BLKÖ:Rieger, Gottfried

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 26 (1874), ab Seite: 118. (Quelle)
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Rieger, Gottfried (Tondichter, geboren im Dorfe Troplowitz in Oesterreichisch-Schlesien im Jahre 1764 gestorben zu Brünn 13. October 1855). Sein Vater besaß zu Troplowitz, einem zur Herrschaft Geppersdorf in Schlesien gehörigen Gute, ein Häuschen mit etwas Ackergrund, jedoch war sein Haupterwerb die Musik. Von ihm erlernte der Sohn Gottfried das Cymbal spielen, ein Instrument, das damals in Schenken, auf Hochzeit- und Kirchweihfesten in Begleitung von ein paar Violinen, einer Flöte, eines Contrabasses und einer Clarinette allgemein üblich und sehr beliebt war. Im Alter von 10 Jahren schlug es Gottfried mit [119] solcher Fertigkeit, daß er auf Dorffesten nach geendetem Tanze nicht selten aufgefordert wurde, während den Pausen des Tanzes ein Solostück vorzutragen. Zu gleicher Zeit erlernte er von einem etliche Stunden von seinem Dorfe wohnenden Schullehrer Notenlesen. Durch sein Spiel wurde der kleine Gottfried bald in der ganzen Umgegend bekannt, und als der Graf Joseph Sedlnitzky, der selbst ein großer Musikfreund war und sogar eine vollständige Musikcapelle unterhielt, von ihm hörte, nahm er ihn als Pagen in seine Dienste. Des Grafen Kammerdiener war ein geschickter Oboist und Clarinettist, gewann den Pagen lieb und dieser erlernte von ihm das Spiel auf Oboe und Clarinette, und erlangte darin bald solche Fertigkeit, daß er bei größeren Concertproductionen mitwirken konnte. Später begleitete er in der Schloßcapelle die Meßgesänge auf der Orgel und zuletzt erlernte er – bei seinem ausgesprochenen Musiktalente – unter des Grafen eigener Leitung das Violoncell spielen, so daß er während seines Aufenthaltes im Schlosse sich mit dem Spiele der verschiedenartigsten Instrumente vertraut gemacht hatte. Daß er sich bei so tüchtiger musikalischer Begabung am Ende auch in der Composition versuchte, lag nahe, und nachdem er mit einigen kleineren Arbeiten glücklich gewesen, munterte ihn der erhaltene Beifall zu Größerem auf, und so entstand sein erstes größeres Werk, ein für den Grafen geschriebenes Violaconcert. Aber damit war R. nicht glücklich; das Concert mißfiel und der Bescheid für seine Anmaßung war: „er solle lieber alle übrigen Instrumente durchüben und das Schmieren sein lassen“. Aber dieser Mißerfolg entmuthigte ihn nicht; obwohl er bei Tag nicht schreiben durfte, nahm er die Nacht zu Hilfe und schrieb, wenn er ganz unbeobachtet war, seine Compositionen. Ohne sich abschrecken zu lassen, legte er ein zweites Violaconcert seinem Gebieter, dem Grafen, vor, und dieses Mal mit dem besten Erfolge, denn das Concert gefiel dem Grafen, der den jungen Compositeur noch überdieß reichlich belohnte. Um diese Zeit geschah es, daß der berühmte Dittersdorf [Bd. III, S. 316] mit Pater Damasus Brosmann, damaligen Rector des Piaristenklosters zu Weißwasser, zu dem Grafen auf Besuch kam. Brosmann ließ sich Gottfried’s Arbeiten, von denen er gehört hatte, vorlegen und äußerte sich beifällig darüber. Die Folge dieses Besuches war nun, daß R. mit dem Pater Damasus nach Weißwasser ging, um dort noch weiter in der Musik ausgebildet zu werden; und in einer selbstverfaßten biographischen Skizze, die R. über Aufforderung an einen Musikfreund (Philokales) einsandte, gesteht er ein, daß er Alles, was Theorie anbelangt, dem Pater Damasus verdanke. Nach einiger Zeit kehrte R. auf Schloß Geppersdorf zurück, wo es nicht an Gelegenheit fehlte, sein immer mehr durchbrechendes Compositionstalent zu üben, wobei ihm die Kenntniß der anderen Instrumente, namentlich bei orchestralen Arbeiten vortrefflich zu Statten kam. In diesen Verhältnissen erreichte R. das 23. Lebensjahr. Im Jahre 1787 bat er seinen gräflichen Wohlthäter um einen dreijährigen Urlaub zu seiner weiteren Ausbildung, der ihm auch gewährt wurde. R. begab sich nun zunächst nach Brünn, wo er aber keine freundliche Aufnahme fand und mit seinen tüchtigen Musikkenntnissen so wenig anfangen konnte, daß er zum Barbieren und Frisiren, welche beiden Handthierungen er im [120] gräflichen Schlosse erlernt hatte, die Zuflucht nehmen mußte, um sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Indessen setzte er seine musikalischen Studien, namentlich jenes der Compositionslehre von Kirnberger, fort. In dieser Zeit lernte er in Brünn einen Musikfreund, Namens Küchenhardt, kennen, der sich seiner wohlwollend annahm und ihm mehrere einträgliche Musikstunden verschaffte. Mit dieser glücklichen Wendung seines Geschickes erwachte sein Schaffensdrang von Neuem, und es fällt in diese Zeit die Composition einiger Opern, welche weiter unten bei seinen übrigen Werken angeführt werden. Nun fehlte es auch nicht an Aufforderungen, Variationen mit und ohne Instrumentalbegleitung zu componiren, welche dann in Wien, Offenbach und Leipzig Verleger fanden. Dadurch wurde sein Name immer bekannter und seine Verhältnisse gestalteten sich täglich günstiger. Die ihm angebotene Stelle eines Capellmeisters des Brünner Theaters sagte ihm zu und er bekleidete dieselbe durch fünfzehn Jahre, in der Zwischenzeit versah er auch – aber nur für ein halbes Jahr – die Capellmeisterstelle bei dem Cavallerie-Regimente Loudon. Auf diesen beiden Posten war er ununterbrochen als Componist thätig und schrieb viele Scenen, Einlagen zu Opern, charakteristische Chöre, Märsche, Harmoniestücke für acht, zehn bis vierzehn Stimmen und für Harmoniemusik. Im Jahre 1805 machte ihm Graf Haugwitz den Antrag, als Capellmeister in seine Dienste zu treten. Er nahm diesen Antrag an und war nun längere Zeit auf dem Schlosse des Grafen zu Namiest thätig, und schrieb für die unter seiner Leitung stehende Capelle zahlreiche Compositionen, als Clavier-Sonaten, Variationen für Harmoniemusik u. dgl. m. Da aber das dortige Klima seiner Gesundheit nicht zusagte, gab er im Jahre 1808 seinen Posten auf und kehrte nach Brünn zurück, wo er durch Musik seinen Lebensunterhalt erwarb. Auch versah er in dieser Periode nach dem Austritte des Capellmeisters Triebensee – aber nur für zwei Jahre – die Stelle des Capellmeisters bei dem Brünner Theater. Sonst beschäftigte er sich ausschließlich mit Musikunterricht, gelangte durch Fleiß und rastlose Thätigkeit nach und nach zu einem mäßigen Wohlstände, kaufte sich ein Haus und wurde Brünner Bürger. Dabei hielt er viele Jahre hindurch Vorlesungen über Generalbaß und Harmonielehre, welche sehr stark besucht waren, bildete zahlreiche Schüler, unter denen sich einige zu ganz tüchtigen Componisten entwickelt hatten. In seinen späteren Jahren zog er sich in die Ruhe zurück und erreichte so das wohl wenigen Sterblichen gegönnte Greisenalter von 92 Jahren, nach seinem Tode in der Stadt, in welcher er an 60 Jahre gewirkt, ein als Mensch und Künstler gleich ehrenvolles Andenken hinterlassend. Groß ist die Zahl der Compositionen Rieger’s, von denen auch 60 bei Weigl, Cappi, Eder zu Wien, Offenbach und Leipzig im Drucke erschienen sind. Außer den zahllosen Variationen, Trio’s, Quartetten, Clavierconcerten in verschiedenen Tonarten sind anzuführen die Opern: „Das wüthende Heer“; – „Die Todtenglocke“; – „Schuster Flink“; – „Die vier Savoyarden“; – „Die Heerde von Betlehem“, von denen mehrere auf der Brünner Bühne mit Beifall gegeben wurden; dann die großen Cantaten: „Deutschlands Triumph nach der Schlacht bei Leipzig“; – „Swatopluk“; – die Festcantate: „Wonne des Wiedersehens“, anläßlich der Anwesenheit [121] des Kaisers Franz in der Stadt Brünn im Jahre 1833 gegeben; – ein Oratorium: „Thirza und ihre sieben Söhne“; – drei große solenne Messen zu Primizen; 16 Vocalmessen für vier Männerstimmen mit Orchesterbegleitung, viele Offertorien und Gradualien, Asperges, Salve Regina, 20 Pange lingua, Kirchenlieder, 2 große Requiem, viele Streichquartette u. dgl. m. Unter seinen theoretischen Werken ist besonders anzuführen seine „Harmonielehre oder Kunst, den Generalbass in sechs Monaten zu erlernen“ (Wien 1833, Strauß). Rieger war Musicus durch und durch, er gehörte als solcher der älteren deutschen Schule an, denn er hatte sich an Werken eines Bach, Naumann, Händel und Gluck herangebildet. Seine Kenntnisse in der Musik, theoretisch wie praktisch, waren erstaunlich; bei seiner Wirksamkeit als Capellmeister des Grafen Haugwitz, eines Pflegers der Musik im großartigen Style, als Theater-Capellmeister, als Dirigent fast aller in Brünn zur Aufführung gebrachten größeren und kleineren Musikproductionen, als Musiklehrer und vieljähriger Docent der Compositionslehre besaß er eine Vielseitigkeit in der Musikkenntniß, wie sie nur Wenige, die dieser Kunst huldigen, besitzen. Dabei war er Künstler aus ganzer Seele, der seine Kunst mit religiöser Begeisterung übte. Zu seiner am 24. October 1854 in der Brünner Kathedralkirche abgehaltenen Todtenfeier wurde ein von dem Verewigten selbst componirtes Requiem aufgeführt, welches wie viele seiner Werke als die gediegene Schöpfung eines bedeutenden Componisten bezeichnet wird. – Schließlich sei bemerkt, daß ihn die Troppauer Zeitung in ihrem Nekrologe den Sohn eines Kleinhändlers nennt; das wird wohl ein lustiger Druckfehler sein und sollte „Kleinhäusler“ heißen.

Allgemeine Wiener Musik-Zeitung. Herausgegeben von August Schmidt (IV. Jahrg. (1844). Nr. 24: „Gallerie vaterländischer Künstler“. Von Philokales. – Troppauer Zeitung 1855, Nr. 241: „Gottfried Rieger“. – Brünner Zeitung 1855, Nr. 237 u. 248: „Gottfried Rieger“. – Gerber (Ernst Ludwig), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 862. – Gaßner(F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, gr. 8°.) S. 723. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) Zweite Abtheilg. Bd. V, S. 1197, Nr. 6. – Hirsch (Rudolph), Gallerie lebender Tondichter. Biographisch-kritischer Beitrag (Güns 1836, Reichard, kl. 8°.) S. 116. – Moravia 1844, Nr. 19. – d’Elvert (Christian Ritter v.). Geschichte der Musik in Mähren und Oesterreichisch-Schlesien u. s. w. (Brünn 1873, Winiker, gr. 8°.), in den Beilagen, S. 161–165.