit dem Duft der Rose, der Königin der Blumen, würzen wir auch heute Zuckerwerk, und wie die Alten einen Rosenwein herstellten, so kennen wir einen Rosenliqueur. Aber nach Art der eingangs erwähnten Holunderblüten gebackene Rosen sind von unserem Küchen- und Speisezettel wohl völlig verschwunden. Länger hat sich die Rosensuppe erhalten; denn sie wurde noch oft zu Anfang dieses Jahrhunderts gekocht. Gewiegte Rosenblätter mischte man mit einem Teig, der getrocknet sich ein Jahr lang hielt. Er wurde bei Bedarf fein gestoßen, und aus dem so gewonnenen Pulver bereitete man mit Milch, Eidotter und Zucker die wohlriechende Suppe.

Ueberzuckerte Veilchen werden uns von unseren Zuckerbäckern angeboten. In der Küche unserer Altvordern bereitete man aber auch einen Veilchensirup und hielt einen Veilchenessig auf Vorrat. Der letztere zeigt eine rote Farbe und wird blau bei Beimengung mit alkalischen Stoffen, welche die Essigsäure neutralisieren. Das Veilchen stand wohl darum in der Küche in hohen Ehren, weil es als Heilmittel galt. Es sollte wirken gegen die Fallsucht und das Kopfweh, das in den verschiedensten Formen seit jeher die Menschen geplagt hat.

Halb zu Genuß-, halb zu Heilzwecken wurde auch die gelbe Schlüsselblume verwendet, die mit des Lenzes Einzug unsere Wiesen schmückt. Die pflanzenkundige Hildegard, die im 12. Jahrhundert auf dem Rupertsberge bei Bingen als Aebtissin wirkte, beschrieb die Blume unter dem Namen „Himmelsschlüssel“ und pries sie als Heilmittel gegen die Melancholie an. Aus diesen Frühlingsblüten wurde auch ein „Schlüsselblumenwein“ bereitet, der noch heute in dem nebligen England sich großer Beliebtheit erfreut. Ob bei diesem uralten Maitrank die Bestandteile der Blume oder das Rebenblut die erheiternde Wirkung bedingten, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Die Salate waren in der Küche der Vorzeit wohl beliebt, und es gab „Phantastinnen“ in der Küche, die ihre Mischungen möglichst bunt gestalteten. Da wurde alles mögliche zusammengelesen, was der Garten bot, und neben Artischocken, Laktuken und Endivien wurden Röslein, gelbe Viol und dicke Nägeleinblumen als gute Zuthat empfohlen. Erwähnenswert ist noch aus der alten Zeit die Verwertung der Sonnenblumen als Gemüse in ähnlicher Weise, wie das bei den Artischocken der Fall ist.

Wir brauchen uns nach den verschollenen Blumengerichten und Blütengewürzen nicht zurückzusehnen. Es ist sogar fraglich, ob all die bunten Blüten, die man in Feld und Flur oder im Garten zusammensucht, jedem bekommen. Die Neuzeit hat die Länder der Erde nahe aneinander gerückt, und für erschwingliche Preise können wir in unseren Tagen die köstlichsten Gewürze der Tropen in der Küche verwerten. Auch unter ihnen erhalten wir in unscheinbarer eingedörrter Gestalt so manche köstliche Blütenknospe.

Obenan stehen in dieser Beziehung die Gewürznelken, getrocknete Blütenknospen des Gewürznelkenbaumes. Sie galten in dem Mittelalter für das köstlichste Gewürz des fernen Ostens. Als die Portugiesen den Seeweg nach Indien eröffnet hatten, erfuhren sie, daß der Gewürznelkenbaum noch weiter östlich auf den Molukkeninseln gedeihe. Um diese zu entdecken, wurden die verwegensten Seefahrten unternommen. Als im 17. Jahrhundert die wahrhaft paradiesischen Inseln in den Besitz der Holländer übergingen, beschlossen diese, sich das Monopol des Gewürznelkenhandels zu sichern. Sie rotteten alle Nelkenbäume aus und ließen nur die Pflanzungen auf der etwa eine Quadratmeile großen Insel Ternate bestehen. Mit Argusaugen hüteten sie ihren Schatz und ließen weder ein Bäumchen, noch ein Samenkorn nach auswärts gelangen. Bis 1770 erreichten sie ihre Absicht, in jenem Jahre aber gelang es einigen schlauen Franzosen, sich Samen zu verschaffen, den sie nach Mauritius brachten. Dort gediehen die Bäume und wurden von hier aus auch in andere tropische Länder verpflanzt. Heute erzeugen auch Guyana und Westindien Gewürznelken, und die Hauptbezugsquelle für den Welthandel ist seit lange nicht Ternate, sondern die Insel Sansibar.

Die Kapern, die geschätzte Zuthat zu pikanten Saucen, Salaten und dergl., sind gleichfalls Blütenknospen, die man vom Kapernstrauche bricht. Die Länder am Mittelländischen Meere sind seine Heimat, wo er als dorniger Busch die Höhe von 1 m erreicht. Südfrankreich betreibt mit diesem Gewürz einen schwunghaften Handel; als die besten und auch teuersten Sorten gelten die ganz kleinen „Nonpareilles“ und die etwas größeren „Surfines“ oder „Capucines“. Als Surrogate für Kapern werden die Blütenknospen verschiedener anderer Pflanzen verwertet. „Deutsche Kapern“ bestehen aus Blütenknospen der Sumpfdotterblume, die man 24 Stunden in Salzwasser liegen läßt, um die Schärfe auszuziehen, und dann in Essig einmacht. Außerdem werden noch die Blütenknospen des Besenstrauchs, des Scharbockskrauts und der Kapuzinerkresse als Kapern verwendet.

Mit Unrecht führen sich zwei ausländische Gewürze als Blüten bei uns ein. Es sind dies die Cassiablüten und die Muskatblüte. Die ersteren sind die unreifen Früchte, die man von den Zweigen des wilden Cassiabaumes pflückt, wenn sie etwa die Größe der Gewürznelken erreicht haben. Das Gewürz kommt von Südasien und seinen Inseln her und wird wegen seiner Aehnlichkeit mit dem Zimmet begehrt. Besser und gesuchter als die Cassiablüten ist die Rinde des kultivierten Cassiabaumes.

Die Muskatblüte ist ebenfalls eine unrichtige Bezeichnung. Die [54] reifen Früchte des Muskatnußbaumes, der von den Bandainseln stammt, gegenwärtig aber in Südasien und Westindien verbreitet ist, haben eine abgerundete Birnform und einen Durchmesser von 5 bis 6 cm. Bei ihrer Vollreife springt die Frucht und läßt einen carmoisinroten Mantel blicken, der das Samenkorn umschließt. Dieser Mantel wird im Handel Muskatblüte genannt, während der Kern die Muskatnuß heißt.

Bei dem Verbrauch der vorhin genannten Gewürze zeigen sich die Menschen wohl mehr als Blütennascher denn als Blütenesser. Asien kann aber auch Blumenliebhaber aufweisen, die jeden Vergleich mit unsern Blumenkohl-, Broccoli- und Artischockenfreunden aushalten.

In den tropischen Ländern wachsen Bäume, welche den sogenannten Pflanzentalg erzeugen. Es ist dies eine dicke ölige Masse, die man gut zu Kerzen verarbeiten kann, die aber von den Eingeborenen auch als Butter verbraucht wird. Im Innern Afrikas wird aus den Früchten der Bassia Parkii, eines zwergig wachsenden Baumes, die sogenannte Schibutter gewonnen. Auch in Indien wachsen solche Butterbäume, von denen uns hier der Mahwabaum, Bassia latifolia, besonders interessiert. In seiner Gestalt und Belaubung ist er unserer Eiche ähnlich und erreicht eine Höhe von 12 bis 15 m. Seine Blüten sind eßbar und bilden während mehrerer Monate im Jahre sogar ein wichtiges Nahrungsmittel der ärmeren Volksklassen Centralindiens.

Im Februar bedecken sich die Bäume mit weißem Blütenschnee, und gegen Ende des Monats werden die Blumenblätter fleischig und schwitzen einen süßen Saft aus. Sie sind dann reif, wie die Eingeborenen sagen. Um diese Zeit ziehen von den benachbarten Dörfern Frauen und Kinder unter die Bäume, schlagen dort förmlich Lager auf und ernten, indem sie die Blüten pflücken oder abschlagen. Immer wird ein Teil der Blüten unberührt belassen, damit sie sich zu Früchten entwickeln können, aber trotzdem wird von einem vollkräftigen Baume eine Blütenlast von 2 bis 3 Centnern gewonnen. In den Dörfern, auf festgestampften Plätzen vor den Hütten, werden die Blüten in der Sonne getrocknet, wobei sie die Hälfte ihres Gewichtes verlieren, zusammenschrumpfen und rostbraun werden. Die getrockneten Blüten haben den Geschmack geringer Feigen und werden entweder allein, oder häufiger noch mit Reis u. dgl. vermischt als tägliches Gericht verzehrt.

Man verpachtet in Indien diese Blütenernte wie bei uns die Obsternte. Aus den Mahwablüten wird außerdem noch ein starker Spiritus, den die Indier Daru nennen, destilliert; anfangs hat das Getränk einen widerlichen Geruch, abgelagert soll es aber dem besten irischen-Whisky gleichkommen. Die Mahwabäume pflanzen sich wild durch Selbstsaat fort, und ihre Bedeutung für die Volksernährung ist so groß, daß es bei Strafe verboten ist, ohne besondere Erlaubnis der Gemeinde einen Mahwabaum umzuhauen, selbst wenn er aufgehört hat, fruchtbar zu sein.

Auch die Blüten der anderen Butterbäume sind eßbar, und berühmt ist in dieser Hinsicht der Jllupiebaum, Bassia longifolia, an der Koromandelküste; ein Salat aus seinen Blüten gilt weit und breit als Delikatesse.

Doch genug dieser Beispiele aus nah und fern, aus alter und neuer Zeit! Sie zeigen, daß der Mensch, der Allesesser, auch die Blumen appetitlich findet und daß es auf Erden mehr Blütenesser giebt, als man bei flüchtiger Betrachtung anzunehmen geneigt ist.