Beytrag zur Toleranzgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

Textdaten
<<< >>>
Autor: Anonym
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Beytrag zur Toleranzgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 1, S. 297–308
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Raw
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Nürnberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
VIII.
Beytrag zur Toleranzgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts.
Es ist wahr, unsere katholischen Religionsnachbarn, zumal in manchen Gegenden Teutschlands, sind bey weitem das nicht mehr| gegen uns Protestanten, was sie vor zwanzig und dreyßig Jahren gewesen sind. Der Geist der Verträglichkeit, Liebe und Freundschaft erfüllt sie immer mehr. Wenigstens von dem mehr gesitteten und aufgeklärten Theile unter ihnen wird dieß so ziemlich gelten. Bey den Gelehrten beyder Kirchen findet fast durchgehends keine Zwietracht der Religionsverhältnisse wegen mehr statt. Diese arbeiten in verschiedenen litterarischen Instituten eintrachtsvoll mit einander fort. Der Mittheiler dieses Beytrags, welcher mit vielen Gelehrten des katholischen Glaubensbekenntnisses in genauer Verbindung zu stehen das Vergnügen hat, weiß dieses aus eigener Erfahrung. Er erinnert sich nicht, daß jemahls eine unangenehme Reibung zwischen ihm und seinen katholischen Freunden vorgefallen wäre. Aber freylich, der Pöbel ist noch überall Pöbel. Nur der Wiener macht hievon noch eine Ausnahme. Jener weiß nichts von boshafter Verfolgung seiner protestantischen Mitbürger. Freylich haben dort Verfassung und Lebensart einen ausserordentlich starken Einfluß auf die Grundgesinnung des größten Haufens. Ganz anders hingegen sieht es hierin in vielen Gegenden von Baiern, Schwaben und Franken| aus. Hier lehnt man sich hin und wieder noch dummstolz an die vermeinten Pfeiler der alleinseligmachenden Kirche, und hält jeden, der ausser derselben wandelt, für eine sichere Beute des Teufels. Und in vielen Bezirken erwähnter Gegenden ist aus manchen Ursachen noch kein Licht zu erwarten. Ich kenne angesehene und bekannten protestantischen Hauptstädten nahe gelegene katholische Örter, wo Karfreytags-Processionen und dergleichen Zeug mit so dummen Enthusiasmus fortgesetzt werden, daß noch in diesem Jahre bey einer solchen Gelegenheit protestantischen Personen vom Stande, die dem Aufzuge zur Seite standen, von verschiedenen ungeschliffenen Kreuzschleppern zugeschrieen wurde: Hund! willst niederknieen, oder du wirst zu Boden geschlagen! So lange noch, besonders in gewissen Klöstern, die Vernunft unter dem ehernen Joche der Dummheit, Bigotterie und Mönchsmoral vestgehalten wird, so lange werden hin und wieder Grundsätze im Umlauf bleiben, wie sie noch im Jahr 1790 bey dem Cistercienser Raphael Zöcklein im Kloster Schönthal an der Jagst zur Explosion gekommen sind. Eine herumziehende Dirne, die sich für eine Kasernenpfarrers Tochter, Namenes Kathar. | Roth aus Anspach angab, kam ohnlängst auf ihrem Striche auch in das ersterwähnte Kloster, mit dem Vorgeben, daß sie wünschte aus den Klauen des Teufels gerissen und in die katholische Kirche aufgenommen zu werden. Dieser Vorfall nun gab Gelegenheit zu folgendem an den vermeintlichen Kasernenpfarrer Roth in Anspach gerichteten und genau copirten Briefe:


HochEdel Gebohrner – Hochgelehrter – Insonders HochgeEhrter Herr Pfarr!
 Ich habe die Ehre, Ewer HochEdel etc. die Anständige Anzeige zu machen, daß ihre angebliche Jungfer Dochter M. Katharina Rothin, 18 Jahre alt, den 20 Iulius durch Recommendation eines sichern Hrn. Dechants zu Uns gekommen, Bittlich anhaltend, in Der allein seligmachenden Katholischen Religion vollständig unterrichtet zu werden. Sie hat sich, wie sie vorgiebt, meinsten Theils schon selbst überzeuget, daß in ihrer Religion alles unrichtig, sich widersprechend, der reinen Lehre Iesu Christi schnurgrad zuwiderlauffend; somit| die Seele der ewigen Verdammniß aussetzend seye. Ebendieses habe auch ihren Bruder vermöget, daß er die so genannte Evangelische Lehre, die nur tollerirt ist, verlassen, sich zur wahren Römisch-Katholisch-Apostolischen Iesu Christi Bekennet, und nachmals zu Neumark, ein Kapuciner Bruder worden seye. Wenn nun in dem Westphälischen Friedens Schluß alles so geordnet, alles so verrigelt worden, daß einem ieden erlaubt seyn solle, Ungekränkt sich eine Religion zu wehlen, worauf er sich getraue, selig zu werden; so werden Sie, Einsichtsvoll, nicht entstehen wollen, noch können, Ihre Jungfer Dochter, so die Unterscheidungs Jahre wirklich erreichet hat, zu hindern, die Christ-Catholische, allezeit Herrschende, allein seligmachende an zu nehmen.
.
 Jenes in Schwung gehende Lautwort: Man muß, in welcher Religion man geboren, auch sterben, fällt von sich selbst hinweg, weil die Folge: Der Jud muß Jud; Der Türke Türk; und der Heide Heide Bleiben, unrichtig ist. Unser Herr Iesus Christus, und seine Apostel haben uns ein ganz anderes gelehrt, so untrüglich ist. Wer aber| nicht bleibt in der Lehre Iesu Christi, wie kann er die Seeligkeit hoffen? freilich kömmt es einem hart an, der in Ehren steht mit Besoldung, die Ehre und Nahrungs Unterhaltung fahren zu lassen. Wäre dieses nicht: O wie viele würden schon die Katholische Religion, die Sie als die wahre erkennen, angenommen haben! Es hat ein sicherer in Dienst stehender Lutherischer Jäger, neulich erst zu ihrer Jungfer Dochter gesagt und Sie versichert in meiner Gegenwart, daß er heute wollte Katholisch werden, wenn er Brod bei einem Katholischen Herrn zu finden wüste. Ich bin nicht gesinnet, mit wichtigern Beweisthümern Ihnen beschwerlich zu fallen, Ich wollte Ihnen nur Nachricht von der Entschließung ihrer Jungfer Dochter geben, und geziemenst Bitten, wegen Ihrem Vorhaben nicht entrüßtet zu werden: Wie nicht minder Ihr ein Stück Gelds zu ihrer Nothdurft zu übermachen, da sie einfach gekleidet, und ohne selbes vom Haus wegen härtesten Tractement heimlich abgegangen. Sie versiehet sich hierauf nebst ihrem gehorsamsten Compliment an Hrn. Papa und Frau Mama und erhoffet solches bei nächster Gelegenheit, Ich aber ein großgünstige| Ruckantwort, der ich die Ehre habe, mit vieler Hochachtung zu seyn
Ewer HochEdelgebohrn
ergebenster F. Raphaël Zöcklein,
Sac. ord. Cist. profess. 


 Kloster Schönthal
an der Jagst den 25 Iulius
 1790.


 Weil nun zu Ende des Julius 1790 in Anspach kein Kasernenprediger unter dem Namen Roth existirte, so kam obiger Brief denn doch in die Hände des Mannes, der gegenwärtig das genannte Amt bekleidet, nämlich in die Hände des Herrn Pfarrers Strölein, welcher mit folgendem Antwortschreiben, worauf bisher aber nichts weiter erfolgte, den Verfasser Herrn Zöcklein zu belehren suchte:


Anspach, den 6 Aug.
1790. 
HochEdelgebohrner, Hochgelehrter,
Insonders hochgeehrter Herr Profeß!
 Ich habe die Ehre, Ew. HochEdel die anständige Rückanzeige zu machen, daß Ihr| Schreiben vom 25 Jul. an des Herrn Sebastian Roth, Kasernen Pfarr HochEdelgebohrn in Anspach, seine ganze Absicht verfehlt hat. Wie Sie aus der Unterschrift sehen werden, so bin ich zwar Kasernenprediger allhier, heiße aber nicht Sebastian Roth, habe auch nie weder einen Sohn, der das Glück hatte, zu Neumark ein Kapucinerbruder zu werden, noch eine Tochter gehabt; höchstwahrscheinlich also ist die auf Empfehlung eines sichern Herrn Dechants zu Ihnen gekommene angebliche M. Katharina Rothin eine herumziehende liederliche Dirne, die mit erdichteten Namen und Herkunft leichtglaubige Personen zu täuschen, und dadurch ihre niedrigen Absichten zu erreichen sucht. Zugleich versichere ich Sie auf das gewisseste, daß den sämtlichen Geistlichen in Anspach keine Tochter entlaufen ist, welche ihre ewige Seligkeit in einem Kloster sucht. Und hier komme ich natürlicherweise auf den zweyten Punkt Ihres verehrlichen Schreibens, ich meine auf Ihre aus dem Kloster Schönthal ganz unerwartete Religionsanzüglichkeiten. Beynahe hätte ich vermuthet, daß Ihr vorliegender Brief im Jahr 1690 geschrieben worden und durch einen sonderbaren Zufall aus dem Archiv auf die Post gekommen| sey, wenn nicht die Jahrzahl 1790 so deutlich ausgedrückt wäre. Wir sind, Gott Lob, in der Residenzstadt Anspach nicht so weit zurück, daß wir noch eine allein seligmachende Religion glauben, noch weniger hätten wir in unsern aufgeklärten Zeiten, von welchen selbst die Salzburg. Allgemeine Litteraturzeitung ein starker Beweis ist, je vermuthet, daß noch die sich selbst widerlegenden Ausdrücke zum Vorschein kommen sollten: „daß in unserer Religion alles unrichtig, sich widersprechend, der reinen Lehre Jesu Christi schnurgrad zuwiderlauffend, somit die Seele der ewigen Verdamniß aussetzend seye,“ am allerwenigsten, daß unsere, wie es in Ew. etc. schäzbaren Schreiben lautet, sogenannte Evangelische Lehre nur tolerirt, oder, welches noch toller wäre, tollerirt seyn soll, worüber uns der Westphälische Friedensschluß, den wir in Anspach eben so gut kennen, als Sie ihn, wenn Sie sich gleich auf denselben berufen, vielleicht nicht kennen wollen, eines bessern belehrt. Wozu, Herr Profeß, wozu solche derbe Invectiven, die wir leicht mit mehrerm Grund eben so derbe zurückgeben könnten, wenn unsere Religion der reinen Lehre Christi: Vergeltet nicht Scheltworte mit Scheltworten, so schnurgerade, wie Sie behaupten wollen,| zuwiderlaufend wäre? Ich bedaure Sie vielmehr herzlich, daß Sie durch diese wahrscheinlich boshafte oder einfältige Person getäuscht worden sind, und bin es mit ganz Anspach sehr wohl zufrieden, wenn dieselbe, da sie nach Ihrer eigenen Versicherung die Unterscheidungsjahre wirklich erreicht hat, mit jenem sichern Lutherischen Jäger zu der Christ-katholischen, allezeit herrschenden, allein seligmachenden Religion übergehen und mich samt allen meinen Glaubensgenossen der ewigen Verdamniß überlassen will. Sie wird wohl alsdann von ihren angeblichen Eltern kein Stück Gelds nöthig haben, sondern am Leib eben so wohl, als an der Seele versorgt werden.

 Sollte ich aber bey diesen meinen Gegenäusserungen wirklich in seelenverderblichen Irrthümern stecken, so werde ich es für die größte Freundschaft ansehen, wenn Sie mich durch wichtigere Beweise, als Ihre angeführten sind, zu retten die Güte haben wollen, der ich ebenfalls die Ehre habe, mit vieler Hochachtung zu seyn

Ew. etc.
ergebenster Diener 
G. M. Strölein,
Hochfürstl. Brandenb. 
Kasernenprediger. 


| Übrigens ist es mir, ich gestehe es aufrichtig, beynahe unglaublich, wie in einer Cistercienserabtey Schönthal, wegen welcher Degen dem Schatten Götzens mit der eisernen Hand zuruft:


 O freue dich, daß dir dein Grab
Dein Gott in Schönthals Hallen gab!
Auch hier gilt edler Freyheitssinn,
Wie dir einst, mehr als Goldgewinn;

 Der Freundschaft, die dir heilig war,
Stralt hier ein güldner Hochaltar,
Ihr Tempel, unentweiht und hell’,
Ist jedes Vaters reine Zell’.

 Du haßtest Zwang und Gleißnerey.
Wie Schönthals würdige Abtey;
Du liebtest edle Frölichkeit,
Auch der ist hier ein Thron geweiht.

 Drum freue dich, daß dir dein Grab
Dein Gott in Schönthals Hallen gab!
Der Strom des Denkens, der hier fleußt,
Rauscht frey und edel, wie dein Geist.[1]


ich sage, es ist mir beynahe unglaublich und unbegreiflich, wie in einem Schönthal im Jahre 1790 noch ein Zöcklein könne gefunden werden. Aber wo in der Welt ist ein großer oder kleiner Staat, sey er noch so aufgehellt| und vollkommen, der nicht bisweilen seine Zöcklein d. h. Beyträge zu seiner scandalösen Geschichte aufzuweisen hat?



  1. S. dessen Gedichte. Ansp. 1786. S. 141.