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Oferdingen,

Gemeinde III. Klasse mit 464 Einwohnern. – Ev. Pfarrei. 31/4 St. nordöstl. von Tübingen gelegen.

Der große freundliche Ort liegt auf der südlich vom Neckarthal sich erhebenden Hochfläche und zwar an ihrem nördlichen Rande. Östlich vom Dorfe bricht eine jähe felsige Schlucht in das gleichfalls steile Gehänge des Neckarthales herein, so daß der Ort im Norden und Osten natürlich fest ist. Seine stattlichen Bauernhäuser liegen ziemlich gedrängt an den breiten, reinlichen, wohlgekandelten Straßen; Obstbaumwiesen umgeben den Ort und treten bis an die Straßen heran und fast vor jedem Hause liegt ein Blumengärtchen.

Die Kirche, von dem früheren noch ummauerten Friedhof umgeben, steht sehr schön und malerisch auf der höchsten Stelle am Nordostende,| auf der natürlich sehr festen Kuppe, die gegen Norden steil gegen den Neckarfluß abfällt, gegen Osten durch die tiefe felsige Waldschlucht von der übrigen Hochfläche getrennt wird. Man hat von hier herrliche Ausblicke an die nahe Albkette, namentlich an den Hohenneuffen, und über das anmuthige Neckarthal hinweg an den waldigen Schönbuch; zudem gibt die alterthümliche Kirche selbst ein äußerst ansprechendes Bild. Ihr Schiff, abgebrannt 1638 und bis auf einige Mauerreste neugebaut 1655, bietet nichts besonderes, dagegen stammen der hohe Chor und die zwei untern, aus mächtigen Quadern aufgeführten Geschosse des großen, im Westen stehenden Thurmes noch aus der frühesten gothischen Zeit. Das dritte Geschoß des unten 8′ dicken Thurmes hat große spätgothische schöngefüllte Spitzbogenfenster und vier prächtige steinerne Dachspeier an den Ecken der zweiten Stockwerksgurte. Der jetzt mit einfachem Satteldache bekrönte Thurm hatte früher ein sehr hohes Zeltdach. Durch seine Westseite führt ein großes reichgegliedertes spätgothisches Portal; um die Basis eines der Rundstäbe schlingt sich ein eichhornartiges, in Stein ausgehauenes Gethier; außerdem zeigt der Thurm nur schmale Schießscharten. Der Chor ist rechteckig in hohen strengen Verhältnissen und Formen errichtet; seine Ostecken werden gestützt durch starke Strebepfeiler, die schlanken Fenster haben noch das ganz strenge schlichte kraftvolle Maßwerk. Im Innern ist das Schiff flach gedeckt, der Triumphbogen sehr spitzig; der Chor mit einem hohen frühgothischen Rippenkreuzgewölbe überspannt, und seine Wände sind noch ganz bedeckt mit alten Fresken, die leider weiß übertüncht wurden. Die im Zopfstil gehaltene Kanzel zeigt an der Brüstung die in Öl gemalten Bilder der vier Evangelisten; an der Südwand des Schiffes hängt ein großes schlankes, sehr altes Krucifix; der schlichte achteckige Taufstein ist auch frühgothisch; die alte nördlich angebaute tonnengewölbte Sakristei besitzt zwei Opferbecken aus dem 16. Jahrhundert, auf deren einem der Sündenfall dargestellt ist. Von den drei Glocken hat die größte auf einem Schildchen die Inschrift: Hans Conrad Mach von Schafhausen gos mich 1655; auf der zweiten Glocke steht: Ludwig Neubert goß mich in Ludwigsburg anno 1778, auf der dritten: Gegossen in Reutlingen von Kurtz 1850. Die den alten Friedhof umgebende Ringmauer ist 4′ dick und aus schönen großen glattbehauenen Quadern aufgeführt, die einem sehr alten Gebäude angehört haben müssen.

Der jetzige Begräbnißplatz ward 1626 südlich am Ort angelegt.

Das schöne, herrlich gelegene Pfarrhaus steht nordwestlich an der| Kirche und wächst mit seiner Nordwand aus der Ringmauer heraus, die sich auf den schroffen Abhang des Neckarthales hinabsenkt; bei dem Brande von 1638 ging es auch zu Grunde und ward 1655 wieder hergestellt, doch scheinen seine Umfassungsmauern noch alt zu sein; ohne Zweifel war es ein Theil der alten Burg, die hier stand; das nördlich von der Kirche gelegene Waschhaus ist aus dem Unterstock eines alten Thurmes gebildet. Die Baulast der Kirche hat die Gemeinde, die des Pfarrhauses der Staat.

Das 1816 erbaute Schulhaus enthält zwei Lehrzimmer und die Wohnung des Schulmeisters. Das freundliche Rathhaus ward 1783 erbaut.

Gutes Trinkwasser liefern hinreichend zwei in hölzernen Deucheln hergeleitete laufende, 12 Pump- und 5 Schöpfbrunnen; die Markung ist überhaupt reich an Quellen und zudem fließt durch dieselbe der Reichenbach und der Neckar; beide treten zuweilen aus und verursachen Schaden. Eine Wette ist im Ort angelegt.

Vicinalstraßen von Altenburg nach Mittelstadt und von Rommelsbach nach Pliezhausen gehen hier durch. Über den Neckar führt eine Brücke mit steinernem Pfeiler und hölzernen Tragbäumen; die Stadt Reutlingen, der die Unterhaltung obliegt, verpachtet das ihr zustehende Brückengeld um 60–70 fl. jährlich. Die Entfernung von der nächsten Eisenbahnstation Kirchentellinsfurth beträgt 1 Stunde.

Die Einwohner, ein großer gesunder, nicht selten ein hohes Alter erreichender Menschenschlag, sind fleißig, sparsam, betriebsam und haben viel Ordnungsliebe und religiösen Sinn. Ihre Haupterwerbsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht; dann werden in mehreren Steinbrüchen grobkörnige Keupersandsteine zu Bau- und Mühlsteinen gewonnen und auswärts abgesetzt; auch Sand und Töpferthon wird abgebaut und verkauft.

Die Gewerbe arbeiten fast nur für das örtliche Bedürfniß; zwei Schildwirthschaften, zwei Kram- und ein Kaufladen bestehen.

Außerhalb des Ortes ist eine Mahlmühle mit fünf Mahl- und einem Gerbgang und einer Hanfreibe.

Die Vermögensverhältnisse sind im allgemeinen gut. Der begütertste Bürger besitzt 30 Morgen Feld und 1 Morgen Wald, der Mittelmann 15 Morgen Feld und 1/2 Morgen Wald, die ärmeren besitzen 2 Morgen Feld. Nur eine Person erhält gegenwärtig Gemeindeunterstützung.

Die kleine Markung ist, mit Ausnahme der Steilgehänge des Neckarthales und seiner Seitenschluchten, ein ebenes Land, in dessen| meist lehmigem Boden Obst und Getreide wohl gedeiht; jene steilen Gehänge sind meist mit Wald oder Buschwerk bewachsen. Im Neckarthale selbst liegen ergiebige Wiesengründe.

Das Klima ist im allgemeinen mild und Hagelschlag kommt selten vor.

Die Landwirthschaft wird mit Anwendung des Suppinger-Pflugs gut und fleißig betrieben, auch sind zwei Walzen, eine Repssämaschine, ein Felg- und ein Häufelpflug vorhanden. In gut angelegten Düngerstätten wird die Jauche sorgfältig gesammelt.

Es werden die gewöhnlichen Getreidearten und außer ihnen dreiblättriger Klee, Kartoffeln, Kraut, Runkelrüben, Hanf, Flachs und Reps gebaut, beide letztere kommen zum Verkauf, so daß ein vermöglicher Bauer jährlich 3–4 Centner Flachs und 4–5 Scheffel Reps nach außen absetzen kann. Von den Getreidefrüchten werden etwa 500 Scheffel Dinkel und 50 bis 60 Scheffel Gerste jährlich verkauft.

Der ausgedehnte Wiesenbau liefert reichlich gutes Futter und nur einige Stellen erzeugen sogen. saures Gras.

Die Obstzucht ist gut und erlaubt in günstigen Jahren einen mäßigen Verkauf nach außen. Man pflanzt hauptsächlich Fleiner, Luiken, Reinetten, Knausbirnen, Palmischbirnen, Bratbirnen, Mostbirnen, Träublesbirnen und nur wenig Zwetschgen und Pflaumen. Für die der Gemeinde gehörigen Obstbäume ist ein Baumwart aufgestellt.

An Gemeindewaldungen sind nur 74 Morgen vorhanden; sie liefern jährlich 14 Klafter und 500 Stück Wellen, von denen jeder Bürger 1/8 Klafter und 6 Stück Wellen, zuweilen kein Klafterholz und 8 Stück Wellen erhält. Ein kleiner Theil wird verkauft, was der Gemeindekasse 50–100 fl. jährlich einträgt.

Eigentliche Weiden bestehen nicht und nur die Brach- und Stoppelweide wird an Ortsbürger um 150 bis 200 fl. verpachtet; diese lassen 3–400 Stück Bastardschafe auf der Markung laufen und setzen die Wolle meist in Reutlingen und Metzingen ab. Die Pferchnutzung trägt der Gemeinde jährlich 4–500 fl. ein.

Die vorhandenen Allmanden sind den Bürgern zur Benützung überlassen, wofür jeder 15 kr. Allmandzins zu entrichten hat.

Die Gemeinde hat überdieß eigene Güter, aus denen sie 100 fl. Pachtgeld bezieht; ein Theil der Güter ist dem Farrenhalter zur Benützung überlassen.

| Die Pferdezucht ist unbedeutend und die Zahl der Pferde beschränkt sich auf etwa 20 Stücke.

In gutem Zustande ist die mit einer Kreuzung von Simmenthaler- und Neckarschlag sich beschäftigende Rindviehzucht, zu deren Unterhaltung zwei Farren aufgestellt sind. Im Herbste wird das Vieh noch auf die Wiesen getrieben.

Die Schweinezucht (halbenglische Race) erlaubt einen Verkauf an Ferkeln und namentlich an Mastschweinen.

Die Zucht des Geflügels und der Bienen ist nicht von Belang.

Das Fischrecht im Neckar hat die Gemeinde, welche es um 1 fl. jährlich verpachtet.

An Stiftungen sind 298 fl. 40 kr. vorhanden, unter diesen befinden sich 75 fl., deren Zinse zu Papier, Schulbüchern und Wecken für die Schulkinder verwendet werden; ferner 125 fl., wovon die Zinse unter die Ortsarmen zur Vertheilung kommen.

Auf der etwa 1/8 Stunde nordwestlich vom Ort gelegenen Flur „Betmauer“ soll eine Kapelle gestanden sein; man entdeckte daselbst schon Grundmauern und zunächst dabei kommt die Flurbenennung „hinter den Höfen“ vor. Die Vermuthung, daß hier ein römischer Wohnplatz stand, liegt sehr nahe, um so mehr, als zunächst dieser Stelle die von Altenburg herkommende Römerstraße über die sogen. Höräcker nach Oferdingen führte.

O. ursprünglich Onfridingen geschrieben, 1275 als Oevridingen (Freiburger Diöcesanarchiv 1, 77), 1291 (s. u.) als Uofridingen vorkommend, erscheint am frühesten gegen Ende des 12. Jahrhunderts; Graf Liutold von Achalm-Urach († 1098), dessen Haus den Hauptbesitz hatte, beschenkte mit der halben hiesigen Kirche das Kloster Zwiefalten, welches um 1100 von Eberhard von Schelklingen noch ein Viertel an dieser Kirche erhielt. Zugleich mit diesen Kirchentheilen erhielt das Kloster auch Güterschenkungen und eine weitere kam aus den Händen eines gräflich achalmischen Dienstmannes noch hinzu. (Ortlieb und Berthold bei Pertz. Script. 10, 74. 98. 106. 117. 119).

In der Mitte des 14. Jahrhunderts trug Rüdinger von Rieth hiesige Klostergüter zu Lehen.

Von Ortsadeligen kommen vor im Jahr 1291 ein Hermann (Mone Zeitschr. 14, 111), im 14. Jahrhundert Fritz und Utz.

Einen zur Hohenbergischen Herrschaft Wildberg gehörenden Hof nebst Haus trug in der Mitte des genannten Jahrhunderts Fritz von Lustnau und dessen Sohn Heinz von Graf Burkhard von Hohenberg| zu Lehen, und nach dem Verkauf Wildbergs an die Kurpfalz bekannte am 10. Juni 1386 Hans von Lustnau, Edelknecht, solches Lehen von dem Pfalzgrafen Ruprecht, dem jüngern, erhalten zu haben (Schmid Mon. Hohenb. 732).

An hiesiger Kirche erscheint 1274 Burcardus viceplebanus (Mone Zeitschr. 3, 220). Den Pfarrsatz verkaufte das Kloster Zwiefalten 1332 oder kurz zuvor an Berthold von Stein; der dortige Abt verschrieb sich am 17. März d. J., daß er den, an genannten Herrn verkauften Kirchensatz von dem Vogtrecht, welches darauf laste, frei machen wolle. Hans von Stein veräußerte 1356 diesen Kirchensatz samt zugehörigem Nonnenhof an den Johannitercomthur in Rohrdorf[1], dieser 1586 an Württemberg. In die hiesige Pfarrei gehörten ehemals Altenburg und Rommelsbach (s. diese).

Wenn gleich O. im Besitz der Pfalzgrafen von Tübingen nicht hervortritt, so ist doch wahrscheinlich, daß die Oberherrlichkeit über den Ort von ihnen – mit Tübingen selbst – 1342 an Württemberg gelangte; wenigstens war O. unter Württemberg immer ein Amtsort von Tübingen. Die Güter und Einkünfte des Klosters Zwiefalten in O. kamen durch Vertrag von 1750 an Württemberg, welches noch 1809 die hiesigen Johanniterordensgefälle inkamerirte.

Anfangs Februar 1643 überfiel hier Johann von Werth mit 2000 Reitern die französischen Regimenter von Wittgenstein und Kanofsky, warf die aufgestellten Wachen schnell über den Haufen, zündete das Dorf an und erbeutete das Gepäcke und 800 Pferde, verlor aber selbst über 100 Mann (v. Martens 435).



  1. In den 1460. Jahren hatte Rudolf von Fridingen den dritten Theil der Kastvogtei, des Kirchensatzes und des Zehenten zu O. zu Lehen und verwies darauf 1466 seine Frau Ottilie von Emershofen, zur Widerlegung ihrer Ehesteuer und als Morgengabe, mit 1500 fl. Cleß C, 388.
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