Berliner Plaudereien (Die Gartenlaube 1863/52)

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Titel: Berliner Plaudereien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 832
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[832] Berliner Plaudereien. Einer der geistreichsten, aber zugleich der jämmerlichsten und sittlich verworrensten Diplomaten und Staatsmänner war der bekannte Gentz, die rechte Hand Metternich’s und die Stütze der conservativen Partei, der Liebling und Schmarotzer der aristokratischen Kreise in Berlin und Wien. Er eröffnete die Reihe jener erbärmlichen Apostaten und Sophisten, welche ihre Ueberzeugung für ein Linsengericht verriethen und ihre Feder für Geld verkauften. Spiel und Frauen stürzten ihn fortwährend in Verlegenheit, so daß er zu jedem erlaubten und unerlaubten Mittel griff, um sich die nöthigen Summen für seine Verschwendungen und Bedürfnisse zu verschaffen. Sein bei Brockhaus erschienenes, von Varnhagen herausgegebenes Tagebuch liefert den hinlänglichen Beweis für seine trotz ihrer Naivetät nur Ekel erregende Demoralisation und innere Fäulniß. Ein Zeitgenosse erzählt uns von ihm noch folgende höchst charakteristische und bisher noch nicht bekannte Anekdote. Eines Tages, als Gentz sich wieder einmal in größter Geldverlegenheit befand, besuchte er eine vornehme Dame in Berlin, mit der er ein intimes Liebesverhältniß unterhielt. Im Laufe des Gesprächs zog er unter Scherzen, Lachen und zärtlichen Versicherungen ihr einen kostbaren Ring mit einem werthvollen Diamant vom Finger, um ihn, wie er sagte, als ein theures Pfand ihrer Liebe für immer zu bewahren. Umsonst bat ihn die Dame, ihr den Ring, der ein Geschenk ihres Mannes war, zurückzugeben, lachend entfernte sich Gentz mit seiner Beute. Am folgenden Morgen forderte die Dame, deren Gatte den Ring an ihrer Hand vermißt hatte, diesen dringend von Gentz zurück, da sie sonst die größten Unannehmlichkeiten befürchten mußte. Mit empörender Offenheit gestand ihr der leichtsinnige Verschwender, daß er den Ring für eine ansehnliche Summe versetzt habe. Natürlich blieb der Dame nichts andres übrig, um ihre Ehre zu retten, als das Pfand wieder einzulösen und zu diesem Behufe Gentz das nöthige Geld einzuhändigen.

In seinem späteren Alter litt Gentz an einer wahrhaft kindischen Todesfurcht, welche durch die Ermordung Kotzebue’s durch Sand auf das Höchste gesteigert wurde. Damals schrieb er an den katholisch gewordenen Adam Müller, seinem Freund und Gesinnungsgenossen: „Sie haben vollkommen Recht. Alles ist verloren, wenn nicht Religion – pas seulement comme foi, mais comme loi – wieder hergestellt wird. – Der Protestantismus ist die erste, wahre und einzige Quelle aller ungeheueren Uebel, unter welchen wir heute erliegen. – Die ganze französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus derselben Quelle geflossen. Der politische Protestantismus, ob er gleich durchaus nicht bauen, sondern nur zerstören kann, ist im lebendigsten Fortschritt begriffen. Das Blut gerinnt Einem in den Adern, wenn man in die Zukunft blickt und denkt, daß das höchste Ideal des Staates in den Augen aller unserer Aufgeklärten – die Republik der nordamerikanischen Heiden und Bailleul ihr politisches Evangelium ist. Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, soll mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der falschen Gelehrten, der Studenten und der Zeitungsschreiber befreit.“

Hauptsächlich durch Gentz und unter seiner Mitwirkung wurden die berüchtigten Carlsbader Beschlüsse gefaßt, unter deren Druck Deutschland jahrelang schmachtete, bis sie dem unaufhaltsamen Fortschritt der Zeit weichen mußten. Gentz erlebte noch die Julirevolution, die zum Theil sein Werk zerstörte; er starb verzweifelnd an der Welt, an Gott und mit dem Bewußtsein, daß die Freiheit über die von ihm vertheidigte Reaction siegen werde.

Aehnlich erging es dem bekannten Geheimrath Tzschoppe in Berlin, welcher zur Zeit der Demagogenverfolgung eine traurige Rolle spielte und durch seine inquisitorische Härte, durch seinen grausamen Eifer die allgemeine Verachtung auf sich lud, nachdem er hundert unglückliche Jünglinge zu Grunde gerichtet hatte. Anfänglich von der Regierung befördert und reich belohnt, sah er sich später, wo ein milderer Geist herrschte, vernachlässigt und zurückgesetzt, von allen Besseren vermieden. Er vermochte diesen Zustand nicht zu ertragen und verfiel darüber in eine geistige Krankheit. In seinem Wahnsinn glaubte er, der bis jetzt jeden freisinnigen Mann verfolgt hatte, selbst ein Gegenstand der Verfolgung zu sein, von Gensdarmen bewacht, von Häschern aufgespürt zu werden. Rastlos jagte er bei Tag und Nacht, wie von den Furien gepeitscht, umher, um sich vor seinen eingebildeten Verfolgern zu verbergen, bis der Tod unter schrecklichen Qualen seinem traurigen Leben ein Ende machte.

Auch die neueste Zeit hat besonders in Berlin eine Reihe von politischen Apostaten aufzuweisen, von denen im Laufe des letzten Jahres der auch in weiteren Kreisen bekannte Geheime Kanzleirath und Chef des Druckschriftenbureaus Jacoby in Carlsbad auf einer Badereise gestorben ist. Derselbe debutirte in den dreißiger Jahren mit den „Klagen eines Juden“, einer glücklichen Nachahmung der Paroles d’un Croyant von Abbé Lamennais; schrieb außerdem „Rhapsodien“, „Briefe aus Berlin“ und liberale Zeitungsartikel, welche ihn mit der Regierung in Conflict brachten und seine Verurtheilung zu einer kürzeren Festungsstrafe herbeiführten. Als er das Gefängniß verließ, schloß er mit der Regierung seinen Frieden und erhielt eine Anstellung in Berlin. Bald gewann er einen bedeutenden, geheimen Einfluß auf die leitenden Persönlichkeiten, die besonders unter dem Ministerium Manteuffel und dem Regimente Hinckeldey’s u. s. w. im Verborgenen eine allen Glauben übersteigende Thätigkeit entwickelten. Jacoby schrieb die Berichte und Auszüge aus den Zeitungen für den König und überwachte die gesammte Presse. Auch er fühlte besonders in den letzten Tagen das Drückende seiner Stellung, da er, zwar ohne Charakterfestigkeit, nicht Kenntnisse genug besaß, um die Verhältnisse und das Treiben einer sich selbst überstürzenden Reaction richtig zu beurtheilen. Lange Zeit besaß er das Vertrauen der Fahne und der höchsten Regierungskreise, und man wird nicht irren, wenn man ihn auch jenen „geheimen Agenten“ beizählt, welche in anscheinend subalterner Stellung, die Geschicke des preußischen Staates in ihrer Verborgenheit zum Theil bestimmen, ähnlich wie die Creaturen einer Lichtenau unter Friedrich Wilhelm II. und eines Haugwitz unter Friedeich Wilhelm III.