Bilder aus dem Leben deutscher Dichter/Nr. 1. Goethe und die Brüder von Humboldt bei Schiller

Textdaten
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Autor: August Diezmann
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Titel: Goethe und die Brüder von Humboldt bei Schiller (Bilder aus dem Leben deutscher Dichter)
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 228–231
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Goethe und die Brüder von Humboldt bei Schiller.

In der geistigen Entwicklung des Menschheitslebens hat Thüringen von alter Zeit her eine wichtige Rolle gespielt, und eine wunderbare Gegenseitigkeit der Dichtkunst, vorzüglich der lyrischen, mit dem Ringen nach freierer Gestaltung der Form des Lebens in seinen beiden Hauptausläufen, dem politischen und dem religiösen, strahlt von dem Herzen Deutschlands aus in die übrige Welt, und von dieser zum Herzen zurück. Am Hofe des kunstsinnigen Landgrafen Herrmann I. auf der Wartburg war es, wo die größten Meister

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Schiller,     Wilhelm und Alexander von Humboldt     und     Goethe
in Jena.

Originalzeichnung von Andr. Müller.

der deutschen Dichtkunst, Heinr. v. Waldecke, Walther von der Vogelweide und Wolfram v. Eschenbach, gemeinschaftlich sangen und die Blüthen mittelalterlicher christlicher Bildung nach allen Seiten hin ausstreuten; Thüringens größter und kühnster Sohn, der Doctor Martin Luther, warf von dort aus zuerst die zündenden Funken seines Protestes gegen geistige Knechtung und Verdummung in die Welt; und in Thüringen wieder war es, wo sich Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein Kreis von Dichtern und Philosophen zusammenfand, wie er zum zweiten Male schwerlich wieder in Deutschland zusammentreten wird. Mitten in dem blutigen Kampfe der Autorität gegen das aufstrebende Geistesleben sehen wir im kleinen Thüringerlande die echte und wahre Flamme des Geistes auftauchen, nicht die wilde, düstere, fanatisch zerstörende, sondern die sanft erwärmende und bildende, und was einer der Hauptträger dieser edlen Geistesflamme, Friedrich Schiller, in seinem lyrischen Lebenspanorama, dem herrlichen Liede von der Glocke, vom materiellen Feuer sagt, das paßt Wort für Wort auch auf das Feuer des Geistes:

Wohlthätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht;
Denn was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft.
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur,
Die freie Tochter der Natur!

Während in Paris die hohe Himmelskraft des Geistes nach gesprengter Fessel furchtbar einherschritt auf der eignen Spur, wurde sie in dem kleinen bescheidenen Jena von keuschen Händen zur „wohlthätigen“ Bildnerin des künftigen Geschlechtes gepflegt und genährt. Wieder fand die heilige Geistesarbeit unter dem Schutze eines Fürsten statt, dessen Ahnherr der Landgraf Hermann gewesen und dem die Wartburg als Eigenthum gehörte.

Und wie die schönsten Gebilde des schaffenden Genius in der letzten Verlaufszeit des Mittelalters an jenen sittlich und politisch verkommenen Höfen Italiens in’s Leben traten, so fällt die Blüthe der deutschen Poesie, der Aufschwung zur sittlichen Freiheit mit der tiefsten Erniedrigung des deutschen Reichs und der Fäulniß des politischen und socialen Lebens in unserm Vaterlande zusammen. [230] Während in Deutschland die abgestorbenen Formen des öffentlichen Lebens noch in peinlicher Beengung und Bedrückung bestanden, und in Frankreich sie in chaotischer Auflösung zusammenstürzten, bauten in Jena und Weimar die Priester der Poesie und Wissenschaft am Tempel der Geistesfreiheit, von welchem die reine Altarflamme in die Zukunft erleuchtend und erwärmend ausstrahlte. Der Kreis jener Männer ist für alle Zeit von der höchsten Bedeutung. Als Persönlichkeit war ohnstreitig Goethe das wichtigste Glied desselben, als Träger einer die Welt befruchtenden Idee – Schiller.

Eine höchst interessante Erscheinung in dem jenaischen Kreise jener Fackelträger des Geistes ist auch Wilhelm von Humboldt, der nachher so berühmt gewordene Gelehrte und Staatsmann, der ältere Stern des am deutschen Geisteshimmel so prächtig glänzenden Dioskurenpaars. Die beiden Brüder, Wilhelm, geb. 22. Juni 1767, und Alexander, geb. 14. Septbr. 1769, hatten durch die Mutter, eine geborene v. Colomb – der Vater, preußischer Major und Kammerherr, war schon 1778 gestorben – eine sehr sorgfältige Erziehung genossen. Die ausgezeichnetsten Männer der Wissenschaft waren ihre Lehrer gewesen. Nach beendigten Studien in Frankfurt a. O. und Göttingen, wo er neben den Rechtswissenschaften mit Liebe und Eifer der Alterthumskunde obgelegen und mit den hervorragendsten Männern in persönliche Verbindung gekommen war, hatte Wilhelm mit seinem ehemaligen Lehrer Campe die stereotype Reise der Söhne der deutschen Aristokratie nach Paris gemacht, wo er am Tage nach seiner Ankunft jener welthistorischen Sitzung der Nationalversammlung vom 4. August 1789 beiwohnte, in welcher der einst so mächtige Feudalstaat mit all seinen wunderlichen Schnörkeln und Anhängseln unter dem Zujauchzen der Betheiligten zusammenstürzte. Auf den zweiundzwanzigjährigen preußischen Baron machte dieses Erlebniß einen unauslöschlichen Eindruck, doch trübte es seine klaren und besonnenen Auschauungen vom echten und fruchtbringenden Entwickelungsgange der Cultur nicht. Weder der feurige Georg Forster, den er auf der Rückreise in Mainz aufsuchte, vermochte ihn auf die schlüpfrige Bahn der sich überstürzenden Revolution mit fortzureißen, noch der eitle, geniesüchtige Lavater in Zürich ihn über die innere Hohlheit seiner Mystik zu täuschen.

Ebenso glücklich entging er in Berlin den Verlockungen des hypergenialen, lüderlichen Gentz, der damals den salopen Jakobiner spielte, und verfolgte im Kreise der edlen und liebenswürdigen Henriette Herz, der Gattin des jüdischen Arztes Dr. Marcus Herz, das ihm vorschwebende Ziel edelster Humanitätsbildung, deren Ideal er bei den alten Griechen zu finden glaubte. Unablässig mit dieser idealen Selbstbildung beschäftigt, verließ er sogar den Staatsdienst, in welchen er getreten war, bald wieder und vermählte sich mit einer geist- und gemüthreichen, liebenswürdigen und begüterten Thüringerin, einer Freiin von Dacheröden, und lebte auf dem ihr gehörigen Rittergute Burgörner bei Mansfeld in Nordthüringen seiner höhern Ausbildung und dem Glück der häuslichen Liebe. Die scharfen Extreme, die sich auf der Lebensbühne zum wilden und erbitterten Kampfe gegenüber traten, vermochten ihn, den Mann der rechten Mitte in allen Lebensbeziehungen, sich vom Streite fern zu halten.

Durch seine Gattin, eine Freundin der Familie von Lengefeld in Rudolstadt, wurde Humboldt zur persönlichen Bekanntschaft mit Friedrich Schiller, dem Gatten Charlottes v. Lengefeld, geführt, und die beiden Männer lernten sich bald als nahverwandte Geister verstehen, schätzen und lieben, so daß diese Verbindung zu Anfang des Jahres 1794 zu einer Uebersiedelung W. von Humboldt’s nach Jena führte. Ein und ein viertel Jahr lang lebten die beiden edlen Geister sich ineinander, und durch Schiller wurde Humboldt auch Körner’s in Dresden vertrauter Freund. Diese drei hochbegabten edlen Männer bilden eine engverbundene Trias, welche die höchsten Güter der Menschheit mit reiner Hand pflegen und die Flamme der Freiheit auf dem unentweihten Altare des Herzens nähren, sie aber auch hüten, daß sie nicht, wie in Frankreich, den massenhaft aufgehäuften Brennstoff veralteter oder abgestorbener Zustände ergreife und zum wilden, verheerenden Brande ausarte.

W. v. Humboldt wurde im Sommer 1795 von Familienangelegenheiten nach seinem Familiengute Tegel bei Berlin gerufen, aber im November 1796 kehrte er zu seinem geliebten Schiller nach Jena zurück.

In diesen zweiten Aufenthalt Humboldt’s in Jena, bis zum April 1797, drängt sich ein großer Theil des Schönsten zusammen, was dieser herrliche Schillerkreis genossen und erzeugt hat. Denn nicht nur, daß Goethe sich mit Humboldt befreundete und, in den Kreis getreten, vielfache Anregung empfing (besonders zum „Wilhelm Meister“, namentlich aber zu „Hermann und Dorothea“) und gab, auch Körner kam mit seiner Gattin von Dresden, und Schiller’s geist- und gemüthreiche Schwägerin Caroline hatte sich im August 1796 mit dem weimarischen Oberhofmeister Wilhelm Frecheren von Wolzogen vermählt und kam öfter nach Jena, wo sie die Anregung zu ihrem trefflichen Romane „Agnes von Lilien“ empfing, der anfangs, da er anonym erschienen war, allgemein für ein Werk Goethe’s gehalten wurde. So bildete sich jener herrliche Frauenbund um Schiller: Frau von Humboldt, Frau von Wolzogen, Frau Schiller, Frau Körner – auch sie hatte die Freundschaft zwischen Schiller und ihrem Gatten vermittelt –, der ihn mit dem „beglückenden Bande“ hoher idealer Liebe umschlungen hielt und in sein „irdisches Leben“ „himmlische Rosen flechten und weben“ durfte, jener Bund, dem er seine unsterbliche, das deutsche Frauenthum für alle Zeit verherrlichende „Huldigung der Frauen“ sang.

Von diesem Kreise empfing der große Dichter der Menschenwürde die Impulse zu seinem höheren Auffluge, zur sittlichen Verklärung der Idee der Freiheit im Lichte der Schönheit und Wahrheit. Er wurde von seinen Freunden und Freundinnen von der Philosophie hinweg wieder der schaffenden Poesie zugeführt. Er gab den Musenalmanach heraus, den er mit seinen und Goethes Dichtungen schmückte und in dem beide das prächtige Gewitter der Xenien losließen, das so heilsame Erschütterungen brachte und die alten literarischen Zustände in Deutschland zertrümmerte. Man kann wohl sagen, daß er schon damals der Mittelpunkt des großen Kreises ausgezeichneter Menschen war, welche sich in dem lieblichen kleinen Jena zusammengefunden hatten. Die „Allgemeine Literaturzeitung“, die von den Professoren Schütz und Hufeland herausgegeben wurde, stand in ihrer Blüthe; auf fast allen Kathedern lehrten ausgezeichnete Professoren; Fichte begeisterte die Jugend; Schelling kam; die Brüder Schlegel ließen sich danieder; Woltmann war thätig; Gries fand sich ein; Knebel lebte stillwirkend in seiner schönen Besitzung; bedeutende Fremde strömten fortwährend nach dem Städtchen an der Saale, und alle bemühten sich in Schillers Gesellschaft zu gelangen. In der bescheidenen Wohnung desselben, bei Butterbrod und einer Tasse Thee, saß oftmals ein Kreis von Männern, die alle heute noch bewundert werden. Man erging sich da ungezwungen in Gesprächen über die wichtigsten Fragen, und Alle bewunderten namentlich Schiller, der fast so schön gesprochen haben soll, als er schrieb. Am liebsten unterhielt er sich mit Wilhelm von Humboldt über philosophisch-ästhetische Gegenstände, während Goethe, der gar häufig von Weimar herüberkam, vorzugsweise gern die Natur und deren Gesetze zum Gegenstande der Unterhaltung wählte. So kam es, daß er sich mehr zu dem jüngern Humboldt hingezogen fühlte, mit dem er namentlich oft über die Erfüllungen des Galvanismus sprach, der damals großes Aufsehen machte und über den Alexander von Humboldt sein erstes Werk schrieb. Er hatte seine dienstliche Stellung als Oberbergmeister am Fichtelgebirge in Bayreuth aufgegeben, um sich auf eine große wissenschaftliche Reise vorzubereiten und war zu seinem Bruder nach Jena gekommen. Oftmals saß man bis spät in der Nacht in Schillers Stube, in Knebels Garten, in dem Garten, den Schiller im nächsten Jahre kaufte, oder sonst im Freien, oder man machte in Gesellschaft Spaziergänge. Und war Schiller recht angeregt, oder wollte er die Meinung der Freunde hören, so trug er ihnen eines seiner neuen Gedichte vor, oder wohl auch Einzelnes von dem „Wallenstein“, an dem er ernstlich zu arbeiten begonnen hatte. Eine solche Vorlesung in solchem Kreise stellt unser Bild vor. Wir freuen uns, den Lesern der Gartenlaube versichern zu dürfen, daß der Künstler die Abbildung der beiden Humboldt’s nach Originalgemälden auf Holz übertrug, welche sich jetzt noch auf Schloß Tegel befinden und die beiden Brüder in ihrer Jugend vorstellen.

Es sind unstreitig Tage hohen Genusses und geistiger Förderung gewesen, welche die großen Menschen, Goethe, Schiller, Wilhelm und Alexander v. Humboldt, zusammen und im Kreise Anderer verlebten. In Alexander von Humboldt namentlich ist der vom Umgang mit Schiller empfangene sittliche Eindruck und geistige Aufschwung nachhaltig geblieben bis an sein spätes Lebensende, und stets erinnerte er sich der in seiner Jugend mit Schiller und Goethe verlebten Tage mit hoher Freude.

[231] Im Frühling 1797 verließen die Brüder von Humboldt Jena, um nach Italien zu gehen, Alexander blieb aber, von der revolutionären Bewegung zurückgehalten, mit Leopold von Buch in Salzburg und Berchtesgaden, wie Wilhelm in Paris, wo er später mit dem Bruder zusammentraf. Beide sahen den theuren Schiller nur noch einmal flüchtig wieder; Alexander unternahm seine Reise nach Amerika, Wilhelm blieb wenigstens in Briefwechsel mit dem Dichter bis zu dessen Tode, und er hat diesen Briefwechsel, ein Denkmal ihres beiderseitigen Hochsinns, der Oeffentlichkeit übergeben, wie überhaupt mit Körner und Frau von Wolzogen das Meiste dazu beigetragen, uns ein klares Bild von der Geistes- und Seelengröße unsers geliebtesten Dichters aufzustellen. Gleich auf die Nachricht von dem Tode des großen Freundes schrieb er in einem erst vor Kurzem bekannt gewordenen Briefe aus Rom vom 20. Juli 1805: „Mich hat sein Tod unendlich niedergeschlagen. Ich kann wohl behaupten, daß ich meine ideenreichsten Tage mit ihm zugebracht habe. Ein so rein intellektuelles Genie, so zu allem Höchsten in Dichtkunst und Philosophie ewig aufgelegt, von so ununterbrochenem edlen und sanften Ernst, von so parteilos gerechter Beurtheilung, wird eben so wenig in langer Zeit wieder auferstehen, als eine solche Kunst im Reden und Schreiben.“