Australien und die Weltausstellung in Sydney
Wir leben in einer Zeit rapiden Fortschritts. Wohin wir blicken, treten uns schlagende Beweise dafür entgegen. Wenige Länder aber haben sich mit ihrer politischen und commerciellen Entwickelung so sehr in den Vordergrund gedrängt, wie das ferne Australien, das für die nächsten beiden Jahre die Völker der Erde einladet zum friedlichen Wettstreit auf den Gebieten der Cultur, des Handels, der Industrie und der Kunst.
Sydney und Melbourne waren von jeher zwei unverbesserliche Rivalinnen. Neusüdwales nennt sich stolz die Muttercolonie; Victoria pocht auf seine größere industrielle und commerzielle Bedeutung – keine Colonie will der anderen nachstehen, keine zurückbleiben auf der eingeschlagenen Bahn gesteigerter innerer Entwickelung. Dieser Rivalität ist es zuzuschreiben, daß die Welt Einladungskarten zu zwei schnell auf einander folgenden Ausstellungen erhalten hat.
Es darf nicht geleugnet werden, daß man bei uns, selbst in sonst gut unterrichteten Kreisen, nur unklare Vorstellungen von Australien und der Bedeutung seiner Colonien hat. Man hat sich damit begnügt, es das Land der Gegensätze zu nennen, das eines ehrbaren Mannes Beachtung nicht würdig sei, weil, in Folge der dort aufgefundenen Goldlager, der Abschaum aller Nationen sich nach der Verbrechercolonie gewandt. Natürlich werde man seines Lebens und Eigenthums daselbst nicht sicher und froh – Alles in Allem sei das Land höchstens gut genug zur Besserungsanstalt für ungerathene Söhne und als Zufluchtsort für bankerotte Kaufleute.
Wie sehr hat man den armen Colonisten Unrecht gethan, die in der That eine günstigere Beurtheilung verdienen, denn sie haben in der kurzen Zeit von noch nicht hundert Jahren und unter den gegebenen Verhältnissen geradezu Unglaubliches geleistet.
Es war von jeher für England ein großes Problem, wohin es alle die Vielen schicken solle, welche alljährlich zum Wohle des Vaterlandes dieses Vaterland zu verlassen haben. Als Cook von seiner ersten Reise zurückkam und Banks sein charakteristisches Bild von der Botany-Bai und ihrer Nachbarschaft entwarf, verfiel man sofort auf den Gedanken, dort eine Deportationscolonie zu gründen. Der ungeheuere Raum zwischen dieser Küste und jeder anderen europäischen Colonie, sowie die bemitleidenswerthe Armuth und das tiefe Elend der Eingeborenen ließen diese Gegenden recht geeignet zu einer solchen Niederlassung erscheinen. Auch der Umstand, daß die öde, unfruchtbare Küste einen fast absoluten Mangel an eßbaren Früchten gezeigt hatte, wurde dem Unternehmen günstig ausgelegt; denn man sagte sich, das müsse den Verurtheilten jede Hoffnung auf das Gelingen eines etwaigen Fluchtversuchs benehmen – sie folglich auch von allen solchen Versuchen wirksam abhalten.
Neusüdwales, die älteste der australischen Colonien, ward also gegründet mit dem Abschaum der englischen Gesellschaft, mit Betrügern, Fälschern, Dieben und Vagabonden, die zu Hause nichts arbeiten wollten, und nun in ein fremdes, weit von allen civilisirten Gegenden entferntes Land geschickt wurden, um dort das Ungewohnte zu erlernen; in ein Land, das für den Hungernden kein Wild und keine Früchte und für den Durstigen oft nicht einmal einen Trunk labenden Wassers zu bieten vermochte; in ein Land endlich, dessen eingeborene Bewohner auf der niedrigsten Stufe menschlicher Gesinnung standen, die keine andere Beschäftigung kannten, als rast- und ruhelos von einem Platze zum andern zu ziehen, um nur die Nahrungsmittel zu gewinnen, welche zur Stillung des nagenden Hungers erforderlich waren.
Und welche Pflege wurde der Verbrechercolonie an den fernen Gestaden des südlichen Meeres von Seiten des Mutterlandes zu Theil? Man darf getrost sagen: wenigstens in den ersten Jahren keine. So wenig kümmerte man sich in England um die Strafcolonie in Neusüdwales, daß man zwei Jahre lang vergaß, Lebensmittel hinzuschicken, ja, daß man sich kaum die Mühe nahm, in Europa den wahren Namen der Niederlassung bekannt werden zu lassen; denn Botany-Bai hieß der Verbannungsort für Verbrecher nicht nur auf dem Continente, sondern auch in England selbst, obschon jetzt Jedermann weiß, daß niemals eine Colonie dort gegründet worden, sondern daß die Niederlassung gleich anfangs in dem heutigen Sydney angelegt wurde. Durch Hungersnoth, Militärrevolten und Verbrecheraufstände mußte sich die Colonie hindurcharbeiten, bis sie zu einigermaßen geregelten Verhältnissen gelangte.
Im Laufe von wenigen Jahrzehnten aber haben sich aus der einstigen Strafanstalt an Port Jackson vier blühende Reiche entwickelt, von denen jedes seinen eigenen Gouverneur und sein eigenes Parlament besitzt. Es sind dies Neusüdwales, seit 1788, Tasmanien, seit 1803 colonisirt und seit 1825 als selbstständige Colonie erklärt, Victoria, seit 1836 besiedelt und seit 1850 selbstständig, und Queensland, seit 1859 unter eigener Verwaltung. Außerdem sind aber in dem fünften Welttheile noch zwei englische Staaten entstanden, welche nicht von der Strafcolonie, sondern direct vom Mutterlande aus bevölkert wurden; diese sind: Westaustralien, die Colonie am Schwanenfluß, seit 1829, und endlich Südaustralien, im Jahre 1853 gegründet.
Alle diese Niederlassungen gedeihen; viele ihrer Einwohner sind zu Wohlstand, manche zu großen Reichthümern gelangt; die Wissenschaften werden eifrig gepflegt und gefördert; insbesondere werden große Anstrengungen für vollständige Erforschung des Binnenlandes gemacht, und menschliche Gesittung dringt unaufhaltsam weit vor in die Einöden und in die Wildnisse eines zum großen Theil noch unbekannten Continents.
Fragt man aber, durch welche Wundermittel diese Umwandlung eines Zuchthauses in blühende Staatswesen geschehen, wie eine so großartige und so ganz ohne Beispiel dastehende Eroberung für die Cultur der Menschheit vollbracht werden konnte, so läßt sich nur zur Antwort geben: durch die aufrichtig und rückhaltlos durchgeführte Selbstregierung, welche ihnen das Mutterland jederzeit gewährt hat.
Freilich hat an diesem Aufschwunge auch der bis vor fünfundzwanzig Jahren noch ungeahnte glückliche Umstand seinen großen Antheil, daß Australien bis jetzt das reichste Goldland der Welt ist. Indessen auch in den Gegenden, in welchen der Boden keine Schätze in Gestalt von Goldkörnern birgt, haben die Menschen auf dem Gebiete des Ackerbaues, der Industrie und des Handels durch redlichen Fleiß goldene Früchte geerntet, und die Südaustralier, die vor vierzig Jahren selbst nichts zu essen hatten, haben seitdem nicht nur alles Getreide, was sie brauchten, gebaut, sondern führten auch noch in jedem Jahre für viele Millionen Mark Weizen aus.
Ueberhaupt hat die Ausfuhr aus den australischen Colonien schon seit Jahren eine Höhe erreicht, die im Verhältniß zur Zahl ihrer Bewohner staunenswerth genannt werden muß. Queensland, Neusüdwales, Victoria, Südaustralien und Westaustralien hatten im Jahre 1876 nicht viel mehr als anderthalb Millionen Einwohner, in demselben Jahre aber wurden aus diesen fünf Colonien für 29 Millionen Pfund Sterling ausgeführt und die Einfuhr erreichte die Summe von über 26 Millionen Pfund Sterling.
Neben diesen enormen Zahlen, welche den australischen Handel repräsentiren, zeigt auch die Zahl der wichtigsten Hausthiere die außerordentlichen Fortschritte, welche die englischen Niederlassungen in Australien machen. Im Jahre 1825 gab es in ganz Australien 6142 Pferde, 134,515 Stück Rindvieh und 237,622 Schafe, 1876 zählte man aber in den oben genannten Colonien zusammen 859,066 Pferde, 6,737,215 Rinder und 51,898,925 Schafe.
Nur ein einziger trüber Zug stört dieses Bild: das ist das Schicksal der unglücklichen Eingeborenen des Landes, welche dem Untergange geweiht sind. Die hier zusammenwirkenden Ursachen sind sehr verschieden: der Branntwein und von Europäern mitgebrachte Krankheiten, wie die Pocken, haben dazu beigetragen, mehr noch der Umstand, daß die Ansiedelungen der Hirten große Räume Landes für die Heerden in Beschlag nahmen und ganze Stämme auf einmal ihrer Opossum- und Kängurureviere beraubt wurden. Das geschieht fort und fort, und wird an den Grenzen der Colonien stets von Neuem Veranlassung zu Conflicten geben, die erst mit dem Aussterben der Eingeborenen endigen werden. Denn nicht durch Vertrag und Kauf wird das Land erworben. Sobald irgend ein frischer Weideplatz zufällig oder durch danach [354] suchende Hirten entdeckt ist, brechen auch schon die Weißen mit ihren Heerden auf, ihn in Besitz zu nehmen. Die Regierung giebt Erlaubnißscheine; „Stationen“ werden erbaut und die Eingeborenen aus der Nachbarschaft verjagt. Das Wild wird von den Europäern zusammengeschossen, von ihren Hunden gehetzt und niedergerissen. Die Gräber der Vorfahren des vertriebenen Stammes tritt der Europäer rücksichtslos mit Füßen, und doch hängt der Australneger ebenso an dem Boden, den er Vaterland nennt, wie andere Menschen. Dadurch nun aber, daß ein Stamm von seinem Jagdgrunde vertrieben wird, geräth er in Feindschaft mit anderen Stämmen, in deren Gebiet er einzubrechen gezwungen wird, und so hat nun auch schon unter den verschiedenen Stämmen der Eingeborenen ein Vernichtungskrieg begonnen.
Das von den Söhnen der Wildniß geräumte Land wird Schritt für Schritt von den weißen Männern besetzt, und die europäische Cultur hält ihren Einzug in die Einöden Australiens. Ebenso weicht die einheimische Thierwelt vor der aus Europa eingeführten mehr und mehr zurück, und der Boden des Landes verliert mit jedem Jahre mehr von dem fremdartigen Aussehen, das er den ersten Besuchern des Continents darbot. Jetzt schon mag das Auge eines deutschen Landmannes mit demselben Wohlgefallen wie daheim auf den goldenen Weizenfeldern ruhen, und der Winzer vom Rhein kann der Trauben üppige Fülle bewundern, deren Weinertrag allerdings des Bouquets entbehrt, aber an Feuer und Süßigkeit noch über dem Capwein steht. Mandeln, Pfirsiche und Orangen gedeihen neben der Baumwollenstaude, dem indischen Zuckerrohre und dem Maulbeerbaume in demselben Boden, in dem nicht nur die uralten, riesigen Eukalypten, sondern auch die italienischen Pinien und die deutschen Eichen emporwachsen. Wo die Wildniß des Urwaldes über das Land gelagert war, da erheben sich jetzt blühende, gewerbreiche Städte, wo sonst der Fußpfad des Schwarzen durch die Gebüsche zog, jagt jetzt das Dampfroß auf eisernen Schienen dahin; wo der arme Eingeborene seinen schwachen Rindenkahn mit dem Speere fortruderte, da zieht stolz das Dampfschiff seine Furchen auf den schäumenden Wogen, und wo ein bedauernswürdiges Volk im harten Kampfe um’s nackte Leben untergeht, da gründet ein anderes Menschengeschlecht mächtige und freie Staaten.
Der größere Theil der arbeitenden Bevölkerung von Neusüdwales, welches nun fremde Gäste aus aller Welt nach Sydney geladen, hat sich bis jetzt allerdings mehr mit Gewinnung von Rohmaterial, besonders Gold und Wolle, als mit dessen Bearbeitung befaßt. Den jährlichen Wollertrag von 52 Millionen Schafen muß man auf mindestens 320 Millionen Zollpfund schätzen. Man sieht daraus, welche ungeheure Capitalien die Wollproduction nach Australien führen muß, andererseits aber auch, welche Gefahr der australischen Schafzucht durch die immer größere Dimensionen annehmende Production von Wolle in Peru, Ostindien, am Cap der guten Hoffnung, vorzugsweise aber in Südrußland droht.
Neben der Schafzucht wird aber auch in großartigem Maßstabe Rindvieh- und Pferdezucht betrieben. Bei der Rindviehzucht rechnet man auf die Häute, die Hörner und das Fett; die Pferde schafft man in großen Heerden nach Sydney oder Melbourne und verkauft sie mit 2 bis 10 Pfund Sterling das Stück, und zwar meist für den Transport nach Indien, wo diese muthigen und zum Ertragen der härtesten Strapazen geeigneten Thiere für die Cavallerie besonders gesucht sind. Zur Gewinnung des Fettes von Schafen und Rindern sind große Auskochanstalten, in neuester Zeit mit Dampf betrieben, in fast allen Weidedistricten eingerichtet. Das Vieh wird geschossen oder in der Viehbucht zusammengeschlagen, abgestreift, geviertheilt, in Stücke gehauen und darauf in große eiserne Kessel geworfen, welche 16 bis 24 Ochsen oder dreimal so viel Schafe auf einmal fassen.
In diesen wird der Talg ausgekocht, abgeschöpft und in Fässer gefüllt, welche alsdann nach England verschickt werden. Das bei dem Auskochen übrig bleibende Fleisch war früher völlig werthlos und ward höchstens als Dünger verbraucht; neuerdings hat man mit großem Erfolg präservirtes Fleisch nach Europa ausgeführt.
Die Goldgewinnung steht nicht mehr auf der Höhe früherer Jahre, sie erreicht indessen immer noch einen jährlichen Werth von 170 Millionen Mark.
Innerhalb der letzten Jahre haben auch Industrie und Gewerbe einen starken Aufschwung genommen, und man hat bereits in großer Maßstabe die Dampfkraft zur Hülfe herangezogen. Die Handwerker der Colonie können die erforderlichen Bedürfnisse schon ebenso gut und billig herstellen, wie dieselben von Europa oder Amerika bezogen werden; man zahlt in Neusüdwales zwar höhere Arbeitslöhne, bezieht dafür aber das Rohmaterial besser und billiger.
Die Fabriken, besonders für Leder, Schuhwerk, Kleider und Möbel, sind jetzt schon zahlreich und bedeutend. Außerdem bestehen Eisengießereien, mehrere Docks und Schiffswerften für die größten Schiffe, Fabriken für Seife und Tabak, Brauereien, Brennereien, große Anstalten für Fleischconserven u. dergl. m. Ausgeführt werden Wolle, Leder, Holz, Häute, Gold, conservirtes Fleisch und Fleischextracte, Thran etc.. Haupteinfuhrartikel sind Manufacte, Kaffee, Thee, Tabak, Glas und Porcellan, Eisenwaaren, Posamenten, Spielsachen, Bücher, Quincaillerien etc..
Im Jahre 1792 wurde es als ein Ereigniß von geschichtlicher Bedeutung angesehen, daß ein Handelsschiff in dem Hafen von Sydney ankerte. Im Jahre 1876 liefen 1145 Schiffe ein und 863 aus, und unter diesen 23 deutsche Fahrzeuge. Dampferlinien, durch 16 Gesellschaften vertreten, verbinden Sydney mit den Häfen der eigenen wie der anderen Colonien, ferner mit Honolulu, San Francisco, Point de Galle, Neucaledonien, den Fidschi-Inseln, Java und Singapur, England und Amerika.
Schon laufen Schienenstränge nach verschiedenen Theilen der Colonie, denen jährlich neue und bedeutende Strecken hinzugefügt werden. Eifrig wird an einer Verbindung mit der benachbarten Colonie Victoria gearbeitet; die Strecke von Sydney nach Melbourne soll im October des laufenden Jahres dem Verkehr übergeben werden.
Mit allen bedeutenderen Orten des Landes besteht telegraphische Verbindung, ebenso wie mit Brisbane, Melbourne, Adelaide, Port Darwin, Neuseeland. Telegramme von Europa und Amerika werden in den täglichen Zeitungen Sydneys veröffentlicht, sodaß die Colonisten oftmals vielleicht eher von dem Stande der Marktpreise und den Tagesneuigkeiten in Kenntniß gesetzt sind, als die Bewohner vieler kleiner europäischer Städte. Ich könnte die Liste der beachtenswerthen Leistungen von Neusüdwales und von den übrigen australischen Staaten noch weiter führen. Aus dem Gesagten aber ergiebt sich schon zur Genüge, wie wichtig für den Handel jene Colonien geworden sind.
Es hat neuerdings nicht an Aufforderungen gefehlt, die Ausstellungen in Sydney und Melbourne mit Erzeugnissen deutscher Industrie zu beschicken, um uns neue Absatzgebiete zu eröffnen, wie dies die Vereinigten Staaten bereits mit großem Erfolg gethan haben. Die deutsche Reichsregierung unterstützt diese Bestrebungen und entsendet einen eigenen Commissar zur Wahrung der Interessen der Aussteller.
Wir haben uns bei den Wettkämpfen der Völker nicht wieder sehen lassen, seit uns Reuleaux’s Ausspruch „billig und schlecht“ brandmarkte. Unter der Führung desselben Mannes soll uns jetzt Gelegenheit werden, den verlorenen Ruf wieder zu gewinnen; möge sie reichlich und zum Ruhme Deutschlands benutzt werden!