Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Nißl, Franz Sales
Band: 20 (1869), ab Seite: 368. (Quelle)
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Nissel, Franz (dramatischer Dichter, geb. zu Wien 15. März 1831). Sein Vater Joseph Nissel (geb. zu Preßburg im Jahre 1796) war unter dem Namen Korner viele Jahre Mitglied des Wiener Hofburg-Theaters. Früher wirkte er als Heldendarsteller auf den Bühnen in Gratz, Linz, Prag und Lemberg, von welch letzterer Stadt er über Empfehlung Fichtner’s im Jahre 1844 zum Hofburg-Theater in Wien kam. Daselbst starb er, 71 Jahre alt, am 24. October 1866. – Ein Sohn des Hofschauspielers ist der dramatische Dichter Franz Nissel, nicht zu verwechseln, wie dieß schon geschehen, mit einem zweiten dramatischen Dichter desselben Namens Nissel, der sich jedoch durch den Taufnamen Karl von dem in Rede stehenden Franz N. unterscheidet. Im Elternhause und an den Schulen Wiens erhielt N. seine Ausbildung. Neben seinen Studien waren es die Dichtung und ihre Kunst, denen vorzugsweise seine Bestrebungen galten, und der kaum dem Knabenalter entwachsene Jüngling machte sich gleich an die höchsten dichterischen Probleme. „Man weiß“, schreibt der Biograph unseres Poeten, Herr Isidor Gaiger, „welche Rolle der Geburtstag Nissel’s (Idus März) in der Zeitgeschichte spielte, als dieser sein achtzehntes Lebensjahr betrat. Die Bewegung, die damals die Verhältnisse aufwühlte und Alles, was mit ihr zusammenhing und ging, übte tiefe bleibende Eindrücke auf das Gemüth des Jünglings aus.“ Mit dem Bestehenden zu brechen in [369] jedem Bezuge, wurde das Losungswort des jungen strebenden Mannes, und in diesem Sturm und Drange, das Unwürdige und Veraltete von den Piedestalen der Geltung zu stürzen und neue Ideale aufzurichten, wurde N. von einem gleichgesinnten Freunde (Sigmund Schlesinger) mächtig unterstützt und angemuntert. Nissel und Schlesinger verbanden sich bald zur Ausführung gemeinschaftlicher Arbeiten, war ihnen ja doch Frankreich im literarischen Compagnie-Geschäfte mit dem Beispiele längst vorangegangen. So hatten die beiden noch minderjährigen Freunde – der eine zählte 18, der andere 17 Jahre – eine Tragödie: „Die Inquisitoren“ zusammen geschrieben, in welcher nach des obgenannten Biographen Ausspruch – denn dieses Werk hat bis heute nicht das Pult des Dichterpaares verlassen – mehr gesunder und billiger Liberalismus pulsirte, als in allen Producten der Revolutionssymboliker herauszuschälen ist. Dabei ging der liberale Sturm darin so hoch, daß Grabbe und Büchner weit überstiegen waren. Den Antheil des Einen und Anderen in diesen und den folgenden Jugendarbeiten der beiden Freunde mit Bestimmtheit zu sondern, möchte schwer sein, denn ihre freiheitsglühenden vorwärtshastenden Ideen hatten die beiden Schulgenossen so gegenseitig ausgetauscht, ihre Bestrebungen so wechselseitig verknüpft, die Arbeiten so gedoppelt, nicht getheilt, daß es ihnen, wie es in dem Nissel betreffenden Aufsatze: „Ein Sisyphus unter den Dichtern“, heißt, daß es ihnen schon heute unmöglich wird, nur annähernd anzugeben, an welchen Theilen der gemeinsamen Jugendarbeiten der Eine mehr partecipirt als der Andere. Uebrigens hatte Nissel als Theaterkind die Bühnenform sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, da er vom 6. bis zum 15. Jahre allabendlich sowohl vor als hinter den Coulissen Einblick gewann. Das vorerwähnte Stück: „Die Inquisitoren“, kam, wie es sich aus Tendenz und den bestehenden Bühnenverhältnissen errathen läßt, nicht zur Aufführung, aber es wurde von Vielen gelesen und „alle Kenner, die es lasen, wie Laube, Hebbel und die competentesten Künstler des Burgtheaters, sprachen, wie uns Gaiger versichert, ihr unbeschränktes Lob aus, und die beiden Jünglinge und ihr Werk wurden bald so stadtbekannt, als wär’s mit ungeheuerem Beifalle über die Bühne gegangen. Sie wurden in die glänzendsten künstlerischen und privaten Kreise gezogen, wobei Nissel stets den schweigenden Moses und sein Freund den redenden Aaron machte“. Es wurde länger bei dieser Sturm- und Drangperiode N.’s verweilt, weil sie theilweise die Sonderstellung erklärt, in welche sich der später Mann gewordene Poet ganz aus eigenem Willen eingekeilt hat; er ist der Moses geblieben und Schlesinger hat die dankbarere Rolle des Aaron beibehalten. Das nächste Werk, welches die beiden Freunde zusammen vollendeten, hieß: „Narciss, der Freigelassene“, eine Tragödie, in welcher Messaline, das von der Geschichte an den Pranger gestellte Weib, rehabilitirt wurde. Wir sehen unsere beiden Dramaturgen gehen wie echte Poeten den Zeittendenzen voraus, denn erst mehrere Jahre später, nachdem sie beide bereits die verrufenste und scheußlichste der Hetären des römischen Kaiserreichs wieder in Ehren eingesetzt, hatte sich der geistreiche Literaturhistoriker und Philolog Dr. Adolph Stahr die gleiche Aufgabe rücksichtlich einiger Ungeheuer, die den römischen Kaiserthron [370] einnahmen, gestellt und dieselbe, wenn nicht auf poetischen Wege, so doch auf Grund philosophischer Anschauung der uns zu Gebote stehenden Geschichtsquellen zu lösen gesucht, und erst der Gegenwart bleibt es vorbehalten, das Laster und die Frivolität mit poetischem Flitter auszustaffiren. Daß auch bei „Narciß, der Freigelassene“ an eine Aufführung nicht gedacht worden, mag damals gegolten haben, heute würden ja viele Bedenken, die damals erhoben worden, wegfallen. Mit einem dritten Compagniestücke. betitelt: „Der Engel“, ein Lustspiel, machten die beiden Poeten den Versuch, sich die Bretter des classischen Drama’s zu erobern, und als auch dieß mißlang, beschlossen sie – freilich nach langem Kampfe – von der „Volksbühne“ herab „den Menschen die Weltverkehrtheit zum Bewußtsein zu bringen und die Welterleuchtung zu predigen. Mit dem Volksstücke: „Das Beispiel“ machten sie den Anfang zur Ausführung ihres Vorhabens. Es war dieß die letzte Compagniearbeit beider Poeten“. „Das Beispiel“ wurde im Herbste des Jahres 1852 im Theater an der Wien gegeben. Der Erfolg war ein ermuthigender. Es wurde an sieben aufeinanderfolgenden Abenden wiederholt, dann verschwand es aber von den Brettern, auf denen damals französische Sensationsstücke beliebt waren. Während Schlesinger sich der Journalistik zuwendete und mit kleinen, in der Art der französischen proverbes gedichteten Bluetten glückliche Erfolge erzielte, blieb N., den feindseligsten Verhältnissen zum Trotze, seinem Vorhaben, das eigentliche Drama zu pflegen, treu. Im Jahre 1854 dichtete er das Trauerspiel: „Perseus in Macedonien“, war aber nicht im Stande, es damals schon zur Ausführung zu bringen. Glücklicher war er mit dem Schauspiele: „Ein Wohlthäter“, das Laube annahm und im Jahre 1856 auf die Bretter brachte. Das Stück hatte entschiedenen Erfolg, hielt sich auch ein paar Jahre noch auf dem Repertoire, wurde überdieß auf mehreren deutschen Bühnen gegeben, verschwand aber dann für immer von den Brettern. Die im nämlichen Jahre gedichtete „Dido“ gelangte erst durch Fräulein Janauscheck zur Darstellung, um dann ebenso spurlos zu verschwinden. Nicht so das am 26. Februar 1858 aufgeführte fünfactige historische Schauspiel: „Heinrich, der Löwe“, das im nämlichen Jahre auf dem Theater in Braunschweig und im folgenden in Dresden gegeben wurde und auf beiden einen ehrenvollen Erfolg aber auch nicht mehr erzielte. Das nächst entstandene, auf schottischen Boden spielende Drama: „Die Jacobiten“ wurde nur von der Mannheimer Bühne aufgeführt, erhielt sich aber gleichfalls nicht auf dem Repertoire. Diese Erfolge waren bei dem ernstlichsten und unverkennbaren Talente nicht ermuthigend. Nach einer Pause von ein paar Jahren reichte N. den „Perseus von Macedonien“ in einer Umarbeitung bei dem Hofburg-Theater ein. Laube nahm nun das Stück an und es wurde am 29. November 1862 zum ersten Male gegeben. Kritik und Publicum verhielten sich dem Stücke gegenüber spröde, letzteres blieb nach der vierten Darstellung aus und das Stück, dem einzelne Schönheiten nicht abzusprechen sind, mußte bei Seite gelegt werden; es erzielte wohl auch in Karlsruhe und Hannover einen ehrenvollen Erfolg, das aber war auch Alles. Nun schien N. von Neuem mit der Volksbühne es versuchen zu wollen und schrieb das Volksdrama: „Die Zauberin am Stein“, [371] das in Hamburg, Dresden, Berlin und auf einigen kleineren deutschen Theatern mit Beifall gegeben wurde. Dieses Volksdrama ist auch das letzte Stück, welches von N. zur Darstellung kam. Deßhalb war er aber nicht unthätig geblieben; wie er vorher außer den erwähnten, zur Aufführung gebrachten Dramen und Schauspielen noch mehrere andere theils vollendet, theils entworfen hatte, wie z. B.: „Martin“; – „Ein Narr“; – „Die Aufwärterin“; – „Zum Scheine“; – „Mohamed“, der jedoch Fragment geblieben, so soll er in neuerer Zeit erst ein großes historisches Trauerspiel: „Marcus Pemfflinger“, aus der Geschichte Siebenbürgens, fertig im Pulte liegen haben. Von N.’s oberwähnten Stücken sind mehrere, wie „Perseus in Macedonien“, „Ein Wohlthäter“, „Dido“ und „Die Zauberin am Stein“ als Bühnenmanuscripte im Drucke erschienen. Was des Dichters eigentliche Lebensverhältnisse betrifft, so weilt derselbe seit mehreren Jahren fern von Wien, und zwar hielt er sich einige Zeit in Salzburg auf, wo seine Gattin, eine geborne Baronin Binder von Bindersfeld, als Sängerin engagirt war. Von Ostern 1867 übersiedelte er nach Gratz, später nach St. Georgen bei Wildon in Steiermark, wo ihm im Februar 1868 seine Gattin durch den Tod entrissen wurde. Der Wunsch der Verstorbenen, „ohne kirchlichen Beistand“ bestattet zu werden, wurde Veranlassung einiger Sensationsnotizen in den Journalen und eines Feuilleton-Artikels, den der Dichter selbst bald darauf mit einem „Eingesendet“ in der „Neuen freien Presse“ berichtigte. – Nissel’s einzige Schwester Karoline hat sich der Bühne gewidmet und war seit 1863–1865 als Sängerin an dem königlichen Theater in München thätig. Seit dem Jahre 1866 erscheint sie nicht mehr in den Theaterkalendern.

Waldheim’s Illustrirte Zeitung (Wien, kl. Fol.) 1862, Nr. 52 (vom 27. December): „Franz Nissel“. – Oesterreichische Gartenlaube (Gratz, 4°.) 1867, Nr. 38 u. 39, in der Beilage: „Ein Sisyphus unter den Dichtern“ [ein Artikel, der sich in großen Uebertreibungen gefällt und dadurch den richtigen Standpunct zur Beurtheilung eines Talents, wie es Nissel besitzt, fast ganz verrückt]. – Fremden-Blatt von Gust. Heine (Wien, 4°.) 1866, Nr. 294; 1868, Nr. 42 [unter den Theater-Notizen]. – Salzburger Zeitung 1863, Nr. 263. – Neues Wiener Tagblatt (polit. Parteiblatt) 1868, Nr. 44: „Ohne kirchliches Geleite“. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1868, Nr. 1247: in der Rubrik: „Eingesendet“. [Diese Mittheilung Nissel’s und die im vorigen Blatte im Feuilleton enthaltene bezieht sich auf die Bestattung seiner Frau, welche nach ihrem Wunsche ohne kirchliche Begleitung begraben wurde.] – Ueber Nissel’s „Heinrich der Löwe“. Wiener Zeitung 1858, Abendblatt Nr. 48, im Feuilleton. Von H.(ieronymus) L.(orm). – Oesterreichische Zeitung 1858, Nr. 49, im Feuilleton, von B.(etti) P.(aoli). – Theater-Zeitung, herausg. von Adolph Bäuerle (Wien, 4°.) 1838, S. 191, von dem Herausgeber dieses Lexikons. – Ueber „Perseus von Macedonien“. Badische Landes-Zeitung 1863, Nr. 107. – Wiener Zeitung 1862, Nr. 276, S. 463, von B(ucher?). – Presse 1862, Nr. 330, von E.(mil) K.(uh). – Ueber „Dido“ und „Die Zauberin am Stein“. Blätter für literar. Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) 1865, 5. 385. –Porträt. Unterschrift: Franz Nissel. Nach einer Photographie von J. Löwy. Holzschn. o. A. d. X. [in Nr. 52 der Waldheim’schen Illustrirten Zeitung, ziemlich ähnlich].