Aus dem Leben Kaiser Friedrichs
Für den Mann, der das seltene Los gezogen, der Liebling einer Nation, ja einer ganzen Zeitgenossenschaft zu sein, wird auch das, was der Zufall ihm bot, mit besonderer Bedeutung ausgeschmückt. In einer solchen Bedeutung glänzt gleich der Geburtstag Kaiser Friedrichs: es ist der 18. Oktober, und zwar des Jahres 1831, das uns sofort an das Jahr 1813 erinnert und an die Völkerschlacht bei Leipzig.
Die Wiege des Prinzen Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl, welche Namen derselbe bei seiner Taufe am Sonntag den 13. November erhalten hatte, stand im Neuen Palais bei Potsdam, dem jetzigen Schloß Friedrichskron, und der dieses Schloß gebaut, ist des Preußenvolks und aller Deutschen „Alter Fritz“.
In Glück und Frieden flossen die ersten Kindheits- und Knabenjahre Friedrich Wilhelms dahin. Kriegerische Stürme bedrohten nicht das Vaterland und die schwere Prüfung, welche einst Kaiser Wilhelm als Knabe tragen mußte, blieb dem Sohn erspart. Und nicht allein Vater und Mutter, auch der königliche Großvater Friedrich Wilhelm III. sorgte für Lust und Lehre des Knaben, den er besonders in sein Herz geschlossen. So hatte er in seinem Lieblingssitze Paretz für Fritz und dessen viertehalb Jahr älteren Vetter Friedrich Karl ein Soldatenspiel im Großen hergerichtet. Die gesammte Dorfjugend bildete ein Bataillon, das sogar kleine Kanonen besaß und von den beiden Prinzen kommandirt wurde.
Aus diesem Spiel fand die Mutter des Prinzen in sinnigster Weise den Uebergang zum Ernste. Zum Geburtstag des Vaters sollte derselbe als fertiger Rekrut ausgebildet sein und den Rapport von der Wache erstatten. Es wurden ihm zwei gleichaltrige Kameraden, v. Zastrow und Graf v. Königsmark, beigegeben, und obschon an den übrigen Unterrichtsstunden nichts versäumt werden durfte, machten die Unteroffiziere, und namentlich Bludau, ihre Sache so gut, daß die Ueberraschung aufs beste gelang. Stramm in Dienstjacke nebst Mantel der Stettiner Gardelandwehr, den Tschako auf, das Lederzeug umgehängt und vom königlichen Großvater mit einem Gewehr ausgerüstet, so marschirte der Rekrut am Morgen des 22. März 1839 vor seinem Vater auf und meldete mit allem Ernst der Pflicht. „Rapport von der Potsdamer Thorwache. Auf Wache und Posten nichts Neues. Sie ist stark 1 Unteroffizier, 1 Spielmann und 18 Grenadiere.“
Das Jahr 1840 brachte dem jungen Prinzen zwei unvergeßliche Erinnerungen. Am 1. Juni wohnte der Prinz in seiner Militärdienstjacke der Grundsteinlegung zum Denkmal Friedrichs des Großen bei, und nur sechs Tage später stand er am Sterbebette seines Großvaters, der dem Enkel so viel zärtliche Liebe erwiesen hatte. Das war des Knaben erster tiefer Schmerz.
Nachdem der Prinz die Huldigungsfeier bei der Thronbesteigung seines Oheims Friedrich Wilhelms IV. mitgemacht, wurde er an seinem zehnten Geburtstage, 1841, Sekondelieutenant der Leibkompagnie des ersten Garderegiments zu Fuß.
Von jetzt an leitete den militärische Unterricht des Prinzen der Oberst v. Unruh und ebenso sorgsam den wissenschaftlichen der Prediger Godet, bis mit dem 13. Jahre Ernst Curtius, der Alterthumsforscher, diese Leitung übernahm und bis zum ersten Bonner Semester fortführte. Die alte gute Sitte der Hohenzollernschen Familie, daß jeder Prinz auch ein Handwerk lernen muß, führte den Prinzen in die Werkstätten des Hoftischlermeisters Kunath und des Buchbindereibesitzers Moßner. Auch die Jünger der Buchdruckerkunst verehren in Kaiser Friedrich einen gekrönten Genossen, der gleich ihnen tüchtig schaffend am – Setzerkasten gestanden hat. Diese Thatsache wird in den uns vorliegenden Quellen verschiedenartig erzählt. Der Unterricht fand, wie in den „Graphischen Künsten“ (Nr. 7, Jahrgang 1888) berichtet wird, im Jahre 1844 statt. Jeden Morgen wanderte ein Gehilfe aus der Buchdruckerei Meister Eduard Hänels in das Palais, um den Prinzen Friedrich Wilhelm im Setzen etc. zu unterrichten. Dieser Gehilfe war ein Magdeburger Stadtkind und hieß Wilhelm Geldmacher; derselbe fühlte sich nicht wenig stolz, als eines Tages sein hoher Lehrling den Konfirmationsspruch fein säuberlich gesetzt und eigenhändig gedruckt hatte. – Um beiden Prinzen, Friedrich Wilhelm und Friedrich Karl, Gelegenheit zu Uebungen im Felddienst zu geben, wurden bei Potsdam sogenannte Kadettenmanöver – von 60 Potsdamer und 10 Berliner Kadetten – organisirt, deren Waffe das „Pustrohr“ war. Mit einer Auswahl derselben unternahm der Prinz seine lustigen Ferienreisen in inländische Berglande, wie die märkische und die sächsische Schweiz, ins Riesengebirg und den Thüringerwald, die meistens zu Fuß erstiegen und durchwandert wurden. Alles, was in Natur und Leben das Herz erfrischen und den Geist mit lebendigen Anschauungen aus den verschiedensten Volkskreisen bereichern kann, war da in Fülle geboten und beglückte das für alles menschlich Gute, Liebe und Heitere so empfängliche Gemüth.
Dieses Glück schöner jugendlicher Harmlosigkeit unter den Augen der Eltern, die sich des Gedeihens ihrer Kinder erfreuten, dauerte drei Jahre – von 1844 bis 1847.
Der Sturm des Jahres 1848 hat kein Haus mehr bedroht, als das des Vaters „unseres Fritz“. Der „Prinz von Preußen“ galt fälschlich für den Urheber des Blutbads vom 18. März, während er doch schon am 13. das Kommando der Garden niedergelegt hatte. Das Palais desselben konnte bekanntlich nur dadurch gerettet werden, daß es für „Nationaleigenthum“ erklärt wurde, und er selbst begab sich, auf des Königs Wunsch, nach London. Seine Familie harrte in äußerster Zurückgezogenheit in Potsdam in der Sehnsucht nach dem Gatten und Vater aus – bis der 6. Juni ihn zurückführte. Jetzt erst konnte der Konfirmandenunterricht des Prinzen Friedrich Wilhelm durch den Hofprediger Heym beginnen, worauf am 19. September 1848 der Oberhofprediger Dr. Ehrenberg in der Schloßkapelle zu Charlottenburg den Akt der Konfirmation vollzog.
Das Jahr 1849, für Tausende von Familien ein schweres Unglücksjahr, führte den jungen Prinzen auf friedlicher Bahn vorwärts. Am 3. April stand er bei seinem Vater neben dem Thron, von welchem herab König Friedrich Wilhelm IV. die ihm vom deutschen Parlament angetragene deutsche Kaiserkrone ablehnte. Dem Feldzug gegen die Aufständischen der Rheinpfalz und Badens, den sein Vater befehligte, blieb er fern, ausschließlich seinem Dienst und den Studien unter seinem Militärgouverneur, dem Oberstlieutenant Fischer, ergeben. Der 18. Oktober schloß seine Jünglingszeit ab; die Großjährigkeit des zukünftigen Thronfolgers ward mit vielerlei Festlichkeiten, Adressen und Reden [442] gegrüßt; wir können aber nichts mittheilenswerther finden, als die Worte seiner Mutter: „Ich habe meinen Sohn in der Liebe zum Vaterlande erzogen und ich hoffe, er wird sie bewähren!“ Und es geschah offenbar mit im Geiste dieser Mutter, daß der Prinz am 7. November die Universität (Bonn) bezog, ein damals für die Angehörigen regierender Häuser noch sehr ungewöhnlicher Bildungsgang.
Nach Bonn waren ihm sein bisheriger Erzieher Professor Dr. Curtius und Oberstlieutenant Fischer gefolgt, deren Rath er allezeit ehrte. Dabei hatten ihm die Eltern den Genuß des freien, frohen deutschen Studentenlebens sowohl hinsichtlich der Wahl der Lehrer, wie des geselligen Verkehrs gestattet, und so trieb er’s auch. Er hörte nicht bloß römisches, Kirchen- und Völkerrecht bei Walter, Bluhme und Hälschner, sondern auch Politik und vergleichende Völkerkunde bei Dahlmann und dem alten Arndt, der als Professor der Geschichte vom deutschen Bundestag 1821 ab- und erst 1840 von Friedrich Wilhelm IV. wieder eingesetzt worden war. Und ebenso ist sein freies, offenes und fröhliches Wesen durch die rüstige akademische Jugendlust gekräftigt und zu dem edeln Humor ausgebildet worden, der auch dem Ernst gerecht wird und am standhaftesten der Trübsal Trotz bietet.
Nachdem der Prinz von Preußen als Militärgouverneur der Rheinprovinz und Westfalens am 17. März 1851 seinen Hofhalt nach Koblenz verlegt hatte, wo er mit seiner Familie sieben glückliche Jahre verleben sollte, mußte Prinz Friedrich Wilhelm das Bonner Studium von Ostern 1851 bis zum Oktober unterbrechen, um seine Eltern zum Besuch der Weltausstellung in London zu begleiten. Hier hatte er zum ersten Male seine künftige Gattin, die damals im Alter von zehn Jahren stehende Prinzessin Victoria, gesehen.
Am 26. Mai verließ der Prinz von Preußen mit den Seinen England, um schon am 31. der Feier der Enthüllung des Denkmals Friedrichs des Großen beizuwohnen. Friedrich Wilhelm ward wieder vom Dienst festgehalten, wurde im Juni bei einem Besuche des Zaren zum Chef eines russischen Husarenregimentes (Isum Nr. 11) und nach den Manövern von seinem königlichen Oheim zum Hauptmann ernannt. Ende Oktober kehrte der Prinz nach Bonn zurück, von Stadt und Universität mit festlicher Freude begrüßt, und als er Ostern 1852 scheiden mußte, war es ihm wirklich zu Muthe wie einem „bemoosten Haupte“, das von der „alten Burschenherrlichkeit“ scheidet. Die Liebe, die sich der Prinz auch da erworben, wurde durch glänzende Feste und Erinnerungsgaben, Fackelzüge der Studenten und der Bürger, ein prachtvolles „Abgangszeugniß“ u. dergl. bethätigt.
Staatsgeschäfte, Reisen nach Rußland und Italien füllten die nächsten Lebensjahre des Prinzen aus, bis er im September 1855 die Fahrt nach England antrat, um mit Zustimmung seiner Eltern um die Hand der Prinzessin Victoria zu werben. Die königliche Familie hielt sich damals in dem schottischen Schlosse Balmoral auf, und hier erfolgte auch die Verlobung, von welcher die Königin von England in ihrem „Tagebuch“ unter dem 29. September folgendes erzählt:
„Heute hat sich unsere geliebte Victoria mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen verlobt. Schon am 20. hatte er uns sein Anliegen mitgetheilt, aber um ihrer großen Jugend willen waren wir zweifelhaft, ob er jetzt mit ihr reden oder bis zu seiner Wiederkehr warten solle, entschlossen uns aber doch zu ersterem. Als wir nun heute Nachmittag den Craig-na-Ban hinaufritten, brach er einen Zweig weißer Heideblumen (der Glück bedeutet), gab ihr denselben und knüpfte daran auf dem Heimwege. den Glen-Girnoch hinab, Andeutungen seiner Hoffnungen und Wünsche, die dann alsbald in Erfüllung gingen.“
Nach seiner Heimkehr mußte sich Prinz Friedrich Wilhelm den Staatsgeschäften widmen, welche, wie aus seinen Briefen an den Prinz Albert ersichtlich ist, nicht gerade erfreulich waren; desto freudiger eilte er im Mai 1856 wieder zu seiner Braut und kehrte als Ehrendoktor von Oxford zurück, um sogleich eine große Repräsentationsreise zur russischen Kaiserkrönung in Moskau anzutreten.
Mit dem Anfang des Jahres 1857 finden wir den Prinzen in Breslau, wo er als Führer des 11. Infanterieregiments das Schloß bezieht und es in kurzer Zeit zum Mittelpunkt eines frischen geistigen Verkehrs erhebt. Hier war es auch, wo er endlich die am 16. Mai in Berlin erfolgte Verkündigung seiner Verlobung las.
Diesmal langte er als erklärter Bräutigam in England an und empfand dies sofort bei den Huldigungen, die ihm nun gebracht wurden, denn als er nach dem stillen Glück der Liebe und den lauten Festen England wieder, zum letzten Male vor der Hochzeit, verließ, that er es als „Ehrenbürger von London“. –
In Breslau nahm der Prinz, nachdem er noch die Manöver in der Reichenbacher Gegend mitgemacht, am 19. September Abschied von seinem Regiment. Wenige Wochen später erschütterte seine Familie und das ganze Land das schwere Schicksal des Königs, der, vom Gehirnschlage getroffen, der Regierung entsagte. Prinz Wilhelm wurde Prinz-Regent von Preußen, und als solcher erhob er seinen Sohn an dessen Hochzeitstage zum Generalmajor.
Umgeben von allen Lieben, Verwandten und Theilnahmeberechtigten reichten in der Kapelle des St. James-Palastes am 25. Januar 1858 Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen und Prinzeß Victoria von England sich die Hände zum ewigen Bunde, welchem der Erzbischof von Canterbury den kirchlichen Segen ertheilte.
In der deutschen Heimath wurde dem jungen Ehepaar das Haus zur Stadtwohnung hergerichtet, welches Friedrich Wilhelm III. bewohnt hatte und in welchem Kaiser Wilhelm geboren worden war.
Am 27. Januar 1859 schenkte Prinzessin Victoria dem jetzt regierenden Kaiser das Leben; zur Begrüßung dieses Enkels, der den Namen Wilhelm erhielt, war der Großvater in einem Fiaker zum Palais geeilt; auch der alte Wrangel fehlte nicht und verkündete der Volksmenge vor dem Palais: „Kinder, es geht alles gut; es ist ein tüchtiger, derber Rekrut, wie man es nur verlangen kann!“
Es beginnen nun die Tage großer innerer und äußerer Kämpfe. Der Krieg Oesterreichs gegen Italien und Frankreich, welcher mit der Schlacht von Solferino, am 24. Juni 1859, und dem Verlust der Lombardei endete, veranlaßte Preußen zu einer „Mobilmachung“, in deren Folge der Prinz das Kommando der 1. Garde-Infanterie-Division erhielt; im Oktober wurde er Mitglied der Kommission für die „Reorganisation der Armee“, welche dann die Konfliktszeiten verursachte.
Mitten in diesen äußern Unruhen mehrte sich das stille Glück des Hauses, dem am 24. Juli 1860 das erste Töchterlein beschert wurde: Charlotte, jetzt Gemahlin des Erbprinzen von Meiningen. Indessen war die Zeit angebrochen, in welcher die großen politischen Umwälzungen sich vollziehen sollten, die wir alle erlebt haben.
In der Nacht vom 1. zum 2. Januar 1861 war König Friedrich Wilhelm IV. gestorben – König Wilhelm bestieg den Thron; sein Sohn hieß von jetzt an „Kronprinz von Preußen“ und wurde zugleich zum Statthalter von Pommern ernannt. Mit der großen Fahnenweihe am 17. Januar, bei welcher der Kronprinz als nunmehriger Generallieutenant das Truppenkommando zu leiten hatte, galt die Armeereorganisation als vollendet.
Der Glücksstern der Hohenzollern strahlte hell. Der August des Jahres 1862 bescherte den königlichen Großeltern zwei nette Enkel, am 7. Victoria von Baden (jetzt Kronprinzessin von Schweden) und am 14. den Prinzen Heinrich, der nun als Seefahrer glänzt. – In diesem Jahr ist auch Bismarck Preußens Minister geworden.
Das Jahr 1863 rief durch seine fünfzigjährigen Erinnerungen an 1813 eine nationale Bewegung in ganz Deutschland ins Leben, und zwar bei den Fürsten wie im Volke. Noch lauter als die Berufung eines Fürstenkongresses und Pläne zur Verbesserung der Bundesverfassung sprachen die großen Nationalfeste der Turner, der Schützen, der Sänger und der Kämpfer von der Leipziger Völkerschlacht, und das überall erschallende „Schleswig-Holstein meerumschlungen“ weckte sogar den Bundestag auf, so daß er zum ersten Male und noch am Schluß des Jahres Bundestruppen gegen Dänemark marschiren ließ. Aber erst im folgenden Jahre unternahmen Preußen und Oesterreich in ihrem nicht von gegenseitiger Eifersucht freien Bündniß die Kriegsführung.
[443] Bekanntlich erhielten das Kommando, unter Oberleitung Wrangels, über die Österreicher Feldmarschall-Lieutenant von Gablenz und über die Preußen Prinz Friedrich Karl. Dem Kronprinzen fiel die Rolle einer Mittelsperson bei etwa nöthig werdenden Ausgleichungen der verschiedenartigen Kampfgenossen zu, eine Rolle, für die er in jeder Beziehung, durch persönliche Liebenswürdigkeit wie durch soldatische Tüchtigkeit und seinen hohen Rang, wie geschaffen war. Er wurde bald der Liebling aller Truppen, mit denen er alle Beschwerden und Entbehrungen des harten Winterfeldzuges theilte. Im Gefecht bei Nübel, am 22. Februar, stand er zum ersten Mal im Feuer. Mit Wrangel zog er dann bis vor Fridericia, wo er am 21. März abermals im Feuer stand; am 18. April beobachtete er von der Gammelmark Lobten aus den Sturm der Düppeler Schanzen und empfing am 21. in Flensburg seinen Vater, vor welchem dann die Sieger von Düppel in ihrer Sturmkleidung Parade machten.
Dienst und Familie theilten sich nun wieder in sein Leben und die Familienfreude gewann einen Zuwachs; am 15. September 1864 wurde den drei Geschwistern ein Brüderchen geschenkt, welches Siegismund getauft wurde. Die frohen Eltern brachten den Spätherbst in der Schweiz zu und waren Mitte Dezember wieder bei den Ihren, um nun für vier Kinder den Christbaum zu schmücken. Wir wollen hier gleich melden, daß noch ein Töchterchen am 12. April 1866 hinzukam, das den Namen Victoria erhielt.
Das Jahr 1865 war wieder ein vielbewegtes; denn während der Unfriede der Konfliktszeit fortdauerte, feierte der König in vier Provinzen ihre fünfzigjährige Zugehörigkeit zum preußischen Staate. Und in derselben Zeit hatte die alte Eifersucht und Zwietracht zwischen Oesterreich und Preußen in Schleswig-Holstein wie am Bundestag endlich den Bruch herbeigeführt. Deutschland stand vor dem Krieg von 1866.
Das Vertrauen seines königlichen Vaters stellte schon am 17. Mai den Kronprinzen an die Spitze der zweiten Armee, welcher die wichtige Aufgabe zufiel, Schlesien gegen den dort erwarteten Angriff zu vertheidigen. Diesmal war es ein schwerer Abschied vom geliebten Weibe und von den fünf Kindern, die im liebreizendsten Alter den Vater umdrängten, der in den Krieg zog. Ob eine dunkle Ahnung mit ihm ging? – Auf des Königs Befehl eilte er, am 2. Juni noch zum Militärgouverneur von Schlesien erhoben, nach Neiße, um von dort aus die Aufstellung seiner Armee zu ordnen, und dort, mitten in angestrengtester Thätigkeit traf ihn die Nachricht, daß sein jüngster Liebling, sein kleiner Siegismund, gestorben sei. – Erst nach dem Friedensschluß schrieb er darüber nach Berlin: „Es war eine schmerzliche Aufgabe, daß ich meiner Gemahlin und meinem sterbenden Kinde nicht beistehen, daß ich meinem heimgegangnen Sohne nicht die Augen zudrücken konnte. So schwer es mir damals wurde, fern von Heimath und Familie zu bleiben: ich sehe jetzt mit Genugthuung darauf zurück, weil es ein Opfer war, das ich dem Vaterlande brachte.“ –
Mit seinem Unterfeldherrn drang er durch die Pässe des Riesengebirges bis Königinhof vor, nach dessen Erstürmung (am 29. Juni) er am 1. Juli in einem Armeebefehl sich fünf glänzender Siege und der gelungenen Verbindung mit der 1. Armee (unter Prinz Friedrich Karl) rühmen konnte. Am 3. Juli wurde die Entscheidungsschlacht vor Königgrätz geschlagen, welcher die Friedensverhandlungen und der Friedensschluß folgten.
Wie alle seine Feldherren, so belohnte der König auch seinen Sohn mit den höchsten militärischen Orden und Würden, und welches Glück, welche Hoffnung spricht er in den Worten aus: „Ich habe Dir den größten Beweis königlichen und väterlichen Vertrauens gegeben, indem ich Dir die Führung einer Armee übertrug. Du hast diesem Vertrauen in hohem Grade entsprochen. – Ein ehrenvoller Friede bereitet Preußen und Deutschland eine Zukunft vor, die Du berufen sein wirst, unter Gottes gnädigem Beistand dereinst auszubauen.“
Nur drei Jahre trennen das Neujahr 1867 von dem von 1870, aber sie sind für den Kronprinzen und die Seinen reich an wichtigen Erlebnissen.
Die glänzendste Seite des Jahrbuchs von 1869 nimmt die große Orientreise des Kronprinzen ein, welche ihn über Venedig und Brindisi nach Korfu und weiter nach Athen, Konstantinopel, am 4. November nach Jerusalem und über Damaskus nach Port Said führte, wo er, vom Vicekönig persönlich eingeladen, zugleich mit dem Kaiser von Oesterreich, der Kaiserin von Frankreich und dem Prinzen Heinrich der Niederlande am 17. November der Einweihung des Suezkanals beiwohnte. Nachdem er in Suez das Rothe Meer begrüßt, dann den Nil bis zum ersten Katarakt befahren, in Kairo am 5. Dezember den Grundstein zu einer evangelischen deutschen Kirche gelegt und die Pyramide bei Gizeh bestiegen hatte, trat er am 9. Dezember von Alexandrien aus die Heimfahrt an. In Cannes eilte er ans Land; denn dort fand er alle seine Lieben, Gattin und Kinder seiner harrend. Das Wiedersehen war nur durch die Krankheit des Jüngsten, Waldemar, getrübt, der an der Bräune litt. So mußte diesmal der Christbaum in Frankreich angebrannt werden, wie dies auch zur nächsten Weihnacht geschah. Am 26. Dezember reiste die Familie ab, nahm den Heimweg über Paris, wurde von Napoleon und Eugenie aufs gastfreundlichste beehrt und begrüßte im glücklichsten Friedensgefühl in der Heimath das neue, das große Jahr – 1870.
Wie H. Hengst in seinem „Fürstenbild aus dem 19. Jahrhundert“ schlagend zusammenstellt, hatte schon am Nachmittag des 15. Juli die „Kaiserin Eugenie ihren hübschen kleinen Krieg, übernahm Ollivier leichten Herzens die Verantwortung für denselben, war der Kriegsminister Leboeuf erzbereit, und so konnte am 19. Juli der französische Geschäftsträger dem Grafen Bismarck die Kriegserklärung überreichen.“ – Und der Kronprinz? „Ihm gewährte das Schicksal die denkbar höchste Gunst, die es einem preußischen Kronprinzen bewilligen konnte: an der Spitze eines aus fast allen deutschen Stämmen gebildeten Heeres für Deutschlands gekränkte Ehre ins Feld zu ziehen und als deutscher Kronprinz siegreich zurückzukehren.“
Heute und immerdar werden wir es auch preisen, daß der Kronprinz nach den Metzer Siegen der anderen Armeen nicht nach Paris zog, sondern nach Norden abschwenkte; denn nur dadurch ist der Tag von Sedan zu einem Festtag aller Deutschen geworden.
Den größten Sieg aber gewann Friedrich Wilhelm über die Herzen des Volks in Waffen und daheim durch sein Herz, dessen Reinheit und Festigkeit der Klarheit und Kraft seines Geistes würdig war. Sein Rang, seine Thaten, sein Wissen und Können berechtigten ihn, sich hoch zu fühlen, und doch stieg er am liebsten von dieser Höhe herab, um als Mensch bei Menschen zu stehen. Seine Volksthümlichkeit war nicht gemacht und gesucht: das Volk trug sie ihm entgegen im Süden wie im Norden. Er war es, der durch seine ritterliche, volksthümliche Persönlichkeit die Herzen der süddeutschen Soldaten im Sturm gewann und der dadurch am meisten dazu beigetragen hat, die innere Vereinigung und Verschmelzung des Südens mit dem Norden herbeizuführen. So ist der Name „unser Fritz“ als die höchste Ehrenbezeigung des gesammten deutschen Volkes für den deutschen Kronprinzen anzuerkennen.
Nach dem Kriege lag dem Kronprinzen zunächst um Herzen die Heilung der Wunden, die Pflege umfassender nationaler Wohlthätigkeit. Ihn selbst bedrückten fast die Ehren, mit welchen man ihn daheim wie von außen auszeichnete. Noch höher stellte ihn seine militärische Pflicht, denn aus dem norddeutschen Bundesheer war ein deutsches Reichsheer geworden, und Inspektionen, Revuen und Manöver führten den Kaisersohn in alle deutschen Staaten und Provinzen. Nicht weniger nahmen ihn die Feste geschichtlicher Erinnerungen an deutsche Thaten und Männer in Anspruch, an denen der erwachte und so gewaltig gehobene Nationalstolz sich erfreute. Und schließlich war dies alles nur glänzendes Zwischenspiel, welches von außen den Himmel seines Hauses bestrahlte, während im Innern Einfachheit und Innigkeit am stillen Herd waltete und die Pflege des aufblühenden Kinderschmuckes der Eltern ernste Sorge und reinstes Glück war.
Am 22. April 1872 wurde dem Kronprinzen sein jüngstes Töchterchen, Margaretha, geboren. Zwei Jahre darauf brachten die Eltern ihre beiden ältesten Söhne auf das Gymnasium in Kassel, wo sie genau wie ihre Schulgenossen gehalten und so dem Volke nahe gebracht werden sollten, anstatt von Hofmeistern im Glanze der Hofhaltung erzogen und dem Volke entfremdet zu werden. Für die Jüngeren aber, die in ihrem Alter von sechs, vier und zwei Jahren der herrlichsten Spielzeit angehörten, war auf den
[444][446] Spielplätzen und in den Gärten von Potsdam und Bornstedt das Paradies der Kindheit geschaffen, – aber nicht nur der eigenen, sondern vieler Kinder der Stadt und des Dorfes, die sie zu Spielkameraden derselben auserwählten. Von den Kinderfesten in Bornstedt erzählen alle, die dort mitgespielt haben, ja sie erzählen noch mehr: welch heiliger Ernst es dem Kronprinzen stets mit guter Volksbildung war, bethätigte er dadurch, daß er häufig die Dorfschule besuchte und den alten Lehrer Scheffler im Unterricht unterstützte; ja, als der Lehrer einmal, an das Krankenbett seiner Mutter gerufen, die Schule hätte schließen müssen, da vertrat der Kronprinz seine Stelle. Das vermochte derselbe Fürst, der zu anderer Zeit Regimenter führte und Heere befehligte. –
Zu Kaiser Friedrichs schönsten Lebenserinnerungen gehörte die Reise nach Italien zur Thronbesteigung des Königs Humbert im Januar 1878. Als nach der Krönung der König mit Gemahlin und Sohn und seinem deutschen Gaste auf dem Balkon sich dem Volke zeigte, hob der Kronprinz den kleinen Prinzen empor, nahm ihn auf den Arm, zeigte ihn so der zahllos versammelten Menge und küßte ihn. Diese einfache Herzensthat des hohen, ritterlichen Mannes erregte ungeheuern Jubel und tilgte den letzten Zug des alten „Morte ai Tedeschi!“ aus. – Und am 18. Februar erlebten die Eltern die erste Hochzeit ihrer Kinder, die der Prinzessin Charlotte mit dem Erbprinzen von Meiningen. Das war die letzte Freude dieses Jahres. Mit dem Mai brachen die Tage des Unheils an.
Am 11. Mai erlebte man in Berlin das erste Attentat auf den zweiundachtzigjährigen Kaiser Wilhelm, dem am 2. Juni Nobilings Mordanfall folgte. Die furchtbare Nachricht wurde dem Kronprinzen nach England telegraphirt, und schon am 3. Abends stand er am Schmerzenslager seines Vaters. Ein halbes Jahr nahm die Heilung der schweren Wunden in Anspruch; inzwischen führte der Kronprinz die Regierung. Während derselben fand der noch heute vielbesprochene „Berliner Kongreß“ mit dem „Berliner Frieden“ statt, hatte im Vatikan der Tod Pius’ des Neunten beim Thronwechsel Leo XIII. auf den päpstlichen Stuhl gebracht und den Kronprinzen zu einem echt kaiserlichen Brief an denselben veranlaßt. Gegen den Jahresschluß hin verabschiedete sich Prinz Heinrich von der Familie, denn er bestieg das Schiff zu einer zweijährigen Fahrt um die Erde.
Noch waren Trennungsleid und Sorge um Heinrich nicht verwunden, da sollte ein viel härterer Abschied die Familie und die Großeltern treffen: der elfjährige blühende Knabe Waldemar wurde den Seinen am 27. März 1879 durch die Diphtheritis, diese tückische Krankheit, entrissen.
Damit schien das Schicksal die schwarzen Tage des Hauses schließen zu wollen, denn am 21. Mai brachte es wieder eine erste große Freude: Prinzessin Charlotte legte das erste Enkelkind, Feodora, in die Arme der Großeltern und der Urgroßeltern, die dazu am 11. Juni ihre Goldene Hochzeit feierten, und zwar umgeben von ihren beiden Kindern, acht Enkeln und einem Urenkelchen.
Hochzeitsfeste füllen auch die nächsten Jahre aus; denn nun führte auch Friedrich Wilhelms ältester Sohn seine Braut zum Altar, und die kaiserliche Familie eilte nach Karlsruhe, um die silberne Hochzeit des großherzoglichen Paares zu feiern.
Am 18. Oktober 1881 feierte Friedrich Wilhelm seinen fünfzigsten Geburtstag, und der 6. Mai des folgenden Jahres sah zum ersten Male vier hohenzollernsche Thronfolger unter einem Dach, als Urgroßvater, Großvater und Vater an der Wiege von Prinz Wilhelms Erstgeborenem standen.
Noch in diesem Jahr war nicht nur am Hofe und in vielen Kreisen Berlins, sondern weit hinaus selbst über die Grenzen des Reichs vorgearbeitet, gerüstet und gesammelt worden für eine Hauptfeier von 1883, die Silberhochzeit des Lieblings aller Deutschen am 25. Januar. Da fiel ein schwarzer Trauerschleier mitten in all die bunte Pracht; am 22. Januar starb, nach kurzem Krankenlager, Einer, der sich so herzlich mit auf das Fest gefreut hatte, Kaiser Wilhelms ältester Bruder, Prinz Karl. Ruhte auch ein Schleier auf dem Fest, so duldete das gute Herz des Kaisers es doch nicht, daß kostspielige Vorbereitungen zum Schaden der Unternehmer vergeblich gewesen sein sollten wie z. B. das große Kostümfest, das am 8. Februar noch stattfand. Des Kronprinzen größte Freude waren die vom ganzen Reiche aus kleinsten Beiträgen gesammelten 800 000 Mark „Kronprinzenspende“ zu einem wohlthätigen Werk.
Am 17. November unternahm der unermüdliche Mann der Pflicht die große Reise nach Spanien, an den Hof des Könige Alfons XII., welcher infolge der am deutschen Kaiserhofe genossenen Ehren auf der Heimreise in Paris rohester Behandlung ausgesetzt gewesen war. Von da eilte der Kronprinz nach Rom, um dort König und Papst zu begrüßen. Welche Reihe von Erlebnissen dieses einen Mannes! Viele Einweihungen, Ehrenbesuche, Manöver, Volksfeste müssen wir unerwähnt lassen oder können nur daran erinnern, wie an die herrlichen Tage von 1886 in Elsaß und Lothringen.
Nie ist ein Tag auf deutschem Boden mit freudigerer Begeisterung gefeiert worden, als der 22. März 1887, Kaiser Wilhelms neunzigster Geburtstag. Ihn feierten die Deutschen, die der gerechte Stolz beseelte, Deutsche zu sein, als höchsten Nationalfesttag in aller Welt, und alle edlen Völker stimmten bewundernd und neidlos diesem Jubel bei.
Und doch – nur eine kurze Spanne Zeit, und das Unglück warf seinen Schatten über das Reich, immer dunkler und unheimlicher, immer drohender, bis das unerbittliche Schicksal sich vollzogen hatte. Gleich darauf erkrankte der Kronprinz, und während er in Italien weilte, starb Kaiser Wilhelm I. Der 9. März ward der erste große Trauertag des neuen deutschen Reichs – und nur ein Trauerflor war es, der bis zum zweiten, bis zum 15. Juni, dem Todestag Kaiser Friedrichs, reichte.
Was Kaiser Friedrich in den letzten Monaten seines Lebens leiden mußte und mit welchem Heldenmuth er die unaussprechlichen Qualen der heimtückischen Krankheit ertrug, das haben wir alle mit bangen Herzen miterlebt und mitgefühlt. Zu schwach sind Worte, um der Tragik der letzten Ereignisse Ausdruck zu verleihen, und wer würde auch im Stande sein, heute, wo noch der tiefste Schmerz unsere Seelen durchzuckt, die Geschichte dieses Kaiserthums niederzuschreiben? Es zählt nur nach wenigen Monaten – und doch ist es reich genug an Thaten und sogar an Kämpfen gewesen, um in der deutschen Geschichte ein ergreifendes Blatt zu füllen. So viel Trauer und so viel Liebe zugleich hat noch keine Nation empfunden wie Deutschland in diesen letzten Monaten. Möge die veredelnde Kraft von beiden im vielgeprüften Vaterlande fortwirken!