BLKÖ:Luzzatto, Samuel David

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Luzzato, Filosenno
Band: 16 (1867), ab Seite: 178. (Quelle)
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Luzzatto, Samuel David (jüdischer Gelehrter, geb. zu Triest 22. August 1800, gest. zu Padua 29. September 1865). Entstammt einer alten, ob der vielen Gelehrten die sie zählt, in besonderer Achtung stehenden Judenfamilie, über welche einige nähere Andeutungen in den Quellen gegeben werden. Samuel David’s Vater Chiskia (Ezechia) war Drechsler und seine Mutter Mirjam Malka (Regina) war eine geborne Cormons. Chiskia war früher zu San Daniele, einer kleinen Stadt Friauls, ansäßig, als aber der venetianische Senat die Ausweisung der Juden aus Stadt und Staat im Jahre 1777 beschlossen und die Behörden im Bereiche ihrer Jurisdiction mit ihrer Vertreibung beauftragt hatte, zog Chiskia nach Triest, wo er von der Ausübung seines Gewerbes und vom Kleiderhandel seine Familie erhielt. Sein Sohn Samuel David besuchte die Triester Talmudschule; neun Jahre alt, lernte er bei Isaak Cologna die Grammatik und im folgenden Jahre begann er bei Abraham Elieser Levi das Studium des Talmud. In Folge der Reformen, welche auf Befehl der französischen Regierung, welche damals das Küstenland inne hatte, im Unterricht eingetreten waren, lernte L. auch französisch, Geographie und Geschichte, und um diese Zeit erwachte in [179] dem Jünglinge die Neigung zum Studium der Philosophie, wie sich denn auch sein poetisches Talent damals bereits in kleineren Dichtungen, die er in hebräischer Sprache verfaßt hatte, kund gab. Schon im Jahre 1813 versuchte es L. die Fabeln des Aesop ins Hebräische zu übersetzen. Im nämlichen Jahre begann er auch das Handwerk seines Vaters, das Drechseln, zu lernen, ohne jedoch die Studien im Talmud und Sohar aufzugeben, bei denen er damals schon für die Unechtheit des Sohar, trotz des allgemeinen Glaubens an die darin sich kundgebende Inspiration, gegen seinen Vater sich aussprach. Obwohl durch den im Jahre 1814 erfolgten Tod seiner Mutter größere Lasten in Besorgung der häuslichen Geschäfte, so z. B. im Hauswesen und die Einkäufe für die Wirthschaft ihm zuwuchsen, benützte er doch jeden freien Augenblick für seine wissenschaftliche Ausbildung, studirte Soave, Locke, Condillac, deren von jedem Transcendentalismus freie Ansichten ihm sehr praktisch und annehmbar erschienen. Auch in Beziehung auf die hebräische Poesie trat er damals bereits reformirend auf. Jedes Wortspiel meidend, wodurch der Sinn beeinträchtigt werden konnte, sah er besonders auf Reinheit des Styles, und in den um jene Zeit begonnenen Studien der Bibel fand er in dem damals (1816) aus Görz nach Triest übersiedelten Samuel Vita Lolli einen freundlichen und kenntnißreichen Förderer. Im Jahre 1817 schrieb er in hebräischer Sprache ein Werkchen über die hebräische Punctuation, welches so zu sagen die Grundlage der 34 Jahre später erschienenen Dialogues sur la Kabbale bildet; im folgenden Jahre, mit Reggio sich befreundend, begann er eine theologisch-philosophische Abhandlung, die er jedoch nicht vollendete. Wie schon oben bemerkt worden, hatte er im Alter von 13 Jahren das Handwerk seines Vaters, das Drechseln, zu lernen begonnen, da aber seine schwache physische Constitution ihm dessen Ausübung nicht gestattete, er aber nach dem Muster der Talmudlehrer durchaus irgend eine mechanische Kunst erlernt haben wollte, verlegte er sich im Jahre 1819 auf die Uhrmacherei., gab sie aber auch, da sie ihm gar keine Vortheile bot, schon nach einem Jahre wieder auf. Von nun an ertheilte er Privatunterricht und verlegte sich fleißig auf literarische Arbeiten, die er neben der Muße seines späteren Berufes als Lehrer vollendete. Eben diese Arbeiten lenkten ihrer Gründlichkeit, Gediegenheit und der umfassenden Kenntnisse wegen, die aus denselben sprachen, die Aufmerksamkeit auf ihn, als von den israelitischen Gemeinden des lombardisch-venetianischen Königreichs im Jahre 1829 in Padua ein Institut für den höheren Unterricht der Rabbiner begründet wurde und sie als Lehrer an dasselbe zugleich mit Lelio Della Torre [Bd. III, S. 222] auch Luzzatto beriefen. Auf diesem Posten entwickelte L. eine großartige Thätigkeit auf wissenschaftlichem Gebiete. Zweimal verheirathet, zuerst im Jahre 1826, zum anderen Male im Jahre 1842, stammte aus erster Ehe sein Sohn Filosseno [s. d. Vorigen], der als Gelehrter seinem Vater nacheiferte, aber in der Blüthe seiner Jahre starb. Als aber im Jahre 1862 seine einzige Tochter Marianne, aus zweiter Ehe, ein Mädchen von 18 Jahren, starb, gerieth L. in mißliche Verhältnisse und Rabbiner Mannheimer in Wien, als er indirect von Luzzatto’s bedrängter Lage hörte, verschaffte ihm noch kurze Zeit vor seinem Tode eine hochherzige Unterstützung, welche durch eine von Dr. L. A. [180] Frankl bewerkstelligte Sammlung zusammengebracht wurde. Außer zahlreichen Abhandlungen und Aufsätzen in hebräischen Zeitschriften und Kalendern, als in der Rivista israelitica di Parma, im Zion, im „Israelitischen Jahrbuche“ von Busch, in Jost’s „Israelitischen Annalen“, im „Orient“, in „Kochbe Jizchak“, in Geiger’s „Zeitschrift“, in „Bikkure ha-Ittim“, „Ozar Nechmad“ (worin sich eine kritische Besprechung des biblischen Buches Kohelet befindet), in der „Neuzeit“, in den Archives israelites, L’univers israélite u. s. w., erschienen von ihm viele selbstständige Werke, u. z. schon in den J. 1820, 1821 und 1822 Uebersetzungen israelitischer Gebete deutschen Ritus (in Wien). Als er zur Erlangung der Druckbewilligung diese Arbeit dem Bischofe von Triest vorlegte, sprach sich der würdige Prälat in anerkennender Weise darüber aus und forderte ihn zur Uebersetzung anderer hebräischer Werke auf, um deren Verständniß der Menge zu erleichtern. Im Jahre 1829 ließ er seine italienische Uebersetzung der Gebete nach dem italienischen Ritus (Wien 1829, Livorno 1837, Mantua 1865) folgen. Außer diesen Andachtsschriften gab er heraus: „אוהבגר‎“, eine kritische Untersuchung über das Onkelos Targum mit Auffindung von 32 Grundsätzen der Uebersetzung und mit 450 wichtigen Varianten nebst einem Anhang über das Syrische, namentlich in den Targumim und 132 Lesarten von den Targum zu den Psalmen wie auch einer Erklärung von 125 targumischen Wörtern; – „Prolegomini ad una grammatica ragionata della lingua ebraica“ (Padova 1836); – „סדר תנאים‎‎“, die Ordnung der Mischna- und Talmudlehrer (Prag 1839); – „‎בתולה סה יהודה‎“ eine Liedersammlung aus dem Divan des Jehuda ha-Lewi aus Castilien mit Einleitung und Anmerkungen (Prag 1840); – „אבני זכרון‎“, Denksteine oder 76 Epitaphien, welche auf den Grabsteinen ausgezeichneter Israeliten in Toledo vor 600 und 500 Jahren gestanden, aus einer Handschrift der Turiner Bibliothek, welche sie 1809 von einem gewissen Thomas Valpurgo-Calusio erhalten (Prag 1809); – „Giudaismo illustrato I e II“ (Padova 1848–1852); – „Calendario ebraico per 20 secoli“ (ebd. 1849, 8°.); – „Dialogues sur la Kabbale“ (Gorizia 1852); – „Giobbe volgarizzato“ (Trieste 1853); – „Grammatica della lingua ebraica“ (Padova 1853–1857); – „Il Profeta Isaia volgarizzato e comentato ad uso degli Israeliti“ (ebd. 1855–1863); – „Discorsi morali“ (ebd. 1857); – „Il Pentateuco colle Haftarót volgarizzato ad uso degl’ Israeliti“ (Trieste 1862, 8°.); – „Lezioni di teologia morale israelitica“ (Padova 1862, 8°.); – „Lezioni di teologia dogmatica israelitica“ (Trieste 1863); – „Der Divan des Juda ha-Lewy“ (Lyck 1864); – „Katalog der Bibliothek des Almanzi“ (Padua 1864); – „Elementi grammaticali del caldeo biblico e del dialetto talmudico babilonese“ (Padova). Auch gehört zu seinen Schriften eine Sammlung hebräischer Gedichte, welche unter dem Namen כנור נעים‎ in Wien gedruckt wurden. Von seinen zahlreichen, in Journalen und Werken enthaltenen Aufsätzen und Abhandlungen sind besonders anzuführen seine Noten zum Jesaias in französischer Sprache in der Ausgabe der „Scholia in Jesaiae vaticinia in compendium redacta“ von Rosenmüller (Leipzig 1835); – die Artikel in den „Rabbinischen Gutachten über die Beschneidung“ (Frankfurt a. M. 1844); – [181] seine Bemerkungen im dritten Bande der „Geschichte der Hebräer“ von A. Bianchi-Giovini (Mailand 1845); – die Einleitung in den Machasor des italienischen Ritus (Livorno 1856); – sein Appendice zur Biographie des J. B. de Rossi im III. Bande von Camillo Ugoni’s „Della Letteratura italiana nella seconda metà del secolo XVIII. Opera postuma (Milana 1856) und seine historischen und literarischen Nachrichten über die Familie Luzzatto in Busch’s „Jahrbuch der Israeliten auf 1848“. Ebenso große Verdienste wie durch eigene schriftstellerische Werke erwarb sich Luzzatto durch seine literarischen Mittheilungen, Excerpte aus Handschriften und Collationen für den größten Theil der jetztlebenden jüdischen Schriftsteller. Beweise dafür findet man in den Werken von Rapaport, Zunz, Geiger, Sachs, Steinschneider, Jellinek, Kämpf u. m. A. Luzzatto führte eine ausgebreitete Correspondenz und es müssen Tausende von Briefen von ihm vorhanden sein, welche gesammelt und veröffentlicht zu werden verdienen. Vieles hat L. in Handschrift hinterlassen, vieles was gar nicht für den Druck bestimmt ist, was er nur für sich zu eigenen Zwecken niedergeschrieben. Ueber Antrag des Professors Baldassare Poli wurde L. zum correspondirenden Mitglied des Istituto veneto erwählt. L. hat auf seinem Gebiete Großartiges geleistet und in der jüdischen Literatur epochemachend gewirkt. Vornehmlich war er bemüht, in den Ideen über das Judenthum die Schlacken zu beseitigen, welche in einer wüsten Vergangenheit demselben beigemischt worden. Die Zeit und ihren Genius erfassend schreibt er einmal: „Es handelt sich nicht um die Widerlegung von Verleumdungen, wer glaubt noch an dergleichen? und wenn es hie und da Einen gibt, so ist er bereits von dem Geiste des Jahrhunderts, von dem Geiste der Brüderlichkeit und Gerechtigkeit gerichtet. Es handelt sich nicht mehr um den Aufschub der Rechte, diese sind bereits aller Orten anerkannt. Es handelt sich um die Aufhellung der Wahrheit“. In dieser Weise rastlos thätig, entging er aber nichts destoweniger dem Loose aller Propheten im Vaterlande nicht. Während sein Name im Auslande, namentlich in Deutschland, mit großer Achtung genannt wurde, war er in seiner Heimat nahe daran zu verhungern. Für seine hinterbliebene Familie haben die italienischen Juden viel geleistet. Auch hat Dr. Albert Cohn in Paris den Druck des Commentars zu Jesaia durch bedeutende Unterstützung möglich gemacht.

Kalender und Jahrbuch der Israeliten auf das Schaltjahr (1848) 5608. Herausgegeben von Isidor Busch (Wien 1847, Franz Edl. v. Schmid, 8°.) VI. Jahrgang, S. 95–116: „Selbstbiographie des S. D. Luzzatto nebst vorangeschickten historischen und literarischen Nachrichten über die Familie Luzzatto seit dem XVI. Jahrhunderte; aus dem noch ungedruckten italienischen Originale übersetzt von Isidor Busch“. – Leva (Gius. de), Della vita e delle opere del professore Samuel Davide Luzzatto. Commemorazione letta nell’ i. r. Accademia di Padova il di 8 Aprile 1866 (Trieste 1866, Coen, gr. 8°.). – Discorsi ed e1egie in morte di S. D. Luzzatto ecc. ecc. (Padova 1865, 8°.). – In morte di S. D. Luzzato. Elegia di A. Castelfranco (Trieste 1865, Coen, picc. 8°.). – Il Corriere israelitico. Periodico mensile per la Storia e la Letteratura israelitica e por gl’interessi generali del Giudaismo, pubblicato sotto la direzione di A. V. Morpurgo (Trieste, gr. 8°.) Anno IV (1865), p. 245: „Esequie celebrate in Verona a suffragio del prof. S. D. Luzzatto“; p. 261: „Parole pronunciate dal Rabbino maggiore Marco Mortara nelle solenni esequie per S. D. Luzzatto“. – Jüdische [182] Zeitschrift für Wissenschaft und Leben. Von Abraham Geiger IV. Jahrg. (1866), 4. Heft: „Luzzatto“. – Illustrirte Monathefte für die gesammten Interessen des Judenthums (Wien, Lex. 8°.) II. Bd. (1865), 5. 182: „Luzzatto“, von Dr. Alois Müller. – Il Tempo (polit. Triester Blatt) 1865, 233: „S. D. Luzzatto, commemorazione“. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Localanzeiger, Nr. 277 [daselbst wird Luzzatto statt Samuel David irrig Abraham genannt und statt des 29. September 1865 ebenso irrig der 30. September als sein Todestag angegeben]. – Porträte. Holzschnitt, geschn. von A. N., mit dem Facsimile der Unterschrift S. D. L. auf S. 184 der „Illustrirten Monathefte für die gesammten Interessen des Judenthums“; – ein Porträt von Luzzatto ist auch besonders als Lithographie erschienen und wurde dann als Holzschnitt in der in Pesth erschienenen „Allgemeinen illustrirten Zeitung des Judenthums“ von Joseph Bärmann reproducirt.