BLKÖ:Pilati de Tassulo, Karl Anton Freiherr

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Pilat, Stanislaus
Band: 22 (1870), ab Seite: 284. (Quelle)
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Pilati de Tassulo, Karl Anton Freiherr (Publicist, geb. zu Tassulo im Valle di Non im Trientischen 28. December 1733, gest. ebenda 27. October 1802). Die erste Erziehung erhielt er im Elternhause, dann kam er nach Salzburg, wo er die höheren Studien beendete, worauf er, 19 Jahre alt, in seine Heimat zurückkehrte und dort in dem umfangreichen Districte des Valle di Non und Valle di Sole, in welchem die Besitzungen seiner Familie lagen, über welche die Quellen, S. 288, nähere Aufschlüsse [285] bringen, das Amt eines Civil- und Criminalrichters bekleidete. Nach einiger Zeit begab er sich nach Göttingen, wo er eine Lehrkanzel aus den Rechtswissenschaften übernahm, die er aber aufgeben mußte, da das Klima seiner Gesundheit nicht zusagte. Er kehrte nun in sein Vaterland zurück und wurde dort Professor der Rechte am Lyceum zu Trient. Schon damals hatte er das schriftstellerische Gebiet betreten und auf demselben durch Vorschläge auf Abschaffung von Mißbräuchen und Einführung naturgemäßer Reformen Bahnen eingeschlagen, die neu waren und die Aufmerksamkeit der Fachmänner auf den jungen und scharfsinnigen Denker richteten. Um sein Wissen zu erweitern, gab er sein Lehramt auf und machte eine längere Reise nach Frankreich, Holland, Deutschland, in die Schweiz und Dänemark. In den verschiedenen Haupt- und größeren Städten hielt er sich längere Zeit auf, und da er mit Leichtigkeit in fremden Sprachen verkehrte, trat er mit den hervorragendsten Männern der Wissenschaft, die dem ausgezeichneten gebildeten Fremden mit dem freundlichsten Wohlwollen entgegenkamen, in unmittelbaren, oft engeren Verkehr. Ueberall wurde ihm die ehrenvollste Aufnahme zu Theil, der König von Dänemark ernannte ihn zum Ehrenkammerherrn und versuchte es, ihn bleibend an seinen Hof zu fesseln. Friedrich der Große ließ es ihm gegenüber auch nicht an mannigfachen Beweisen seiner Huld fehlen, und Joseph II., ihn mit seinem ganzen Vertrauen beehrend, unterhielt sich oft und gern mit ihm über die Reformen, die er in den verschiedenen Verwaltungszweigen in seinen Staaten einzuführen gedachte. Nachdem P. mehrere Jahre auf Reisen zugebracht, kehrte er in sein Vaterland zurück und dort auf seiner Besitzung lebte er der süßen Muße wissenschaftlicher Forschungen, und vornehmlich waren es die Staats- und Rechtswissenschaften, bei welchen er nur zu oft wenig Uebereinstimmung fand zwischen der landesüblichen, ja der von den Lehrkanzeln herunter vordemonstrirten apologisirten Praxis und seinen geläuterten, durch reifes Denken und Erwägen berichtigten Anschauungen. Man erzählt sich nach dieser Seite hin manche pikante Fälle, in welchen er den veralteten Anschauungen der Rechtsgelehrten die Leuchte der durch die Weisheit geläuterten Wissenschaft entgegenhielt und oft durch List die hartnäckigen Vertheidiger des Abgelebten und Veralteten in der Wissenschaft zu den richtigen Anschauungen der neueren Denker, theils zum Bewußtsein ihrer falschen Ansichten brachte, theils völlig bekehrte. Einer der interessantesten Zwischenfälle dieser Art war es, wo er in einem Rechtsfalle eine von den ausgesprochenen Ansichten seiner Collegen völlig abweichende Ansicht verfocht, ohne aber seine Gegner überzeugen zu können. Plötzlich fand sich eine kleine Dissertation von dem berühmten Rechtsgelehrten Homberg vor, in welcher ein dem in Frage stehenden völlig ähnlicher Fall ganz nach Pilati’s Ansicht entschieden war. Jetzt sahen auch die Collegen die Sache anders an und stimmten Homberg’s wissenschaftlichen Gründen bei. Später löste sich das Räthsel zum Aerger der Ueberlisteten dahin auf, daß der Verfasser dieser Dissertation nicht Homberg, sondern Pilati sei und dieser nur zu einer List gegriffen habe, um dem gedankenlosen Ueberlieferungsglauben in der Wissenschaft, die ja eben durch stetes Forschen lebendig bleiben soll, den Todesstoß zu versetzen. Nachdem P. mehrere Jahre in seiner Heimat unter wissenschaftlichen [286] Arbeiten und Studien verlebt, folgte er einem Rufe des Kaisers Leopold II. nach Wien, wo man sich mit der Absicht trug, den wackeren freisinnigen Tiroler auf einen Posten zu stellen, auf welchem sein Wirken maßgebend werden sollte. Während dieses Aufenthaltes in Wien soll P. an den Denkwürdigkeiten seines Lebens gearbeitet haben, welche jedoch später nirgends vorgefunden wurden. Die politischen Ereignisse des Jahres 1796 gaben aber mit ihrer kriegerischen Entwickelung den Dingen eine neue Wendung, die auch für P. nicht bedeutungslos blieb, und dieses um so mehr, als die südlichen Gebiete dieses Landes ein Opfer der französischen Invasion geworden. Als die Sieger in Trient eine provisorische Regierung errichteten, zu welcher die Repräsentanten der einzelnen Gemeinden einberufen wurden, erging auch an Pilati von Seite des Generals Vaubois, damaligen Commandanten des Trienter Gebietes, eine Einladung, an dieser provisorischen Regierung theilzunehmen. P. lehnte jedoch ab, da ihm in seiner Stellung als österreichischer Staatsbürger die Uebernahme einer Function in einem vom Feinde unterjochten Gebietstheile unzulässig erschien, und dieß um so mehr, als das Valle di Non, seine Heimat, noch von den österreichischen Waffen besetzt gehalten wurde. Erst später, als der ganze südliche Theil Tirols in die Gewalt der Franzosen fiel, glaubte er im Interesse seiner Mitbürger, denen er während der Occupation nützliche Dienste leisten konnte, nicht länger ablehnen zu dürfen, und nun begab er sich nach Trient, wo er die Stelle eines Presidente del Consiglio superiore del Tirolo übernahm, welche General Macdonald als Befehlshaber der eroberten Gebirgstheile ihm übertragen hatte. Aber Pilati war bereits vorgerückt in Jahren, seine Stellung verwickelte ihn in die unangenehmsten, peinlichsten Lagen, bereitete ihm Verdruß, Kummer und Aerger, und erschütterte seine durch das Alter ohnedieß geschwächte Gesundheit derart, daß er endlich diesen unaufhörlichen Aufregungen im Alter von 69 Jahren erlag. „Trauert nicht über meinen Tod, waren seine letzten Worte, mit welchem die Leiden dieser Erde ein Ende nehmen und der mich jenen entzieht, welche das gegenwärtige Jahrhundert bedrohen“. P. hinterließ eine einzige Tochter, Leopoldine, welche an Michael Conci di Braccia verheirathet und die Erbin des gesammten väterlichen Vermögens war. Pilati’s Werke, welche seinen Ruf als Rechtsgelehrten und Publicisten begründet haben, sind in chronologischer Folge: „L’esistenza della legge naturale impugnata e sostenuta“ (Venezia 1764, Zatta, 8°.), davon eine deutsche Uebersetzung unter dem Titel: „Bestrittene Wirklichkeit des natürlichen Gesetzes; aus dem Italienischen“ (von W. H. Winning) (Lindau 1797, Otto, 8°.); – „Raggionamenti intorno alta legge naturale e civile“ (Venezia 1766, 8°.); – „Di una Riforma d’Italia ossia dei mezzi di riformare i più cattivi costumi e le più perniciose leggi d’Italia“ (Villafranca [Venezia] 1767, 8°.), neuer Druck mit dem angenommenen Druckorte Londra 1786, Tompson, und noch öfter; eine deutsche Uebersetzung, deren Titel ich aber nicht auffinden konnte, soll in Freiburg [Zürch] 1768 erschienen sein; französisch übersetzt zuerst unter dem Titel: „Projet d’une réforme à faire en Italie, ou moyens de corriger les abus les plus dangereux et de réformer les lois les plus pernicieuses établies en Italie. [287] Ouvrage traduit de l’italien“ (par J. Manzon) (Amsterdam 1769, Marc Michel Rey, 8°.), dann wieder unter dem Titel: „L’Italie réformée ou nouveau plan de gouvernement pour l’Italie, trad. de l’italien“ (par Lebrun) (Rimini 1769, 12°.), diese letztere Uebersetzung ist mehr ein Auszug; – „Riflessioni di un Italiano sopra la chiesa in generale, sopra il Clero si regolare che secolare, sopra i vescovi ed i Pontefici romani e sopra i diritti ecclesiastici de’ Principi“ (Borgofrancone [Venezia] 1768, 8.), gegen die Reichthümer des Clerus und die Menge der Klöster gerichtet, und deren Einziehung beantragend; – „L’istoria dell’ Impero Germanico e della Italia dai tempi dei Carolingi fino alla pace di Westfalia“, 2 vol. (Stockholm [Coira] 1769–1772, 4°.), nach dem Urtheile der Fachkritik Pilati’s bestes Werk; – „Traité des lois civiles“, 2 vol. (A la Haye 1774, 8°.); – „Traité du mariage et de sa legislation“ (A la Haye 1776, 8°.), schließt sich an das vorgenannte an; – „Voyages en differens Pays de l’Europe en 1774, 1775 et 1776 ou lettres écrites de l’Allemagne, de la Suisse, de l’Italie, de Sicile, et de Paris“ (A la Haye 1772, 12°.); auch en Suisse 1787, chez les libraires associés, 8°.); eine deutsche Uebersetzung erschien in 2 Bänden zu Leipzig 1778 und daraus wurde ein Auszug in italienischer Sprache bearbeitet, der das Datum Poschiavo 1781, 8°., trägt; – „L’observateur français à Amsterdam, ou lettres sur la Hollande, écrites en 1778 et 1779“, 2 vol. (A la Haye 1780, 12°.), davon erschien eine deutsche Uebersetzung mit Zusätzen unter dem Titel: „Briefe über den gegenwärtigen Zustand von Holland“, von K. F. Trost, 2 Theile (Berlin 1782, 8°.), das Buch war seiner Zeit der sicherste Wegweiser durch Amsterdam; – „Traité des lois politiques des Romains du temps de la République“, 2 vol. (A la Haye 1781, 8°.); – „Histoire des revolutions arrivées dans le gouvernement, les lois et l’esprit humain, après la conversion de Constantin jusqu’à la chute de l’empire d’Occident“ (A la Haye 1783, 8°., und Harlem 1793, 8°.), war ursprünglich in deutscher Sprache geschrieben und ist die deutsche Ausgabe in Leipzig 1784 in 2 Bänden erschienen; – „Lettres écrites de Berlin sur quelques paradoxes du temps“, 2 vol. (Berlin [Breslau] 1784 et 1785, 8°.), auch dieses Werk war ursprünglich in deutscher Sprache verfaßt. Noch sind mehrere Arbeiten von Pilati bekannt, so unter anderen ein „Giornale in cui sono Memorie autografe intorno o alle cose vedute e agli avvinementi occorsigli durante i suoi viaggi“; – „Osservazioni politiche e legali sopra il Codice Barbacoviano publicato in Trento l’anno 1786 per ordine del Principe Pietro Vigilio de’ conti di Thun“; – „Due volumi di lettere autografi al barone Antonio Gaudenzi di Trento“, diese Briefe handeln über wissenschaftliche, juridische, politische Gegenstände und knüpfen hie und da an seine auf Reisen angestellten Beobachtungen an. Die drei letztgenannten handschriftlichen Werke P.’s befanden sich ehedem in der Sammlung von Werken und Handschriften von Tiroler Schriftstellern, welche Anton Mazzetti v. Roccanova [Bd. XVII, S. 205] Präsident des Appellationsgerichtes in Mailand, besaß. In seiner Jugendzeit versuchte sich P. auch im Dramatischen und dichtete das Lustspiel: „Il matrimonio di Fra Giovanni“, das [288] jedoch ungedruckt geblieben; ferner schrieb er einige Zeit für ein literarisches Blatt, das in Coira herausgegeben wurde und worin es nicht an Angriffen gegen die Mönche und das Mönchthum fehlte. Einige von Pilati’s Briefen wurden im Jahre 1836 in den per nozze Mazzetti e Altemburgen herausgegebenen „Lettere inedite di Quaranta illustri Italiani del Secolo XVIII“ zu Mailand veröffentlicht. Auch wird das Werk: „Christliche Betrachtung über den gegenwärtigen Krieg Oesterreichs mit der Pforte“ (Prag 1788, Diesbach, 8°.) ihm zugeschrieben. Die meisten in dieser Skizze angeführten deutschen Uebersetzungen von Pilati’s Werken sind in den Bücherkatalogen gar nicht aufzufinden, daher ihre bibliographischen Titel auch nicht angegeben werden konnten. Pilati, einer der hervorragendsten Geister in der Josephinischen Periode, voll neuer belebender Ideen für einen gesunden Fortschritt im Völkerleben, ein praktischer Denker, reich an Weltanschauungen und aus Vergleichung des Studiums mit dem Leben gewonnenen Erfahrungen, ist bisher in Encyklopädien und Literargeschichten ganz unbeachtet geblieben, und doch verräth Alles, was er schrieb, einen nicht gemeinen Beobachtungsgeist, Scharfsinn, Wahrheitsliebe, Freimuth in der Darstellung und tüchtige historische Kenntnisse, abgesehen davon, daß Sprachkenner seinem Styl auch Eleganz und Bündigkeit des Ausdruckes nachrühmen. P. war seiner Zeit um mehrere Jahrzehende voraus und vieles, was er sah, dachte und darstellte, behält noch für die Gegenwart Giltigkeit und Anwendbarkeit.

Tipaldo (Emilio de), Biografia degli Italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del secolo XVIII e de’ Contemporanei ecc. ecc. (Venezia, 1838, tip. di Alvisopoli, gr. 8°.) Tomo VI, p. 33. – Wismayer (Joseph Ritter von), Ephemeriden der italienischen Literatur für Deutschland (Salzburg 1800 bis 1805, Mayr, gr. 8°.) III. Jahrgang, 6. Heft, S. 257–266