Aus dem Harz
Frische Wald- und Bergluft zu athmen trieb es uns fort in den Harz; Lorbeeren, Blut und Wunden, Ruhm und Elend der Menschheit bestürmten in den Telegrammen und Nachrichten der Zeitungen Herz und Sinn. Wer eine regsame Phantasie hat, wenn er auch zu thatenloser Ruhe verdammt ist, der schlägt endlich alle Schlachten mit und steht mehr im Feuer, als ein starknerviges Naturell, das nur immer den Eindrücken des Augenblicks folgt. Alle Kugeln gehen gleichsam durch seine Brust und wenn er im Geist über die Schlachtfelder wandelt, so faßt ihn der Menschheit ganzer Jammer an! Er stimmt ein in die Sieges- und Triumphrufe, er fühlt das bedrückende Gefühl der Niederlage mit. Wir leben in einer großen Zeit, doch auch von einer solchen muß man sich erholen, denn ihr Joch ist nicht sanft und ihre Last nicht leicht.
Nur auf großen Umwegen kann man aus Mitteldeutschland den Harz erreichen. Wir fuhren über Magdeburg, zu dessen Merkwürdigkeiten außer dem Dom auch der Bahnhof gehört, eine Art von Centralbahnhof ohne Centrum, wie Gummi Elasticum in die Länge gestreckt, so daß auf dem Perron bequem Meusel seine Schnellläufe veranstalten kann, während gewöhnliche Menschenkinder sich außer Athem laufen, und dabei von einer spartanischen Einfachheit, die jede Eleganz verschmäht. Zwischen Magdeburg und dem Harz kann man einen Cursus deutscher Literaturgeschichte aus dem vorigen Jahrhundert absolviren. Die ehemalige fette Pfründenstadt Halberstadt erinnert uns an den Kanonicus Gleim, der ein so friedliebender Mann war und dabei so hübsche Kriegslieder sang; der so recht con amore mit dem Schwert an die Leier schlug und sich als Dichter die preußische Grenadiermütze aufstülpte, während er als Mensch ein ehrwürdiges Sammtkäppchen trug; der ein offenes Herz hatte und einen offenen Beutel für alle armen Poeten, für alle im Irrgarten der Musen umhertaumelnden Cavaliere der Feder. Friede seiner Asche! Der eine Mann war eine ganze Schillerstiftung für das achtzehnte Säculum und sein Bild verdient eine Stelle im Musensaal dieser Stiftung, welche gegenwärtig durch die Ironie des Schicksals aus Deutschland hinaus verschlagen ist, seitdem die Eschenheimer Gasse in Frankfurt sich in eine große deutsche Sackgasse verwandelt hat.
In Quedlinburg aber, der Geburtsstadt Klopstock’s, gedenkt man des Sängers der Messiade, um den sich die raschlebige Gegenwart wenig mehr kümmert. Es ist ein Glück für den Sänger, daß er mehr als eine „Specialität“ hatte und außer für den Messias auch für das Schlittschuhlaufen begeistert war. Der Messias ist oft gefeiert worden, das Schlittschuhlaufen aber so selten, daß Klopstock’s Ode mehr Aussicht hat auf Unsterblichkeit, als sein Heldengedicht, denn jeder nimmt von den Musen, was ihm gefällt, und bleibt ihnen sehr dankbar, wenn sie einmal sein Steckenpferd streicheln. Die Schlittschuhe – das ist ein realistischer Kothurn – den läßt man sich auch in einer Zeit gefallen, in der man die gefallenen Engel nicht mehr in den Gesängen der Messiade, sondern in dem Jardin Mabile und der Closerie des Lilas sucht.
Welche Fortschritte diese Zeit gemacht, das lernt man in Thale schätzen, wenn das Dampfroß hält gegenüber den Granitfelsen des Bodethals. Wer da zweifeln wollte, daß wir auch in Deutschland uns allmählich zu pennsylvanischer Gediegenheit aufschwingen, den würde das Hotel Zehnpfund in Thale eines Bessern belehren. Dies Hotel ist nach dem Muster der nordamerikanischen Massenhotels eingerichtet und hat in deutschen Landen nicht seines Gleichen. Da steht dies argusäugige Ungeheuer von einem Gasthof mit seinen im Sonnenschein blitzenden zahllosen Fenstern, seiner mächtigen Façade, seinen zwei nicht minder gewaltigen Flügeln, denen sich noch ein rückwärts angebautes Mittelstück [544] mit dem Speisesaal anschließt, diese Caserne der Gastlichkeit mit ihren dreihundert Zimmern, ihren endlosen Corridoren, ihren Haupt- und Nebentreppen; gleich gegenüber dem Haupteingang die Portierloge mit dem Ministerium des Aeußeren und das Comptoir mit dem Ministerium des Innern, auf zwei riesigen Tafeln, gegen welche die Tafeln vom Sinai und die der Decemvirn verschwinden, die Häupter seiner Lieben nennend und zählend, die sich unter seinem gastlichen Dache versammelt haben! Und drinnen summt’s und schwirrt’s wie ein großer Bienenstock, denn das Haus ist voll bis in die Mansarden; in allen Corridoren schöne und häßliche Welt, „Kinder jammern, Mütter irren“ und Geheimräthe gehen so stattlich einher, als gingen sie über die Berliner Wilhelmsstraße.
Alle Vorurtheile schwinden mehr und mehr, auch in Bezug auf Reisen und Naturgenuß. Das lehren uns die Gesellschaftsreisen und das Hotel Zehnpfund in Thale. Früher glaubte man, die Natur am besten in stiller Einsamkeit zu genießen; jetzt rückt man ihr en masse auf den Leib, um ihr abzuzwingen, was sie uns nicht offenbaren will. Die ägyptischen Sphinxe sperren ihre Glotzaugen weit auf, wenn eine solche Louis Stangen’sche Gesellschaft ihre Steinbusen und Fischschwänze betastet und die Memnonssäule erklingt plötzlich wie in den Strahlen der aufgehenden Sonne, wenn sie so viel auf gemeinsame Kosten reisende Intelligenz sich gegenüber sieht. Ebenso ist’s mit den Villeggiaturen. Früher suchte man sich ein ländliches Häuschen am plaudernden Bach, ja selbst eine Bergmanns- und Köhlerhütte, um auf den Spuren der Mutter Natur zu gehen; jetzt genießt man „Comfort“ in größter Gesellschaft, im Umgang mit den lieben Nachbarn, welche derselbe Bahnzug am Fuße der Berge ausgespieen, in einem Riesenhotel, welches einem Phalanstère zum Verwechseln ähnlich sieht, nur daß in diesem Phalanstère gar nicht gearbeitet wird, daß das Familienglück in himmelschreiender Weise überwiegt und daß die freie Liebe nur die Ausnahme, nicht die Regel bildet.
Als wir ankamen, fanden wir die Table d’hôte so vollkommen besetzt, daß kein Platz für uns übrig war. Diese Ueberfüllung bei so wenig günstigem Wetter verdankte das Hotel Zehnpfund der Cholera. Meist waren es Choleraflüchtlinge aus Berlin und Stettin, welche die Gabeln, Teller und Gläser hier klappern ließen. Es war ein erbaulicher und großartiger Anblick, so viel essende Menschheit beisammen zu sehen. Dazu kommt das wohlthuende Gefühl, daß durch keinerlei Toaste oder sonstige geistige Störungen so frische und resolute Arbeit unterbrochen wird. Die vollkommene Hingabe an die Sache war bei jedem Einzelnen unverkennbar. Wir trennten uns um so schwerer von dem erhabenen Naturschauspiel, je schmerzlicher wir es empfanden, von dieser Weide abgesperrt zu sein. In ärgerlicher studentischer Stimmung verwünschten wir dieses Karawanserai mit sämmtlichen Kameelen, die hier gefüttert wurden, und flüchteten uns in die Bahnhofsrestauration, wo noch immer die Firma Zehnpfund ihre Flügel über uns ausbreitete. Anfangs waren wir erstaunt, als wir lauter Tassen und Teller, von denen kein einziges Stück, obgleich von dem gewöhnlichen leichten Gewicht, ohne das Zeichen 10 lb war, vor uns sahen, bis wir merkten, das sei das geheimnißvolle Pentagramm des Hotelbesitzers, das gewiß nicht blos auf die Schüsseln, sondern auch auf die Gäste seine magisch fesselnde Wirkung ausüben soll.
Unser erster Besuch galt dem Fräulein Selke, dem anspruchslosesten von den Harzfräuleins. Doch war kein officieller Führer aufzutreiben; trotz der zahllosen Drohnen, die im Bienenstock des Hotels sich füttern ließen, war auch eine nicht geringe Zahl seiner Insassen ausgeschwärmt. Ein Arbeiter aus der „Blechhütte“ geleitete uns durch das Steinthal hinauf, vorüber bei einigen keck aufgeworfenen Felsenmassen von Granit, mit freundlichem Rückblick durch das offene Land, immer bergauf durch Felsen und Wald. Die verregneten Wege waren etwas einförmig, die Waldeinsamkeit feucht und unwirthlich. Wir wanderten lange durch die verschiedenartigsten Waldpartien, bis wir kurz vor dem Dörfchen Friedrichsbrunn das Freie gewannen und mit einem Blick auf die blaue Kuppe des Brockens und seine Nachbarn aus dem Oberharz belohnt wurden. Die Winteridylle des hochgelegenen Dörfchens soll eine unerquickliche sein, denn die Häuser sind dann bis an die Dächer in Schnee vergraben. Von hier wandten wir uns dem Brocken des Niederharzes zu, dem Ramberg mit der gefeierten Victorshöhe. Dieser Berg ist von einem Kranz der schönsten lichten Buchenwälder umgeben, welche hin und wieder von einem verworrenen Tannendickicht abgelöst werden. Die Sonne neigte sich zum Untergang, der glühende Abendhimmel blickte blutfarben durch das Geäste:
Wie sanft in diesen grünen Hallen
Die Sonne durch die Zweige blickt,
Und in das Nest der Nachtigallen
Die letzten frommen Strahlen schickt.
Schon steh’n die Wipfel leis umdunkelt,
Doch all’ die schlanken Stämme glüh’n,
Der tief versteckte Waldsee funkelt
Und Lichter durch die Büsche sprüh’n.
Wie sanft dein abendlich Verbluten,
Dein Niedergang, wie friedlich mild!
Doch ach, ich sah in diesen Gluthen
Den Wiederschein vom Schlachtgefild.
Das ist ein Sterben, qualzerrissen
Das Herz und von den Lieben fern;
Hell strahlt mir in den Finsternissen.
Des Ruhmes Glanz, des Sieges Stern.
So neige dich, Erbarmen, nieder,
Zu jedem heil’gen Dienst bereit,
Und streu’ auf müde Augenlider
Den süßen Mohn: Vergessenheit!
Und wie die Sonne mögst du weben
Um’s Nachtgewölk den Purpursaum,
Mit Bildern friedensreich umschweben,
Verklärend jeden Fiebertraum!
Kurz ehe man die Victorshöhe erreicht, wandert man bei einer Felsengruppe vorüber, welche den Namen die Teufelsmühle führt. Unser Cicerone erzählte uns die Sage aus grauer Vorzeit, die sich an diese Felsen knüpft.[WS 1] Der gute Mann war der thörichten Ansicht, daß die Teufelsmühle jetzt nicht mehr mahle, sondern stille stehe. Und doch hört, wer feinere Ohren hat, noch immer das Geräusch ihrer Räder, und mit guten Augen erkennt man deutlich die Esel, welche die Säcke in diese Mühle tragen! Das bescheidene Forsthäuschen und der hochragende Aussichtsthurm auf der Höhe selbst stehen in einem auffallenden Contrast. Diese Aussichtsthürme mit ihren gerühmten Panoramen, diese hölzernen Gerüste unterbrechen unsern Zusammenhang mit der Natur in störender Weise; wir fühlen nicht mehr den grünen Waldboden unter unsern Füßen. Der Natur wird eine künstliche Etage aufgesetzt; lieber den steilsten Felsen erklettern, als diese bequemen Holztreppen. Auch geht es diesen Aussichtsthürmen, wie den berühmten Concertgebern: sie halten ihr Programm nicht ein. Bald ist der Brocken finster geworden und schnarcht mit vorgeschobenem Schleier in seinem Himmelsbette, bald ist der Dom zu Magdeburg durch irgend eine Benebelung verhindert mitzuwirken. Was soll man nicht Alles von der Victorshöhe sehen, wenn man die Herren Berlepsch und Bädeker befragt oder den Dichter, der die Herrlichkeiten dieses Rundgemäldes besungen hat, ohne einen einzigen Kirchthurm auszulassen! Und zuletzt ist man glücklich, wenn man mit dem Fernrohr die Thürme von Quedlinburg erblickt und eine leise Ahnung von Halberstadt vor unserer Seele aufdämmert. Ringsum freilich sind herrliche Waldhügel, und der tiefer Gebildete weiß, daß es herzoglich anhaltinische Forsten sind, welche ihm mit ihren Wipfeln zunicken. Man sieht auch die Einschnitte, in denen die Betten der Selke und der Bode sich befinden, diese Damen selbst aber sind, wenn nicht zu verschämt, doch zu vornehm, sich so von oben herab betrachten zu lassen. Dörfer und Städte sieht man genug in der Ebene, sie liegen aber da wie auf einer Landkarte hingezeichnet. Auf einen andern Aussichtspunkt, die Josephshöhe bei Stolberg, blickt man mit verachtender Rivalität herab. Die Gipfel des Oberharzes standen etwas verschleiert in dämmernden Umrissen. Blau war die Ferne, wie das Auge der gnädigen Frau, die mit dem Professor aus Berlin und einem großen Fernrohr auf dem Holzthurm stand und bei jeder neuen Entdeckung auf dem Gesichtsfelde des Teleskops den Professor aufschlug wie ein geographisches Lexikon. Und seine Weisheit war so galant, niemals zu versagen. Kirchthurm auf Kirchthurm erhielt seine Etikette, die gnädige Frau war so vertieft in dieses Kirchthurmrennen, daß sie nur wenig Zeit übrig behielt, über die ehrwürdige Gelehrsamkeit hinweg mit uns andern Sterblichen zu kokettiren.
Ich aber achtete nicht auf die einzige Naturschönheit, welche der hölzerne Thurm selbst besaß; denn ein ferner Berg fesselte meine Blicke und meine Seele wie mit magischer Gewalt. Es ist ein Berg wie die andern und der Professor wußte von ihm zu [545] sagen, daß er über eintausendvierhundert Fuß hoch sei, nördlich von Frankenhausen liege und daß die Trümmer einer alten Kaiserpfalz seinen Gipfel krönen. Aus diesem geographischen Steckbriefe werden nun wohlunterrichtete Sterbliche erkennen, daß es sich um einen sehr poetischen Berg handelt, nicht etwa um den Venusberg, der früher eine große Anziehungskraft auf geniale Köpfe ausübte, ehe ihn die Zukunftsmusik in eine alltägliche Bühnendecoration verwandelte, nein, um den ehrwürdigen Berg, in welchem die deutsche Herrlichkeit schläft, um den Kyffhäuser! Und in heutigen Tagen muß man auf diesen Kyffhäuser mit ganz andern Augen blicken, als vor dem glorreichen „siebentägigen Krieg“!
Von der Victorshöhe in das Selkethal führt der Weg anfangs abwärts durch den schönsten Buchenwald. Welchen lichten Eindruck machten diese schlanken Säulenhallen selbst in der Abenddämmerung! Wie männlich kräftig stehen sie da, nicht soldatisch disciplinirt wie die Wegpappeln der Chausseen, aber auch nicht mit jener einsamen, trotzigen, knorrigen Kraft der Eiche. Es ist eine Genossenschaft Gleichstrebender, mächtig und frei. Der gewaltige Stumpf eines Buchenstammes, welcher den Namen „die Bärenbuche“ führt, erinnerte uns, daß auch der Harz seine „letzten Mohikaner“ hatte. Die Stätten, wo der letzte Wolf, die letzte wilde Katze, der letzte Bär erschlagen worden, bleiben Denkstätten der Harzbewohner und werden dem Fremden als besondere Merkwürdigkeiten bezeichnet. Der Harz ist jetzt so civilisirt und von der Cultur beleckt, daß seine Bären und Wölfe ebenso der Sage angehören, wie seine von Fels zu Felsen springenden Prinzessinnen. Dagegen sind die wilden Schweine noch sehr heimisch in den Harzwäldern, und wir fanden in dem Tannendickicht am Wege den Förster auf dem Anstand, um diesen Waldbewohnern aufzulauern. Es war ein unheimlicher Weg durch die noch nicht gelichtete Tannenpflanzung, deren Dunkel noch schauerlicher gegen das Dunkel des sternenlosen Abends abstach. Die Phantasie konnte diese verwachsene Dickung mit all’ den Gestalten der „wilden Jagd“ bevölkern. In der That schien sie ganz geeignet für ein Absteigequartier des wilden Jägers, wenn er des ewigen „Halloh!“ müde geworden sein sollte, was indeß von ihm so wenig zu erwarten ist, wie von einer ergrauenden Primadonna oder einem Künstlerveteranen, daß sie des Applauses müde werden und der Hervorrufe.
Bald erreichten wir die Chaussee und sahen, anmuthig im Selkethal gebettet, im Lichte des eben aufgehenden Mondes das herzogliche Hüttenwerk Mägdesprung, mit seinen hohen Schornsteinen, seinen unruhigen Eisenhütten und dem gastlichen Hotel. Zwei riesige Jungfrauen, welche in der Küche walteten, schienen noch aus jener Zeit zu stammen, in welchem ein kräftiges Mädchen leichter über das Selkethal hinwegsprang, als heutigen Tags ein „Mädchen von Stande“ über die Kluft der Vorurtheile. Der alte Harz mit seinen Bären, Wölfen und Riesenjungfrauen trat in diesem modernen Industrieort uns lebhaft vor die Seele. Bis in die Träume hinein verfolgten mich die kolossalen Töchter der alten Sage; ich sah sie einen Morgennebel als Negligé um die mächtigen Glieder hüllen, Federball spielen mit den Felsen des Selkethals und einen Tannenwald zerknicken mit den Reifen ihrer Crinoline. Da erwachte ich. Hell schien die Morgensonne in das Waldthal und verkündete einen lustigen Wandertag.
Bald stand ich auf der Klippe des Mägdesprungs und sah hinab in das reizende Selkethal, das seine steilen Felsen so anmuthig unter dem grünen Gewand zu verstecken weiß. Nur hin und wieder treten sie schroff und kahl zu Tage. Nichts unterbricht die Morgenstille der Landschaft als das Pochen des Eisenhammers unten im Thal. Auf gepflegten Promenaden, durch Kornfelder hindurch, führt uns der Weg oben über die Berge. Hier, auf der Straße nach Harzgerode, glaubt man sich ganz in harmloser und unromantischer Ebene zu befinden und ahnt gar nicht den tückischen Absturz der Felsen dicht an der Seite. Wir kletterten indeß den steilen Waldhang wieder hinab, um in das Selkethal zu gelangen. Hier ist die Selke unruhig geworden und hat sich in ihrem Bette hin und her geworfen. Bald bildet sie den Spiegel eines breiten Teiches, in dem die Contouren der Felsen anmuthig wiederscheinen, bald läßt sie zur Seite ein früheres versumpftes Bett im Schatten der Erlen, wo Wasserlinsen und Wasserfäden schwimmen, giftige Sumpfpflanzen wuchern, eine Stätte, die an die Stätten des Lasters erinnert, voll Moder und Fäulniß, während die tugendhafte Jungfrau selbst mit heller Krystallfluth lieblich plaudernd durch die Wiesen dahinhüpft.
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Wir nahen uns dem Alexisbad. Das Brunnenhaus, die gepflegten Baumgänge und – das Badenegligé verkünden uns die Nähe eines fashionabelen Badeortes. Alexisbad, anmuthig in dem etwas erweiterten Thal gelegen, aus einer Gruppe stattlicher Häuser bestehend, gehört zu den reichhaltigsten Eisenquellen; dennoch hat es seine Glanzzeit hinter sich. Auch die Bäder haben ihre Schicksale und stehen unter der Herrschaft der Mode. Der Eisensäuerling des Alexisbrunnens ist noch derselbe geblieben; aber die Neigungen der beau-monde sind wandelbar. Eine Eisencur ist für die schwachen Nerven dieses Geschlechts immer ersprießlich – ist sie doch jüngst an deutscher Politik in großem Maßstab gemacht worden! Die Anlagen um Alexisbad sind freundlich, von dem Victorskreuz aus, zu dem wir emporklettern, sieht man die Häusergruppe im Thalgrund malerisch im Rahmen der Berge. Die Sonne schenkte uns dazu den „Silberblick“, den wir in der weiter hinauf gelegenen Silberhütte aufzusuchen verschmähten. Denn wir wollten uns nicht in jene Giftwolken der Schwefel-, Blei- und Arsenikdämpfe begeben, welche ringsum selbst das frische Leben der Natur verkümmern und bis in den Boden hinein das Wachsthum der Pflanzenwelt zerstören, nicht die bleichen Gesichter der Arbeiter mitansehen, welche oft von der „Hüttenkotze“ ganz darniedergeworfen werden. Mit Recht hat die Volkssage die unheimlichen Gnomen und Kobolde zu Wächtern der metallischen Schätze gemacht; denn ihre Geburtsstätte ist nächtig und Giftwolken umschweben die Stätten, wo sie für den Gebrauch der Menschen gelöst und geschmolzen werden.
Gastlicher sind die Eisenhütten, durch die wir in Mägdesprung die Runde machten. Das Eisen, das wir ja auch im Blute brauchen, ist uns vertrauter, als die glänzenden Metalle, welche von jeher unsere Phantasie geblendet haben. Eine andere Verwandtschaft des Eisens mit dem Blute zeigt uns die Blut- und Eisenpolitik. Sonst hat sich das Eisen am geschmeidigsten [566] dem Dienst der menschlichen Friedensarbeit gefügt. Ein solcher Complex großer Eisenhüttenwerke hat etwas Imposantes; die Natur mit Wasser und Dampf hilft den Menschen und treibt ihre Hämmer und Räder. Der Hochofen in Mägdesprung war im Bau begriffen, wir konnten daher diesen unersättlichen Moloch, der oft in dreijährigen „Campagnen“ gefüttert wird, nicht in seiner verschlingenden Thätigkeit bewundern. Weiter in’s Thal hinab liegt der „Puddelofen“, in welchem das Roheisen verkohlt und in Stabeisen verwandelt wird.
Unsern auf Selbstanschauung beruhenden Cursus begannen wir mit dem Eisenhammer, wo das dickköpfige Ungethüm, getrieben von der brausenden Fluth, uns mit einer prasselnden Funkensaat überstreute, während es das Stabeisen zurecht hämmerte für den Handel und zu Stäben ausreckte. Draußen vor den Thüren des Hammers standen ganze „Stabbündel“ fertig für die Versendung. Vor den Hütten des Dorfes selbst lagen in großen Haufen die verschiedenen Eisenerze aufgeschüttet, mit denen die Hochöfen gespeist werden: Eisenglanz, Brauneisenstein, Raseneisenstein, Bohrerze u. a. Es war interessant, die Freigebigkeit zu beobachten, mit der die Natur ihre Metalladern in das verschiedenste Gestein hineinarbeitet. In der Gießerei sahen wir die Sandkasten, in welchen die Metalle gebettet liegen unter dem magern Sande. Ist der Formkasten gestampft voll, so werden Verbindungscanäle für das Metall gemacht, das Modell wird vorsichtig ausgehoben und der Metallguß kann beginnen. Das Metall selbst wird in den Cupolöfen geschmolzen. Alle diese Arbeiter bei den Hochöfen, Puddelöfen, Cupolöfen müssen feuerfest sein, denn sie befinden sich in einer tropischen Temperatur. Der feinere Kunstguß wird in Mägdesprung übrigens auch mit großer Vollendung getrieben. Noch steht in der Modellkammer das prächtige Modell einer Hirschgruppe, die in Eisenguß ausgeführt worden ist. Die Schmiede ist ebenfalls ein großartiges Etablissement, ebenso das „Carlswerk“, wo die vom Wasser- oder Dampfrad getriebenen zahllosen, über unseren Köpfen kreisenden Räder und Räderchen und die verschiedenen Walz- und Schmiedewerke anfangs einen schwindelerregenden Eindruck machen. Das arme Eisen wird gehörig hin- und hergefoltert, muß die Rinnen der gußeisernen Walzen eine nach der andern passiren, oder sich von den erhöhten und vertieften Reifen zweier Walzen grausam schneiden lassen, bis es die gewünschte Form erhält und das Gepräge des menschlichen Willens trägt. Aus all’ diesem Hämmern, Rollen, Schnurren, Schleifen sehnt man sich zuletzt hinaus in die freie Natur, nachdem man das deutsche Volk bei seiner Arbeit aufgesucht. Leider isolirt der Fortschritt der Industrie die Arbeit immer mehr in geisttödtender Weise. Der Einzelne greift selbst nur wie ein mechanisches Rad ein in das Getriebe des Ganzen, indem er sich fortwährend im Kreise dreht, wie des Müllers Gaul. Geht es doch heutigen Tages kaum anders in den Hüttenwerken der Wissenschaft, wo auch der freie Ueberblick über das Ganze mehr und mehr verloren geht, der Eine das Roheisen der Kenntnisse für den Hochofen zusammenträgt, der Andere dialektischen Draht zieht, der Dritte in seine geistigen Sandkasten immer dieselben schematischen Modelle legt und Keiner sich um den Andern und um das Ganze kümmert.
Mitten in diesen Eisenhütten liegt ein bescheidenes Landhaus, welches den Ansprüchen eines stolzen Fabrikherrn kaum genügen würde. In der That ist es auch nicht das Absteigequartier eines in Gold gefaßten Industriellen, sondern nur die Wohnung des Herzogs von Anhalt, der hier mitten unter seinem fleißigen Völkchen die Sommerfrische des Selkethals athmet. Einer seiner Ahnherren, der 1796 verstorbene Fürst Friedrich Albert, hat diese Eisenwerke gegründet, und ihm zu Ehren wurde der über achtundfünfzig Fuß hohe Obelisk aus Gußeisen errichtet, der sich so stattlich, das Thal beherrschend, auf einer Erhöhung neben dem Wege nach Ballenstedt erhebt.
Wir schlagen diesen Weg ein, der uns dicht an den Trümmern der alten Heinrichsburg vorbei führt. Wenn die Geister der alten Ritter bisweilen im Dämmer noch über die Felsenpfade irren, so werden sie erstaunen über den lauten Lärm im Thale, über die ragenden Schlote, die kreisenden Dampfräder, über die Ehrensäule, die einem Friedensfürsten errichtet ist, und wenn sie in der ewigen Langweile ihrer feudalen Unsterblichkeit Auskunft suchen in Wagener’s „Staatslexikon“, auf das ein echter Ritter auch im Jenseits abonnirt ist, so werden sie die moderne Industrie verwünschen und gegen all’ ihre Stätten die Faust ballen. Hier oben im alten Gestein glotzen uns zur Nachtzeit noch die Augen des Uhu entgegen, des romantischen Räubervogels, der bessere Tage gesehen hat; unten im Thal aber ruft aus frischem Laubholz der Kukuk, der Vogel der modernen Industrie, der das Geld in der Tasche zählt.
Herrlich und parkartig ist der Laubwald, durch den wir der Försterei Sternhaus zuschreiten. Die Forsten im Harz sind berühmt wegen trefflicher Pflege; In der That merkt man hier überall die menschliche Hand. Ein großer Theil der Umzäunungen um Wald und Wiesen ist des Wildstandes wegen da und verwandelt alle diese Wälder in große Thiergärten. Einzelne Umhegungen gelten indeß auch den jungen Waldculturen, von denen es verschiedene Arten giebt. Die eigentlichen Kleinkinderbewahranstalten sind die „Saatkämpen“. Hier wiegen die jungen, aus dem Samen schießenden Waldbäumchen die hellgrünen Büschel im Winde und suchen sich nach Kräften von dem dazwischen wuchernden Unkraut zu unterscheiden. Die Elementarschulen sind die „Haine“, wohin die Stämmchen aus den „Kämpen“ verpflanzt werden; hier wachsen sie heran bis zu den Jahren ihrer akademischen Verwilderung, wo sie als „Dickung“ sich behaglich und ungeschoren einer neben den andern hinflegeln, sich in wirrem Durcheinander „touchiren“ und „pauken“ und mit den Thieren des Waldes in traulichstem Verkehr leben.
Hier begegnet man oft lauschigen Rehen, schlanken Hirschen, welche ziemlich stolz und unbekümmert ihres Weges ziehen; aber auch den armen Harzbewohnerinnen, die in Körben auf dem Rücken das dürre Holz tragen, welches der Schein des Försters ihnen verstattet sich anzueignen. Nicht alle Gesichter sind frisch geröthet von Berg- und Waldluft; in vielen prägt sich auch das Elend der Armuth aus.
Hinab von den Waldeshöhen, den Blick auf die blaue Ebene gewendet, geht’s nun nach dem Stubenberg bei Gernrode, einem reizenden Vorhügel des Niederharzes, von wo aus man eine jener Aussichten hat, welche man den großen Panoramen der Gebirgsspitzen vorzuziehen geneigt ist. Hier ist uns Alles traulich näher gerückt, Berg und Wald, Städte und Dörfer heben sich in lebendigem Colorit, in sichern Umrissen von einander ab. Trotz des Strichregens, der uns verhinderte, die beiden goldenschimmernden Knöpfe am Kirchthurm von Gernrode in ihrer sonnenhellen Glorie zu sehen, war das Landschaftsbild von großer Lieblichkeit. Zu unsern Füßen lag das Städtchen, das sich von oben gesehen gewiß am besten ausnimmt, weiterhin Suderode, die bevölkertste Fremdenstation am Unterharz, die fruchtbare Ebene, wo hinter Saatfeldern die Thurmspitzen hervorblickten. Ein Waldthal zur Linken, das sich weithin den Blicken öffnet, erinnerte uns, daß wir uns am Fuße eines gefeierten Waldgebirges befanden. Das Gasthaus auf dem Stubenberge hat einen vornehmen, villaartigen Charakter. Im Gastzimmer occupirte Berlin die besten Plätze; alle Gespräche drehten sich um Landwehr und Cholera. Von unten tönten die rollenden Kugeln der Kegelbahn und die rasch sich wiederholenden Rufe: „Alle neun!“ zu uns herauf. Man merkte, daß es preußische Kugeln waren, denen jüngst so mancher kühne Wurf gelang; doch die conservativen Kegeljungen setzten den gefallenen König mit all’ den Seinen immer wieder auf.
Suderode ist ein Soolbad, ganze Heringstonnen von Berlinern und Magdeburgern werden hier alljährlich eingesalzen; denn die Zeiten sind theuer und Suderode ist billig. Allenfalls kann hier auch ein Supernumerarius existiren; doch die fünfte Rathsclasse überwiegt. Trotz des strömenden Regens war die Straße, wo sich die Haupthotels befinden, übervölkert; Schönheit und Intelligenz wandelten unter den triefenden Regenschirmen einher; auf einem Caroussel aber übte sich das junge Berlin im Ringelstechen und saß so siegesmuthig auf den hölzernen Pferden, als bliesen die Trompeter zu einer Cavalerie-Attake!
Wieder in Thale angekommen, trafen wir Adolph Stahr und Fanny Lewald. Stahr sah leidend aus; es scheint, seine römischen Studien bekommen ihm nicht. Möchte es der geistreiche Kritiker, dessen edle Begeisterung, dessen gründliche Kenntnisse wir hochschätzen, doch aufgeben, die Mohren und die Mohrinnen der Weltgeschichte weiß zu waschen! Ob Fanny Lewald einen neuen Roman schreibt, oder in ihren praktischen Bestrebungen für die künstlerische Bildung der Handwerker und für weibliche Gesindehäuser aufgeht, ist fraglich. Spät Abends saßen wir in Zehnpfund’s Hotel noch mit Titus Ulrich zusammen und [567] wir dachten der alten Zeiten und der alten Schweiz, jenes „Berliner Rütli“, der Geburtsstätte des „Kladderadatsch“, und aller Wildheiten einer emancipirten Jugend. Auch vom Theater sprachen wir und von der Abneigung des Berliner Publicums gegen Trauerspiele und von dem lyrischen Talent, ohne das sich kein echter Dichter, auch kein dramatischer denken lasse, und von der deutschen Bühne, die jetzt so ganz dem „Hexentanzplatz“ gleiche, der im Mondschein von den Granitbergen des Bodethals herüberblickte.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Teufels-Mühle, (1800, Johann Karl Christoph Nachtigal) bzw.
Die Teufelsmühle, (1814, Friedrich Gottschalck)