Aus Garibaldis Memoiren
Nahezu sechs Jahre mußten seit dem Tod des greisen Helden verfließen, ehe seiner eignen Bestimmung gemäß Garibaldis Memoiren das Licht erblickten.
Wer nun ein Buch der Abenteuer erwartet hat, farbenreich wie das Leben des Schreibers selbst, der mag den Band etwas enttäuscht bei Seite legen; denn allzugroß im Verschweigen verschmäht der Verfasser das pittoreske Detail oder er hat dasselbe vermutlich bei der letzten Ueberarbeitung ausgeschieden, wiewohl das Manuskript davon keine Spuren zeigt. Ein seltsames Buch ist es, ohne Plan und Ordnung, abrupt und fragmentarisch, oft schwungvoll bei kleinen Ereignissen verweilend, wenn die Erinnerung feuriger Jugendeindrücke den Verfasser hinreißt, und dann wieder mit trockenen Daten über das Größte weggehend.
Doch wer die Sprechweise der Bewohner der Riviera kennt, in der sich die Erfahrung des Seemanns mit der Poesie des Kindes paart, für den haben die schlichten Zeilen einen eigenen und wohlbekannten Reiz; es weht daraus hervor wie frische salzige Seeluft, gemacht mit exotischen Düften der Tropenwelt.
Ebenso merkwürdig ist der Inhalt, nicht weil er die bekannte Gestalt mit neuen Zügen ausstattet, sondern weil er zeigt, wie sich sein eigenes Schicksal in der Brust des Helden spiegelt. So berührt es vor allem charakteristisch, daß Garibaldi wie die Condottieri des Mittelalters sich bei jedem Anlaß nicht seinem Genie, sondern zumeist dem Glück verpachtet bekennt, und dieses Glück, das an der Person des Feldherrn haften muß, ist für ihn ebenso wenig wie für Napoleon I. ein blindes Ungefähr; er fühlt seine ganze Auszeichnung – und wer möchte leugnen, daß dieser tollkühne General, von dem in den Schlachten zweier Welttheile die Kugeln abzuprallen scheinen, der Seefahrer, der aus Stürmen und Schiffbrüchen wieder und wieder den Rettungsweg findet, der Mann, der mit der zwingenden Persönlichkeit seine Landsleute wie ein Taumeltrank ergreift, der nicht schlafen kann, [347] so lang ein Stein an dem Gebäude Italiens fehlt, daß er wirklich der Mann der Vorsehung gewesen?
Nur zwei Züge findet Garibaldi aus seiner Kindheit und Knabenzeit erzählenswerth: daß er mit sieben Jahren einmal aus Ungeschick einer Grille ein Beinchen ausgerissen und sich viele Stunden lang nicht darüber zu trösten vermochte und daß er in diesem Alter einer armen Frau, die beim Waschen ins Wasser gefallen war, das Leben rettete, obwohl ihm eine umgebundene Jagdtasche das Schwimmen erschwerte; denn er war „als Amphibium zur Welt gekommen“, und dieser Vertrautheit mit dem furchtbaren Element hatten bekanntlich viele seiner Mitgeschöpfe ihre Rettung zu danken.
Diesen frühen Trieb der Nächstenliebe wie überhaupt alles Gute seiner Natur dankt er, wie er bekennt, einzig seiner Mutter, welcher er durch seine gefahrvolle Laufbahn so vielen Kummer bereitet. Daß er auch ihre letzten Jahre nicht zu versüßen vermochte, bleibt das Bedauern seines ganzen Lebens. Oft beim Toben des Oceans oder im Schlachtensturm erscheint ihm als plötzliche Vision das Bild der zärtlichen Mutter auf den Knieen im Gebet für ihn und er fühlt sich gefeit und stark gegen alle Gefahren, bis ihm einmal während seines zweiten Exils bei einem der fürchterlichsten Wirbelstürme auf dem Stillen Ocean ein Traumgesicht ihren wirklich um diese Stunde erfolgten Tod verkündigt.
Welch eine Laufbahn in diesen dürftigen Blättern! Von der Heimath ausgestoßen, die er zu früh befreien gewollt, und zur Befreiung eines fremden Landes über den Ocean berufen, heut’ siegreich, morgen geschlagen, schiffbrüchig an den Strand geworfen, dann aufs neue Herr der Gewässer, vom Korsaren, den die Schiffe von Montevideo verfolgen, zum Befehlshaber der ganzen Land- und Seemacht dieser Republik aufgestiegen – und wenige Jahre darauf in der zweiten Verbannung als Lichterfabrikant wiederum auf amerikanischem Boden und vergebens auf einem englischen Schiff den Posten eines Lastträgers erbittend!
Doch die Thaten des Helden gehören der Weltgeschichte an; wir gehen lieber den wenigen persönlichen Zügen nach, die hier nicht wie in den von fremder Hand geschriebenen Biographien von den Ranken der Legende umwuchert sind.
Schon die erste Anekdote zeigt den ganzen Mann.
Im Dienst der kleinen Republik von Rio-Grande, die gegen das mächtige Brasilien Krieg führte, bietet er auf einem Fischerboot allein mit zwölf Genossen dem ganzen Kaiserreich Trotz und läßt zuerst das Banner der Unabhängigkeit auf jenen Gewässern flattern. Doch als dem jungen Korsaren als erste Prise eine brasilianische Kaffeeladung in den Weg kam und von den zu Tode erschrockenen Passagieren einer ihm knieend ein Kästchen mit drei kostbaren Diamanten überreichte, wies Garibaldi nicht nur das Geschenk zurück, sondern schärfte den Seinigen aufs strengste ein, alles Privateigenthum zu schonen, und ließ Bemannung und Passagiere außer ihrem eigenen Gepäck noch so viel sie wollten an Lebensmitteln ausschiffen und mit sich nehmen.
Mit dem weggenommenen brasilianischen Schooner „Luisa“ erreichte man die Küste von Uruguay; doch der Staat von Montevideo hatte gegen alles Erwarten das Banner von Rio-Grande nicht anerkannt und einen Haftbefehl gegen Garibaldi erlassen. Eilig schifft er sich wieder ein und steuert trotz gefährlicher Winde den Rio de la Plata hinauf, jedoch ein seltsamer Zwischenfall bedroht unterwegs sein und seiner Gefährten Leben. Bei der Ueberstürzung der Abfahrt hatten die Matrosen ohne Wissen des Kommandanten alle Waffen in eine Kajüte neben den Kompaß geworfen, um sie näher zur Hand zu haben. Zum Glück mochte Garibaldi in jener Nacht nicht schlafen und hielt sich in der Nähe des Steuers, um nach der ihrer gefahrvollen Riffe wegen berüchtigten Küste zwischen Maldonado und Montevideo auszuspähen. Die Nacht war dunkel und stürmisch; nichtsdestoweniger vermochte das geübte Seemannsauge mühelos die Küste zu erkennen, die trotz der entgegengesetzten Manöver des Steuermanns näher und näher kam. Um Mitternacht ertönt der Ruf „Land!“ Doch es ist eine schwarze Klippenmasse, die den Erschrockenen entgegenstarrt, und schon ist das Schiff von ihren unwiderstehlichen Strudeln ergriffen. Alles scheint verloren, die Bemannung ist kopflos; aber Garibaldi zwingt das Schicksal, indem er selbst mit sicherem Blick und festem Kommando das Schiff zwischen den grauenvollen Riffen durchsteuert, wo bei der leisesten Berührung das schwache Fahrzeug zerschellen mußte. Erst als die Gefahr vorüber war, erfuhr er die Ursache desselben; die schwere Eisenmenge, die neben dem Kompaß aufgehäuft lag, hatte auf die Magnetnadel eingewirkt und war schuld, daß das Schiff seinen Kurs verlor.
So gelangte man glücklich an das Vorgebirge von Jesus Maria, doch nun brach bei der kleinen Bemannung der Hunger aus. Vier Meilen landeinwärts hatte Garibaldi zwar eine kleine Farm entdeckt, aber sein Schiff durfte sich nicht an das ungastliche Ufer wagen; es fehlte das Boot, um zu landen, und der Wind, der von den Pampas her blies, der gefürchtetste in jenen Regionen, hätte selbst einem starken Nachen die Landung erschwert – wie viel mehr dem wunderlichen Fahrzeug, dem Garihaldi sich mit einem Matrosen anvertraute! Er ließ nämlich ein Brett an zwei Fäßchen befestigen, pflanzte als Mast eine Stange darauf, woran die Kleider aufgehängt wurden, und mit diesem Floß schwammen die Beiden, nachdem sie lange genug in der Brandung umher gewirbelt, wie durch ein Wunder aus Land.
Von den Felsen der Küste erblickt Garibaldi zum ersten Mal die Pampas, und die wilde, freie, jungfräuliche Natur entzückt sein europäisches Auge. Er sieht den Strauß, die Gazelle, die beim Anblick des Menschen die Flucht ergreifen, den Büffel, der sich ihm drohend in den Weg stellt, den wilden Hengst, den „Sultan der Wüste, umgeben von seiner reizenden Odaliskenschar“, der sich neugierig nähert und mit ihm scherzen möchte. Doch wie groß ist das Erstaunen des jungen Korsaren, als er auf der einsamen Farm inmitten der Wildniß eine reizende junge Frau findet, die Gattin des Verwalters und obendrein Dichterin! Er wird von ihr aufs gastlichste bewirthet; sie spricht ihm von Dante und Petrarca, sie schenkt ihm die Gedichte von Quintana und recitirt ihm ihre eigenen, die er, obwohl nur ein schwacher Kenner des Spanischen, von Herzen bewundert, und daß er ihr ein ganzes Kapitel seiner kargen Memoiren widmet, beweist den tiefen Eindruck, den die romantische Begegnung auf ihn hervorgebracht hat.
Endlich erschien auch der Gemahl und mit ihm wurde Garibaldi über ein Stück gehörntes Schlachtvieh handelseinig, das alsbald an den Strand geführt, geschlachtet und zerlegt wurde, und mit dieser köstlichen Fracht, die er sorglich an den Mast seines improvisirten Fahrzeugs band, erreichte er unter vermehrten Schwierigkeiten und Gefahren endlich wieder das Schiff, wo seine Gefährten unterdessen noch mehr um die Sicherheit des Ochsen als um seine eigene gezittert hatten.
Des andern Tages kamen zwei Schaluppen von Montevideo aus in Sicht. Sie schienen zwar nichts Böses im Schilde zu führen; dennoch schöpfte Garibaldi Verdacht und ließ für alle Fälle die Waffen bereithalten. Das größere der beiden Boote, auf dem nur drei Mann zu sehen waren, kam ganz nahe heran; plötzlich ertönt eine Stimme vom Bord, die unser Korsarenschiff auffordert, sich zu ergeben, und zugleich füllt sich das Deck mit Bewaffneten. Schnell hat sich ein erbittertes Gefecht entsponnen, das erste in Garibaldis kriegerischer Laufbahn. Die italienische Bemannung wehrt sich mit Löwenmuth, und es gelingt ihr, den Feind in die Flucht zu schlagen, doch ihr tapferer Steuermann ist gefallen, Garibaldi selbst auf den Tod verwundet und keiner an Bord, der die geringsten geographischen Kenntnisse besäße. In dieser Noth wurde vor dem schwerverletzten Kapitän die Seekarte ausgebreitet, und er bezeichnete noch mit halbverlöschendem Blick einen Punkt im Flusse Paranà, den er mit größeren Lettern geschrieben sah.
Auf diese Weise kamen sie endlich nach Galeguay, wo Garibaldi von der Bevölkerung freundlich aufgenommen und seine Wunde geheilt wurde; nur durfte er sich ohne Erlaubniß der Regierung nicht entfernen – mit einem Wort, er war gefangen, und diese Lage auf die Länge zu ertragen, war Garibaldi nicht der Mann. Er wagt einen unglücklichen Fluchtversuch, wird eingeholt und mit gebundenen Händen, die Füße unter den Sattel festgeschnallt, wie ein Missethäter noch Galeguay zurückgeführt.
Unter dem Gefängnißthor erwartete ihn der Kommandant Millan, der, nicht ahnend, weß Geistes Kind er vor sich hatte, ihn nach seinen Mitschuldigen fragte und auf Garibaldis Weigerung, die Freunde zu verrathen, wüthend mit der Peitsche auf den Gefesselten einhieb. Doch dieser blieb bei seinem Nein, und nun schritt der würdige Kommandant zur Folter. Man schlang dem Gefangenen ein Seil um die rückwärts gebundenen Hände und ließ ihn so zwei Stunden lang an einem Balken aufgehängt in der Luft schweben.
[348] „Mein Körper brannte wie eine Esse,“ schreibt Garibaldi, „und mein Magen trocknete das Wasser, das ich unaufhörlich einschlang, wie glühendes Eisen auf. – Als sie mich losbanden, stöhnte ich nicht mehr; ich war leblos, ein todter Körper, und so legten sie mich in Ketten. Ich hatte vierundfünfzig Stunden mit gebundenen Händen und Füßen in einem Sumpfland zurückgelegt, und die Moskitos, die in dieser Jahreszeit unerträglich sind, hatten mich schrecklich zugerichtet. Und dann die Folter Millans! O, ich hatte viel gelitten, und jetzt lag ich gefesselt neben einem Meuchelmörder.
„Mein Gastfreund war eingekerkert, die Dorfbewohner in Schrecken, und ohne die Großmuth eines weiblichen Wesens wäre ich nicht mehr am Leben. Frau Alleman, ein Engel an Güte, ließ sich durch die allgemeine Furcht nicht einschüchtern und kam dem Gefolterten zu Hilfe. Dank meiner unvergleichlichen Wohlthäterin litt ich im Gefängniß keine Noth.“
Zehn Jahre später in den Kämpfen von Montevideo gegen die argentinische Republik führte der Zufall Garibaldi nebst andern Gefangenen auch diesen Millan in die Hände. Garibaldi gab seinen Peiniger frei, ohne ihn nur angeblickt zu haben, und so hoch steht er über jedem Gedanken an sich selbst und jedem Rachegefühl, daß er dieses Umstands in seinen Memoiren nicht einmal gedenkt.
Nach zwei Monaten erlangte er seine Freiheit wieder, und bald war er aufs neue im Dienste der kleinen Republik, für die er mit mehreren tapferen Landsleuten ohne Sold, nicht immer siegreich, aber immer mit abenteuerlicher Verwegenheit kämpfte. Das Ewig-Weibliche wirft seinen Zauber über diese Periode, die dem greisen Helden, noch während er seine Memoiren niederschreibt, als die glücklichste seines Lebens erscheint. Bei einem Ueberfall hält er mit seinen Getreuen zu vierzehn gegen hundertundfünfzig Mann Stand, und süßer als der Sieg ist ihm zu hören, daß die schöne Manuela, die, obwohl Braut eines Andern, von ihm mit reiner stiller Liebe geliebt wird, für sein Leben gezittert hat.
„Ja, wunderschöne Tochter des Kontinents!“[2] ruft er aus, „ich war glücklich, Dir anzugehören, gleichviel auf welche Weise! Du zum Weib eines Andern bestimmt! Mir aber bewahrte das Schicksal eine andere Brasilianerin auf – für mich die Einzige auf Erden – die ich heute beweine und mein Leben lang beweinen werde. Auch sie lernte mich im Mißgeschick, schiffbrüchig kennen, und mehr vielleicht als mein Verdienst zog sie mein Unglück an, und das Unglück vermählte sie mir auf ewig.“
In der Lagune dos Patos wurden zwei Schaluppen ausgerüstet und unter Garibaldis Oberbefehl gestellt, damit er zur See die Bewegungen der Landmacht unterstütze. Wie aber die kleine Flotte nach dem Ocean bringen, da die beiden Ausflüsse der Lagune durch starke kaiserliche Festungen vertheidigt sind? Doch Garibaldi findet Rath. Er läßt seine beiden Schiffe auf zwei Karren laden, die von je fünfundzwanzig Paar Ochsen durch das Bett eines kleinen Stromes nach dem See Tramandahy gezogen werden, der seinerseits ins Meer mündet. Nach längerem Kampf mit den Wellen gelingt es, von hier mit der Hochfluth den Ocean zu gewinnen, der den Verwegenen umsonst seine donnernde Warnung entgegenbrüllt; sie haben einen Weg hinter sich, den vor ihnen nie ein Fahrzeug gewagt hat – aber nicht zu ihrem Heil. Denn die leichte Brise, mit der sie ausschifften, verwandelte sich am zweiten Tag in tobenden Sturm und zwang die Schiffe, an der feindlichen Küste Landung zu suchen. Doch das kleinere und schwerer belastete, der „Rio Pardo“, den Garibaldi selbst befehligte, wurde von einer furchtbaren Welle quer gefaßt und umgeworfen. Garibaldi, vom Fockmast ins Meer geschleudert, verlor die Besinnung keinen Augenblick; er sammelt, was er an Rudern und treibenden Planken fassen kann, und schwimmt damit ans Schiff, um sie den Freunden zu bringen. Luigi Carniglia, der tapfere Oberbootsmann, dem Garibaldi seine Rettung aus früheren Gefahren dankte, hing hilflos an Bord geklammert, denn eine enge wasserschwere Tuchjacke machte ihm jede Bewegung unmöglich. Garibaldi sieht es und eilt zu Hilfe; mit einer Hand sich am Schiffe haltend, hat er schon mit seinem Taschenmesser den Sammetkragen abgetrennt und ist im Begriff, dem Freund die unselige Jacke vom Leib zu schneiden, als eine fürchterliche Welle über sie hereinschmettert und das Schiff mit allen, die daran hängen, in den Abgrund reißt. Garibaldi selber schoß wie ein Pfeil auf den Grund, und als er wieder auftauchte, war sein unglücklicher Freund auf immer verschwunden. Jetzt blieb auch ihm nichts übrig, als an seine eigene Rettung zu denken, und er war unter den Ersten, die das Ufer erschwammen. Aber zurückblickend sieht er seinen Jugendfreund, seinen Edoardo Mutru, der mit ihm verbannt worden und um seinetwillen über den Ocean gekommen war, ermattend mit den Wellen ringen; denn das Holzstück, das ihm Garibaldi gereicht hatte, war ihm durch die Wuth des Meeres entrissen worden. Garibaldi springt aufs neue in die Fluth. Schon ist er dem Freund nahe; durch eine Planke hofft er ihn zu retten – vergebens! Eine Welle verschlingt beide; Garibaldi arbeitet sich hervor, aber der Freund, nach welchem er verzweifelt ruft, erscheint nicht wieder.
Sechzehn seiner Gefährten theilten dasselbe Los, unter ihnen seine sechs Landsleute. Erprobte Schwimmer sind zu Grunde gegangen, und viele, die nicht schwimmen konnten, wurden gerettet! Vergebens sucht er unter den Ueberlebenden ein italienisches Gesicht, sie sind alle todt und er sieht sich allein auf der Erde. Am Strand niedergeworfen, überläßt er sich seinem Jammer, und das so mühsam gerettete Leben scheint ihm eine Last.
Wir haben diese Episode so ausführlich erzählt, weil sie auf Garibaldis Schicksal von weitestgehendem Einfluß war. Die Herzenseinsamkeit, in die ihn der Tod so vieler treuer Freunde versetzte, erweckt ihm einen Gedanken, den seine abenteuervolle Laufbahn bisher ferngehalten; ihm fehlt ein Wesen, das immer um ihn sei und sein ganzes Leben theile; er weiß, einen Freund zu gewinnen, braucht es Jahre; er aber will sogleich geliebt werden, und so beschließt er, ein Weib zu nehmen.
Einer wildschönen Blüthe der Poesie gleicht seine erste Begegnung mit Anita.
Vom Bord der „Itaparika“, die Garibaldi nach dem Schiffbruch des „Rio Pardo“ befehligte, späht er eines Tages nach dem malerischen, an einem Hügelabhang gelegenen Dorfe Barra, und durch das Fernglas erblickt er ein Mädchen, dessen Erscheinung ihn mit umwiderstehlicher Gewalt ergreift. Augenblicklich läßt er sich in dieser Richtung übersetzen, und ein Ortsbewohner, den er flüchtig kennengelernt hatte, lud ihn zu einer Tasse Kaffee in sein Haus. Beim Eintritt fiel sein erster Blick auf die Gesuchte. Es war der Blitzschlag der Leidenschaft: beide stehen sich stumm und entzückt gegenüber, als ob sie sich nicht zum ersten Male sähen, und jedes sucht in den Zügen des andern nach einer Erinnerung.
Doch lassen wir ihn selbst erzählen. „Ich grüßte sie endlich und sagte: ‚Du mußt mein sein!‘ Da ich des Portugiesischen wenig mächtig war, sprach ich die verwegenen Worte aus italienisch. Gleichviel, ich wirkte magisch in meiner Frechheit. Ich hatte einen Bund geschlossen, den nur der Tod zerreißen konnte, ich hatte einen verbotenen Schatz gefunden, aber einen Schatz von hohem Werth.
„Wenn ein Unrecht geschehen ist, so war es ganz auf meiner Seite – und es ist ein Unrecht geschehen. Ja – zwei Herzen schlossen sich in gewaltiger Liebe zusammen und die Existenz eines Unschuldigen ging darüber in Stücke. Sie ist todt, ich unglückselig, und er gerächt! Ja, gerächt! Das große Unrecht, das ich begangen, ward mir bewußt am Tage, wo ich noch in der Hoffnung, sie lebend wiederzuhaben, die Hand einer Leiche drückte und Thränen der Verzweiflung weinte. Ich habe schwer gefehlt und ich allein!“
Diese Worte haben so viele Mißverständnisse[3] hervorgerufen, daß sie einer Erklärung bedürfen: Anita war unvermählt, als Garibaldi sie auf sein Schiff entführte; sie wurde ihm in rechtmäßiger Ehe angetraut, wie die noch vorhandene Urkunde aus San Francisco d’ Assisi in Montevideo beweist, und es ist die rührende Anekdote überliefert, daß Garibaldi, der von der Regierung keinen Sold bezog, den Priester mit seiner silbernen Taschenuhr, dem einzigen Besitzthum, das er aus dem Schiffbruch gerettet hatte, bezahlen mußte. Doch der Fluch ihres Vaters, der ihr ein anderes Schicksal bestimmt hatte, folgte dem jungen Weibe in ihr neues Leben.
Von jenem Tage an ficht die brasilianische Amazone unzertrennlich an der Seite ihres Gatten, „die Schlachten sind ihr [349] ein Spiel, die Beschwerden des Lagerlebens ein Zeitvertreib“. In seiner Abwesenheit ist sie es, die den ersten Kanonenschuß auf die feindliche Flotte feuert, sie wird die Vorsehung der Verwundeten; sie ermuthigt die Wankenden, hält die Fliehenden auf, thut unter den feindlichen Feuerschlünden Adjutantendienste oder stellt sich selbst mit ihrem Karabiner in die Reihe der Kämpfer. Sie irrt durch das Schlachtfeld, um die Leiche ihres Geliebten zu suchen, dessen Tod ihr fälschlich gemeldet wird; aus der Gefangenschaft entkommt sie zu Pferd und durchschwimmt, an die Mähne ihres Thieres geklammert, geschwollene Ströme. In einer Hütte bringt sie ihren Erstgeborenen, den kleinen Menotti, zur Welt, auf dessen Stirn eine Narbe an ihren schweren Sturz vom Pferde erinnert. Doch während der Vater fort ist, um die nöthigsten Bedürfnisse zu beschaffen, bricht eine Abtheilung feindlicher Infanterie unter dem schrecklichen Moringua in ihren Zufluchtsort ein und metzelt alles vor sich nieder. Anita gelingt es zu entfliehen; ihren zwölf Tage alten Säugling vor sich auf dem Sattel, flüchtet sie mit Garibaldis Matrosen bei stürmendem Ungewitter in den Wald. Ein anderes Mal irrt sie mit seinen zersprengten Scharen in endloser Wildniß, ohne Nahrung, bei immer strömendem Regen auf steilen Felsensteigen, zwischen wilden Volksstämmen durch, über reißende Bergströme, wo der Vater den drei Monate alten Menotti in einem um den Nacken geschlungenen Sacktuch trägt, um ihn durch den Athem warm zu halten. In immer gleicher Begeisterung theilt sie sein immer wechselndes Glück, das ihn noch zum Viehhändler, zum Makler, zum Privatlehrer der Mathematik und dann wieder zum Begründer und Kommandanten der ruhmreichen italienischen Legion in Amerika macht – und sie ist es, die in Garibaldis Seele die unausrottbare Ueberzeugung pflanzt, daß das Weib von höherer Natur sei als der Mann, also auch kühner, ritterlicher; nur die knechtische Erziehung, zu der es verdammt sei, mache die Beispiele davon seltener.
Doch das ungetrübte Liebesglück der armen Anita hat nun am längsten gedauert; ihr droht eine furchtbare Rivalin, von der der leiseste Wink genügt, ihr den Helden aus den Armen seines Glückes zu reißen: diese Rivalin heißt Italien. Denn „der Italiener ergötzt sich nicht am blauen Himmel des Auslandes, an den Reizen einer fremden Schönen; er verpflanzt sich nicht wie die Söhne des Nordens auf immer in ein fremdes Land. Er vegetirt, er wandelt düster und gedankenschwer auf der fremden Erde und nie verläßt ihn das Heimweh nach dem wunderschönen Vaterland und das Berlangen, für seine Befreiung zu kämpfen.“[4]
Auf die erste Nachricht von den freiheitlichen päpstlichen Reformen führte er seine „Italienische Legion“ über den Ocean und legte dem König Karl Albert von Savoyen, der ihn vor vierzehn Jahren zum Tode verurtheilt hatte, seinen ruhmreichen Degen zu Füßen. Anita mit den Kindern war ihm schon auf die italienische Erde vorangeeilt, der sie eine glühende Hingebung entgegenbrachte und die ihr zum Dank nichts zu bieten hatte als ein Grab. In Garibaldis Memoiren begegnen wir ihr erst wieder beim Rückzug von Rom, wohin sie ihrem Gatten gegen seinen Willen gefolgt war. Noch einmal endlose Märsche im glühenden Sonnenbrand über schroffe Gebirgspässe, pesthauchende Sümpfe, bei Tag ohne Nahrung und Nachts ohne Schlaf: so windet sich das decimirte, demoralisirte Häuflein zwischen den französischen Kolonnen durch, ein österreichisches Korps auf den Fersen und unter den zu Tode Gehetzten Anita zu Pferd in Männerkleidern, ein Kind unter dem Herzen und schon jenes schleichende Fieber in den Adern, das ihr nur noch wenige Tage vergönnte. Doch keine Klage kommt über ihre Lippen – kann sie der Sache ihres Gatten keinen Vorschub mehr leisten, so wird sie ihm doch nimmermehr eine Last oder ein Hinderniß sein. Noch einmal wallt ihre starke Seele auf, als sie nahe der Grenze von San Marino ihre Nachhut vor den noch nicht einmal recht zum Vorschein gekommenen Oesterreichern die Flucht ergreifen sieht, und sie wirft sich mit dem englischen Obersten Forbes entrüstet den Fliehenden in den Weg.
Unweit des Adriatischen Meeres im damaligen Kirchenstaat erhebt der Monte Titano sein steiles Zackenhaupt und aus seinem schroffsten Scheitel liegt das befestigte Städtchen San Marino, die kleine uralte Republik. Auf diesen neutralen Boden warfen sich die Verfolgten und legten vor den Thoren der Stadt die Waffen nieder; doch auch dort war ihres Bleibens nicht. Der kleine Staat konnte die Geächteten nicht in seinen Mauern behalten; Garibaldi wies jeden Pakt mit den Fremden zurück, und so beschloß er, sich mit wenigen treugebliebenen Gefährten einen Weg nach Venedig zu bahnen. Er beschwor Anita, in der gastlichen Stadt zurückzubleiben, die wenigstens dem unglücklichen Weibe ein Asyl und Pflege bieten konnte; doch sie wollte von keiner Trennung mehr hören; verzweifelt klammerte sie sich an den bedrängten Gatten an, und alles, was ihr gequältes Herz fern von ihm gelitten hat, seitdem sie den amerikanischen Boden verließ, macht sich in dem verzweifelten Ausruf Luft: „Ich sehe, Du willst mich verlassen!“
Ihm blieb nichts übrig als nachzugeben, und in der Nacht wurde die kranke Frau, in der unterdessen das bis dahin versteckte Fieber mit voller Gewalt ausgebrochen war, die schwierigen Bergpfade hinunter in die Ebene geschleppt. In der nächsten Nacht erreichten sie Cesenatico, und durch einen Handstreich gelang es Garibaldi, mit unsäglichen Mühen bei hohem Meer dreizehn requirirte Schiffernachen flott zu machen, in denen er mit den Seinigen nach dem noch kämpfenden Venedig überzusetzen hoffte. Aber Anita litt unsäglich und keine Linderung war zur Hand; brennender [350] Durst verzehrte ihr Eingeweide und es fehlte selbst an Wasser. Den ganzen Tag segelten sie mit gutem Fahrwind an der italienischen Küste hin, doch mit Mißfallen sah Garibaldi den Vollmond, den alten Gefährten des Seemanns, mit niegesehener Pracht aufgehen, und in der That, der Mond wurde ihnen verderblich.
Das österreichische Geschwader lag in diesen Gewässern, und bei der großen Helle, die sich über das ganze Meer verbreitete, wurden die kleinen Nachen zuerst von einer Brigg entdeckt, die sich sogleich zur Jagd anschickte und im Nu das ganze Geschwader alarmirte. Garibaldi, taub gegen den Kanonendonner, nahm seine ganze Seemannskunst zusammen, um sich noch einmal, wie so oft schon, zwischen der Küste und den feindlichen Schiffen durchzuretten; aber seinen Genossen schwindet der Muth, ihre Nachen weichen zurück und er mit ihnen, um sie nicht zu verlieren. Bei Tagesanbruch sind sie völlig von dem viel beweglicheren Geschwader umringt; es bleibt kein Ausweg als der Küste zuzusteuern, wo sie, von feindlichen Booten und von Kanonenschüssen verfolgt, mit nicht mehr als vier Nachen ankommen; alle übrigen haben sich längst ergeben.
„Man denke, was meine Lage in diesen fürchterlichen Augenblicken war: mein unglückliches Weib sterbend, in unserem Rücken der Feind und vor uns eine Küste, wo aller Wahrscheinlichkeit nach andere zahlreiche Feinde auf uns warteten, nicht nur Oesterreicher, sondern auch Päpstliche, die sich damals in wüthender Reaktion befanden.
Doch gleichviel, wir mußten landen, ich nahm meine theure Genossin, trug sie ans Land und legte sie am Ufer nieder. Meine Gefährten, die mich durch Blicke befragten, hieß ich sich zerstreuen und jeden einzeln eine Zuflucht suchen. – Mir selbst war es unmöglich weiterzugehen, da ich mein sterbendes Weib nicht verlassen konnte.“
So trennte er sich von den Besten, die ihm geblieben waren, von Ugo Bassi, dem Priester und Soldaten, und Ciceruacchio mit seinen beiden Söhnen, darunter ein Junge von dreizehn Jahren! Sie fielen mit andern seiner Getreuesten den Feinden in die Hände und beim Bericht ihres Märtyrertods klingt es aus der Erzählung des greisen Helden wie ein Schrei des Schmerzes und der Wuth.
Er selbst blieb mit seiner Anita und einem Offizier in einem Moorhirsenfeld nahe beim Ufer zurück, unschlüssig, was er zunächst beginnen solle. Am Ende sandte er den unerschrockenen Begleiter auf Kundschaft aus und sah ihn nach kurzem Warten mit einem Andern zurückkommen, in dem er zu unbeschreiblicher Freude einen seiner besten Offiziere von der Vertheidigung Roms her, den Obersten Rino Bonnet, erkannte. Mit einem Jubelruf warf er sich dem Waffenbruder an den Hals; Bonnet, der in der Gegend ansässig und begütert war, hatte den Kanonendonner gehört und da er Garibaldis Landung vermuthete, war er herbeigeeilt, um ihm mit äußerster Lebensgefahr beizustehen. Mit seiner Hilfe konnte Garibaldi die unglückliche Frau in eine Hütte zu armen Leuten bringen, wo wenigstens ihr quälender Durst gestillt wurde. Doch auch hier war ihr keine Ruhe gegönnt; schon war der Feind den Geächteten auf der Spur und ihre Sicherheit erforderte schleunigen Aufbruch. In ein anderes Haus zu Bonnets Schwester gebracht, wurden sie zwar herzlich empfangen, durften aber auch dort nicht verweilen. Mit Aufbietung all seines Einflusses gelang es Bonnet, von hier aus die gefährliche Flucht durch die Thäler von Comacchio zwischen Sbirren und Spionen hindurch zu bewerkstelligen und Anita wurde auf einer Matratze liegend bei Nacht in einem elenden Karren nach Mandriola bei Sant’ Alberto geführt, wo sie erst am folgenden Nachmittag ankamen. Den Arzt, dem er zufällig in dieser Farm begegnete, beschwor Garibaldi, die Kranke zu retten. Aber während man sie auf ihrer Matratze die kleine Treppe hinauf nach einem oberen Zimmer trug, erlosch ihr Leben. Als Garibaldi sie zu Bette legte, gewahrte er in ihrem Gesicht einen fremdartigen Ausdruck; erschrocken griff er nach ihrem Puls, der schlug nicht mehr – seine heißgeliebte Anita, die Mutter seiner Kinder, war eine Leiche.
So endete Anita Ribeira Garibaldi am 4. August 1849 wie ein gehetztes, verwundetes Wild ihr Leben. Kaum blieb dem verfolgten Mann die Zeit, der Geliebten die Augen zuzudrücken und den Anwesenden ihre Bestattung ans Herz zu legen: so eilig wurde er von diesen aus dem Hause gedrängt, das er durch längeres Bleiben in Gefahr brachte. Schon erschienen die österreichischen Soldaten unter den Fenstern, und allein mit einem Führer setzte er taumelnd und fassungslos seine Flucht durch die feindliche Gegend fort.
Und hier ist auch das tiefste Interesse an diesen Memoiren zu Ende. Wohl folgen neue Abenteuer, neue Schicksalswendungen, jäher und wunderbarer als die früheren; wohl folgt das unsterbliche Heldengedicht der Tausend von Marsala, aber ein Gluthstrom von
Patriotismus hat alles Persönliche weggeschmolzen, kaum daß noch da oder dort eine Gestalt deutlich hervortritt; selbst wo der General von seinen Söhuen spricht, sind sie nur die Untergebenen des Feldherrn und für ihn „wie ein anderer Mann“. Keines Weibes Name wird mehr in dem Buch genannt. Bekanntlich hielt es Garibaldi im Leben anders, aber sein Schweigen beweist, daß er wenigstens den ungeheuren Abstand zwischen dieser und jeder späteren Liebe zu messen wußte: in die Unsterblichkeit nimmt er nur seine Anita mit hinüber.- ↑ Garibaldi, Autobiographische Memoiren, Florenz, Barbera. 1888
- ↑ So nennt man die Provinz von Rio-Grande.
- ↑ Vgl. Gartenlaube S. 163 des lauf. Jahrgangs.
- ↑ Garib. Mem.