Aus der Wandermappe der Gartenlaube/Klenau in Böhmen

Textdaten
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Autor: C. N.
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Titel: Klenau in Böhmen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 330–331
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 9. Klenau in Böhmen.


Bald wird einer jener vielen stillen Erdenwinkel, welche, ungeachtet ihrer poetischen Naturschönheiten, noch viel zu wenig bekannt sind, in das große europäische Schienennetz eingezogen und wo, angeregt durch Stifter’s herrliche Studien, bisher nur vereinzelte Wanderer den südwestlichen Theil des schönen Böhmerlandes besuchten, wird bald die Locomotive mit eleganten bequemen Waggons den modernen Touristenschwärmen ein neues, dankbares Ziel für ihre Sommerausflüge rasch erreichbar machen. Daß wir mit diesem Ziele den sogenannten Böhmerwald sammt seinen grünen Höhenzügen und trauten Thälern, seinen von Sturzbächen durchrauschten Schluchten und düster schönen Seen meinen, werden unsere Leser aus der obigen Erinnerung an Adalbert Stifter, den poetischen Touristen des Böhmerwaldes, errathen haben. –

Wir behalten uns vor, in einer Reihe von Skizzen die dankbarsten Partien besonders zu beschreiben, und wollen heute mit einem der schönsten und romantischsten Fleckchen, das zugleich der lohnendste Anfangspunkt auf der böhmischen Seite ist, beginnen.

In dem durch seine liebliche Schönheit bekannten Angelthale, ungefähr in der Mitte zwischen Klattau und dem Hohenzollernschen Schlosse Bistritz, erhebt sich bei Janowitz aus der Thalsohle ein etwa fünfundzwanzig Klafter hoher Hügel, zu dem eine Fahrstraße hinanführt, – von dieser Seite gesehen, verräth Nichts, daß auf der waldigen Höhe neben einem ausgedehnten bewohnten Schlosse eine der interessantesten Burgruinen Böhmens, die Ruine Klenau, die Perle des Angelthales, thront. Erst auf halber Höhe erblickt man zwischen den Bäumen einige Mauerreste, welche jedoch beim Eintritt in das den Hügel umgebende Gehölz dem Blicke entschwinden. Wenn man den Fahrweg im nun betretenen Wildparke verfolgt, wird man bei einer Biegung des Weges durch den Anblick auf imposante Ringmauern überrascht, und nach wenigen Schritten gelangt man unter dem Laubdache mächtiger alter Bäume zur Thoreinfahrt; links vom Thore breitet sich eine von herrlichen alten Linden und Kastanienbäumen beschattete Plattform aus, und angebrachte Sitze laden zur Rast ein; das Plätzchen ist zu verlockend und reizend, um nicht einige Zeit hier zu träumen; rechts von uns die dunkle Thoreinfahrt neben den mächtigen altersgrauen Wällen, bekränzt und umsäumt mit dem frischen Grün der Bäume, in deren Schatten sich Sage und Wirklichkeit nebelhaft verschmolzen haben, glauben wir, in die Zeit des fehdelustigen Faustrechts versetzt, die Zugbrücke niederrasseln zu hören; schon vernehmen wir Pferdegetrappel, doch statt der gewappneten Reiterschaar kömmt eine moderne Equipage aus dem Thorwege und statt der rauhen Söldnerstimmen tönt aus dem Wagen das muntere Geplauder fröhlicher Kinder uns entgegen; aus unseren romantischen Träumereien wieder zur Wirklichkeit erwacht, treten wir durch das offene Thor in den ersten Burghof; links dehnt sich die lange Gebäudefront des bewohnten Schlosses aus, rechts ragen die malerisch imposanten Trümmer der Hochburg über die reichen Baumkronen empor.

Der ganze erste Burghof vor und neben der Hochburg, sowie die Basteien sind zu einem reizenden Garten umgestaltet; rechts neben dem Hauptthurme gelangen wir unter schattigen Bäumen zuerst zu dem von einem Eckthurme umschlossenen, in Felsen gesprengten sechsundzwanzig Klafter tiefen Brunnen, welcher das köstlichste Trinkwasser enthält; und weiterhin zu einem Aussichtspunkte, welcher das ganze herrliche Angelthal zwischen Klattau und Neuern vor unserem überraschten Blicke entrollt.

Nachdem wir uns mit Befriedigung von dem schönen Bilde wenden und nochmals den ersten Burghof durchschreiten, gelangen wir durch einen zweiten alterthümlichen Thorweg in den oberen Burghof. Mahnte uns auch im ersten Burghofe das bewohnte Schloß und die Gartenanlagen an die Gegenwart, so finden wir uns hier im oberen Burghofe mitten in das graue Mittelalter versetzt; links das alte Schloß, ein alterthümliches einstöckiges Gebäude, knapp daran der drei Stockwerke hohe Wartthurm, ein zweiundzwanzig Quadratklafter umfassendes Viereck mit dem achtzehn Klafter tiefen Burgverließ; rechts eine ganze Front mächtiger Trümmer der alten Hochburg; noch wenige Schritte und unser Blick wird von der pittoresken Schönheit der Südfront der Hochburg gefesselt.

Am östlichen Flügel dieser Seite erhebt sich ein halbrunder massiver Hauptthurm, von dessen Zinnen sich unseren Blicken einer der herrlichsten Aussichtspunkte darbietet. Weit in der Ferne begrenzen die Höhenzüge des Böhmerwaldes mit dem imposanten Ossen und dem langgestreckten hohen Bogen unsern Gesichtskreis; näher vor und unter uns entfaltet sich ein ebenso liebliches als malerisch gruppirtes Landschaftsbild; bewaldete Bergkuppen und Lehnen, von schönen Thälern unterbrochen, da und dort Kirchlein mit Dörfern und Weilern aus den grünen Wald- und Wiesenmatten hervorlugend, so senkt sich sanft von den Höhen des Böhmerwaldes die Landschaft bis vor uns, um weiterhin mit der reizendsten Idylle abzuschließen.

Steigen wir wieder hinab von diesem Aussichtspunkte, so bleibt uns noch eine lange Wanderung durch alle die alten Ruinen und Reste; nachdem wir die merkwürdige sogenannte Hussitencapelle mit ihrer schönen Fernsicht, die westliche Seite der Hochburg und die gut erhaltenen Gemächer im alten Schlosse besucht haben, führt uns ein kleines Pförtchen zwischen dem neuen und alten Schlosse in den Burggraben; dieser Theil ist eine der herrlichsten Partien in dem kleinen Tempe; die lichte Dämmerung, mit der die Sonnenstrahlen, gebrochen durch das goldig grüne Blätterdach alter Ulmen und Linden, uns umweben, die epheuumrankten alten Mauern, die vielen so unendlich anmuthenden lauschigen Plätzchen dieses Burggrabens, dies Alles übt einen so poetischen Zauber auf uns aus, daß wir in den verschlungenen Pfaden, über uns das dichte Laubgewölbe, unwillkürlich an Dornröschen denken und bei jedem Schritte zu den schlafenden Knappen und Rüden zu gelangen glauben.

Wir treten aus diesen lauschigen Gängen, erfrischt an Herz und Gemüth, heraus, um den großen rings um die Ruine im Walde angelegten Park zu durchwandern, und werden auch hier mit überraschend schönen Aussichtspunkten abwechselnd mit den reizendsten Waldpartien erfreut. Zurückkehrend in das Schloß machen wir von der freundlichen Einladung, das neue Schloß zu besuchen, gern Gebrauch und finden einen ebenso gemächlich wie gemüthlich eingerichteten Landsitz; was uns aber besonders hier anzieht, sind wieder die wunderschönen Landschaftsbilder, welche sich hier durch die Fenster der Hauptfront dem freudig überraschten Auge darbieten.

Wir scheiden mit inniger Befriedigung von Klenau, denn wir kennen wenige Punkte in unserem schönen Vaterlande, wo Poesie und Romantik in so trauter Verbindung eine so liebliche Stätte haben. Möge dieses reizende Tusculum immer so gehegt und erhalten bleiben, wie wir es fanden! dann wird kein Wanderer mit Herz und Gemüth ohne wahrste Freude dieses Stück Vergangenheit, umsponnen voll allen Naturschönheiten, verlassen. –

Die älteste Geschichte der später in den Annalen Böhmens so berühmt gewordenen Burg Klenau ist in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt: nur so viel ist gewiß, daß die Burg bereits in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts bestand, denn damals gehörte sie schon urkundlich den Rittern von Klenau, und Miloslaus de Klenovy ist der erste urkundlich bekannte Gebieter dieser Veste, der dieselbe unter König Wenzel dem Zweiten besaß. Die Nachkommen dieses Miloslaus de Klenovy wurden fast alle Przibik getauft; unter ihnen that sich namentlich Einer durch Kriegsruhm und Thatendurst hervor, Przibik der Vierte von Klenau, welcher die väterliche Burg in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts beherrschte, also in der bewegtesten Periode der Geschichte des böhmischen Volkes, während der Hussitenkriege. Er war einer der ersten Ritter, die auf die Seite der Taboriten traten, Aeneas Sylvius, der ihn persönlich kannte, schilderte ihn mit folgenden gehässigen Worten: „je mehr er unter den Ketzern durch Gelehrsamkeit und Beredsamkeit hervorragte, desto grausamer und treuloser war er.“

Am St. Wenzelstage im Jahre 1426 bemächtigte er sich plötzlich mit nur zehn Reitern der Stadt Mies. Im Juli des nächsten Jahres schlug Przibik die in Böhmen eingedrungenen Deutschen, als sie Mies belagern wollten, mit nur zweihundert Mann Besatzung mit blutigen Köpfen zurück, focht später auch in der großen Schlacht bei Riesenberg und züchtigte den buschklepperischen Nachbarritter Habart von Hradek, dessen Raubnester Lopota (im [331] Pilsener Kreise) und die Burg Hus (im Prachiner Kreise) er zerstörte.

Acht Jahre später ging Prizibik von den Taboriten zu den Katholiken über und focht an deren Seite in der berühmten Schlacht bei Lipan. An allen Wirren des langjährigen Interregnums, welches dem Tode des Kaisers Sigmund folgte, nahm er wesentlichen Antheil, und lebte außerdem mit den benachbarten Bayern in beständiger Fehde.

Seine letzten Tage brachte Przibik auf Klenau zu, fand aber auch jetzt noch nicht die ersehnte Ruhe; denn der König Georg von Podiebrad zwang ihn, die eroberte Stadt Mies, die Przibik bisher in ununterbrochenem Besitz hatte, an Jost von Rosenberg abzutreten. Er starb im Januar 1465 auf Klenau und wurde im Dominicanerkloster zu Klattau vor dem Hochaltar an der Seite seines früh verstorbenen Sohnes beigesetzt. Sein Enkel trat schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die Herrschaft und Burg Klenau an den berühmten böhmischen Herrn und nachmaligen Oberstburggrafen von Prag, Zdenek Lew von Rozmita und Blatna ab, von diesem ging Klenau an dessen Sohn Adam Lew von Rozmital und Blatna über.

Ob und wann die Burg Klenau jemals belagert, eingenommen und zerstört wurde, oder ob die jetzt bestehenden malerischen Ruinen nur dem Zahn der Zeit und der Vernachlässigung ihre gegenwärtige Form verdanken, ist nicht sicherzustellen, da historische Nachweise hierüber fehlen; – doch berechtigen die große Menge steinerner Kugeln, welche beim Aufbau des neuen Schlosses im Schutte gefunden wurden, zu der Annahme, daß die Burg durch Belagerung gelitten haben mag.

Ueber die wahrscheinlichen Erbauer der Burg der Ritter von Klenau ist endlich noch sichergestellt, daß dieselben einem der ältesten Adelsgeschlechter Böhmens entstammen, wenigstens wird ihrer Vorfahren schon in dem ältesten Denkmale der böhmischen Dichtung, in der Grüneberger Handschrift, ruhmvolle Erwähnung gethan.
C. N.