« Kapitel B 12 Beschreibung des Oberamts Böblingen Kapitel B 14 »
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13. Maichingen,
Pfarrdorf mit 1130 Einwohnern, worunter 1 Katholik. In einer ausgedehnten, fruchtreichen Ebene liegt frei, angenehm und gesund der große, wohlansehnliche mit breiten, gekandelten Straßen versehene Ort. Stattliche Baurenwohnungen mit schön gefügtem eichenem Gebälke lagern sich in ziemlicher Anzahl an den Hauptstraßen und geben dem Ort ein wohlhäbiges Aussehen. Am südöstlichen Ende des Orts steht die Pfarrkirche mit ihrem viereckigen massigen Thurme, der nur um das hölzerne, später aufgebaute Stockwerk, auf dem ein Satteldach mit abgestutzten Giebeln sitzt, über die Kirche hervorragt. Die Kirche ist eine der ältesten im Bezirk; sie war früher eine kleine Basilika und erhielt erst später ihre gegenwärtige beinahe ein Quadrat bildende Figur. Bei dieser Veränderung, welche nach einer über der Thüre angebrachten Jahreszahl 1609 geschah, wurde ihr zugleich aller architektonische Schmuck geraubt und nur einige an der vorderen Giebelseite übrig gebliebenen Wulsten und Leisten verrathen noch ihren ehemaligen romanischen Baustyl. An der Ostseite erhebt sich der Thurm, dessen unterstes Gewölbe die Stelle des Chors vertritt. Innen ist die Kirche hell und für die Gemeinde geräumig genug; die flache Decke ist getäfelt und mit Laub- und Blumen-Werk bemalt. Außer einem sauber gearbeiteten Taufstein, der die Jahreszahl 1517 trägt, und einem aus Holz geschnittenen Bild des Gekreuzigten, das in der Nähe der Kanzel hängt, hat sie nichts bemerkenswerthes. Auf dem Thurme hängen drei wohl tönende Glocken, von denen die größte außer den Namen der damaligen geistlichen| und weltlichen Behörden noch die Umschrift hat: „Christian Ludwig Neubert hat mich gegossen in Ludwigsburg anno 1761.“ Auf der mittleren stehen oben die Namen der Ortsbehörden mit der Jahreszahl 1711, am untern Rande aber „Heinrich Ludwig Gossmann gos mich in Magstadt.“ Die kleinste trägt nur die Behördennamen und die Jahreszahl 1694. Die Unterhaltungskosten der Kirche hat die Stiftungspflege, welche ein Capitalvermögen von mehr als 4000 fl. besitzt, zu bestreiten. Der Begräbnißplatz, welcher früher um die Kirche lag, wurde 1838 auf Kosten der Gemeinde an der Ostseite bedeutend erweitert und im westlichen Theile zu einer Baumschule umgewandelt. An der Innenseite der alten Kirchhofmauer ist zunächst der Kirche das in Stein gehauene Bild des Schutzpatrons der Kirche, der heilige Laurentius mit dem Roste, eingemauert. Das in der Nähe der Kirche an der von Sindelfingen herkommenden Landstraße frei und angenehm gelegene Pfarrhaus ist ziemlich alt, jedoch in gutem Stande, da in neuerer Zeit mehrere Verbesserungen an demselben vorgenommen wurden. Westlich der Kirche, ganz in der Nähe derselben, steht das 1841 mit einem Gemeindeaufwand von 8000 fl. neu erbaute, geräumige Schulhaus mit Lehrerwohnung. An der Schule unterrichten ein Schulmeister und ein Unterlehrer. Eine Industrieschule wurde schon 1834 errichtet. Das alte Rathhaus, auf dem ein Thürmchen mit Glocke sitzt, wurde 1846 namhaft verbessert. Ein Gemeindebackhaus besteht schon seit langer Zeit. Der Ort hat einen laufenden und mehrere Ziehbrunnen, welche ihn hinreichend mit gesundem Trinkwasser versehen. Überdieß ist noch eine Wette zum Pferdeschwemmen und auf den Fall der Feuersgefahr angelegt. Die Luft ist gesund, aber wegen der ganz freien Lage etwas rauh, demungeachtet sind schädliche Frühlingsfröste nicht häufig. Hagelschlag gehört zu den Seltenheiten, indem das sogenannte Wetterkreuz nordwestlich vom Ort als Wetterscheide dient. Die Feldmarkung bildet eine sanft wellige Fläche, deren Boden zum größten Theil aus einem tiefgründigen, leichten, etwas kalten Diluviallehm besteht, der in trockenen Jahrgängen besonders ergiebig ist. Nur im östlichen Theile der Markung ist der Boden ein magerer Keupermergel, der, namentlich in heißen Sommern, geringen Ertrag liefert. In den Thalgründen der Schwippe und des Schlitzbrunnens lagert Torf. Die im Allgemeinen fleißigen und sparsamen Einwohner haben viel Geschick zu mechanischen Arbeiten und Sinn für Religion, der aber häufig in Pietismus übergeht. Ihre Vermögensumstände sind, mit Ausnahme einiger Wohlhabenden, im Durchschnitt mittelmäßig. Feldbau, Viehzucht und von den Gewerben die Weberei,| bilden die Haupterwerbsquellen, letztere wurde in neuerer Zeit durch das Aufkommen der Fabriken etwas herabgedrückt, was auf die ökonomischen Umstände Vieler nachtheilig einwirkt. Die Landwirthschaft steht auf einer blühenden Stufe; der Brabanter Pflug ist allgemein und zweckmäßig angelegte Dungstätten sind häufig. Als Besserungsmittel werden, außer dem gewöhnlichen Dünger, besonders die Jauche und zuweilen Gyps angewendet. Im System der Dreifelderwirthschaft wird besonders viel Dinkel, Hafer, Gerste, weniger Roggen und Einkorn gebaut. Zur Aussaat braucht man pr. Morgen an Dinkel 7–8 Simri, an Hafer 6 Simri, an Gerste 3–4 Simri, an Roggen 4 Simri und an Einkorn 6 Simri. Der Ertrag wird durchschnittlich zu 8–10 Scheffel Dinkel, 6 Sch. Hafer, 4 Scheffel Gerste etc. pr. Morgen angegeben. Dinkel und Hafer wird viel nach Außen verkauft. Die Erzeugnisse der beinahe ganz angebauten Brache sind: Kartoffeln, Angersen, Flachs, Hanf; von Handelsgewächsen werden Reps, Leindotter und Mohn gebaut. Futterkräuter kommen besonders viel zum Anbau, da die Wiesen nicht so ausgedehnt und ergiebig sind, daß sie für den vorhandenen Viehstand das nöthige Futter zu liefern im Stande wären. Die geringsten Preise der Äcker sind 50 fl., die mittleren 200 fl. und die höchsten 400 fl. pr. Morgen; – die der Wiesen bewegen sich zwischen 200 und 400 fl. Die Obstzucht ist nicht ausgedehnt, übrigens sehr im Zunehmen begriffen. Der Obstertrag, welcher meist in Mostsorten und etwas Zwetschgen besteht, befriedigt nicht einmal das örtliche Bedürfniß. Die Gemeinde ist im Besitz von 386 Morgen meist gut bestockter Laubwaldungen, welche in 30 und 40jährigen Umtrieben bewirtschaftet werden. In neuester Zeit wurde auch eine Fläche mit Nadelholz cultivirt. Der jährliche Ertrag der Waldungen besteht in 85–90 Klafter Holz und 4000 bis 5000 Stück Wellen, wovon jeder Bürger 1/4 Klafter und 15 Stück Wellen erhält. Das Übrige liefert einen Gelderlös von etwa 200 fl., mit denen die Unterhaltung und Bewirthschaftung der Waldungen bestritten wird. Die Rindviehzucht ist wegen des geringen Wieswachses nicht sehr ausgedehnt. Sie beschäftigt sich mit einer guten Landrace, welche durch drei Farren, von denen einen die Gemeinde und zwei die Widdumshöfebesitzer halten, gezüchtet wird. Zum Verkauf kommen nur Rinder. Die Schafzucht hat aufgehört, dagegen ist die Schweinezucht ziemlich ausgedehnt. Die Bienenzucht beschränkt sich auf etwa 40 Stöcke, aus denen vorzüglicher Honig gewonnen wird. Von den Gewerben ist die Weberei am stärksten vertreten; etwa 60 Weber arbeiten in Zeuglen und Leinwand für Fabrikanten, einzelne treiben auch Bildweberei. In neuester Zeit hat dieses Gewerbe durch das Aufkommen von | Fabriken und durch die allgemeine Stockung in den Gewerben, bedeutend gelitten. Aus denselben Gründen hat auch die Handspinnerei, die früher stark betrieben wurde, so nachgelassen, daß sie sich nur noch auf den eigenen Bedarf beschränkt. Im Ort befinden sich 4 Krämer und 3 Schildwirthschaften. Durch denselben führt eine Vicinalstraße von Stuttgart nach Calw; außer dieser gehen noch Straßen nach Sindelfingen, nach Darmsheim und nach Magstadt.

Die Gemeinde besitzt außer den Waldungen noch 2000 fl. Capital und bezieht aus Allmandgütern und Wiesen jährlich etwa 400 fl. Am westlichen Ende der Markung auf der Burg liegt ein Steinbruch, aus dem sogenannte Malmsteine (Muschelkalkdolomit) gewonnen werden, ein anderer, der grobkörnige Keupersandsteine liefert, befindet sich im Gemeindewald. Beide sind Eigenthum der Gemeinde. Zwei Schulstiftungen, die eine mit 60 fl., die andere mit 300 fl., sind vorhanden.

Grundherr ist der Staat, welchem auch der große Zehente, den er von der geistlichen Verwaltung Böblingen und der Stiftungsverwaltung Sindelfingen übernommen hat, bezieht. Der kleine Zehente gehört der Pfarrei.

Das Ortswappen ist ein Reichsapfel.

Eine römische Heerstraße, das sogenannte Rheinsträßle, zieht über den westlichen Theil der Markung, an der sogenannten Burg, vorüber. In der Nähe derselben heißt ein Distrikt, in welchem schon Gräber aufgedeckt wurden, Todtlau (Todtenau); südlich an diesen stoßen die „Kriegäcker.“ Von dem Rheinsträßle geht 1/4 Stunde nördlich von Dagersheim ein römischer Weg ab, der nach Maichingen führt und seinen Zug weiter nach Magstadt hat (s. d.). In der Nähe des Schwippeursprungs wurden menschliche Gerippe und Waffen ausgegraben, ebenso unfern der Kirche. Etwa 1/8 Stunde östlich vom Ort heißt ein Felddistrikt „Schlösser“ und ein daran stoßender „zu Bürglingen,“ südwestlich an letzteren anstoßend wird eine Flur, die übrigens schon auf Sindelfinger Markung liegt, „Hinter Weil“ genannt. Nördlich von dieser und westlich an „zu Bürglingen und Schlösser“ anstoßend, fand man auf einem zwischen dem Seegraben- und dem Sträublesbrunnen-Thälchen hinziehenden Flachrücken, schon öfters Spuren von Grundmauern und behauene Steine. Ein kleine Untersuchung, die der Verfasser hier anstellte, zeigte bald eine Menge römischer Ziegel, Fragmente von Amphoren, Heizröhren (tubuli) etc., die einen ehemals hier gestandenen römischen Wohnplatz außer Zweifel setzen. Nur etwa 50 Schritte von dieser Stelle befindet sich der sehr alt in Stein gefaßte „Sträublesbrunnen,“ der sein ausgezeichnet gutes Wasser| noch aus einem thönernen römischen Teichel spendet und ohne Zweifel die erste Veranlassung zu einer Ansiedelung hier gab. Ferner zieht eine von Sindelfingen herkommende römische Straße zwischen dem Distrikt „zu Bürglingen“ und dem Punkt, wo die römischen Alterthümer sich vorfinden, durch und führt weiter gegen Rutesheim (s. den allg. Theil).

Der frühere Ortsname ist Möchingen, wofür jetzt die Volksaussprache Maichingen schriftmäßig geworden ist.

Kulturgeschichtliches Interesse bietet die Notiz, daß Eberhard, Schultheiß von Maichingen, im Jahre 1405 des Johannes von Würzburg Gedicht, „Herzog Wilhelm von Österreich,“ gedichtet 1314, abschrieb (Hoffmann, Verzeichniß der Handschriften in Wien S. 151).

In Maichingen ist geboren im Jahre 1440 ein in weiteren Kreisen bekannter Arzt, Johann Widmann (oder wie man ihn auch, ins Lateinische übersetzend, hieß: Salicetus) genannt Möchinger. Nachdem er in Pavia und seit 1474 in Ingolstadt (Mederer Annal. Ingolst. 1, 9) die Arzneikunst studirt hatte, erhielt er um 1479 die Berufung als Leibarzt des Markgrafen von Baden, im Jahre 1484 als ordentlicher Lehrer der Arzneikunde an der Universität Tübingen, an welcher er mit großem Beifall lehrte, zugleich auch von Graf Eberhart im Bart zu seinem und seiner Gemahlin Leibarzt bestellt und mit der Aufsicht über die Spitäler und Siechenhäuser des Landes betraut wurde. Im Jahre 1506 kam er als Stadtarzt nach Ulm (Weyermann Neue Nachrichten 610); um 1507 trat er wieder in badische Dienste und starb in Pforzheim am 31. December 1524. Als Schriftsteller machte er sich verdient durch seine Abhandlung von der Lustseuche (1497), von der Pest (1501), vom Wildbad (1513). (Pfaff württemberg. Plutarch. 1, 83.)

Maichingen kommt bereits um 830 vor, zwar nicht in gleichzeitiger Aufzeichnung, indeß versichert schon 1075, October 9., Kaiser Heinrich IV. in einer Urkunde für Kloster Hirschau, Güter ad Mouchingen haben zur ältesten Ausstattung des Klosters Hirschau gehört.

Diese waren ohne Zweifel von den Grafen von Calw geschenkt, zu deren Sprengel Maichingen gehörte. In Maichingen war auch Reichsgut, vielleicht mit dem Tode Gotfrieds Grafen von Calw und Pfalzgrafen bei Rhein († um 1131) heimgefallenes Reichslehen; im Jahre 1183 nennt K. Friederich I. unter den hohenstaufischen Gütern ausdrücklich: alodium in Mechingen (Pertz Mon. 4. 566). Späterhin verlautet nichts mehr von diesem Reichsbesitz, welcher wohl an die Pfalzgrafen von Tübingen überging.| Dienstmannen und Lehensträger dieser letzteren waren die Herren von Maichingen; 1273, März 31., erscheint eines Conrads von Maichingen Wittwe Judith (Haug zu Chronic. Sindelf. 35) und 1308 ein jüngerer Conrad (Gabelk). Noch einige Zeit neben diesen Herren, später allein, kommen vor, wohl gleichfalls unter tübingischer Oberherrlichkeit: die von Rohr: in Folge eines, 1271, August 8., von Wolpot von Rohr mit dem Stift Sindelfingen abgeschlossenen Vertrags hatte ersterer für sein Vogtrecht jährlich 2 Malter Frucht und 2 Schilling Heller zu beziehen (vergl. auch Cleß c, 262).

Württemberg machte hier Ankäufe, namentlich 1369, März 15., von Osterbronn von Rohr, welchem es seine zwei Theile der Vogtei und des Gerichts, die bereits von Württemberg zu Lehen gingen, um 600 Pfund Heller abkaufte, und 1384, November 24., und 1392, April 2., als es das Übrige, das erstemal von Wolf und Diez von Rohr um 55 Pfund Heller, das zweitemal von Diez allein um 62 Pfund Heller erwarb. Auch von den Vögten von Holzgerlingen gelangte Einiges im Jahre 1383 an Württemberg.

Die Kirche kam nach dem Hirschauer Codex S. 31 (ed. Stuttg.) schon um 830 bei der ersten Gründung von Kloster Hirschau durch Schenkung Graf Erlafrieds, eines Ahnherrn der Calwer Grafen, an dieses Kloster. Im Jahre 1273, März 31., erscheint Albertus rector ecclesie in M. (Crus. Ann. 3, 129). Die wirkliche Incorporation der Kirche an genanntes Kloster wurde in Folge einer Bulle P. Pauls II. von 1465, im Jahre 1467 ins Werk gesetzt.

Noch im Jahre 1348 erkaufte Kloster Hirschau einen Hof für 50 Pfund Heller von Osterbronn von Rohr, die Gemeinde Maichingen stellte diesem Kloster den 16. Juli 1436 das Zeugniß aus, daß sein Widemhof und seine Güter von Alters her als Kirchengüter frei gewesen.