« Kapitel B 11 Beschreibung des Oberamts Böblingen Kapitel B 13 »
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12. Magstadt.
ein 2 Stunden nordwestlich von der Oberamtsstadt gelegenes Pfarrdorf, das seit 1817 Marktgerechtigkeit besitzt. Der Ort mit 2207 evangelischen und 2 katholischen Einwohnern, hat eine ziemlich unebene Lage auf dem Ausläufer eines Flachrückens, welcher zwischen zwei Thälchen hinzieht, deren Bäche am nordöstlichen Ende des Dorfs zusammentreffen. Ansehnliche Wohnhäuser, reinliche gut gekandelte Straßen und eine meist regelmäßige Bauart geben dem ziemlich ausgedehnten Ort ein gutes, städtisches Aussehen. Beinahe in der Mitte desselben liegt frei auf der Anhöhe die alte im germanischen (gothischen) Style erbaute Pfarrkirche mit dem befestigten zum Theil doppelt ummauerten Kirchhof. Sie hat sowohl an den Langseiten des Schiffs, als an dem mit einem halben Sechseck endenden sehr schönen Chor Strebepfeiler und hohe| spitzbogige, in den Bogentheilen gothisch gefüllte Fenster. Nur an der nördlichen Langseite sind, um der Kirche mehr Licht zuzuführen, runde, mit dem übrigen Baustyl nicht harmonirende Lichtlöcher eingebrochen worden. An der westlichen fensterlosen Giebelseite steht über dem spitzbogigen Eingang: 1511, ohne Zweifel die Zeit der Erbauung, mit der auch die Bauweise übereinstimmt. Im Innern ist die Kirche hell und geräumig; sie erhielt bei einer 1817 mit ihr vorgenommenen Renovation eine weiße Tünchung, die leider alle früheren Wand- und Deckemalereien, besonders die des Chors, bedeckte. Die schön gearbeitete Kanzel ist ganz von Stein und stimmt mit dem Baustyl der Kirche überein. Merkwürdig und von Kunstwerth ist der achteckige, gothische Taufstein, auf dem in sieben Feldern die Sacramente der katholischen Kirche und auf dem achten ein Engel, der das württembergische Wappen hält, in Hautrelief dargestellt sind. Von dem Schiff der Kirche führt ein hoch gesprengter Spitzbogen zu dem Chor, welches fünf hohe gothische Fenster und ein mit stark hervorstehenden Rippen sehr schön construirtes Netzgewölbe hat. An den obern Kreuzungen der Gewölberippen befinden sich schön gearbeitete Schlußsteine, auf denen in der Richtung von Westen nach Osten folgende Bilder angebracht sind: 1) Johannes der Täufer, 2) der heilige Georg, 3) Johannes der Evangelist, 4) der heilige Nicolaus, 5) Maria mit dem Christuskinde und 6) ein Engel mit dem württembergischen Wappen. Im Jahre 1848 wurde gegen alle Regel der Technik und Akustik eine Walker’sche Orgel mit 22 Registern, welche die Gemeinde 3300 fl. kostete, in das Chor eingezwängt und hiedurch demselben das Licht geraubt und seine Schönheiten verdeckt. In der Sacristei steht ein tannener Kasten, in dessen Thüre ein gutes Gemälde auf Holz aus dem 15ten Jahrhundert eingelassen ist, das auf der Vorderseite die Heiligen Antonius den Einsiedler und Paulus Eremita, und auf der Rückseite die heilige Agnes und heilige Ursula darstellt. Der auf der Nordseite der Kirche stehende viereckige, massive Thurm hat drei mit Schußscharten versehene Stockwerke, denen ein hölzernes Glockenhaus mit Satteldach und abgestutztem Giebel aufgesetzt wurde. Auf dem Thurme hängen drei Glocken, von denen die größte und mittlere die Inschriften tragen, „Gott allein die Ehre Goß mich Heinrich Ludwig Goßmann in Magstatt 1706.“ Die kleinste hat die Namen der damaligen geistlichen und weltlichen Behörden und die Jahreszahl 1730. Am unteren Rande steht: „Goß mich Heinrich Ludwig Goßmann und Christoph Zimmermann in Magstatt.“ Die Unterhaltung der Kirche liegt der Stiftungspflege ob. Der Begräbnißplatz lag früher um die Kirche, wurde aber schon 1607 nördlich| vom Ort auf eine Anhöhe verlegt und 1841 um die Hälfte vergrößert; er hält 3/4 Morgen 5 Ruthen und ist mit einer Mauer umfriedigt. Das nördlich von der Kirche gelegene, gelb getünchte Pfarrhaus, welches nur durch eine schmale Straße von der äußeren Kirchhofmauer getrennt ist, befindet sich in gutem baulichen Zustande. Die Unterhaltung desselben hat der Staat. Das geräumige Schulhaus mit Lehrerwohnung, welches nordöstlich der Kirche von allen Seiten frei steht, wurde 1822 erkauft und zur Schule eingerichtet. An der Schule unterrichten 2 Lehrer, 1 Unterlehrer und 1 Lehrgehilfe. Eine Industrie- und Kleinkinder-Schule besteht seit 6 Jahren. Besondere Schulstiftungen zu Anschaffung von Schulbüchern etc. für Kinder mittelloser Eltern sind vorhanden; sie betragen gegenwärtig 321 fl., die übrigens für das Bedürfniß nicht hinreichen, weßhalb der Schulfonds noch zusetzen muß. Das Rathhaus wurde 1607 erbaut und 1843 namhaft verändert, was zwei Denksteine am Eingang desselben nachweisen. Es hat ein Thürmchen mit Glocke, eine gute Sonnenuhr, einen Blitzableiter und ist überhaupt ein sehr stattliches Gebäude, das frei an der südlichen Kirchhofmauer steht und seine Vorderseite gegen die Hauptstraße kehrt. Der Ort ist hinlänglich mit Quellwasser versehen, besonders spendet ein steinerner Brunnen auf dem Marktplatze aus vier Röhren ein vortreffliches Trinkwasser; überdieß ist auf den Fall der Feuersgefahr eine Wette angelegt; zwei Bäche fließen durch das Dorf, von denen einer eine Mühle in Bewegung setzt. Die Luft ist gesund, das Klima hingegen etwas rauh, was hauptsächlich die offene Lage gegen Westen (Schwarzwald) und der bedeutende Luftzug, der von Osten her durch das Hölzerthal zieht, mit sich bringen. Frühlingsfröste, welche den feineren Gewächsen, wie Gurken, Bohnen etc., auch dem Frühobst schaden, sind daher nicht selten. Die Ernte tritt um 8–10 Tagen später ein als im Unterland. Hagelschlag ist seit 40–50 Jahren nicht vorgekommen. Die fleißigen, aufgeweckten Einwohner, deren Zahl sich auffallend stark vermehrt, sind im Allgemeinen gesund, kräftig und erfreuen sich nicht selten eines hohen Alters. Vom Monat Mai bis October ist der Gesundheitszustand günstig, in den übrigen Monaten aber herrschen häufig Krankheiten und zu gewissen Zeiten sind Katarrhe allgemein. Epidemische Krankheiten sind selten; nur 1849 kehrten auch hier, wie in der ganzen Umgegend, die natürlichen Blattern ein. Die ausgedehnte Markung, welche übrigens im Verhältniß zur Bevölkerung dennoch zu klein ist, wird von mehreren Thälern durchzogen und ist daher etwas uneben. Ihr im Durchschnitt fruchtbarer Boden ist sehr verschieden und| wechselt öfters in ganz geringen Entfernungen sehr auffallend, im östlichen Theil der Markung besteht derselbe aus schwerem Thon und aus magern Keupermergeln, während im westlichen Theil, besonders gegen Schaffhausen hin, ein leichter sogenannter Malmboden (eine Auflösung des Muschelkalkdolomits mit Lehm gemengt) vorherrschend ist. Die Hauptnahrungsquellen der im Allgemeinen nicht unvermöglichen Einwohner sind Feldbau, Viehzucht und Holzhandel; ersterer wird mit vielem Fleiß betrieben; zweckmäßige landwirthschaftliche Neuerungen haben allgemein Anklang gefunden. Im Dreifeldersystem baut man Dinkel, Hafer, Gerste, Einkorn, etwas Roggen und im Haferfeld besonders viele Kartoffeln. In der beinahe zur Hälfte angebauten Brache werden Futterkräuter, Kartoffeln, Hanf etc. gezogen. Auf einen Morgen rechnet man Aussaat an Dinkel 1 Scheffel, an Hafer 1/2 Scheffel, an Gerste 3 Simri und an Einkorn 4 Simri; der durchschnittliche Ertrag wird zu 6–7 Scheffel Dinkel, 4–5 Scheffel Hafer, 5 bis 6 Scheffel Gerste und 8–9 Scheffel Einkorn pr. Morgen angegeben. Getreide, Hanf und etwas Kartoffeln werden auswärts verkauft. Der höchste Preis eines Morgen Ackers beträgt 400 fl., der mittlere 250 fl. und der geringste 80–100 fl. Hopfen baut Rößleswirth Widmaier für seine eigene Brauerei. Obgleich die Wiesen nicht bewässert werden können, so sind sie dennoch sehr ergiebig; ihr bedeutender Ertrag wird wegen des großen Viehstandes im Ort selbst verbraucht. Die Preise derselben bewegen sich zwischen 100 und 500 fl. pr. Morgen. An einem südlichen Abhange gegen das Hölzerthal ist früher Weinbau getrieben worden, welcher 1593 aufgegeben wurde. Die Obstzucht, welche sich meist mit Mostsorten und etwas Zwetschgen beschäftigt, ist sehr ausgedehnt; außer den Baumgütern sind alle Hauptstraßen und ein großer Theil der Allmanden mit Obstbäumen besetzt. Der Obstertrag, welcher 1847 über 100.000 Simri betrug, wird meist im Ort selbst verbraucht. Eine Baumschule, die ein besonders aufgestellter Aufseher besorgt, besteht auf dem alten Kirchhof. Die Gemeinde ist im Besitz von etwa 2500 Morgen meist gut bestockter Laubwaldungen, mit Ausnahme der jüngeren Kulturen, die aus Nadelhölzern bestehen. Bei 40jährigem Umtrieb beträgt die jährliche Nutzung 300 Klafter und 25.000 Stück Wellen, hievon erhält jeder Bürger 3/4 Klafter und 50 Stück Wellen. Die Allmand- und Stoppel-Weide wird jährlich um 1300 fl. verpachtet; auf ihr laufen 600 Bastarde, die im Ort Überwinterung finden. Die Pförchnutzung trägt 800–1000 fl. Etwa 125 Pferde, die man auswärts aufkauft, werden gehalten; einige Bürger, unter denen einer Pferde für das Militär liefert, treiben Pferdehandel. Die| Rindviehzucht beschäftigt sich mit reiner Landrace, welche durch 5 Farren erhalten wird und ist von namhafter Ausdehnung. Es befinden sich etwa 800 Stücke Vieh im Ort, von denen ziemlich viele auf benachbarten Märkten zum Verkauf kommen. Der Stand der Schweine belauft sich auf ungefähr 250 Stücke, unter diesen befinden sich 13 Mutterschweine und 1 Eber. Von Gewerben sind eine Mühle im Ort, eine gegenwärtig im Bau begriffene Kunstmühle außerhalb desselben und eine Ziegelhütte zu nennen. Die gewöhnlichen Handwerker sind beinahe alle vertreten; sie dienen, mit Ausnahme einiger Baumwollenweber, die für Fabrikanten auswärts arbeiten, nur dem örtlichen Bedürfniß. Etwa 30 Bürger treiben Holzhandel, indem sie auf dem Schwarzwald Holz und Pfähle aufkaufen und in Stuttgart wieder absetzen. Im Ort befinden sich 7 Schildwirthschaften, worunter 2 mit Brauereien und 2 Kaufleute. Das Vermögen der Gemeinde besteht außer den schon angegebenen Einnahmen in 16.000 fl. Capitalien, das der Stiftungspflege in 6000 fl. Grundherr ist der Staat, welcher auch die grundherrlichen Abgaben, und den großen und kleinen Zehenten bezieht, letzterer, sowie der Heuzehente von wenigen Morgen gehörte bis zum Jahre 1843 der Pfarrei; diese Rechte sind aber in Folge der Verwandlung der Pfarrbesoldung an den Staat übergegangen; der große Zehenten rührt theils von der ehemaligen geistlichen Verwaltung, theils von der Kellerei Böblingen her. Ein Particularzehente auf 28 M. stund früher der Pfarrei Warmbronn, Oberamts Leonberg zu. Nach dem Lagerbuch von 1653 bezog auch der Ortsheilige einen Particularzehenten, welchen er 1481 gegen eine jährliche Fruchtgilt an das Kloster Bebenhausen abgetreten hat. In Magstadt wurde in früheren Zeiten der Blutzehente erhoben, aber schon im Jahre 1706 nachgelassen. Die Frohnen sind abgelöst und Gülten und Zehenten in der Ablösung begriffen. Eine Bürgerwehr wird gegenwärtig organisirt. Seit 1813 hat die durch den Ort führende Straße von Stuttgart nach Calw aufgehört, Poststraße zu seyn, und die im Ort bestandene Post wurde nach Böblingen verlegt, was nachtheilig auf den Verkehr einwirkte. Indessen wird die ehemalige Poststraße noch häufig benützt und außer ihr gehen Vicinalstraßen nach Sindelfingen, nach Schaffhausen und nach Renningen, die den Ort mit der Umgegend in Verbindung setzen. Auf der Markung befinden sich an der Straße nach Stuttgart ein Keupersandsteinbruch, der Werksteine liefert und in der Richtung gegen den Ihinger Hof ein Muschelkalksteinbruch, aus dem Straßenmaterial gewonnen wird. Zu den Merkwürdigkeiten des Orts gehört ein dem Gasthof zum Rößle gegenüber stehendes Gebäude mit der Inschrift: „1606 ich Hans Hos| und Hans Keppler.“ In diesem Hause, das übrigens gegenwärtig als Scheune benützt wird, soll der berühmte Astronom Keppler geboren seyn, was aber nach den neuesten Forschungen unbegründet zu seyn scheint (s. unten).

Eine Römerstraße, von Sindelfingen herkommend, berührt die Ostseite des Orts und führt unter den Benennungen Herdweg (Heerweg), Heuweg (Höhweg) und Reutweg gegen Rutesheim weiter; eine zweite von Maichingen herkommend, zieht durch den Ort selbst und mündet nördlich desselben in die erstere ein (s. den allgemeinen Theil). Südwestlich vom Ort kommt der Flurname Birk (d. i. Bürg) vor, welcher auf eine ehemalige Befestigung hinweist, und in der Nähe dieser Bürg, wo man schon Mauerreste aufgedeckt haben will, soll nach der Volkssage früher der Ort gestanden seyn. Ohne Zweifel hatten die Römer, die hier eine Straße über das Thal führten, zur Deckung des Thalübergangs auf der sogenannten Bürg einen militärischen Wohnplatz angelegt, in dessen Nähe später das gegenwärtige Magstadt gegründet wurde.

Magstadt streitet sich mit Weil der Stadt um die Ehre, Geburtsort des großen Astronomen Keppler zu seyn. Weil der Stadt hat indeß begründetere Ansprüche an diese Auszeichnung (s. Schwäbische Chronik vom 24. Februar 1848).

Wahrscheinlich ursprünglich zur Calwer Grafschaft gehörend, jedenfalls später pfalzgräflich tübingisch gelangte Magstadt im 15. Jahrhundert an Württemberg.

Warmunt de Magstat beschenkte um 1100 das Kloster Hirschau bei Osweil. (Cod. Hirs. 40 ed. Stuttg.) In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte Cunradus miles de Magistat dictus Lode, Ministerial Rudolfs Grafen von Tübingen, welcher ein Gut bei Sindelfingen veräußerte, wozu der Graf den 1. Sept. 1261 seine Zustimmung ertheilte (Stälin wirt. Geschichte 2, 449). – Die Marschälle von Weil besaßen hier einen Hof; Albrecht Marschall verkaufte einen solchen am 14. April 1376 an Graf Eberhard von Württemberg für 110 Pfund Heller.

Der hiesige Kirchensatz nebst Widdumhof kam den 26. Mai 1392 von Graf Eberhard von Württemberg an das Kloster Bebenhausen, welches im J. 1395 die Kirche incorporirte. Ein Ruralcapitelsverzeichniß des Bisthums Speier aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nennt hier eine Pfarrstelle, Frühmesse und heilige Kreuzcaplanei. (Würdtwein Subsid. 10, 340.) Die Frühmesse, welche durch Magstadter gestiftet worden war, erhielt im Jahre 1403 die bischöflich speierische Bestätigung; im Jahre 1437 wurde ihr die Dotirung der aufgehobenen Pfründen zu den Altären| des heiligen Johannis des Täufers, des heiligen Georgs, der heil. Catharina und des heiligen Nicolaus einverleibt.

Begütert waren mehrere Klöster; das eben genannte Kloster Bebenhausen erhielt 1277 von Rudolf und Conrad von Roßwag deren hiesigen Zehenten, 1290, Januar 27., erkaufte es von Berthold, Anselms von Weil Sohn mit Willen Conrads und Rudolfs von Roßwag den von letzteren zu Lehen gehenden Laienzehenten, welchen Berthold von Burkhard von Börstingen erworben hatte, 1292, April 1., bekam es von Graf Gotfried von Tübingen alle Besitzungen, welche von diesem an Burkhard von Börstingen verliehen gewesen waren, als Eigenthum u. a. m. – Das Kloster Maulbronn erhielt 1295, Juni 13., von Berthold von Wizenstein all dessen hiesige Güter geeignet. – Ein Drittheil eines hiesigen Hofes verkaufte die Abtei Lichtenthal den 1. November 1366 für 30 fl. an Kloster Herrenalb.