Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Ausflug nach dem Monde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 231,234-235
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch: Mond
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Ausflug nach dem Monde.

Kaum ein anderer Gegenstand der populären Astronomie hat die Phantasie der Erdenkinder so oft und nachhaltig beschäftigt, wie die allerdings naheliegende Frage, wie es sich wohl auf dem Monde, unserm nächsten Nachbar im Weltall, leben möchte, ob auf ihm eine von der unserigen ganz verschiedene Menschen-, Thier- und Pflanzenwelt heimisch sei, oder ob seine lichten Berge und schattigen Thäler vielleicht den von der Erde abgeschiedenen Seelen zum Aufenthaltsorte angewiesen seien, entweder allen insgemein, oder nur denen der ungetauften Kinder, wie das Mittelalter fabelte? Die meisten verständigen Menschen hielten sich eben von jeher zu der Annahme berechtigt, daß unsere Nachbarwelt der Erde im Großen und Ganzen sehr ähnlich sei und daß die Mondflecken, mit deren Deutung sich die Völkerphantasie so eingehend beschäftigt hat, von Terrain-Verschiedenheiten herrühren und nicht ein Spiegelbild der Erde vorstellen, wie einzelne Griechen und Indier gemeint haben.

Bei der Unmöglichkeit einer genaueren Untersuchung und dem Mangel an directen Nachrichten hat sich diese Lieblingsrichtung der menschlichen Phantasie, der in schönen Vollmonds-Frühlingsnächten kaum irgend ein beschauliches Gemüth entgeht, schon früh in sehnsüchtig schwärmerischen Dichtungen, in romantischen Reisen nach dem Monde Luft gemacht, wobei selbstverständlich Luna als ideale Welt unsere Welt der Wirklichkeit und des Jammers weit überstrahlen und tief in den Schatten stellen muß, was dann naturgemäß zur humoristischen Behandlung und zur Satire führte. Die phantastisch-satirischen „Mondreisen“ bilden daher eine besondere poetische Gattung der Weltliteratur, und wahrhaftig nicht die schlechteste. Welche Reihenfolge abenteuerlicher Weltraumsfahrten, von jener „Mondreise“ in den „wahren GeschichtenLucian’s an bis zu den jetzt so beliebten, aber nichts weniger als classischen Weltallsreisen von Julius Verne, die nur einem ziemich verdorbenen Geschmacke genügen können!

In der großen Zeit der Wiedergeburt aller Künste und Wissenschaften, die man kurzweg Renaissance nennt, wurden diese [234] Mondreisen zu einem willkommenen Mittel, die aristotelische Philosophie mit ihrer scholastischen Auslegung und ebenso die damaligen Streitigkeiten zwischen Theologie und Astronomie zu verspotten, und man liest noch heute mit Vergnügen in der „Mondreise“ des französischen Dichters Cyrano de Bergerac, wie man den Fremden auf dem Monde mit Todesstrafe bedroht, wenn er nicht seine ketzerische Meinung aufgeben wolle, daß jener große Weltkörper, dessen einziger Zweck sei, den Mondbewohnern bei Abwesenheit der Sonne als Leuchte zu dienen, eine bewohnte Erde und seine Heimath sei. Sechszehn Jahre vor dem Buche Bergerac’s, 1634, war in Deutschland Kepler’s „Traum vom Monde“ als nachgelassenes Werk im Drucke erschienen, eine Schrift, die uns in phantastischem Gewande die Verhältnisse der Mondwelt nach dem Stande der damaligen Astronomie schildert und uns den großen Astronomen zugleich als liebenswürdigen Dichter zeigt.

Haben sich die übrigen Autoren mehr oder weniger ungeschickter Transportmittel bedient, um ihre Helden von der Erde in den Mond gelangen zu lassen – Lucian einer Wasserhose, Ariost Elias’ Feuerwagen, Franz Godwin eines Gespannes wilder Gänse, Bergerac einer Flugmaschine, Verne gar einer Monstre-Kanone – so läßt Kepler sinnig den Schatten, welcher sich bei Sonnen- und Mondfinsternissen ohne Unterbrechung von dem einen Weltkörper bis zum andern spannt, als die ungeheure Brücke benützen, auf welcher die lichtfeindlichen Dämonen eilends einen Menschen hinübertragen können, aber sich sputen müssen, damit der Schatten nicht vor Erreichung ihres Zieles abreiße. Mit unerschütterlichem Vertrauen auf die Theorie des Copernikus einerseits und mit ahnender Zuversicht auf den kommenden Newton andererseits schilderte Kepler, wie auch Bergerac, die Drehung der von den Reisenden verlassenen Erdkugel, die zunehmende Kälte des Weltraums, die abnehmende Anziehungskraft der Erde, bis die Reisenden, über die neutrale Zone hinausgelangt, anfangen, in Folge ihrer Schwerkraft sich schnell nach dem Monde hin zu bewegen, um daselbst mit beschleunigter Geschwindigkeit zu landen. Dann entwirft uns Kepler mit der Vertiefungskraft des mathematischen Genies ein Bild der Himmelserscheinungen vom Monde aus, unter denen natürlich der Anblick der Volva, wie die Erde ihrer täglichen Umdrehung wegen genannt wird, eine hervorragende Stelle einnimmt.

Seine noch heute im höchsten Grade lesenswürdige Schilderung konnte natürlich bei der Mangelhaftigkeit der damaligen optischen Hülfsmittel und Methoden nicht nach allen Richtungen probehaltig ausfallen. So glaubte Kepler noch an die Bewohnbarkeit des Mondes, und die bald nach seinem Hinscheiden durch den Astronomen Riccioli begründeten Zweifel an einer solchen Möglichkeit, weil dem Monde die ersten Bedingungen des Lebens, Luft und Wasser, mangeln, sind erst in neuerer Zeit zu der erforderlichen Sicherheit erhoben worden. Noch in unserem Jahrhundert erklärte F. P. Gruithuysen in München die zum Theil zwölf Meilen und darüber breiten Mondkrater, die Kepler für tiefe Brunnen gehalten hatte, in denen sich die Mondbewohner vor der ungeheuren Sonnenhitze verbergen sollten, für kolossale Rundbauten, Ringmauern und Stadtwälle, und Brandes kam sogar auf die Idee, mit den Menschen des Mondes einen telegraphischen Gedankenaustausch anzubahnen, mit Hülfe ländergroßer Rapsfelder, denen man die Umrisse mathematischer Figuren geben sollte. Gruithuysen’s Meinung, daß die Erdmenschen oder Geen in Zukunft mit den Mondmenschen oder Meneen in allernächste Berührung und Verkehr kommen würden, hat Börne bekanntlich schon zu einer Feststellung des Besuchs-Ceremoniels veranlaßt. Er findet nämlich, wir dürften die Sache ruhig abwarten, da die Mondbewohner als Angehörige der kleineren Welt uns den ersten Besuch schuldig seien.

Wenn wir nunmehr dieses phantastisch-satirische Gebiet verlassen und uns fragen: was weiß die heutige Wissenschaft von der näheren Beschaffenheit des Mondes? so müssen wir sagen, daß diese uralte nachbarliche Neugierde und Theilnahme ihre vollkommene Befriedigung erst durch ein kürzlich erschienenes Prachtwerk der englischen Astronomen J. Nasmyth und J. Carpenter[1] gefunden hat, welches in einer jedem Gebildeten verständlichen Sprache den Mond nach allen seinen Eigenthümlichkeiten schildert, und die Kosten einer malerischen Mondreise, die das Buch in Wirklichkeit ersetzt, auf vierundzwanzig Mark ermäßigt. Nach einer dreißigjährigen Beschäftigung mit dem Monde haben diese Forscher Reliefkarten der lehrreichsten Bezirke desselben mit einer Genauigkeit ausgeführt, wie sie nur eine lange Uebung im teleskopischen Sehen ermöglicht. Diese Reliefs sind dann bei seitlicher Beleuchtung, sodaß die Erhabenheiten, wie beim ersten und letzten Mondviertel, lange Schatten werfen, photographirt und durch den Lichtdruck in so bewunderungswürdiger Weise wiedergegeben worden, daß man sich bei richtiger Lage dieser Quarttafeln und Schließung des einen Auges factisch mit der Fingerspitze davon überzeugen muß, wirklich nur spiegelglatte Lichtdrucke und nicht die Reliefs selbst vor sich zu haben. Mit Hülfe dieser Karten, die bisher ihres Gleichen nicht hatten, vermögen wir uns besser auf dem Monde zu orientiren, als wir es mit den besten Fernrohren zu thun im Stande sein würden, ja vielleicht besser, als wir es bei wirklich ausgeführter Reise zu thun vermöchten.

Wir erfahren hieraus, daß der Mond, gleich einem mit Pockennarben übersäeten Antlitze, dicht mit tausenden von kleineren und größeren Kratern bedeckt ist, die im Allgemeinen ganz so gebildet sind, wie die thätigen oder erloschenen vulcanischen Berge der Erde, nur daß die kleinsten noch sichtbaren größer sind, als unsere größten Vulcane, während es zahlreiche kolossale Ringe dieser Art auf dem Monde giebt, in deren Raum von mehr als zehn geographischen Meilen Durchmesser ganze Provinzen und deutsche Länder Platz fänden. Schroff erheben sich vereinzelte Bergketten, mit Gipfeln, die bis auf zwanzigtausend Fuß aufsteigen, die Mondalpen und die Mondapenninen, und die Ebenen sind von viele Meilen daherlaufenden, halbmeilenbreit gähnenden Klüften durchzogen, unter denen man sich jene Klüfte vorstellen mag, die Ariost erfüllt sein läßt mit allen jenen Dingen, die dem Erdenmenschen abhanden kommen, wie sein Verstand, der eitle Erdenruhm etc., ehe er sich’s versieht:

Mit Liebesseufzern und mit eiteln Thränen,
Mit leerer Zeit, die über’m Spiel vergeht,
Mit Muße, die Unwissende vergähnen,
Mit hohlen Plänen, die der Wind verweht,
Mit all’ dem armen unerfüllten Sehnen
Ist fast die ganze Stätte voll gesä’t.

Ein großer Theil dieses classischen Werkes beschäftigt sich damit, aus jenen Narben und Schrammen auf die Entwickelungskrankheiten und Kämpfe zurückzuschließen, die der Mond in seiner Jugend durchzumachen hatte, ehe er das in ernste Falten gelegte Mannesgesicht erlangte, welches er jetzt fast unveränderlich festhält. Die Riesenhaftigkeit der Krater wird uns durch den Hinblick auf die geringere Anziehungskraft der kleineren Masse und den Mangel eines Atmosphärendruckes verständlicher gemacht; ähnliche Kräfte, wie die der irdischen Vulcane, mußten dort eine viel stärkere Wirkung ausüben: die vulcanischen Auswürflinge konnten fünf bis sechs Meilen weit unter Umständen geschleudert werden, und die so gebildeten Krater und Ringwälle wurden durch den Mangel an Wasser und Luft derartig vor nachträglicher Verwitterung geschützt, daß der Mond sich in ursprünglicher Reinheit des Gepräges, wie eine Schöpfungsmedaille unsern Blicken darstellt. Es ist natürlich unmöglich, in einem kurzen Journalartikel diesen Verhältnissen gebührend Rechnung zu tragen; versuchen wir es lieber an der Hand der auf der Höhe der Wissenschaft stehenden Verfasser, dem Monde einen kurzen Besuch im Geiste abzustatten, um Phänomene zu sehen, die wahrscheinlich niemals von einem athmenden Wesen erblickt worden sind.

Die Unternehmer dieser großen Gesellschaftsreise führen zu ihrer Entschuldigung – wenn es einer solchen bedürfte – an, daß es für einen nachdenkenden Beobachter, der Nacht für Nacht den Mond betrachtet, die Sonne über seinen vulcanischen Landschaften aufgehen sieht und die Aufeinanderfolge ihrer Lichtwirkungen bis zu ihrem Untergange genießt, fast unvermeidlich sei, selbst bisweilen in Gedanken zu einem Bewohner oder Besucher des Mondes zu werden. Wenn man in Schweigen und Einsamkeit vor einem mächtigen Teleskope diesen ersten Schritt gethan, so entsteht bald der unwiderstehliche Drang, über das wirklich Sichtbare hinauszugehen, und den unsichtbaren Theil des landschaftlichen Gemäldes aus den Ergebnissen und Schlüssen der [235] Wissenschaft zu ergänzen, kurz ein Bild zu vollenden, von welchem die Philosophen sagen würden, es existire nicht, weil es sich auf keinem Augengrunde abmalt. Unter der sicheren Führung unserer Gewährsmänner ersteigen wir den steilen Abhang eines der größern, in der Nähe der Mondmitte gelegenen Wallkrater, z. B. des Copernikus, wozu wir, nebenbei bemerkt, eine sechsmal geringere Muskelanstrengung nöthig haben würden, als auf der Erde, weil unser Gewicht dort ein soviel mal kleineres sein würde. Der Tag auf dem Monde dauert dreihundertvierundfünfzig Stunden und die Nacht ebenso lange. Ohne vorausgehende Dämmerung, nur durch den Schimmer des Thierkreislichtes verkündet, ohne Morgenröthe und Vergoldung der Berggipfel erhebt sich die Sonne langsam über den durch die stärkere Krümmung der Mondoberfläche beschränkteren Horizont, ein aus finsterer Umgebung auftauchendes, blendendes Licht vom ersten Augenblicke an ausstrahlend. Neunundzwanzigmal langsamer als bei uns, steigt die Strahlenscheibe über den Horizont empor; äußerst langsam verkürzen sich die weithin geworfenen Schatten der Bergspitzen und Krater. Und wie die Sonne an einem schwarzen Himmel strahlt, so erscheinen auch diese Schatten pechschwarz; mit dem blauen Reflexlichte unseres Himmelsgewölbes fehlt auch das zerstreute Licht, welches bei uns die Schatten mildert. Ueberall, wohin wir sehen, stehen Licht und Schatten in schroffem Gegensatze neben einander; es fehlen eben jene sanften Uebergangstöne der Atmosphäre[WS 1], mit denen sie Nacht und Morgen, Abend und Nacht, Licht und Schatten vermittelt, indem sie mit prachtvollen Brechungs- und Aufsaugungsfarben die irdische Landschaft verschönt. Es fehlt jener milde blaue Schleier, den sie bei uns über die Fernen und Tiefen und über den Abgrund des Weltalls selbst breitet, der lachende blaue Himmel mit den weißen Wolken. Jede Einzelheit der Ferne auf dem Monde selbst, wie im weiten Weltall, ist dort schon bei Tage deutlich erkennbar.

Wie Stunde auf Stunde verrinnt, erreichen die Sonnenstrahlen in langsamer Folge Gipfel auf Gipfel unsres Ringgebirges, bis endlich der Kreis geschlossen ist und der ungeheure Kraterrand von zwölf deutschen Meilen Durchmesser als silberglänzender Reif den dunklen Abgrund umfaßt. Allmählich erreicht das Licht auch die etwas niedrigeren Gipfel der Centralkegel, die, dem Vesuv in der Somma vergleichbar, sich inmitten des vulcanischen Walles erhoben haben. Die meisten Mondkrater zeigen, beiläufig bemerkt, diese also nicht blos den Erdkratern eigenthümliche Bildung, die sich aus der Abnahme der vulcanischen Thätigkeiten erklärt, und ein Blick aus der Vogelperspective auf den Vesuv und seine vulcanische Umgebung zeigt uns ein den Mondlandschaften sehr ähnliches Miniaturgemälde. Wenn wir nunmehr im Hinblick darauf, daß die Aussicht von einem niedrigeren Punkte verhältnißmäßig beschränkter sein würde, als auf der Erde, auf unsern hochgelegenen Mond-Aussichts-Punkt zurückkehren, und den Blick rückwärts nach der sonnenbeschienenen Seite des Kosmoramas wenden, so überschauen wir eine wilde Gegend der großartigsten vulcanischen Verwüstung. Krater an Krater bis hinunter zu einem Durchmesser von einer englischen Meile häufen sich in zahlloser Menge, so daß die Oberfläche, soweit wir sie überschauen können, aussieht, als wäre sie von ihnen ganz überschäumt. Dicht hinter uns drängt sich, ebenfalls schwarze Schatten werfend, Fels an Fels und Abgrund an Abgrund; wir sehen klaffende Risse von grausiger Tiefe und Schwärze, unterbrochen von Kratern, thurmartigen Zinnen und Haufen von Schlacken und bunten vulcanischen Trümmern. Keine Spur von vergangenem organischem Leben! Kein Haidekraut oder Moos mildert die scharfen Kanten und harten Flächen; kein Ueberzug kryptogamischer oder flechtenartiger Vegetation verleiht der harten, ausgebrannten Fläche eine Lebensfarbe. So weit wir die Landschaft übersehen, ist sie die Verwirklichung eines schrecklichen Traumes von Einöde und Leblosigkeit.

Dazu dieses ununterbrochene Schweigen, in welchem sich meilenweite Schlünde öffnen könnten, ohne daß wir bei dem Fehlen des den Ton vermittelnden Elementes etwas davon vernehmen würden, Ueberall, wohin wir den Blick des Geistes wenden, ein entsetzliches, selbst in den größten Fernen durch keine Luftperspective gemildertes Licht neben pechschwarzen Schatten. Selbst der Himmel ist tiefschwarz, und neben der Sonne sind die meisten Planeten, die Fixsterne in den uns bekannten, nur wenig veränderten Stellungen sichtbar, aber ohne zu funkeln, wie bei uns. Unabänderlich in der Mitte des Scheitels oder, wenn wir uns mehr am Rande der unsrer Erde beständig zugewendeten Mondhalbkugel befinden, einen kleinen Kreis um den Himmelsscheitel beschreibend, erscheint die Erde, innerhalb eines Mondtages, der gleich neunundzwanzig Erdtagen ist, ebenso ihr Ansehen ändernd, wie für uns der Mond, jetzt als kolossale Sichel oder als Vollerde erscheinend, dann als Neuerde verschwindend, aber sich dabei neunundzwanzig Mal um sich selber drehend und dem Monde unaufhörlich ein neues Schauspiel darbietend. Ist die Sonne am Ende des langen Mondtages ebenso langsam und ebenso farblos, wie sie kam, hinter den Kraterwänden und Bergzügen versunken, so bietet die Erde ein prachtvolles Schauspiel. In viermal größerem Durchmesser als uns der Mond erscheinend, bietet sie ihm jede Stunde der endlosen Nacht als ungeheure Uhr ein andres Schauspiel, und die Mondlandschaft, wenn sie in ihrem Vollglanze darüber strahlt, mit einer Lichtfülle verklärend, daß wir den Wiederschein derselben oft von der Erde aus gewahren.

Während der Mond, wie ihn die Sonne auch beleuchten mag, dem Erdbewohner immer dasselbe vielbesungene schiefe Gesicht zeigt, bietet die Erde umgekehrt diesem ein immer wechselndes Aussehen. Bald ihm die Pole mit dem Silbermützchen des ewigen Eises, bald die Flanken in beständiger Wandlung zukehrend, wird das Bild von Stunde zu Stunde ein anderes; niemals gleicht eine Vollerde der vorigen noch der nachfolgenden, und noch weniger gleichen sich die beiden Viertel. Wahrscheinlich ist dieses Bild ein farbiges, sofern die Meere blaßblaugrün, die Continente verschiedenfarbig erscheinen möchten. Außerdem wechselt das Bild mit den Jahreszeiten; der polarische Eisgürtel erweitert sich oder zieht sich zusammen, und wenn nicht ein schwacher Farbenton, so doch verminderte Lichthelle unterscheidet eine Erdzone in ihrer Sommerpracht von ihrem Winterbilde. Häufig, wenn Wolken sich über ganze Erdkreise wälzen, verschwindet alle Zeichnung unter einem blendenden Nebelschimmer. Schwerlich wird dieser strahlende Schein im Stande sein, die grausige Kälte der langen Mondnacht erheblich zu mindern. Vielleicht mehr als hundert Celsiusgrade unter den Nullpunkt hinabsinkend, steigt die Temperatur an dem darauf folgenden Tage, während seines dreihundertfünfzigstündigen Sonnenscheins, vielleicht zu einem Grade, bei welchem Blei und Wismuth schmelzen würde, und dieser starke Wechsel hat vielleicht den hervorragendsten Antheil an den Sprüngen und etwaigen Veränderungen auf dem Monde, wie man sie beobachtet haben will, ohne indessen dieses Umstandes völlig sicher zu sein.

Unter allen Naturschauspielen, die einem auf den Mond verzauberten Beobachter die Oede seiner Umgebung vergessen lassen könnten, würde dasjenige einer totalen Sonnenfinsterniß, die auf der Erde als Mondfinsterniß gesehen wird, das großartigste sein. Wenn die Sonne hinter die Erde tritt, wird sie deren riesige schwarze Kugel, je nach dem Feuchtigkeitsgehalte der Luft, mit einem mehr oder weniger brillanten, goldgelben bis düsterpurpurrothen Heiligenscheine umgeben, wahrscheinlich in diesen Farben abwechselnd flammend, als ob sie mit Gold und Rubinen eingefaßt wäre. Diese Erscheinung, welche dann ausnahmsweise auch die Mondlandschaft einmal mit farbigem Lichte überfluthet, wird während der langen Dauer dieser Finsternisse bestimmte Phasen darbieten, sofern der Lichtkranz da am hellsten sein wird, wo die Sonne hinter der Erde eben verschwunden ist oder hervortreten will. Die Verfasser haben versucht, ihren Lesern dieses Schauspiel, dessen Eintritt man zuweilen von der Erde aus in dem stark röthlichen Schimmer des verfinsterten Mondes erkannt hat, in einer Farbentafel vorzuführen, und meinen, trotz der Schönheit derselben, daß das Gemälde weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben möchte. Es ist, wenn man will, eine von der Erde bis zum Monde geworfene Morgen- und Abendröthe, ein Alpenglühen, für welches die Mondberge unsrer Atmosphäre verpflichtet sind. Sehr viel unbedeutender würde der Anblick einer Sonnenfinsterniß der Erde vom Monde aus sein. Ueber die erleuchtete mächtige Silberscheibe der Vollerde eilt alsdann ein runder schwarzer, mit einem Halbschatten umgebener Nachtflecken rasch dahin. Da der lange Schattenpinsel, welcher diesen Flecken über die Erde führt, nach Kepler den eilig zu benützenden Steg darstellt, auf welchem Mondtouristen wieder auf ihre heimathliche Erde zurück gelangen können, so rufen wir dem Monde ein schnelles Lebewohl zu und empfehlen uns plötzlichst.

Carus Sterne.


  1. Der Mond, betrachtet als Planet, Welt und Trabant. Autorisirte deutsche Ausgabe. Mit Erläuterungen und Zusätzen von Dr. H. J. Klein. Mit zahlreichen Holzschnitten, zwei Lithographieen und neunzehn Tafeln in Lichtdruck. Leipzig, Leopold Voß 1876.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Atmospäre