BLKÖ:Sylva-Taroucca, Emanuel Tellez Graf

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sykora, Lucas
Band: 41 (1880), ab Seite: 89. (Quelle)
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Sylva-Taroucca, Emanuel Tellez Graf (Ritter des goldenen Vließes und Staatsmann, geb. zu Lissabon 17. September 1696, gest. in Wien 8. März 1771). Er entstammt einem der ältesten Geschlechter Portugals. Sein Vater General Johann Gomez da Sylva war Botschafter in Wien, seine Mutter Johanna Roza Menezes eine geborene Gräfin Taroucca, welchen Namen später die Sylva mit dem ihrigen verbanden. Nach einer sorgfältigen Erziehung, welche weniger wissenschaftlich, [90] als auf die Zwecke des praktischen Lebens in den hohen gesellschaftlichen Kreisen, in denen er sich bewegte, gerichtet war, trat er im Alter von 19 Jahren in das unter Prinz Eugens Befehl stehende deutsche Reichsheer. Am 4. November 1715 verließ er die Heimat, um nie wieder in dieselbe zurückzukehren. Bald kämpfte er an der unteren Donau gegen die Türkenschaaren als Freiwilliger in den für Oesterreich siegreichen Schlachten von Peterwardein (5. August 1716) und Belgrad (16. August 1717). Er mochte wohl ein Liebling des großen Eugen gewesen sein, denn an dem letzten Abend, welchen der Prinz überleben sollte, war es Emanuel, der den kranken Helden nach Hause geleitete, wo sich dieser dann zu Bette legte, um nie wieder zu erwachen. Aus dem Heere des Kaisers trat er nach einigen Jahren in den Civilstaatsdienst über und that sich theils in Brüssel, theils am Hofe Karls VI., namentlich bei der Leitung der niederländischen Angelegenheiten wesentlich hervor. Dafür wurden ihm denn auch wiederholt kaiserliche Auszeichnungen zutheil: so verlieh ihm Kaiser Karl VI. am 12. Jänner 1735 den Herzogstitel für die Niederlande, am 3. September 1737 die Würde eines geheimen Rathes und am 21. Jänner 1740, auf Empfehlung der Statthalterin der Niederlande Maria Elisabeth jene eines „Conseiller d’Epée du Conseil d’État“ mit einem jährlichen Gehalte von 7000 Livres. Nach dem Tode Kaiser Karls VI. wurde Sylva am 8. December 1740 Präsident des obersten niederländischen Rathes, in welcher Stellung er bis zur Aufhebung desselben, volle 16 Jahre, verblieb. In dieser Zeit bekleidete er zugleich von 1744 bis 1749 die Stelle eines Hofbaudirectors, von 1750 bis 1757 jene des Präsidenten des obersten italienischen Rathes. Am 2. April letztgenannten Jahres trat der 61jährige Graf in den Ruhestand. Bereits am 6. Jänner 1744 war ihm vom Kaiser der Orden des goldenen Vließes verliehen worden. Aber alle diese ehrenvollen Umstände sind es nicht, die uns den fremdländischen Edelmann näher rücken, sondern das wirklich erhebende Freundschaftsverhältniß zwischen ihm und der Kaiserin Maria Theresia, welches wohl einzig in seiner Art dasteht. Lange wußte man nichts von demselben, und nur der alte prächtige Gräffer, welchem wohl kaum eine einigermaßen bedeutende Figur aus den Tagen der großen Kaiserin und ihres unvergeßlichen Sohnes entging, führte uns den edlen Grafen in verschiedenen Scenen und immer in einer Weise vor, die unsere gute Meinung für den interessanten Cavalier und liebenswürdigen Menschen von vorn herein gefangen nahm. Erst dem gründlichen und rastlosen Forscher in vaterländischen Geschichten, Dr. Th. von Karajan sollte es gelingen, einen geschichtlichen Schatz seltenster Art zu heben und uns einen tiefen Blick thun zu lassen in ein großes Fürsten- und Frauenherz. Wir können im Folgenden nur in allgemeinstem Umrisse ein Bild des Verhältnisses geben, das zwischen Sylva-Taroucca und der Kaiserin bestand, und verweisen Alle, welche diese herrliche Episode im Leben der großen Regentin mit allem Detail kennen zu lernen wünschen, auf die S. 98 verzeichneten Quellen. Dies aber sind der Kaiserin und ihres Vertrauten eigenhändige Briefe, welche noch heute im Schloßarchiv zu Czech, dem Eigenthum der [91] Grafen Sylva-Taroucca, aufbewahrt werden. Der Briefwechsel ist in französischer Sprache geführt, denn obwohl Graf Sylva-Taroucca zwei Drittheile seines Lebens auf deutscher Erde zugebracht, verstand er – doch nicht deutsch. Von dem Französisch, in welchem diese Briefe geschrieben, sagt Karajan, daß es nicht selten keines mehr sei. Der Regierung Karls VI., welche 30 Jahre währte, war Taroucca innerlich nichts weniger als zugethan; er nennt dieselbe „eine Regierung der Langsamkeit, Unentschlossenheit und gegenseitiger Beschuldigungen“ und meint: „es sei gut, daß die Nachfolger eingesehen hätten, daß man alten Wein mit jüngerem auffrischen müsse“. Bei dem Regierungsantritt Maria Theresia’s lebte der Graf neu auf. Da begann seine Wirksamkeit. Auf dem von der Kunst wiederholt verherrlichten, bezüglich seiner überlieferten Einzelheiten vor der Kritik der Geschichte nicht bestehenden Preßburger Landtage von 1741 suchte die junge Kaiserin in ihrer durch die Begeisterung der Treue zeitweise wohl gehobenen, durch die Gefahren des Krieges aber stets wieder gedrückten Stimmung, an der eigenen Kraft zweifelnd, angstvoll nach der treuen Hand, die sie aufrecht erhielte in den von allen Seiten sie umlagernden Bedrängnissen, damit sie nicht strauchle und hinsinke auf ihrer dornenvollen Bahn. Ihr Blick fiel auf Sylva, den sie längst als einen ihrer zuverlässigsten und eifrigsten Diener erkannt hatte. Weil sie das Gewicht ihrer schweren Aufgabe kannte, weil sie sich selbst nicht überschätzte, trug sie kein Bedenken, trotz ihrer erhabenen Stellung ihr Thun und Lassen dem Scharfblicke dieses treuen Beobachters zu unterstellen, auf seine Mahnungen zu achten und sich dadurch gleichsam ein zweites ungetrübtes Gewissen neben sich zu schaffen. Sie verlangte von ihm, daß er täglich bei ihr erscheine, nicht blos um über Dienstsachen mit ihr zu sprechen, sondern auch über Angelegenheiten ihrer Familie, gleich als wäre es seine eigene. So großes Gewicht legte sie auf sein Urtheil und seinen richtigen Blick. Auf dem erwähnten Landtage ertheilte sie ihm den ausdrücklichen Befehl, „ihr von da an ohne Unterlaß zu sagen, wo sie fehle, die Mängel ihres Charakters zu erforschen und ihr offen mitzutheilen“. Welch eine Aufgabe für den gleichwohl hochgestellten Staatsmann gegenüber seinem allerhöchsten Gebieter, hier gegenüber einer Kaiserin! Noch zehn Jahre später nennt Taroucca die ihm gewordene Pflicht eine „gehässige“, und bald, nachdem sie ihm auferlegt worden, noch in den Vierziger-Jahren, schreibt er der Kaiserin eingangs einer längeren Vorstellung mit der Ueberschrift: „Betrachtungen über mein Benehmen“ unter Anderem Folgendes: „Von dem Augenblicke an, als Eure Majestät mich mit dem heiklichsten und bedenklichsten Geschäfte beehrten, das einem armen Unterthan werden kann, sah ich sowohl den Verfall des Vertrauens voraus, das ich genoß, als den meines blühenden Glückes und sprach davon, denn Eure Majestät hatten als Königin mir den Befehl ertheilt, ihr ihre Fehler zu sagen, gleich einer einfachen Privatperson. Um nun mit Ehren- und Gewissenhaftigkeit diesem Befehle nachzukommen, hieß es, den Charakter Eurer Majestät studiren, und um dies zu können, Eurer Majestät sich oft nähern. Wie aber war dies möglich, ohne den Neid, die Eifersucht [92] Ihrer Minister und Höflinge und selbst meine eigene Ehrsucht wachzurufen? Ich stelle es Eurer Majestät anheim, zu entscheiden, ob ich mich hiebei auf der rechten Bahn erhalten habe oder auf Abwege mich verleiten ließ? Es gab Zeiten, in denen Eure Majestät mit einer Geduld, welche man eher in der Zelle eines Klosters als auf dem Throne erwartet, Vorstellungen hinnahmen, die Verweisen nicht unähnlich sahen. Dann kamen wieder andere Zeiten, in denen jener heldenmüthigen Ausdauer Verdrießlichkeit folgte, so daß es mir nicht gelang, den Blick Eurer Majestät ausschließlich auf das gefesselt zu halten, was mir als Pflicht auferlegt war. Hab’ ich darüber, meine Königin, mich beklagt, mein Benehmen, meine Offenheit verändert? Zwei mächtige Beweggründe hielten mich aufrecht, mein Ehrgeiz und meine Liebe als Unterthan, die nicht so gewöhnlicher Art, als man sich einbildet. Der erstere hat mich in hohem Grade gereizt, denn alle Reichthümer, die höchsten Stellungen sind nichts gegen solches Vertrauen. Die letztere aber ist meinem Charakter in so vollem Maße eigen, daß er fast nur aus Liebe und Ehrgeiz zusammengesetzt scheint. Arm von Hause aus, sowohl als jüngstes Kind der Familie, als durch Wahl und Lässigkeit; meiner Denkungsart nach Philosoph genug, um nicht das Glück im Gelde zu suchen oder im äußeren Prunke; meiner Gesinnung nach etwas hochmüthig; älter scheinend durch meine körperlichen Gebrechen, als ich in Wirklichkeit bin, auf keine lange Lebensdauer zählend, hatte ich hier Gelegenheit gefunden, meinen Grundsätzen und Gefühlen entsprechend wirken zu können, und zwar in höherem Grade, als ich es je gehofft. In einer Art Leidenschaft befangen für Reitpartien und Carroussels, haben Eure Majestät es nicht geduldet, als ich mit moralischen Gegenvorstellungen mich gleichsam quer über den Weg stellen wollte. „„Sprechen Sie nur fort““, so sagten Sie, „„wenn ich auch nicht gleich folge, Ihre Worte kommen mir doch später zu Sinn!.““ – So war ich auf die schönste Weise ermuthigt und ging sofort an die Umgestaltung oder Einschränkung der Bälle. Gleichzeitig rief ich, kühn gemacht, die Unterredungen über die Ehe ins Leben, welche bei der Kaiserin-Mutter gehalten werden sollten. Diese Beispiele, welche wahrhaftiger sind als die Thränen Bartenstein’s, führe ich nur an, um zu meiner ersten Betrachtung zurückzukehren. Stehe ich noch im alten Vertrauen, oder habe ich zu sehr gelangweilt, zu weit abgeschweift? Ich frage ausschließlich Eure Majestät selbst. Kann ich mich behaupten, wenn ich weniger spreche als Zeilern und Montesanto? Kann ich häufiger Gehör finden, ohne Sie zu langweilen? Werde ich nur wissen, was ich zu sagen habe, wenn ich Sie gelangweilt glaube? Was beginne ich in diesem traurigen Falle ? ... Ich kann mich noch mehr absperren, als ich es bereits gethan habe. Meiner Natur nach aber bin ich ein geselliges Wesen und liebe es, mich mitzutheilen. Um nicht als ein Mann der Kabale zu erscheinen, thäte mir es wirklich noth, einer zu werden. Ich gestehe es aber Eurer Majestät, daß ich als solcher erscheinen muß, denn ich hege noch gegenwärtig dieselben Empfindungen und Ideen über die Befähigung Bartenstein’s zur Lenkung der Monarchie, die ich beim Beginne der Regierung Eurer Majestät hatte, also zu einer Zeit, in der Sie ganz anderer Ansicht waren als zur Stunde. Ich finde ihn jetzt nicht besser, [93] als ich ihn während des Verfalls der früheren Regierung kennen zu lernen Gelegenheit hatte, und es kann mir nicht einfallen, so feige zu sein, die Fehler eines Ministers dem Monarchen in die Schuhe zu schieben, so wenig als einem Unterbeamten den Ruhm und die Standhaftigkeit meiner Königin“. Dies ist denn doch ein Freimuth, der uns Achtung für den Schreiber dieser Zeilen einflößt und Bewunderung für die Fürstin, die es liebt, die Wahrheit ungeschminkt sich sagen zu lassen. – Trotz der Störungen, welche Neid und Ehrsucht immer wieder hervorriefen, blieb das Verhältniß Maria Theresia’s zu Taroucca im Wesentlichen unverändert. Die Kaiserin nennt sich nach wie vor „Schülerin“ ihres treuen Dieners, während sich dieser ohne Bedenken als ihren „Erzieher“ bezeichnet. Dieses Verhältniß mußte folgerichtig mit den Jahren zur innigsten Freundschaft führen. Eine Reihe von gegenseitigen Aeußerungen lehrt uns auch, bis zu welchem Grade dieses edle Verhältniß das Leben seiner beiden Träger verklärte und kräftigte. Als einmal am Namenstage des Grafen die Kaiserin etwas spät daran dachte, ihm Glück zu wünschen, was sie an seinem Namens- und Geburtsfeste nie unterließ, schrieb sie ihm: „Seht doch, wie ich herabkomme! Erst jetzt um ein Uhr erinnere ich mich, daß heute der Tag des h. Emanuel ist und zugleich der meines ältesten und besten Freundes“. Ein andermal, an seinem Geburtstage, schreibt die Monarchin scherzend: „Ich habe nicht vergessen, daß Ihr kleines Schätzchen Therese angekommen ist, um Ihren Geburtstag mitzufeiern. Die dicke Therese schließt sich an, um aus ganzer Seele Sie mitzubegrüßen!“ Als Taroucca auf sein wiederholtes Ansuchen endlich im Jahre 1757 die Versetzung in den Ruhestand erlangt hatte, da schrieb ihm die Kaiserin: „Ich wage es, Ihnen zu gestehen, daß ich mich ganz verlassen und niedergeschlagen fühle, wie ein Kind, das seine Amme verloren hat. Meine Freundschaft für Sie war vor fünfzehn Jahren nicht inniger, als sie es jetzt ist“. Wenn Maria Theresia in späteren Jahren von Leid bedrängt wurde, suchte sie auch darin Trost, ihrem Freunde schriftlich wenigstens den Kummer mitzutheilen, der ihr Herz beschwerte. So schreibt sie zu Neujahr 1766, erdrückt von der Last der Geschäfte und den Anstrengungen, die sie erheischten: „Ich kenne mich nicht mehr, denn ich lebe wie die Thiere, ohne Begeisterung, ohne Vernunft. Ich vergesse Alles. Um fünf Uhr stehe ich auf, lege mich spät zu Bett und thue doch den ganzen Tag nichts. Ich denke nicht einmal mehr. Meine Lage ist fürchterlich. Nur dann lebe ich wieder auf. wenn ich Jemand von meinen alten Freunden erblicke. Ich wünsche Ihnen ein glücklicheres Loos, als mir mein ganzes Leben hindurch beschieden war!“ Und in ähnlicher Weise schreibt sie am 19. November 1763, Morgens nach sieben Uhr, als ihre Kinder krank lagen, Maria Antoinette durch eine volle Stunde bewußtlos in Fraisen: „Mein theurer Taroucca! Ich bin in einem Zustande, daß ich für nichts mehr Empfindung habe, als an meine Freunde zu denken und darin Trost zu finden, daß ich ihnen mein Leid klage. Ich weiß nicht mehr was ich thue, noch was ich spreche!“ In einer gleich trostlosen Stimmung wendete sich die Kaiserin wieder am 4. November 1765 an ihren Freund: „Sie sind glücklich, wenn Sie Ihre Jahre bedenken, Ihre Familie, Ihren Geist. Ihr [94] Kopf hat Ihnen überall genügt. Daß Einem nichts mißglücke, ist nicht möglich, aber im Wesentlichen waren Sie doch glücklich. Welcher Unterschied im Vergleiche mit mir! In allem Wesentlichen fühle ich mich unglücklich und zumeist durch meine Schuld. Ich bin so angegriffen, daß ich noch das bischen Verstand verliere, das mir geblieben ist, und daß ich schon deshalb mich nothwendig verbergen müßte, wenn nicht ohnedies die entschiedene Neigung zum Rückzuge vorhanden wäre“. – Im Jahre 1769 schreibt sie dem Grafen am Geburtstage ihres Sohnes in einer Stimmung, die in dem nicht glücklichen Verhältnisse zu ihrem Mitregenten wurzelte: „Wer hätte das vor 28 Jahren gedacht, daß wir beide so lange leben und diesen Tag so hinbringen würden, wie wir es thun! Es ist demüthigend, traurig und unbegreiflich, wenn uns das bis ans Ende geleiten soll. Zum Glück ist Alles zu tragen. Mein Loos, mein Leben ist zu sonderbar, zu niederschlagend. Ich erwarte mein Ende mit mehr Ungeduld als Furcht!“ – Wer das Verhältniß Taroucca’s zu Maria Theresia nur nach den bisher ins Auge gefaßten Beziehungen Beider erwägen möchte, in dem konnte leicht die Ansicht Raum gewinnen, als ob der Graf überwiegend nur der Person der Kaiserin nahe gestanden habe, nicht auch ihrer Würde, ihrem Berufe. Dem war aber durchaus nicht so, da Taroucca, der bald einen Stundenplan für die Geschäfte der Kaiserin vorlegt, bald Rathschläge ertheilt in Bezug auf die Hoffeste und überhaupt das Hofleben des nächsten Winters, oder hinsichtlich des Umganges und der Geschäftseintheilung Josephs II. und dergleichen mehr, ebenso bei der Beantwortung der wichtigsten Fragen der inneren wie der äußeren Politik zu Rathe gezogen wurde. Als Maria Theresia bereits ein Decennium ihrem schweren Berufe geopfert hatte, die Begeisterung, welche ihre ersten Regierungsjahre hervorgerufen, einer behäbigen Ruhe gewichen war, in welcher Handel und Gewerbe schwunghaft sich hoben, der Wohlstand und mit ihm seine steten Begleiter Wähligkeit und Tadelsucht zu blühen begannen, die Kaiserin auch nicht mehr wie beim Beginne ihrer Regierung nach allen Richtungen hin mit gleichem Vertrauen ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit walten ließ, sondern durch manche Erfahrung kühler geworden, auch wähliger sich zeigte, da schien es ihr mit einem Male, als ob die Liebe ihrer Unterthanen zu ihr erkaltet sei, und sie forderte besorgt ihren treuen Rathgeber auf, ihr unverhohlen zu sagen, ob sie sich täusche, und wenn nicht, ihr die Gründe dieser Erkaltung darzulegen. Wie in allen seinen Vorstellungen an die Kaiserin, entwickelte Taroucca auch in der verlangten ohne Rückhalt, mit edler Offenheit seine Ansicht, und er trug kein Bedenken, die Monarchin wenigstens von einem Theile der Schuld nicht ganz freizusprechen. – Dem langen Vortrage liegt vornehmlich der Gedanke zu Grunde, daß zum Theile die ungünstigen Verhältnisse, unter denen die Regierung der Kaiserin begonnen hatte, zum Theile Unlust und Verstimmung derselben an der wahrgenommenen Veränderung Schuld tragen. Die Antwort des Grafen auf den Brief der Kaiserin wirft ein klares Licht ebenso auf seine Gesinnung, wie auf die seltene Art des Verhältnisses zu seiner Monarchin. „Eure Majestät“, schreibt Taroucca, „begannen ruhm- und qualvoll zugleich eine Regierung, der selbst viele Ihrer Unterthanen[WS 1] nur [95] eine kurze Dauer verhießen. Dies rief bei Manchen Anstrengungen des Edelmuthes hervor, bei Anderen eine Zurückhaltung, die bis über die Grenzen der Lauheit hinausging. Lassen Sie uns betrachten, wie es im Augenblicke mit den Einen und den Anderen bestellt ist. Ich für meinen Theil bin überzeugt, daß sich Niemand oder nur verschwindend Wenige einen anderen Herrscher wünschten. Aber die Einen gleichen, um ein Gleichniß aus dem Spanischen anzuwenden, den Hunden, welche das Haus verlassen, um dem alten Herrn zu folgen; die Anderen den Katzen, die ruhig dem Hause treu bleiben, während ein neuer Herr es bezieht. Wenn aber nun einer in seinem innersten Gewissen fühlte, daß er Eurer Majestät überallhin gefolgt wäre, gleich dem Hunde, und jetzt bei Seite geschoben wird, während Gunst und Vertrauen manche von denen auszeichnen, welche die Anhänglichkeit der Katzen erkennen ließen, wäre es da nicht zum mindesten verzeihlich, wenn sich jener im Innersten seines Herzens gekränkt erachtete? Sein Herz allein wird es wissen und kälter werden als das seines Herrn“. Und an einer anderen Stelle bemerkt Taroucca: „Es ist nöthig, auch einen Blick auf die Bedrängnisse der Zeit zu werfen, welche Eure Majestät nöthigten, den Beamten weniger Gehalt, Gnadengaben und Vergütungen anzuweisen, als Eurer Majestät Vater und erlauchte Vorfahren gewährten. Zugleich waren Sie gezwungen, die Auflagen zu verdoppeln und große Umgestaltungen, zum mindesten die Abschaffung vieler Mißbräuche anzuordnen. Wie gerecht an sich diese Befehle auch sein mochten, so übten sie dennoch für einige Zeit eine nicht angenehme, wenn auch natürliche Wirkung auf jene aus, welche unter ihnen zu leiden hatten. „Ein Kaufmann, der verliert, kann nicht lachen“, sagt das Sprichwort. Außerdem muß noch eine Erwägung dieser unglücklichen Nothwendigkeit zur Seite treten, nämlich die, daß das Volk überhaupt seiner Natur nach zu Klagen und Verdacht geneigt ist, zudem, wie schon Tacitus sagt, Verunglimpfungen so gut wie Wohlthaten vergessend. Es hält sich an die Gegenwart und empfindet jede neue Belastung“ u. s. w. Die Ursachen erwägend, welche, abgesehen von den äußeren Verhältnissen, ihren Grund, nach der Ansicht des Grafen, in der Stimmung der Monarchin hatten, bemerkt er freimüthig: „Ich bin allerdings auf einige Klagen und Kränkungen gestoßen über Mangel an Vertrauen, nur zu ausgesprochen gegen solche, welche eine gewisse Zeit gedient hatten. Möglich, daß Eure Majestät zu sehr verdrossen werden, wenn Sie Fehler, Laster oder Schwächen an solchen erkennen, während kein Theil, kein Diener, kein Sterblicher überhaupt davon ganz frei ist“. Und an einer anderen Stelle äußert er sich noch entschiedener: „Es will mir scheinen, als ob der Geist der Ermüdung auf der einen Seite die Oberhand gewinne, während auf der anderen Wohlgefallen am Neuen und am Wechsel herrscht. Ich kann mich irren, ja ich muß es wünschen, daß dies der Fall ist, befürchte aber, daß diese beiden Gründe es hauptsächlich sind, welchen das Erkalten der Liebe und des Vertrauens der guten Unterthanen und Diener zuzuschreiben ist, das Eure Majestät wahrgenommen zu haben glauben. Die Liebe also und das gestörte Vertrauen fordern eine nothwendige Umkehr; die Religion selbst weist uns darauf hin; es wäre daher für diesmal unnütz, ja ein Frevel von meiner Seite, andere Gründe dafür aufzusuchen. Den Beweis [96] für die Nothwendigkeit dieser Umkehr haben Eure Majestät in der nächsten Nähe um sich. Weiland Ihre erlauchte Mutter hatte ein großes und edles Herz, einen lebhaften Geist, der weit um und vor sich blickte, dabei das liebenswürdigste Benehmen. Sie schenkte leicht ihr Zutrauen, entzog es aber, wie es scheint, ebenso leicht wieder. Die berühmte Gräfin Fuchs [Bd. IV, S. 391] mag hiefür als lebendes Beispiel dienen. Die Kaiserin-Mutter ward ihrer überdrüssig, und ich glaube, daß mehr eine Vorliebe für den Wechsel und für Neues sie hinriß, als die Ungefügigkeit, welche weiland Ihre Majestät in der treuen Gesinnung dieser trefflichen Dienerin mochte gefunden haben. Haben Eure Majestät nichts dem Aehnliches erfahren? Eure Majestät wissen besser als ich, ob Ihre erlauchte Mutter trotz ihrer Freigebigkeit und ihres einschmeichelnden Wesens sehr beliebt war. Man traute ihr nicht mehr, denn Niemand erwartete, daß ihr einmal entzogenes Vertrauen je wiederkehren werde.“ Wir sehen aus dieser Stelle, wie der Graf schon früher dem kaiserlichen Hofe nahe gestanden, wie er in die intimsten Familienverhältnisse eingeweiht war, und wie sein Freimuth ihn nicht im Geringsten hinderte, seine Ansicht über die Mutter Maria Theresia’s offen auszusprechen. Nach längerer Ausführung endlich bemerkt der Graf: „Ich habe die Ursachen erforscht, wenn ich auch noch weit davon entfernt bin, die Heilmittel dafür angeben zu können. Ich glaube aber, daß Liebe und Zuneigung gegenseitig sein müssen, was auch vom Vertrauen gilt. Jetzt liegt es nur mehr an Eurer Majestät selbst, sich zu erforschen und darüber sich klar zu werden, ob Sie nicht Ihr Vertrauen zu leicht verschenkt und ebenso wieder entzogen haben, ob Sie darin einen Grund der erkalteten Liebe finden können, und ob Eure Majestät dann, ohne in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen, nämlich in eigensinniges Beharren in dieser oder jener Richtung, für die Zukunft auf Abhilfe und rechtes Maß Bedacht nehmen wollen“. Wie erhebend, wie überwältigend klingen diese Worte aus dem Munde eines Mannes, den seine Zeitgenossen doch wohl kaum als etwas Anderes denn einen Höfling betrachtet haben mochten! Er trug aber auch kein Bedenken, in Angelegenheiten der äußeren Politik unverhohlen seine Meinung zu sagen, selbst wenn sie mit der gerade herrschenden Ansicht der Minister nicht im Einklange stand. Auch dafür findet sich im erwähnten Briefwechsel ein anziehendes Beispiel. Als nämlich mit der Heimkehr des Fürsten Kaunitz, nach der Schöpfung der Staatskanzlei, die entschiedene Hinneigung zu Frankreich in der Politik Oesterreichs immer mehr zutage trat, da schrieb der Graf ohne Bedenken an seine Monarchin: „Wie es auch immer sei, der Oesterreicher verabscheut die französische Knechtschaft, wie alles, was mittelbar oder unmittelbar den Glanz Maria Theresia’s verdunkelt. Ich habe nichts als meine Empfindungen dem herrschenden Geschmacke, der jetzt nach Frankreich weist, entgegenzusetzen, wie den beredten Abhandlungen, welche die am besten oder allein Unterrichteten zum Erstaunen werden vorzubringen wissen. Der Ausgang mag Eure Majestät eines Tages belehren, wer im Irrthume war...“. Und der Ausgang hat uns entsetzlich genug belehrt. So war das Verhältniß Taroucca’s zu Maria Theresia. Innige Ergebenheit auf beiden Seiten, unbegrenztes gegenseitiges Vertrauen, treues Ausharren in [97] guten und bösen Tagen, volle Hingebung an die Pflicht des Berufes. Fürst und Unterthan geben hier ein Beispiel, wie deren die Geschichte wenig genug aufzuweisen vermag. So war die Stunde herangekommen, in der es an ein Scheiden ging. Taroucca hatte sein 75. Jahr, Theresia ihr 54. erreicht. An einem Sonntage gegen Ende Februar 1771, nachdem der Graf schon lange gesiecht hatte, waren plötzlich sehr bedenkliche Zeichen des nahenden Todes bei ihm eingetreten. Die Auflösung schien nicht mehr ferne, als die Kaiserin dem Scheidenden noch ein Zeichen ihrer unbegrenzten Achtung, wie ihres Dankes geben wollte. Sie schrieb daher eigenhändig folgende Zeilen an ihn nieder, die weiter keines Commentars bedürfen: „Ich war diesen Morgen seit vier Uhr mit Ihnen beschäftigt. Ich war sicher, etwas von Ihnen zu vernehmen, ja ich dachte mir, daß Ihr Sohn kommen müsse, obwohl ich ihn nicht empfangen konnte, da meine Thür für alle Welt verschlossen war. Er hat mir auch wahren Trost verschafft, indem er mich wissen ließ, daß die Schrecken des Sonntags sich nicht erneut haben. In Bezug auf mich selbst bin ich hiedurch höchst erfreut, doch weiß ich nicht, ob ich Gleiches von Ihnen denken darf, der Sie vorbereitet und entschlossen sind, als Philosoph, Christ und Büßer. Welche glückliche Fernsicht öffnet sich Ihnen! Die ewige Barmherzigkeit Gottes wird Ihre Geduld krönen! Große Opfer haben Sie zu bringen, eine Gattin, Kinder und Freunde, die Ihrer Liebe werth waren. Doch all dies ist nichts im Vergleiche mit dem, was uns erwartet, und selbst das Glück, das wir hier genossen haben, kommt ja aus der gnadenreichen Hand unseres göttlichen Schöpfers, und je mehr er uns davon zutheil werden ließ, um so williger sollen wir es ihm zum Opfer bringen. Ich führe dies nur an, weil es die Lehren sind, die Sie bei den verschiedensten Anlässen mir zuriefen, bei denen ich mich stets wohl befunden habe, und nicht weil ich dies zu Ihrem Trost für nöthig halte, sondern um mich zu stärken in einem Augenblicke, in dem ich es so sehr bedarf. Verliere ich doch einen meiner ältesten und achtbarsten Freunde. Ich habe keinen solchen mehr und fühle die ganze Bitterkeit des Schmerzes. Für immer Ihre wohlgewogene und treue Freundin Theresia“. Bald nach Empfang dieses Briefes, am 8. März 1771 verschied der Graf. Im Vorstehenden wurde derselbe in seinen höchst interessanten Beziehungen zur Kaiserin Maria Theresia dargestellt. Gewiß sind dies Eröffnungen, durch welche uns Fürstin und Unterthan menschlich näher rücken; während sie die Erstere uns nur noch verehrungswürdiger machen, zeigen sie uns den Letzteren in der Bedeutung eines praktischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts. Aber auch in seinem öffentlichen Auftreten erscheint Sylva immer und überall als der vollendete Gentleman, und obwohl Gräffer in seiner Weise denselben nur in fingirten Scenen uns vorführt, so erzeugt er damit doch den Eindruck, den die Liebenswürdigkeit Sylva’s unter den Zeitgenossen, mit denen dieser verkehrte, erzielt haben mag. Graf Emanuel war auch der erste Sylva-Taroucca, der seinen bleibenden Wohnsitz in Oesterreich nahm. Er kaufte in der Folge von dem Prinzen von Oranien die Baronie Tournhout im Brabantischen, welche 1753 für ihn zum Herzogthume erhoben wurde, und seit dieser Zeit führen die [98] Sylva-Taroucca, obgleich sie Tournhout längst nicht mehr besitzen, den herzoglichen Titel. Graf Emanuel verkaufte diese ansehnliche Besitzung, wofür er die Herrschaft Czech in Mähren an sich brachte, welche er dann zu einem Fideicommiß umgestaltete. Ueber die Familie im Allgemeinen siehe unten die genealogische Darstellung und die Stammtafel.

Karajan (Th. G. von, Dr.), Maria Theresia und Graf Sylva-Taroucca. Ein Vortrag, gehalten in der feierlichen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am 30. Mai 1859 (Wien 1859, Staatsdruckerei, 8°.) [der diesem Vortrage beigegebene Anhang enthält den aus 44 Briefen begehenden Briefwechsel der Kaiserin Maria Theresia und des Grafen Emanuel von Sylva-Taroucca, welcher im Familien-Archiv zu Czech aufbewahrt wird]. – Gräffer (Franz), Kleine Wiener Memoiren u. s. w. (Wien 1845, Fr. Beck, 8°.) Theil I, S. 161: „Duell einer Dame“; Theil II, S. 256; „An der Tafel des großen Eugen“. – Derselbe, Wiener Dosenstücke u. s. w. (Wien 1852, J. F. Groß, 8°.). – „Der Fehdehandschuh“ (Scenerien).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Unterhanen.