Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Schirmann, Cölestin
Band: 30 (1875), ab Seite: 33. (Quelle)
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Schirmer, Adolph (Schriftsteller, geb. zu Hamburg 7. Mai 1821). Der Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes, ward er für den Handelsstand bestimmt. Dieser Beruf aber war dem lebhaften Knaben, der verschiedene Anlagen, jedoch durchaus keine Lust hatte, sich zeitlebens mit kaufmännischen Berechnungen und Speculationen zu beschäftigen, geradezu verhaßt. In frühen Jahren bereits entwickelten sich seine Talente für Malerei, Poesie und Musik, [34] wozu sich als das am meisten praktische jenes für Sprachen gesellte. Man ließ ihn treiben, was er eben wollte, wenn er nur nicht versäumte, pünctlich den Pflichten des Kaufmanns nachzukommen. Als dieß nicht geschah, wurden alle nicht kaufmännischen Sachen mit strengem Interdict belegt, aber es half wenig, denn was S. nicht offen betreiben konnte, betrieb er um so eifriger heimlich; er las und dichtete Nachts und brachte dadurch sich und die Seinen einmal sogar in Feuersgefahr. Das gab den Ausschlag, und nachdem man die Ueberzeugung gewonnen, daß er nun einmal zum Geschäftsmanne nicht tauge, ward ihm gestattet, zu studiren. Bis zu seinem 17. Jahre war er im Comptoir gesessen, nun erhielt er die nöthige Vorbereitung für die Universität und wanderte nach Berlin, Göttingen und Leipzig. Da er sich für ein Fachstudium entscheiden sollte, wählte er die Medicin, welche ihm aber für die Dauer auch nicht zusagte und sie endlich aufgab, um sich ausschließlich der Poesie und den schönen Wissenschaften zuzuwenden. Mit der bloßen Theorie nicht zufrieden, wollte er seine Talente praktisch bethätigen und ging zum – Theater. Sein erstes Auftreten war von ungemein günstigem Erfolge begleitet; S. wurde, kaum 22 Jahre alt, beim Hoftheater zu Schwerin als erster Charakterdarsteller engagirt. Nun eröffneten sich ihm wohl die glänzendsten Aussichten zu einer ungewöhnlichen Künstlerlaufbahn; aber eine Nervenüberreizung nöthigte ihn, der Bühne zu entsagen. Da S. von Haus aus Vermögen besaß und materiell unabhängig gestellt war, ging er nun nach Paris, wo er, wie schon früher in seinem deutschen Vaterlande, mit den Berühmtheiten der Kunst und Literatur in anregende Verbindung trat. Dann brachte er, ganz seinen Launen und einem höheren künstlerischen Behagen lebend, längere Zeit am Rhein, in der Schweiz und in Italien zu. Nachdem er sich in der alten Welt müde gelebt, flog er über das Meer in die neue hinüber, hielt sich längere Zeit in den Vereinigten Staaten auf, unternahm interessante, abenteuerliche Reisen durch Texas, Mexiko, nach den westindischen Inseln u. s. w. und kehrte reisemüde nach Europa zurück, wo er sich im Jahre 1854 in Wien niederließ und daselbst ununterbrochen seit zwei Jahrzehnden lebt. Nachdem er sich in Wien verheirathet, erwarb er sich in der unmittelbaren Nähe von Wien, wenn Herausgeber nicht irrt, in Penzing, einen kleinen Grundbesitz und beschäftigt sich daselbst mit literarischen Arbeiten, die theils selbstständig, theils in Journalen erschienen sind. Hatte S. bis dahin einige kleinere Arbeiten, meist lyrische Dichtungen und ein paar dramatische Piecen, veröffentlicht, so beginnt mit seiner Niederlassung in Wien erst die Zeit seines eigentlichen literarischen Schaffens. Bis dahin hatte er immer neue Eindrücke in sich aufgenommen, jetzt galt es, das auf seinen wechselvollen Reisen Erschaute und Erlebte künstlerisch zu verarbeiten, und vom Jahre 1861 betrat S. als Romanschriftsteller jenes Gebiet, in welchem eben damals die deutsche Muse ganz tüchtige Kämpen aufzuweisen hatte. In seinen lyrischen Gedichten – die Titel der Schriften S.’s folgen S. 35 u. 36 – womit er im J. 1846 bereits aufgetreten war, hatte S. so volle Töne angeschlagen, daß man ihn alsbald in die engere Zahl der Berufenen des deutschen Parnasses zählen durfte. Als politischer Poet voll Kraft und scharfer Ironie, die sich oft bis zu entschiedener Bitterkeit steigert, fesselte in seinen nicht [35] politischen Liedern die Anmuth und liebliche Zartheit der Empfindung, verbunden mit großer Klarheit und seltenem Wohllaut des Ausdrucks. Als nun S. mit seinem Roman „Lütt Hannes“ in die Reihe der deutschen Romanschriftsteller trat, fand man in demselben die während seiner Seereisen und transatlantischen Kreuz- und Querzügen gesammelten Eindrücke und Erfahrungen in künstlerischer Weise niedergelegt, und war S. mit diesem Seeroman mit Wilkom und Heinrich Smidt, welche eben in dieser Richtung so Treffliches geleistet, im Bunde der Dritte. Nun folgten die „Skizzen aus aller Herren Länder“, mehrere sociale Romane, wie „Verschollen“, „Fabrikanten und Arbeiter“, „Schleswig-Holstein“ u. s. w.; dann unter dem Titel: „Düt un Dat“, eine Folge in angelsächsischer Mundart geschriebener Volkslieder, darauf ein Roman aus der Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges, betitelt: „Die Spionin“, und in neuester Zeit die Romane: „Der Waldmensch“, „Die Rosenprinzessin“ und der Tendenzroman: „Altkatholisch“. Neben diesen Arbeiten, welchen die Kritik eine Stelle unter den besten Erzeugnissen dieser Poesiegattung einräumt, schrieb S. auch für Journale viele größere und kleinere Erzählungen, welche sich namentlich auf dem Gebiete der österreichischen Volksliteratur bewegen und während sie einerseits dem nicht zu sehr verfeinerten Geschmacke der Wiener Volksschichten angepaßt[WS 1] sind, auch andererseits eben nichts zur Mehrung des literarischen Ruhmes des Autors beitragen. So hat die Zahl der im Buchhandel erschienenen Werke S.’s die ansehnliche Höhe von mehr denn 40 Bänden erreicht. Wie Eingangs bemerkt worden, besitzt S. auch Talent für die Musik, und während er die Bühne mit mehreren kleineren dramatischen Arbeiten, welche beifällige Aufnahme fanden, beschenkte, versuchte er sich auch in größeren musikalischen Compositionen und hat zu dem selbst verfaßten Texte einer Oper die Musik geschrieben, in welcher sich ein gefälliges Talent, das namentlich im melodiösen Theile glücklich ist, kundgab. Das Urtheil über jene Arbeiten S.’s, in welchen er nicht dem wenig geläuterten Geschmacke des Zeitungs-Publicums huldigt und nicht den Forderungen der Journal-Herausgeber, die aus den Spalten der von ihnen mit Druckerschwärze belegten Blätter möglichst viel herausschlagen möchten, nachgibt, und an welcher Nachgiebigkeit eben dieselben Verhältnisse Schuld tragen mögen, welche den plastischen Künstler zwingen, Todtenmäler zu meißeln, und den Maler Wirthshausschilder und Kirchenfahnen zu malen, lautet völlig zu Gunsten des Autors. Seine Schilderungen sind lebendig und wahr und tragen überall das Gepräge des Erlebten und mit scharfem Auge Geschauten. Seine Charaktere sind scharf gezeichnet, oft originell, mitunter bizarr, nie doch unwahr, die Situationen spannend. Aus allen diesen Arbeiten spricht Freiheitsliebe, sittliches Gefühl und, was besonders im Gegensatze zu seinen Journal-Feuilletons betont werden muß, das ernste Streben, künstlerisch zu gestalten.

Adolph Schirmer’s im Drucke erschienenen Schriften, als: Gedichte, Romane, Novellen u. s. w., in chronologischer Folge. „Gedichte“ (Frankfurt a. M. 1846, 2. Aufl. 1849). – „Politisches Maibüchlein“ (Hamburg 1848, Hoffmann u. Campe). – „Moderne Intriguanten, oder Enthüllungen der Aristokratie“ 2 Bde. (Hamburg 1850). – „Dichtungen“ (Wien 1856, Wallishausser; 2. Aufl. 1858). – „Das Handelshaus Wilford, oder die Falschen und die Echten“, 4 Bde. (Berlin 1861, Otto Janke). – „Düt un Dat. Riemels“ (Hamburg 1861, 2. Aufl. 1862). – „Fabrikanten [36] und Arbeiter, oder der Weg zum Irrenhause. Socialer Roman“, 3 Bände (Wien, später Leipzig 1862, Günther). – „Saisongeschichten“, 2 Bde. (Wien 1862). – „Familien-Dämon. Roman“, 2 Bände (Wien, später Leipzig 1863, Günther). – „Schleswig-Holstein, oder mit blutiger Schrift“, 3 Bände (Wien 1864). – „Die Debardeur-Tini. Roman aus dem Wiener Leben“ (ebd. 1864). – „Im Bade. Novelle“ (ebd. 1864). – „In der Residenz. Novelle“ (ebd. 1864). – „Lütt Hannes“, 3 Bde. (Leipzig 1865, Grunow; 2. Aufl. 1868). – „Baron Schnek, der Neckekobold. Novelle“ (Wien 1865). – „Im Salon der Hauptstadt. Novelle“ (ebd. 1865). – „Aus aller Herren Ländern“, 3 Bde. (Leipzig 1866, Grunow). – „Ein weiblicher Hamlet. Novelle“. Mit Illustrationen (Wien und Leipzig 1867). – „Verschollen“, 3 Bde. (Leipzig 1868, Grunow). – „Die Spionin“, 4 Bde. (Leipzig 1869, Günther). – „Leichtes Blut“ (Wien 1869). – „Heldin von Wörth“ (1870). – „Der räthselhafte Graf“ (1871). – „Altkatholisch“, 3 Bde. (Wien 1872, Hartleben). – „Der Waldmensch“, 3 Bde. (Leipzig 1873, Schlicke). – „Die Sklavenbarone“, 3 Bde. (Wien und Leipzig 1873, Hartleben). – „Die Rosenprinzessin“, 3 Bde. (Berlin 1874). Ferner schrieb S. kleinere und größere belletristische Arbeiten für verschiedene Journale Deutschlands und Oesterreichs, wie für die „Europa“, „Leipziger Modenzeitung“, den „Berliner Bazar“, die „Didaskalia“, die Münchener „Fliegenden Blätter“, die Hamburger „Reform“, für Waldheim’s „Mußestunden“, den „Wiener Lloyd“, das Wiener „Neue Fremden-Blatt“, die „Vorstadt-Zeitung“, „Berliner Montags-Zeitung“ u. s. w. Für die Bühne schrieb S. folgende theils aufgeführte, noch ungedruckte oder doch nur als Manuscript gedruckte Stücke: „Ein guter Tag Ludwig’s XI. Historisches Lustspiel in 4 Acten“, zuerst aufgeführt in Leipzig 1850; – „Die Waffen einer Frau. Lustspiel in 3 Acten“, vielfach aufgeführt; – „Leid und Freud. Volksstück in 3 Acten“, zuerst aufgeführt in Wien; – „Die Jagd des Regenten. Komische Oper in 1 Act“, Text und Musik von Schirmer, zuerst aufgeführt in Wien am 16. März 1866; – „Consequenzen. Schauspiel in 4 Acten“; – „Das Skizzenbuch. Lustspiel in 1 Act“; – „Frida. Schauspiel in 4 Aufz.“; – ferner die Operntexte: „Der König hat’s gesagt“ (Bearbeitung nach dem Französischen“, Musik von Delibes; – „Die verschleierte Sängerin“ (Bearbeitung), Musik von Massé; – „Das Geheimniß des Königs“, in 3 Acten (im Besitze des Capellmeisters Titl); – „Capitän Charlotte“, in 3 Acten (Bearbeitung nach dem Französischen, im Besitze des Componisten Thomas Löwe); – „Margot“, in 3 Acten (im Besitze des Capellmeisters Metzger); einige Compositionen S.’s, als Clavierstücke und Lieder, sind bei Schuberth in Hamburg, Jowien ebendaselbst, Glöggl in Wien u. s. w. erschienen. Andere Compositionen für Orchester wurden in Concerten aufgeführt.
Kurz (Heinrich), Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller (Leipzig 1868, B. G. Teubner, schm, 4°.) Bd. IV: Von Goethe’s Tod bis auf die neueste Zeit, Sp. 19a, 46b, 684b, 692b u. 693b. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) Jahrg. 1868, Nr. 23, S. 363; Jahrg. 1869, Nr. 51, S. 816.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: anpaßt