Anton Cratz von Scharfensteins wundersame Abenteuer und der Hexenflug

Textdaten
<<< >>>
Autor: J. K.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Anton Cratz von Scharfensteins wundersame Abenteuer und der Hexenflug
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 48-52
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[48]

Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Anton Cratz von Scharfensteins wundersame Abenteuer und der Hexenflug.

Wer auf einem der prächtigen Rheindampfer seinen Weg von Koblenz aus stromaufwärts nimmt, erblickt nach etwa halbstündiger Fahrt rechts auf der Höhe aus dem dichten Grün der Wälder, welche die Abhänge des Schiefergebirges bedecken, die Zinnen und Türme der Burg Stolzenfels. Seinen Namen trägt dieses Schloß mit Recht; denn stolz und hoch schaut es von seinem Felsengrunde weithin über den Strom, die Blicke aller auf sich lenkend, welche auf den grünen Wellen des Rheines vorüberfahren. Die herrliche Burg, wie wir sie heute sehen, ist neueren Datums. Sie wurde von Friedrich Wilhelm IV als Kronprinz nach den Entwürfen des genialen Schinkel unter Benutzung der Ueberreste der von den Franzosen zerstörten alten Feste Stolcenvels erbaut und wahrhaft fürstlich ausgestattet. Aber kaum minder herrlich als der heutige Stolzenfels war die alte Burg, welche sich vor Zeiten an jener Stelle erhob. Ihre Erbauung reicht bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts hinauf und wird dem Trierschen Erzbischof Arnold II, Grafen zu Isenburg, zugeschrieben. Die spätern Erzbischöfe ließen das Schloß durch Amtmänner verwalten, welche eine sehr begehrte, hochangesehene Stellung einnahmen.

Zu der langen Reihe dieser Amtleute gehört Anton Cratz von Scharfenstein. Er war der Vater des im Dreißigjährigen [50] Kriege berühmt gewordenen Feldmarschalls Graf Johann Philipp Cratz von Scharfenstein, der, von Tilly bevorzugt, von Wallenstein aber gehaßt, schließlich das kaiserliche Heer verließ und zu den Schweden übertrat. Später gefangen genommen, wurde er nach Wien gebracht und dort enthauptet. Von dem Amtmann Anton Cratz von Scharfenstein ist aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts ein eigenartiger Bericht erhalten. Er betrifft eine Reihe von Abenteuern, die der Ritter im Laufe eines Jahres erlebt haben soll und die damals am Rheine viel Aufsehen erregten. Sie bilden eine geschichtlich beglaubigte Tragikomödie des Aberglaubens und gewähren uns so recht den Einblick in die unbeschreibliche Leichtgläubigkeit der weitesten Kreise in der düsteren Zeit der Hexenprozesse. Der ausführliche Bericht über die wundersamen Erlebnisse des Amtmanns von Stolzenfels ist in dem „Rheinischen Antiquarius“ abgedruckt. Wir geben ihn zunächst im Auszuge wieder.

Es war am Allerheiligenabend des Jahres 1589. Anton von Scharfenstein saß ermüdet von der Jagd bei einem Becher guten Weins, als plötzlich laut und heftig an die Schloßpforte geklopft wurde. Bald darauf trat der Türmer ein mit der Meldung, es sei ein Bote der Aebtissin zu Marienrod da; sie lasse bitten, ungesäumt ins Kloster zu kommen, keine Entschuldigung, welche es auch sei, würde angenommen. Obwohl dem Ritter das Verlangen höchst ungelegen kam, wagte er doch nicht, es abzulehnen, ließ sein Pferd satteln und begab sich in Begleitung eines Reitknechts, Namens Martin, auf den Weg. Es war finstre Nacht, die nur etwas durch die schwache Mondsichel erhellt wurde; denn man hatte junges Licht. Später bedeckte Gewölk den Himmel, und der Amtmann ritt mit seinem Begleiter in völliger Dunkelheit weiter. Sie hatten ihrer Meinung nach den Waldsaum erreicht, als sie zwischen den Bäumen ein großes, hell erleuchtetes Gebäude sahen. Verwundert hielt Scharfenstein sein Pferd an und wandte sich fragend an den Knecht. „Was kann’s anders als das Kloster sein,“ entgegnete dieser. Das schien dem Ritter in Anbetracht des kurzen Weges eine Unmöglichkeit; dennoch verhielt es sich so. Die Klosterpforte wurde geöffnet, und Martin blieb bescheiden beiseite, während sein Herr in den vordern Hof einritt. Huberta, eine Laienschwester, stand, eine Leuchte in der Hand, zu seinem Empfange bereit. Was den Ritter aber sehr wunderte, war, daß die Fenster des Klosters alle hell erleuchtet waren. Um schnellere Erklärung des sonderbaren Vorganges zu finden, schwang er sich rasch vom Pferde, warf die Zügel dem nächsten Klosterknechte zu und eilte die Stiegen hinan, zum Refektorium. Neue Ueberraschung! Ein seltsames Geräusch schallte ihm entgegen, ein Gemurmel und Summen wie von tausend Stimmen, als gälte es, ein großartiges Fest zu begehen! Rasch reißt Scharfenstein die Thür zum Refektorium auf; aber geblendet und überrascht bleibt er wie angewurzelt auf der Thürschwelle stehen und sieht, was er weder erwartet hat noch erklären kann: in strahlendem Glanze liegt der weite Raum vor ihm. Festlich geschmückte Menschen wogen in buntem Getümmel umher.

Seines Hauskleides unter den geputzten Menschen sich fast schämend, suchte der Ritter zu der Aebtissin zu gelangen. Aber vergebens! Glaubte er seinem Ziele nahe zu sein, so drängte sich ein Strom Menschen vor ihn, daß er Not hatte, sich aufrecht zu erhalten. Als er wieder einmal im Begriff war, die Aebtissin anzureden, wurde er von einem Strudel erfaßt und fand sich schließlich im Nebensaale. Dort saß an langer, festlich gedeckter Tafel eine zahlreiche Gesellschaft. Die gefüllten Becher kreisten umher. Eben wollte eine dem Ritter bekannte Dame, die Jungfrau von Merl, den Becher an die Lippen führen, als sie den von Scharfenstein gewahrte. Schnell sprang sie auf, eilte mit den Worten „Willkommen, mein Cratzchen“ auf ihn zu, in der unverkennbaren Absicht, ihren Gruß durch eine Umarmung zu bekräftigen. „Dies wäre mir,“ berichtete nachmals ganz treuherzig Anton von Scharfenstein selbst, „unter andern Umständen so unlieb nicht gewesen, aber vor den vielen Menschen mich küssen zu lassen, das wollte mir nicht recht anstehen. Die rechte Hand hielt ich ihr also wie abwehrend entgegen, während ich mit der linken, warum, weiß ich nicht, in die Tasche fuhr und einen Bündel welke Kräuter, Raute und dergl., so ich darin trug, erfaßte. Augenblicklich schwand alles wie ein Trugbild. Fort waren der glänzende Saal, die festlich geputzte Menge, die köstlichen Speisen und die silbernen Geschirre. Auf schmutzigem, altem Holztische flackerte eine kleine Oellampe.“ Erschreckt suchte der Ritter zu fliehen und gewann glücklich die Schwelle des Refektoriums. Da stand plötzlich wieder Jungfrau Merl vor ihm, schöner und lieblicher als je. In süßem Gekose hing sie sich an seinen Arm und drängte ihn sanft zum nächsten Fenster hin, das sie hastig öffnete. Nun schien die zarte Gestalt zu wachsen, sie dehnte und reckte sich zu Riesenhöhe empor, erfaßte den Scharfensteiner mit eisernem Griff und schleuderte ihn durch das geöffnete Fenster in die dunkle Nacht hinaus. Dabei, heißt es in seinem eignen spätern Berichte, habe ihn die Besinnung verlassen; nur sei es ihm mehrmals vorgekommen, als schleiche er über ein ungeheures Wasser, in steter Gefahr, zu versinken.

Als er wieder zu sich kam, ging eben die Sonne auf, und er sah sich mitten in einer Heide, die an einer Seite von ziemlich kahlen Bergen begrenzt war. „Dorthin,“ erzählt der Scharfensteiner, „lenkte ich meine Schritte, da ich zwischen den Bergen Rauch aufsteigen sah. Plötzlich sprengten aus der Ferne mehrere Reiter auf mich zu, ihnen vorauf ein großer Mann in einer mir fremden Kleidung. Ich eilte ihm entgegen, um nach Auskunft über die Gegend zu fragen, als zwei seiner Begleiter von den Pferden sprangen und mich zu Boden schlugen. Dabei hörte ich einigemal den Ausruf ,Gaur‘.“ Wie lange er dagelegen, wußte der Ritter nicht, aber nach und nach fing die Sonne an heiß zu werden, und der Unglückliche erhob sich und wankte weiter einem Dorfe zu. Dort wurde er nicht viel besser empfangen, und ebenso ging es auch in den nächsten Tagen, so daß es ihm kaum gelang, kümmerlich sein Leben zu fristen. Zuletzt fiel er einer Räuberbande in die Hände, welche ihn in eine Höhle schleppte. Daselbst blieb er eine Zeit lang, und die Räuber brachten ihm währenddessen die Elemente ihrer landesüblichen Kochkunst bei, natürlich unter aufmunternder Anwendung von Prügeln und allerhand sonstigen Mißhandlungen. Ebenso lernte er ihre Sprache, die sich nachmals als die türkische erwies. Ein Liedchen, das er dort häufig hörte, hat er später mit an den Rhein gebracht. Das Höhlenleben nahm nach einiger Zeit ein böses Ende für die Räuber. Sie wurden von der bewaffneten Macht in ihrem Zufluchtsorte belagert und mußten sich, da es ihnen an Wasser fehlte, ergeben. Der Scharfensteiner fand insofern Gnade, als er nach der nächsten Stadt in die Sklaverei verkauft wurde. Dort ging er aus einer Hand in die andere und kam zuletzt nach Konstantinopel in das Haus des Großveziers. Daselbst mußte er anfangs im Garten arbeiten, brachte es aber mit der Zeit bis zum Obergärtner. Als solcher erregte er das Interesse einer Dame des Harems, die in dem Obergärtner einen Abendländer erkannte. Sie vertraute ihm, daß auch sie das Kind einer christlichen Mutter sei, und beide verabredeten einen Plan zur Flucht. Schwer ist es, sich vorzustellen, wie dieser hätte ausgeführt werden können; auch kam man gar nicht so weit, denn der Plan wurde verraten. Was aus der Dame geworden, wird nicht gesagt. Dem Scharfensteiner aber wurde die Wahl gestellt, entweder zum Islam überzutreten oder den Tod zu erleiden. Wie er nachmals erzählte, habe er sich ohne Schwanken für letzteres entschieden. In einem feuchten Kerker mit schweren Ketten belastet, harrte der Verurteilte des letzten Tages und schlief ermattet ein. Als er wieder erwachte, fühlte er einen lebhaften Wind und hörte Pferdegewieher. Er sprang auf und sah sich zu seinem Erstaunen im Freien, ohne Ketten, am Ufer eines großen Stromes. Hände und Füße schmerzten ihn aber aufs äußerste, da sie von den Ketten wund gerieben waren. Um den Hals fühlte er noch einen schweren eisernen Ring. Er that nun mehrere Schritte vorwärts und kam zu einer kleinen Treppe. Hier erkannte er zu seinem größten Erstaunen, daß er sich beim Königsstuhl zu Rhens am Rheine befand. Ein Pferd, dem seinigen ähnlich, aber abgemagert und in kläglichem Zustande, war in der Nähe an einen Pfeiler angebunden. Er nahm es beim Zaume und gelangte mühsam zu dem nahen Stolzenfels.

Es war am Allerseelentage 1590, als Anton Cratz von Scharfenstein dort wieder eintraf. Ein Jahr war vergangen seit seinem Ausritt zum Kloster Marienrod. Man hielt ihn längst für tot; denn die umfassendsten Nachforschungen hatten keinerlei Anhaltspunkte [51] über die Art und Weise seines Verschwindens ergeben. Seine Rückkehr erregte das größte Aufsehen, und er wurde zum Kurfürsten Johann von Schönenburg beordert, um diesem mündlich Bericht zu erstatten. Der Kurfürst war von der buchstäblichen Wahrheit der Erzählung Scharfensteins völlig überzeugt. Er hielt, befangen in dem Wahn seiner Zeit, dessen plötzliches Entrücktwerden vom Rheine in das Gebiet der Türkei für Zauberwerk und ordnete strenge Maßregeln zur Verfolgung des Hexenunfugs an.

Die größte Freude, und wahrlich nicht mit Unrecht, hatte der Knecht über die Rückkehr seines Herrn; denn er war bezichtigt worden, denselben ermordet zu haben. In der That schien auch hierfür alles zu sprechen; denn der Knecht wußte nur zu berichten, er habe mit dem Klostergesinde so lange gezecht, bis er in tiefen Schlaf verfallen sei; erwachend aber habe er sich unter dem Galgen zu Bubenheim wiedergefunden. Wie abergläubisch auch die damaligen Gewalthaber sein mochten, so wollte ihnen doch die Wahrheit dieser Erzählung nicht einleuchten, und es wäre um den Hals des Knechtes geschehen gewesen, wenn der Scharfensteiner nicht im letzten Augenblick wiedererschienen wäre. Viele Mühe hatte dieser, des eisernen Halsringes ledig zu werden, bis es der Geschicklichkeit eines alten Schmiedemeisters gelang, ihn davon zu befreien. Das Eisen hat er nachher in der Kapelle zu Beurich niedergelegt.

Das ist nach dem „Rheinischen Antiquarius“ die nackte Erzählung des Vorgangs. Es wird sich wohl niemals mehr feststellen lassen, was Herr Anton Cratz von Scharfenstein während der Zeit vom Allerheiligenabend 1589 bis zum Allerseelentage 1590 in Wirklichkeit erlebt hat. Die Annahme liegt nahe, daß der wackere Amtmann, des Sitzens auf Stolzenfels müde, sich auf gut Glück in die weite Welt begeben hat. Er mag dabei Abenteuer erlebt haben, die ihm nicht zu besonderem Ruhme gereichten, und so hat er wohl nach seiner Rückkehr in die Heimat die wundersamen Abenteuer erfunden. Daß er dabei seinen Landsleuten einen solchen Bären aufbinden durfte, erscheint dagegen gar nicht wunderbar, wenn man die damaligen Anschauungen und auch die Oertlichkeit selbst in Betracht zieht.

Nicht weit von Stolzenfels, unterhalb Rhens, liegt eine in der deutschen Geschichte denkwürdige Stätte: der Königsstuhl, auf dem sich die Kurfürsten versammelten, um über deutsche Reichsangelegenheiten zu beraten und die Königs- und Kaiserwahl zu vollziehen. Die Gegend, in welcher der aus Quadersteinen aufgeführte, mit Säulen und steinernen Sitzen versehene Bau sich befand, war in früheren Zeiten wenig belebt, und an den Ort knüpften sich allerlei Sagen und Spukgeschichten. Weit und breit war der alte Königsstuhl berühmt und gefürchtet wegen der Hexensabbathe, die dort gefeiert werden sollten, und dieser traurige Ruf wurde durch die Aussagen der Angeklagten in einer ganzen Reihe von Hexenprozessen bekräftigt. Wenn also Anton Cratz von Scharfenstein erzählte, daß er in der verrufenen Gegend durch einen Zauber entrückt und von dort in ferne Länder versetzt wurde, so sagte er etwas aus, was seinen Zeitgenossen durchaus möglich erschien. Er baute auf den Aberglauben, daß man durch magische Kräfte den eigenen Körper oder auch andere Personen an weit entfernte Orte versetzen könne. Dieser Zauber kam bei der Hexenfahrt zustande. Der Hexensalbe wurde die Kraft zugesprochen, daß selbst Leute, die mit dem Teufel den Pakt nicht abgeschlossen hatten und nur aus Neugierde sich mit ihr bestrichen, augenblicklich zum Hexenchor hinweggeführt wurden. So erging es, um ein Beispiel anzuführen, einem zu Ferrara wohnenden Köhler Namens Antonio Leone. Er hatte auf sein eigenes Weib einen Argwohn geworfen, daß sie, vieler Leute Meinung und Gerede nach, des Nachts, während er schlafe, zum Hexenkonvent ginge; weswegen er heimlich darauf zu merken beschloß und in einer gewissen Nacht sich stellte, als ob er im tiefen Schlafe läge. Worauf das Weib vom Bette aufstand, aus einem kleinen Geschirr, welches sie vorher verborgen gehalten, sich schmierte, und hierauf nirgends mehr zu sehen war. Der hierüber sich verwundernde Mann gewinnt Lust, den Handel zu probieren, steht also auf und bestreicht sich gleichfalls mit der Salbe. Darauf wird er allsofort durch einen Schlot oder Kamin davon- und in eines Grafen Weinkeller geführt, allwo er sein sauberes Weib bei vielen anderen Zunftschwestern antrifft. Sobald aber dieselbe seiner ansichtig wurde, ist sie nach einigen gemachten Zeichen mit den anderen davon gefahren und er allein zurückgeblieben. Des Morgens finden ihn die Diener des Hauses, nehmen ihn mit großem Geschrei als einen Dieb gefangen und bringen ihn vor den Grafen. Als derselbe ihm zu reden erlaubt, hat er, wiewohl nicht sonder Scham, den rechten Verlauf und wie er in den Keller geraten, berichtet. Hiernächst ist sein Weib bei den Untersuchern der Hexerei angegeben und, nachdem sie es gestanden, zu gebührender Strafe gezogen worden.

In dieser Weise redeten sich viele aus, die an Orten, an die sie nicht hingehörten, betroffen wurden, und brachten andere ins Unglück. Die Flunkerei Anton von Scharfensteins erscheint somit durchaus – zeitgemäß.

Außer der Hexensalbe kannten die Zauberer noch andere Mittel, um eine magische Entführung der Personen wider deren Willen zu Wege zu bringen. Man brauchte von einem Menschen nur drei Haare zu besitzen, und dann war man mit Hilfe von allerlei Hokuspokus imstande, sie „von weitem zu sich zu bekommen“.

Was man vor zwei- und dreihundert Jahren über den Hexenflug auftischen durfte, davon zeugen die folgenden drei Berichte, die wir der „Geschichte des Okkultismus“ von Carl Kiesewetter entnehmen.

Der erste rührt von dem Spanier Prudentius von Sandoval her. Gelegentlich eines im Jahre 1507 in Calahorra geführten Prozesses wollte er sich durch den Augenschein überzeugen, auf welche Weise die Hexen eigentlich flögen. Er habe deshalb einer Mitgefangenen alten Hexe Gnade versprochen, wenn sie in seiner Gegenwart ihr Zauberwerk üben wollte. Die Alte nahm den Vorschlag an und verlangte die ihr bei der Verhaftung fortgenommene Salbenbüchse. Darauf stieg sie in Begleitung vieler Personen auf einen Turm, stellte sich an ein Fenster und rieb sich mit der Salbe ein. Dann fing sie an, am Turme herabzusteigen, den Kopf nach abwärts gerichtet und ihrer Hände und Füße sich nach Art der Eidechsen bedienend. Als sie so in die Mitte der Turmhöhe gelangt war, flog sie in die Luft und die Augen der Anwesenden folgten ihr, bis der Horizont die Fliegende verbarg. Leider erfahren wir nicht, ob die Hexe zurückkehrte.

Der zweite wundersame Vorfall soll sich 1587 zu Calais ereignet haben, als Erzherzog Albert die Stadt eingenommen hatte. An der Brücke nach Boulogne zu standen wallonische Vorposten. Zwei derselben sahen abends bei hellem Himmel eine schwärzliche Wolke heranziehen und hörten aus ihr verwirrte Stimmen ertönen, ohne daß sie etwas unterscheiden konnten. Da sie der Sache mißtrauten, schoß der eine Posten seine Arkebuse auf die Wolke ab, worauf zu seinen Füßen ein dickes betrunkenes Weib mittleren Alters niederstürzte, welches verwirrt fragte: „Sind Feinde oder Verbündete hierselbst?“

Der dritte Bericht stammt aus Deutschland. Im „Theatrum Europaeum“ heißt es: „Am 9. Januar 1666 empfing zu München, der Chur-Bayerischen Residentz-Stadt, ein Hexenmeister seinen Lohn, welcher in abgewichenem Sommer in einem Ungewitter, welches er zur Verderbung der Erndten wollte angerichtet haben, durch die Wolken gefahren und nackend zur Erde gefallen, auch darüber gefangen und nach München gebracht worden.“

Wir halten heute solche Erzählungen für albernes Geschwätz, das entweder ausgedacht wurde oder auf falschen Beobachtungen beruht. Bei dem Unglück des Münchener Hexenmeisters läßt es sich wenigstens denken, daß der arme Mann von einem Tornado in die Luft emporgerissen und seiner Kleider beraubt auf die Erde geschleudert wurde. Solches ereignet sich noch heute bisweilen, namentlich in Nordamerika, wo die Tornados häufig vorkommen und besonders heftig sind. Aber nicht alle unsere Zeitgenossen denken so. Carl Kiesewetter, dessen genanntes Buch im Jahre 1895 gedruckt wurde, schreibt im unmittelbaren Anschluß an die drei letzten Geschichtchen: „Was sollen wir nun zu derartigen Berichten sagen? Wir müssen angesichts des modernen Phänomens der Levitation schweigen, wenn wir uns auch keineswegs auf den Standpunkt der alten Dämonologen stellen, welche die Hexenfahrt nur auf diese grobsinnliche Art erklären zu müssen und zu kennen glauben.“ So reicht der moderne Mystiker dem alten Zaubergläubigen die Hand. An Stelle des grobsinnlichen Fluges tritt das rätselhafte Phänomen der Levitation, bei dem [52] durch magische Kräfte in spiritistischen und anderen Cirkeln Gegenstände oder gar Personen in die Luft erhoben worden sein sollen.

Die alten Hexenrichter kamen öfters auf den Gedanken, die Hexen in ihrem Fluge zu beobachten, und in allen diesen Fällen haben sie andere Beobachtungen gemacht als Prudentius von Sandoval. Sie sahen, daß die Hexen nach der Einsalbung in einen Zustand der Betäubung oder einen Schlaf verfielen und an Ort und Stelle liegen blieben. Nachdem sie erwacht waren, erzählten sie von den weiten Fahrten, die sie gemacht zu haben glaubten. Damit war bewiesen, daß ihre Geständnisse auf Einbildung und Wahn beruhten. Aber ein festgewurzelter Aberglaube läßt sich nicht leicht zu einer besseren Einsicht bekehren. Er sieht und hört, was er will, und thut den Schlußfolgerungen des gesunden Menschenverstandes Gewalt an. So gaben die Hexenrichter, welche die Beobachtungen angestellt hatten, zu, daß die Ausfahrt der Hexen in der Einbildung durch die Verblendung des Teufels geschehen könne, hielten aber weiter daran fest, daß sie auch „recht würcklich“ zustande komme. Ebenso schwer fällt es, die modernen Mystiker zu einer nüchternen Beobachtung der Naturerscheinungen anzuhalten. Ein Fortschritt zum Besseren ist aber dank der Aufklärung sicher zu verzeichnen; mit einer „Manifestation“, wie sie sich Anton Cratz von Scharfenstein erlaubte, kann man heute keinen Erfolg mehr erzielen. J. K.