BLKÖ:Tiraboschi, Girolamo

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 45 (1882), ab Seite: 174. (Quelle)
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Tiraboschi, Girolamo (Literaturhistoriker, geb. in Bergamo am 8., n. A. am 18., auch 28. December 1731, gest. zu Modena 3. Juni 1794). Eine der Zierden der lombardischen Gelehrtenwelt während der Theresianisch-Josephinischen Periode. Sein Vater war Kaufmann, die Mutter gleichfalls eine geborene Tiraboschi. Eilf Jahre alt, trat der Sohn in das Collegium zu Monza, mit fünfzehn Jahren, am 15. October 1746, in den Orden der Gesellschaft Jesu ein. Sein Noviziat machte er zu Genua, dann beendete er rasch die philosophischen und theologischen Studien. Hierauf an den unteren Schulen im Lehramte verwendet, erhielt er 1755 die Lehrkanzel der Beredtsamkeit an der Brera. Durch mehrere Reden, welche er bei verschiedenen Gelegenheiten öffentlich hielt, und deren einige auch im Drucke erschienen, wie: „Oratio de historia patriae“ (1759); – „De incolumitate Mariae Theresiae Augusta“; – „De talorum studiis“; – „De literarum in republicam utilitate“; – „De veterum monumentorum utilitate“; – „De bibliothecarum utilitate“ erregte er die Aufmerksamkeit des Grafen Firmian, damaligen Gouverneurs der Lombardié, der, als Tiraboschi die Rede auf die Wiedergenesung der Kaiserin gehalten hatte, den Gelehrten in dessen Wohnung aufsuchte und ihm die goldene Medaille überreichte, womit ihn die Kaiserin ehren wollte. Während seiner lehramtlichen Thätigkeit gab er noch des Carlo Mandosio „Nuovo Vocabolario italiano e latino“ mit vielen Zusätzen und Berichtigungen heraus, im Uebrigen sammelte er bereits damals die Materialien zu seinem späteren Hauptwerke über die Geschichte der italienischen Literatur, das seinen Namen so berühmt gemacht hat. Seines Lehramtes enthoben, arbeitete er in der Bibliothek der Brera und verfaßte einen Katalog derselben, sowie einen zweiten: „Catalogus Bibliothecae Braydensis ordine materiarum ordinatus“, der sich in neun handschriftlichen Foliobänden gleichfalls in der Brera befindet. Im Druck aber gab er außer etlichen Gelegenheitsreden ein leider noch immer nicht nach Verdienst gewürdigtes Werk heraus: „Vetera Humiliatorum monumenta, annotationibus ac dissertationibus prodromis illustrata, quibus multa sacrae, civilis et literariae medii aevi historiae capita explicantur“ tomi 3 (Milano 1766, 1768, 4°.). welches eine wahre Fundgrube für die Geschichte der Kirche und Cultur Italiens in der Zeit vom zwölften bis sechzehnten Jahrhundert bildet. Als der Vorsteher der herzoglichen Bibliothek in Modena P. Giovanni Granelli starb, wurde Tiraboschi vom Landesfürsten Franz III. zum Nachfolger auf diesem Posten ernannt. Aber in seiner Bescheidenheit weigerte sich der Gelehrte, an einer Anstalt zu wirken, an welcher vor ihm Männer wie Bacchini, Muratori, Zaccaria geglänzt hatten, und erst auf Zureden seiner Ordensbrüder folgte er am 21. Juni 1770 dem an ihn [175] ergangenen Rufe. Durch 24 Jahre, bis zu seinem Tode, bekleidete er dieses Amt, von Franz III., sowie von dessen Nachfolger Herkules III. mit allen Zeichen der fürstlichen Huld begnadet, die ihm verliehen werden konnten, nämlich mit der Erhebung zum Rathe, zum Conte und Cavaliere. Zuletzt wurde er der persönlichen Dienstleistung an der Bibliothek entbunden und blieb bei erhöhtem Gehalte nomineller Vorsteher dieses Institutes und des Medaillencabinets. Schon im ersten Jahre seines Dienstes hatte er öffentlich die Absicht ausgesprochen, die Geschichte der Literatur seines Vaterlandes zu schreiben, und noch im folgenden Jahre erschien zu Modena der erste Band seiner „Storia della Letteratura italiana“, welche er innerhalb eilf Jahre mit vierzehn Bänden beendete. Es sind von diesem monumentalen Werke mit der Zeit in den verschiedenen Städten Italiens verschiedene Auflagen erschienen, jene aus der Tipografia dei Classici italiani zu Mailand 1822 bis 1826 in sechzehn Octavbänden hervorgegangene möchte Herausgeber dieses Lexikons für weitaus die beste halten. Als das Werk in die Oeffentlichkeit trat, war natürlich auch die Kritik gleich dahinterher, Abb. Tommaso, Serrano und Abb. Saverio Lampillas ließen sich mit ihrer Weisheit vernehmen. Dieser Stimmen der Kritik denkt heute kein Mensch mehr, das Werk selbst behauptet seinen Werth. Entschieden glaubte sich Tiraboschi nur gegen die Anschuldigungen des Padre Tommaso Maria Mamachi verwahren zu müssen, daß er in seiner Geschichte manchmal nicht religiös genug schreibe und daß er es an schuldiger Ehrfurcht gegen die Päpste fehlen lasse. Andere wieder warfen dem Autor das Gegentheil vor. Und nun machte Mamachi in seinem kirchlichen Uebereifer den Vorschlag, einen neuen Abdruck des Werkes mit nach seinem Sinne verbessertem Texte in Rom zu veranstalten. Dagegen aber erhob sich Tiraboschi voll Entrüstung und protestirte entschieden gegen die Insinuationen Mamachi’s, der aber doch nicht ganz aus dem Felde sich schlagen ließ und nun statt der geforderten Aenderungen im Texte nur Anmerkungen beibrachte, um dadurch den Nachtheil zu beseitigen, der den gläubigen Seelen aus der Lectüre dieses Werkes erwachsen könnte! Bedenklichere Einwürfe erhob dagegen Camillo Ugoni, wenn er auch den hohen Werth der Arbeit Tiraboschi’s anerkennt; er vermißte in derselben nur zu oft den philosophischen Geist und tadelt es, daß der Verfasser sich zu viel in kleinlichem biographischen Detail ergehe, statt die Werke der Autoren des Näheren zu charakterisiren. Aber trotz alledem erklärt er es für eine Arbeit, auf welche stolz zu sein die italienische Literatur ein Recht hat. Der große Umfang des Werkes bewog mehrere Autoren, Auszüge aus demselben zu machen, ein solcher erschien in französischer Sprache von Antonio Landi: „Histoire de la littérature d’Italie“ Vol. 5 (Paris 1784), auch italienisch (Venedig 1801); in italienischer von Abbate Lorenzo Zenoni: „Compendio della storia della Letteratura d’Italia del Gir. Tiraboschi und deutsch von Joseph von Retzer, von dessen Arbeit ich aber sonderbarer Weise in keinem Bücherverzeichnisse den Titel angegeben finde. Kaum hatte Tiraboschi sein Monumentalwerk über die Geschichte der italienischen Literatur beendet, als er an die Ausführung neuer Arbeiten schritt, welche alle den Stempel seiner Gründlichkeit und Gediegenheit, wie seines unermüdlichen [176] Forschersinns an sich tragen. Es sind folgende: „Biblioteca modenese o notizia della Vita e delle opere degli scrittori negli stati del... Duca di Modena“; – „La storia dell’Augusta Badia di S. Silvestro di Nonantola“; – „Notizie della confraternità di S. Pietro Martire“; – „Vita di Sant’ Olimpia...“ (Parma 1775, 4°.); – „Riflessioni sugli scrittori genealogici“ (Padova 1789); – „Elogio storico di Rambaldo dei Conti Azoni Avogaro“ (Bassano 1791, 8°.); – „Lettere con quelle di Saverio Bettinelli e con le risposte dell’abb. Lampillas intorno al Saggio storico-apologetico della letteratura Spagnuola del medesimo Lampillas“ (Roma 1780). Von seinen zahlreichen kleineren Arbeiten sind uns bekannt: „Vita di Fulvio Testi“; – „Dissertazioni sopra i monasteri benedittini sparsi negli stati della Casa d’Este„Sull’inscrizione sepolcrale di Manfredo Pio Vescovo di Vicenza“; – „Memorie sulle cognizioni che si avevano sulle sorgenti del Nilo prima del Viaggio di Bruce“; – „Dizionario topografico storico degli stati Estensi“. Außerdem hielt er öfter Vortrage in der Accademia de’ Dissonanti in Modena, arbeitete fleißig mit an einer 1773 bis 1790 in Modena erscheinenden, zu jener Zeit geschätzten Zeitschrift, besorgte die Zusätze und Correcturen der in Padua herausgegebenen Pariser „Enciclopedia metodica“, in welcher er besonders die historischen und geographischen Artikel bearbeitete; und wie Maffei in seiner „Storia della letteratura italiana“ berichtet, dachte Tiraboschi noch mehrere Werke zu schreiben, so eine Geschichte über den Ursprung der Fürstenthümer in Italien; über die Verpflichtung fremder Nationen gegen die Italiener ob ihres Antheils an allen Erfindungen, mit denen sie die Wissenschaft förderten – ein archäologisches Lexikon des Mittelalters u. s. w. Viele Jahre nach seinem Tode aber erschien sein „Dizionario degli stati Estensi“ tom. 2 (Modena 1824, 4°.). Zum Schlusse sei noch bemerkt, daß dem Elogium Tiraboschi’s von Abb. Lorenzo Pozzetti das reichhaltigste und wahrscheinlich auch vollständigste Verzeichniß der Schriften des großen Literarhistorikers beigegeben ist. Angelo Fabbrani in seinem classischen Werke: „Vitae Italorum eruditione insignium“, worin er auch Tiraboschi eine Stelle anweist, beginnt den demselben gewidmeten Abschnitt [Bd. XVI, S. 244) mit den Worten: De Hieronymo Tiraboschio Bergomate non facile quidem statues, utrum melior fuerit an doctior“.

Ugoni (Camillo). Geschichte der italienischen Literatur seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts (Zürich 1830, Orell, Füßli und Comp., kl. 8°.) Theil III, S. 386. – Tipaldo (Emilio de). Biografia degli Italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del secolo XVIII e de’ Contemporanei (Venezia 1835, gr. 8°.) tomo II, p. 347 und 504: „Biografia“ compilata da P. A. Paravia. – Pozzetti (Lorenzo). Elogium lapidarium in Tiraboschium (1794). – Maffei (Giuseppe). Storia della letteratura italiana dall’origine della lingua sino a’ nostri giorni (Milano 1834, 8°.) tomo III, p. 236 et s.Beltramelli (Giuseppe). Elogio storico del Cavaliere Tiraboschi (Bergamo 1812, 4°.; ibid. 1819, 8°.). – Ciocchi (Carlo). Due lettere riguardanti alcune più importanti notizie della vita e delle opere di G. Tiraboschi (Modena 1794, 8°.). – Lombardi (Ant. Girol.). Elogio storico di G. Tiraboschi (Modena 1796, 8°.); auch französisch von A. M. H. Boulard (Paris an X [1802], 8°.).