Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Augusta Victoria
Ein ereignißreiches Jahr in der Geschichte Preußens und Deutschlands; aber ein Trauerjahr wie wenige! Kaum drei Monate, nachdem der erste Kaiser des Deutschen Reichs sein ehrwürdiges Haupt zur ewigen Ruhe gebettet, ist ihm sein Sohn und Erbe, Kaiser Friedrich, nachgefolgt und sein Enkel, Kaiser Wilhelm II., hat den preußischen Königs-, den deutschen Kaiserthron bestiegen. Ihm, der in der Blüthe der Jugend, öffnen sich uneingeschränkt die Weiten des Lebens; lange Jahrzehnte der Herrschaft liegen vor ihm, nach menschlichem Ermessen und nach den Wünschen seines Volkes, welches nicht an abermalige schwere Schicksalsschläge, die das Haus der Hohenzollern treffen, glauben mag.
Prinz Friedrich Wilhelm Victor Albert wurde am 27. Januar 1859 in Berlin geboren. So ist er jetzt, wo er den Königs- und Kaiserthron besteigt, noch nicht 30 Jahre alt. Von den preußischen Monarchen haben drei vor dem dreißigsten Lebensjahre die Krone erlangt: Friedrich Wilhelm I. war 24 Jahre alt, als er König wurde, Friedrich der Große 28 Jahre, Friedrich Wilhelm III. 27 Jahre.
Prinz Wilhelm hat, den volksthümlichen Gesinnungen seines Vaters entsprechend, eine Erziehung erhalten, die weit entfernt war von vornehmer höfischer Abgeschlossenheit und ihn schon früh in die Kreise der bürgerlichen Jugend, unter gleichstrebende Studiengenossen versetzte. Bis zu seiner Konfirmation leiteten Professor Hinzpeter als Civilgouverneur und mehrere sich ablösende Offiziere als Militärgouverneure seine Erziehung. Im Herbst 1874 besuchte Prinz Wilhelm das Gymnasium zu Kassel, das Lyceum Fridericianum, und bestand dort zu Anfang 1877 sein Abiturientenexamen. Nach der ausdrücklichen Bestimmung des Kronprinzen sollte sein Sohn während der Schuljahre in Bezug auf Anforderungen, welche die Anstalt an seinen Fleiß und seine Leistungsfähigkeit stellte, mit seinen Mitschülern ganz gleich gehalten werden. Der Prinz war ein fleißiger und pünktlicher Schüler, gewissenhaft in Verwendung und Eintheilung seiner Zeit. In seinen Mußestunden gab er sich mit Eifer gymnastischen Uebungen hin und machte Exkursionen mit seinen Mitschülern, mit denen er durchaus unbefangen verkehrte. Am 27. Januar 1877 wurde der Prinz, da er sein achtzehntes Lebensjahr vollendet hatte, volljährig nach einem alten Hausgesetze der Hohenzollern. Der Tag wurde im kronprinzlichen Palais festlich begangen; Kaiser Wilhelm schmückte den Prinzen mit den Insignien des Schwarzen Adlerordens.
Dann trat dieser, um den praktischen Dienst zu erlernen, in das erste Garderegiment zu Fuß ein; auch wurde er von mehreren Offizieren in den Kriegswissenschaften unterrichtet. Im Herbst 1877 bezog er die Universität Bonn, wo er juristische, historische und physikalische Kollegien hörte und sich eine vielseitige Bildung aneignete. Er betheiligte sich hier als Konkneipant an dem fröhlichen Studentenleben des Corps Borussia. So lernte er das Gymnasium, die Universität und die akademischen Kreise aus eigener Anschauung kennen; stets hat er seinen Schul- und Universitätsfreunden ein treues Gedenken bewahrt und mit warmer Theilnahme ihre Lebensgeschichte verfolgt. Und so hat er sich auch später an studentischen Festen betheiligt und erschien öfters mit dem Corpsband über der Uniform und mit der weißen Corpsmütze: so bei den Festen, welche die alten Herren der Borussia in Berlin zu feiern pflegen. Auch dem Stiftungsfest des Corps in Bonn im Jahre 1886 wohnte er bei und machte Kommers und Wagenfahrt mit. In seiner Toastrede hob er hervor, daß das Corps die Farben des Hohenzollernhauses, die preußischen Landesfarben trage. Oftmals seien diese Farben von Fremden als nicht prunkend, als zu ernst angesehen worden. In ihrem Ernste aber entsprächen sie der Geschichte Preußens, welches durch schwere Schicksale und Zeiten hindurch in ernstem Ringen erst zu jener Stellung sich hindurchkämpfen mußte, die es heute einnimmt. Das schönste Symbol dieses Kampfes sei das Eiserne Kreuz, welches eben diese ernsten Farben trage.
In seiner militärischen Karrière avancirte der Prinz, aber nicht so rasch, wie es in früheren Zeiten Brauch war. Am 16. Oktober 1885 wurde ihm als Oberst und Regimentskommandeur das Garde-Husarenregiment übergeben, am 27. Januar 1888 ernannte der Kaiser den Prinzen aus Anlaß seines Geburtstages zum Generalmajor und Kommandeur der zweiten Garde-Infanteriebrigade.
So in verschiedenen Chargen mit dem militärischen Dienste vertraut, wurde er auch zu Regierungsgeschäften zugezogen und in den preußischen Verwaltungsdienst eingeweiht. Im Herbst 1882 wurde hierin Staatsminister Achenbach sein erster Lehrer, der ihn nach einem festentworfenen Programm, anknüpfend an einzelne Vorlagen, mit den Provinz-, Bezirks- und Gemeindeverhältnissen vertraut machte. Im Winter 1886/87 trat der Prinz dem auswärtigen Amte näher, sein großer Lehrer war hier Fürst Bismarck, dem er einmal einen begeisterten Trinkspruch gewidmet hat. Auch an den Sohn des Reichskanzlers, den Grafen Herbert Bismarck, schloß sich der Prinz an; im Herbst 1887 studirte er die Einrichtung und die Geschäfte des Finanzministeriums. In den letzten Monaten hatte ihm der schwerkranke Kaiser einen Theil der Regierungsgeschäfte übertragen.
Auf seinen Reisen an befreundete Höfe hatte der Prinz mit dem Kronprinzen Rudolf von Oesterreich ein engeres Freundschaftsbündniß geschlossen, das für die Beziehungen der beiden Staaten auch für die Zukunft eine schöne Bürgschaft giebt.
Mit einer Fürstentochter des stammverwandten und meerumschlungenen Schleswig-Holstein, Augusta Victoria, der Tochter des vielgenannten Herzogs von Augustenburg, dessen Erbansprüche bei der politischen Weltlage nicht zur Geltung kamen, hat sich Prinz Wilhelm 1880 in Gotha verlobt. Ihr Vater lebte damals als Privatmann auf Schloß Primkenau in der Niederlausitz. Die von ihm in Anspruch genommenen Lande waren längst in Preußen aufgegangen; jetzt trägt die Erbtochter von Schleswig-Holstein die preußische Königskrone, die deutsche Kaiserkrone: eine schöne Versöhnung der politischen Gegensätze, die einst in heftigem Kampfe sich befehdeten.
Am 27. Februar 1881 fand die Vermählung in der Kapelle des königlichen Schlosses zu Berlin statt.
Von der jungen Braut berichtet ein Brief aus Gotha, den wir dem Fürstenbild von W. von Hendrichs „Prinz Wilhelm von Preußen“ entnehmen:
„Was für die Braut des Prinzen Wilhelm beim ersten Anblick einnimmt, ist das gemüthliche, deutsche Element, das sich in ihrer äußeren Erscheinung wie in ihrem Wesen ausdrückt. Von Gestalt groß, schlank, hoch, voll edlen Ebenmaßes, Hand und Fuß schöngeformt, weiß sie in ihrer Haltung wie in ihren Bewegungen Würde mit Anmuth zu vereinigen. Kann man auch nicht sagen, daß der Schnitt der Züge und des Kopfes zu jenem Genre gehört, das beim ersten Anblick den Zuschauer frappirt, so wird man doch bald innewerden, daß dieses ovale Gesicht mit den zarten blauen Augen, dem lieblichen Munde mit den schönen Zähnen, mit der Fülle blonden Haares bei längerem Anschauen von Minute zu Minute gewinnt und fesselt. Die Augen niedergeschlagen scheinen sinnend oft anderen Dingen nachzugehen; um so anmutiger aber ist ihr Aufschlag, um so herzlicher ihr heller strahlender Blick. Aus ihrem Wesen spricht eine überzeugende Herzensfreundlichkeit, die das Gepräge innerer Wahrheit trägt, welche nur in der Quelle eines lauteren Gemüthes liegt. Mit der Bildung ihres Herzens, die von religiösem Grunde ausging, verschwisterte sich die ihres Geistes. Die Prinzessin spricht sehr gut, weiß sehr viel, und daß sie nicht nur Angelerntes, sondern eigen Geistiges zu geben weiß – davon giebt der Reiz Zeugniß, der in ihrer Konversation liegt. Aus deutschem Stamm ist sie entsprossen, deutsch ist ihre Erscheinung, deutsch ihr Wesen.“
Ueber das reizende Familienleben des prinzlichen Paares im Marmorpalais bei Potsdam haben wir bereits in Nr. 35, Jahrgang 1887 dieses Blattes berichtet; ebenso gaben wir in Nr. 13 dieses Jahrg. ein Bild der jungen Prinzen Friedrich Wilhelm und Eitel Fritz, denen sich Prinz Adalbert und Prinz August anschließen.
Die kaiserlichen Kronen schmücken jetzt ein Paar voll Jugendfrische. Eine schwere Last der Sorge senkt sich auf des jungen Kaisers Haupt; die Weltlage ist, wenn auch nicht unmittelbar bedrohlich, so doch voll Gefahr; doch in allem, was er bisher gethan und gesprochen, prägt sich das Pflichtgefühl der Hohenzollern aus, das allen seinen Ahnen eigen war, und so wird er, welche Geschicke auch die Zukunft im Schoße tragen möge, wie sein Vater und Großvater seine Pflicht thun im Dienste und zum Heile des Vaterlandes.