BLKÖ:Müller, Johann Georg

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 19 (1868), ab Seite: 376. (Quelle)
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38. Müller, Johann Georg (Architekt, geb. zu Mosnang im Canton St. Gallen 15. September 1822, gest. zu Wien 2. Mai 1849). Sein Vater war Gastwirth und mehrere Jahre Vorstand des Kreises und der Gemeinde zu Mosnang, Mitglied des großen Rathes und des Cantons; Johann Georg von vierzehn Kindern das sechste. Die Erziehung im Elternhause war eine musterhafte. Zehn Jahre verlebte der Knabe in seinem Geburtsorte, als der Vater wegen Mißhelligkeiten mit der Gemeinde mit seiner ganzen Familie Haus und Hof verließ und nach Wyl übersiedelte. Dort besuchte Johann Georg die Realschule und betrieb mit besonderer Vorliebe das Zeichnen, und bereits entfaltete der poetische Genius des Jungen seine Schwingen, später bezog er die Cantonsschule zu St. Gallen, wo Lehrer wie Federer, Henne, Heinrich Kurz auf den talentvollen Jüngling in vortheilhaftester Weise einwirkten. Im August 1837 verließ er die Cantonsschule und sollte sich einen Beruf wählen, was indessen sein Vater für ihn besorgt hatte. Als ihn sein Vater in früheren Jahren einmal fragte, was er werden wolle, entgegnete der Knabe: „er wolle Dichter werden“‘, jetzt, da ihm sein Vater ankündigte, daß er bei dem Staatsarchitekten Kubli in St. Gallen als Baulehrling eintreten werde, jauchzte der Sohn vor Freude auf und rief: „Das ist ja auch Dichtkunst“. Bei Kubli, einem wahren Meister seines Faches, bildete sich M. für sein Fach gründlich aus. Kubli aber, der sehr bald seines Schülers ungewöhnliche Gaben erkannte und – um mit Müller’s Biographen Ernst Förster zu reden – seinem „Raphael als ein treuer Perugino“ überall die richtigen Wege zu bereiten bedacht war, sorgte neben gründlichen theoretischen Studien auch für Bekanntschaft mit dem Handwerk der Kunst und beschäftigte seinen Zögling bei den verschiedenen Bauten im Canton, mit deren Ausführung er betraut war. Indessen weckte auch die herrliche Natur, inmitten welcher Müller schuf und arbeitete, den dichterischen Drang in seiner Seele, und es entstanden in jener Zeit bereits schwungvolle Dichtungen, aus deren einigen freilich auch schon wie ein trüber Schatten, wie Vorbedeutung eines frühen Todes, eine tiefe Melancholie und ergreifende Wehmuth sich ausspricht. Bei Kubli tüchtig für seinen Beruf vorbereitet, begab sich M. auf dessen Vorschlag nach München, um dort seine Studien fortzusetzen. In München selbst herrschte eben zu jener Zeit. – Müller’s Aufenthalt in der Hauptstadt Bayerns währte vom November 1839 bis Mitte September 1841 – gerade in der Richtung, welche M. sich zum Lebensberufe gewählt, ein reges Leben, unter König Ludwig’s Aegyde erhoben sich zahlreiche Neubauten, und unter des Architekten Friedrich Ziehland Leitung, an den M. von Kubli warm [377] empfohlen war, schlug M. eben jene Richtung in seiner Kunst ein, die seinen leider so wenigen Leistungen in so bestimmter Weise aufgedrückt ist. Schon während seines Aufenthaltes in München arbeitete M. mehrere Pläne für den dortigen Architektenverein, so unter anderem ein Rathhaus im altdeutschen Style, ein Schweizerwohnhaus u. dgl. m., zugleich betheiligte er sich an einem Concurse, den die Stadt Mühlhausen im Elsaß für den Bau einer protestantischen Kirche ausgeschrieben hatte. Sein Plan kam zwar nicht zur Ausführung, aber die Commission nahm ihn unter diejenigen auf, welche zur Auswahl an das Ministerium nach Paris gesendet wurden und dieses bot ihm später 500 Francs oder mit Rückgabe der Originalzeichnung für die Erlaubniß, eine Copie nehmen zu dürfen, 300 Francs an, auf welchen letzteren Vorschlag der Künstler einging. Im September 1841 verließ M. München, um auswärts Beschäftigung zu suchen, da er, bevor er in ein Bureau eintrat, wozu sich ihm bei seinen tüchtigen Kenntnissen allerdings damals schon Gelegenheit darbot, es vorderhand vorzog, sich durch Anschauung und praktische Mitwirkung immer neue Kenntnisse anzueignen. Er begab sich im November 1841 vorderhand nach Basel, wo er bei dem Architekten M. Oswald hinreichende Beschäftigung, wie er sie eben suchte, fand. Bis October 1842 blieb M. in Basel, daselbst hatte er einen jungen reichen Patrizier, Rudolph Merian, kennen gelernt, der im Begriffe stand, eine Reise nach Italien zu unternehmen und dazu auf seine Kosten einen angenehmen Reisegesellschaftersuchte, der alsbald in Johann Georg Müller gefunden war. Es galt einen längeren Aufenthalt im gepriesenen Lande der Kunst, wohin M. mit seinem neuen Freunde und Gönner am 9. October 1842 aus Basel die Reise antrat. Was hätte diesem poetischen feinfühligen Gemüthe Beglückenderes begegnen können, als – eine Reise nach Italien. Nicht bloß genießend und beschauend, sondern prüfend, alles sorgfältig abwägend, durchpilgerte M. das Land der Kunst, und wahrhaftig, es sind feine, wohl erwogene Ansichten, die er hie und da ausspricht. Der Dom von Mailand, die Karlhause von Pavia waren die ersten Puncte, welche seinen prüfenden Künstlerblick fesselten; dann ging es über Genua, Pisa, wo der herrliche Campo santo ihn entzückte, nach Florenz, wo die Reisenden acht Tage verweilten, am 6. November 1842 trafen sie in Rom ein. Von Rom aus, wo sich der Aufenthalt bis Mai 1843 ausdehnte, besuchte M. zu wiederholten Malen Florenz. Dort fand er bei einem Besuche des Cavaliere Mattas diesen mit einem Entwurfe der Façade für den Dom, deren Vollendung eben ausgeführt werden sollte, beschäftigt, und so wurde denn auch M.’s Aufmerksamkeit auf diese interessante Arbeit, die ihn nachmals lange noch beschäftigte, gerichtet. So oft er dann Florenz noch besuchte, widmete er seine ganze Zeit dem aufmerksamsten Studium des Domes. Im Juni 1843 übersiedelten die beiden Freunde nach Albano, wo sie noch einige Wochen mitsammen verlebten, bis sich Merian in seine Heimat zurückbegab, worauf Müller allein einen Ausflug nach Neapel unternahm, dann aber im October 1843 sich in Florenz festsetzte, ganz in die Vollendung des Domes sich vertiefend. Es waren ernste Studien, welche M. aus diesem Anlasse betrieb und deren Ergebniß er auch in einer größeren Denkschrift, betitelt: „Ueber die einstige Vollendung des Florentiner [378] Domes. Ein Beitrag zur Darstellung der Gestaltung und Bedeutung des christlichen Domes“, welche in der „Allgemeinen Bauzeitung“ für 1847 abgedruckt steht, niederlegte. Früher aber versuchte er nach seinem Plane, diese reifen Früchte des ernstesten Studiums an den Hof von Toscana geleiten zu lassen. Die Antwort, die der Künstler einige Tage darnach erhielt, bestand in der einfachen Zurückgabe der Zeichnungen! Um diese Zeit hatte ein schweizerischer Patriot einen Aufruf an vaterländische Architekten ergehen lassen, Pläne zu entwerfen für ein schweizerisches National-Denkmal. Ein Schiedsgericht von Schweizer Architekten sollte im Sommer 1845 in Winterthur zusammentreten und über die eingesandten Arbeiten das Urtheil sprechen. Dem Preisträger war eine goldene Medaille bestimmt. Durch den Erfolg mit der Florenzer Domfaçade keineswegs entmuthigt – an dem echten Künstler gehen dergleichen Mißgriffe dritter Personen vorüber – machte sich nun M. an diese neue Arbeit, kehrte aber auch, da sein längeres Verweilen in Florenz nutzlos war, Anfangs August 1844 über Bologna, Ferrara, Padua, Venedig und Verona in die Schweiz zurück, wo ihn bald schweres Familienleid heimsuchte, denn in kurzer Zeit mußte er den Doppeltod einer bereits verheiratheten Schwester und seines jüngeren Bruders Karl beklagen. Indessen hatte er die Zeichnungen für das National-Denkmal vollendet und an das Schiedsgericht mit dem Motto: „Unvollendet“ eingesandt. Der Preis wurde einer anderen Zeichnung zuerkannt, dagegen der Wunsch ausgesprochen, die Entwürfe mit dem Motto „Unvollendet“ für den Schweizer Architektenverein zu erwerben. Müller nahm dieses Anerbieten an und der Preisgeber, Stadtrath J. M. Ziegler, erbat sich von M. gegen den Werth der goldenen Preismedaille die Ausführung seiner Entwürfe, welcher Arbeit M. sich auch unterzog. Damals, 1845, zeigten sich die ersten Spuren des unheilvollen Uebels, das ihn in der Blüthe seines Lebens und Schaffens dahinraffte, und zur Stärkung seiner Brust begab er sich in die Appenzeller Berge, wo er sich bald einigermaßen erholte. Nach seiner Rückkehr wurde ihm im Canton selbst, dem er durch seine Geburt angehörte, eine lohnende Aufgäbe. Die protestantische St. Laurenziuskirche in St. Gallen, ein Bau aus dem 15. Jahrhunderte, zeigte sich bereits so schadhaft, daß man, das Bedenkliche ihres ferneren Gebrauchs erkennend, Anstalten entsprechender Art treffen mußte, wobei es zunächst galt, ob die Kirche restaurirt werden könne oder aber durch einen Neubau ersetzt werden müsse. Müller, zu einem Gutachten aufgefordert, untersuchte den Bau auf das Sorgfältigste, vermaß und zeichnete Plan und Theile, und erstattete in einer ausführlichen Denkschrift sein Gutachten, worin er, von einem Neubau abrathend, die Restauration befürwortete. Die Theilnahme für diese Arbeit und die ihr beigelegten Pläne und Zeichnungen war eine so große, daß in kürzester Zeit eine ansehnliche Summe zur Ausführung seiner Anträge gezeichnet wurde. Ohne jedoch den sich in die Länge ziehenden Schluß dieser Angelegenheit abzuwarten, unternahm M. eine Reise nach München, das er im März 1846 wiederholt und nach seiner Rückkehr aus Italien zum ersten Mal besuchte. Seine Empfindungen oder richtiger Enttäuschungen über die dortigen Neubauten, bei denen es versäumt worden, eine nationale Kunst zu schaffen, legte er in einem Cyklus von Sonetten nieder. Zugleich stellte er seine[379] Zeichnungen zur Vollendung des Florentiner Domes im Kunstvereine aus, welche ungewöhnliche Bewunderung erregten. Wie die Sachen in München standen, zweifelte Müller selbst an einer seiner Ansichten und Ideen entsprechenden Beschäftigung, sie sollte ihm auch anderswo werden. In den nordöstlichen Cantonen der Schweiz war eine Gesellschaft für die Vorarbeiten zum Baue einer Eisenbahn von Zürich nach dem Bodensee zusammengetreten, und als ein Architekt für die Hochbauten derselben gewonnen werden sollte, fiel die Wahl auf Müller. Dieser verließ demnach im Mai 1846 München und begab sich nach Winterthur. Dort ging sein Leben in lauter Arbeit auf. Diese selbst war sehr mannigfach, Entwürfe und Pläne verschiedener Größe und Ausdehnung, kleine einfache Wächterhäuschen, Stationsplätze zweiten, Stationshäuser ersten Rangs, ferner die Bahnhöfe zu Weinfelden, Frauenfeld und Winterthur, nach diesen in ihrer Art musterhaften und ungemein geschickt entworfenen Bahnhofzeichnungen vollendete er ebenso den Entwurf zu einer neuen Kanzel für die Hauptkirche in Winterthur im gothischen Style, ferner Pläne zu einem Landhause in der Nähe von Winterthur für Fr. Imhof, dann Pläne zur Restauration der baufälligen Kirche zu St. Johann im Canton St. Gallen u. dgl. m. Unter solchen Arbeiten gingen Herbst und Winter 1846 bis zum Frühlinge 1847 dahin. Inzwischen wurde aber Müller’s Name auch in auswärtigen Kreisen in sehr vortheilhafter Weise bekannt. Die Kunde von Müller’s Florentiner Domprojecten, die in München verdientes Aufsehen erregt, war auch nach Wien gedrungen, und der ungemein energische und für die Hebung seines Faches rastlos thätige Redacteur der „Wiener allgemeinen Bauzeitung“, Ludwig Förster [Bd. IV, S. 270][WS 1], hatte kaum Nachricht davon erhalten, als er Müller selbst bewog, eine Abhandlung über seine Pläne nebst den erforderlichen Zeichnungen für sein Blatt zu schreiben, was Müller auch that. Der Titel dieser Abhandlung ist bereits genannt worden. Sie erschien im Jahrgange 1847 gedruckt. Auch reiste Müller im Herbste 1847 selbst nach Wien, wo er von den dortigen Künstlern auf das Freundlichste aufgenommen wurde. In Wien beschäftigten ihn zunächst die Pläne für die Stadt Brüssel, die einen Concurs für den Entwurf eines bedeckten Markte ausgeschrieben hatte. M. hatte sie in genialer Weise vollendet. Aber ein trauriges Verhängniß, wie sein Biograph berichtet, waltete über diesen Zeichnungen, und die bitteren Erfahrungen, die er mit seinem gläubigen Vertrauen auf eine öffentliche Behörde machen mußte, wirkten wie Gift auf seine ohnehin schwankende und durch die Arbeiten im hohen Grade angegriffene Gesundheit, und leider kann man, wie es sich dann herausstellte, die Behörde nicht freisprechen von Schuld. Bald hatte M. auch hinreichende Beschäftigung in Wien gefunden, aber auch diese stockte, als die Märzstürme des J. 1848 über Europa hereinbrachen und auch wie in anderen Gebieten in jenem der Kunst ebenso viele alte gang- und brauchbare Wege verschütteten, als zur Anlage und zum Aufbaue von Neuem aufrüttelten. So litt Müller als Fremder doppelt unter dem Stillstande seine Erwerbes, Da geschah es denn, daß um diese Zeit der Bau einer Kirche im Renaissancestyl des 16. oder 17. Jahrhunderts in einer Wiener Vorstadt ausgeführt werden sollte. Diese Vorhaben beschäftigte unseren Künstler, der über diese Angelegenheit [380] in einer Plenarversammlung des Wiener Architektenvereins einen Vortrag hielt, der bald darauf unter dem Titel: „Der deutsche Kirchenbau und die neu zu erbauende Renaissancekirche für Altlerchenfeld“ (Wien 1848) im Drucke erschien. Der Eindruck, den der Vortrag und nachher die Schrift in den maßgebenden Kreisen hervorbrachte, war außerordentlich. Er richtete, durch seine günstige Aufnahme ermuthigt, sein Memoire an das k. k. Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Gleichsam als einen ergänzenden Anhang zu der obgenannten Schrift hielt er einen zweiten Vortrag im Architektenvereine über die Frage: „welches Verfahren ist einzuschlagen, um fortan nur solche Entwürfe zu öffentlichen Bauten zur Ausführung kommen zu lassen, welche die Würde des Staates und der Kunst vertreten“, der selbst behördlicher Seits solche Beachtung fand, daß man auf Müller’s darin gemachte Vorschläge einging. Die nächste praktische Folge zeigte sich bei der Altlerchenfelder Kirche selbst. Der schon begonnene Bau wurde sofort eingestellt und ein Concurs zur Einreihung neuer Pläne ausgeschrieben. Nur acht Tage hatte Müller für diese Arbeit Zeit, aber er unternahm sie und vollendete in diesen acht Tagen Grundriß, Aufrisse und Durchschnitte nebst Kostenberechnung der neuen Kirche. Ein vom Ministerium eingesetztes, aus Fachmännern bestehendes Schiedsgericht entschied am 17. August 1848 in öffentlicher Sitzung mit absoluter Stimmenmehrheit zu Gunsten der Entwürfe Müller’s. Nach diesen seinen Entwürfen sollte der völlig neue Bau der Kirche von Altlerchenfeld ihm selbst übertragen werden. Das Ministerium bestätigte diese Entscheidung, und so stand M. mit einem Male fast unverhofft an dem Ziele seiner Bestrebungen, an der Spitze eines großen monumentalen, von ihm selbst entworfenen Baues. Noch im Herbste 1848 schritt M. an die Ausführung seiner Pläne, so daß vor Eintritt des Winters der Grund ringsum herausgemauert, die Mauern des Presbyteriums auf eine Höhe von 2½ Klaftern und je beider Thürmen auf 5 Schuh gebracht waren. Indessen nahmen die Symptome seines Leidens immer mehr und mehr zu, aber durch immer neue Erfolge, die er gerade um diese Zeit errang, sollte er sein Leiden wenigstens auf kurze Zeit wieder vergessen. Aus seiner Heimat, aus welcher auch zwei von seinen Schwestern zu seiner Pflege und Uebernahme der häuslichen Sorge nach Wien gekommen waren, erhielt er die Kunde, daß seine Vorschläge bezüglich der Laurenziuskirche in St. Gallen angenommen werden dürften. Als dann im Jahre 1849 an der kaiserlichen Ingenieur-Akademie eine Lehrkanzel der Baukunst neu errichtet wurde, ward dieselbe im Jänner 1849 Müller’n übertragen. Wie leidend er übrigens auch war, M. trat sein Lehramt an und verwaltete es gewissenhaft. Indessen wurde sein Zustand immer bedenklicher und die einzige Hoffnung ward noch auf einen Besuch seiner Heimat gesetzt, aber auch damit war es zu spät, er war außer Stande, die Reise anzutreten. Hingegen war sein Bruder Johann nach Wien gekommen – und hatte nur mehr eine traurige Liebespflicht zu erfüllen. Vor anbrechendem Morgen des 2. Mai hauchte Müller seine Seele aus. Der Bau der Altlerchenfelder Kirche wurde nun an den Privatarchitekten Sitte, der unter Müller bereits gearbeitet und mit dem ganzen Detail vertraut war, übertragen und von diesem ganz im Geiste Müller’s zu Ende geführt. So gelangte Wien durch M. zu einem Monumentalbaue, der nach [381] der St. Stephans- und der Votivkirche das Herrlichste ist, was Wien in dieser Richtung besitzt. Im October 1849 beschloß auch die Gemeinde zu St. Gallen die Restauration der St. Laurenziuskirche ganz nach dem Entwurfe Müller’s. Der Künstler, an dessen Sarge Dr. Sebastian Brunner Worte voller Weihe sprach, ist auf dem Schmelzer Friedhofe begraben. Müller’s Dichtungen – meist tiefempfundene Reflexionspoesie voll Schwung und Begeisterung – sind zum großen Theile in der von Ernst Förster verfaßten Lebensskizze des so jung verblichenen Künstlers enthalten. Fast zwei Jahrzehnde nach seinem Tode erschien von J. M. Ziegler herausgegeben: „Aus dem künstlerischen Nachlasse von J. G. Müller, Professor an der Ingenieur-Akademie in Wien“ (Winther 1860, Wurster u. Comp., Fol., mit 43 K. K.). Gut war sein Herz, wie sein Geist reich. Kindlich sein Gemüth und doch jeder Begeisterung der Liebe wie des Zornes fähig: ein seltener Mensch. Wer ihn kannte, kann ohne Thränen an seinen Verlust nicht denken, und wer ihn nicht gekannt, ist ärmer als wir, die wir ihn verloren. So schließt einer der Nekrologe Müller’s. In Wien aber lebt sein Andenken in Künstlerkreisen fort, und vornehmlich seinem Streben ist es zu danken, daß bei Kirchenbauten der sogenannte Renaissancestyl, jener Zopfstyl, der, ein trauriges Erbstück der Jesuiten, an so vielen ungestalten Kirchen unangenehm wirkt, wohl – hoffen wir es – für immer verdrängt worden ist.

Förster (Ernst), Johann Georg Müller, ein Dichter, und Künstlerleben (St. Gallen 1851, Scheitlin u. Zollkofen, 8°.). – Neuer Nekrolog der Deutschen (Weimar, Bernhard Friedr. Voigt, 8°.) XXVII. Jahrg. 1849), S. 312, Nr. 97. – Illustrirte Monathefte (4°.) 1853, S. 73 u. f.: „Georg Müller, ein Künstler- und Dichterleben“. – Wiener Zeitung (gr. 4°.) 1861, Nr. 224 u. f.: „Bau und Ausschmückung der Kirche in Altlerchenfeld“. – Presse (Wiener polit. Journal) 1861, Nr. 270: „Ein Künstlergrab“. – Hamburger Jahreszeiten (gr. 8°.) 1851, S. 874. – Porträt. Unterschrift: Joh. Georg Müller. Geb. in Mosnang am 15. September 1822, gest. in Wien am 2. Mai 1849. Nach einem Lichtbild gest. von Gonzenbach.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [Bd. IV, S. 271]