Textdaten
<<< >>>
Autor: Theodor Heinrich Gampe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein halbvergessenes Metall
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 350–351
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[350]

Ein halbvergessenes Metall.

Wer kennt sie heutzutage noch, die alten urbehäbigen zinnernen Teller und Kaffeekannen, die uns so gutmüthig anblinkten und an denen wir den Namen der Großmutter mitsammt dem Datum ihrer Hochzeit zum so und so viel hundertsten Male lasen?

Das Zinn, das mildglänzende, weichgriffige Familien-, Küchen- und Hausmetall, ist abgesetzt und verdrängt worden – durch was? Durch frostiges, klirrendes Porzellan und Steingut. Die zierlich gravirten Zinnteller aber, die stolzen Humpen, die schönen Bratenplatten warf der Zinngießer betrübten Herzens in den Schmelztiegel und machte Biergläserdeckel daraus; denn das war in den letzten 25 Jahren fast der einzige Artikel, nach welchem bei ihm noch Nachfrage gehalten wurde.

Doch nicht nur in kunstgewerblichem und familiärem Interesse wünschen wir dem alten, lieben Metall erneute Beachtung; sollte sich der enorme Bedarf an Zinn, den einst die deutsche Familie hatte, in unserer Zeit nur zum Theil wieder hervorrufen lassen, dann würde sicher auch mehreren hundert armen deutschen Zinnbergleuten mit Tausenden von Angehörigen geholfen sein; ihnen ist gegenwärtig ein so karges und dabei mühseliges Brot zugemessen wie kaum einer anderen Berufsklasse.

Die Zinnerze sind keineswegs auf unserem Erdballe weit verbreitet; allerdings treten sie, wo sie einmal gefunden werden, nur massenhaft auf. In Europa produziren England und Deutschland Zinn, und zwar das letztere im sächsischen Erzgebirge in der Gegend von Altenberg und Ehrenfriedersdorf. Mächtige Fundorte sind die beiden holländischen Inseln im indischen Archipel Bangka und Billiton.

Das größte Zinnbergwerk auf dem Kontinent ist das von Altenberg im sächsischen Erzgebirge, wo in einem einzigen Bergwerk über 300 und im ganzen Distrikte etwa 500 Bergleute das Halbedelmetall zu Tage fördern.

Auf luftiger Höhe in der Nähe einer großen Basaltaustreibung liegt das freundliche, nach einem großen Brand fast völlig neu erbaute Städtchen. Was uns zuerst auffällt, das sind die mit rothem Staub bedeckten Menschen, die uns begegnen, die rothen Wege, im Winter der rothe Schnee und das massenhafte rothe Gestein, das an den Berggebäuden aufgestapelt liegt. In dem letzteren haben wir die Zinnerze vor uns, die Zinnzwitter, wie sie hier genannt werden; es ist das ein rother Porphyr mit einem Gehalt an Zinn, der sich dem „tauben Gestein“ gegenüber wie 1 zu 300 verhält. Man muß also 300 Centner Zinnzwitter zu Tage fördern und verarbeiten, ehe ein Centner Zinn gewonnen wird. Für den geringen Gehalt entschädigen jedoch die großartigen Massen, in welchen das Gestein vorkommt; in Altenberg, in Zinnwald und selbst noch in Graupen in Böhmen streicht es in massigen Bänken zu Tage aus, und dann läßt es sich auch verhältnißmäßig leicht abbauen, wie wir später sehen werden.

Von selbst wäre wohl niemand dahintergekommen, daß dieser rothe Bruchstein ein werthvolles Metall in sich berge; es mußte da schon ein Zufall zu Hilfe kommen. Im Jahre 1458 hatte ein Köhler im wilden Walde an einer Stätte, die heute ein Denkstein ziert, einen Meilerhaufen angerichtet und den Herd des Meilers von dem rothen Gesteine des Gebirgs aufgesetzt. Als der Meiler verglüht war und die Holzkohlen abgeräumt, zeigte sich das Gestein merkwürdig verändert; es war von der Feuersgluth zermürbt und hatte „berglauteres Zinn“ ausgeschwitzt.

Der rußige Gesell verwandelte sich natürlich sofort in einen Bergmann, und Frau Fama sorgte dafür, daß die Kunde von dem unverhofften Fund mit den üblichen Uebertreibungen in die Welt hinaus ging. Aus anderen Gegenden des Erzgebirgs, aus Böhmen und aus dem Harz strömten die Bergleute herbei und versuchten ihr Glück in Einzelbauen. Hundert Jahre nach dem „Fündigwerden“ nennt uns die Chronik gegen 380 Fundgruben bei Namen, und die neuaufgebaute Stadt zählte 500 Feuerstätten.

Wie noch heute in den Minendistrikten Nordamerikas vollzog sich auch hier, nur langsamer, der Prozeß der Konzentrirung aller Arbeitskräfte. Große Anlagen, wie Bergteiche, Entwässerungsstollen, Wasserhebemaschinen, wurden nothwendig, reiche Leute schossen Geld vor; man nannte sie fortan Bergherren, und der freie Bergmann, der bisher in [351] eigener Grube schürfte, wurde Lohnarbeiter. Im vorigen Jahrhundert vollzog sich eine weitere Konzentrirung; eine Anzahl kleinerer Gewerkschaften verschmolz sich zu einer einzigen großen Gewerkschaft unter dem Namen „Vereinigt Feld im Zwitterstock“. Diese Gewerkschaft besteht noch heute, obwohl sie schwere Zelten gesehen hat. Im vorigen Jahrzehnt war sie gezwungen, den Centner Zinn 17 Mark 50 Pfennig niedriger zu verkaufen, als er bei Wochenlöhnen von 5 bis 6 Mark zu erzeugen kostete; freilich wurde dabei der Reservefonds von 150 000 Mark bis auf 50 000 Mark aufgezehrt.

Besuchen wir den Zinnbergmann an seiner Arbeitsstätte.

Wenn die Sterne dem Morgen entgegenflimmern und langsam verblassen, verläßt er die schlafenden Seinen und pilgert oft stundenweit gen Altenberg, das Grubenlicht vor der Brust und Lebenssorgen darinnen.

Neben dem Huthaus steht das Bethaus. Der Obersteiger spricht ein kurzes Gebet zu dem großen überirdischen Bergherrn und dann geht’s hinab in die Tiefe. Vielleicht vergoldet gerade die Morgensonne die Fenster des Treibehauses, wenn sich vor dem Bergmann der schwarze Schlund aufthut, dessen Mündung kaum so groß ist wie eine Grabesöffnung.

Die Fahrten (starke Leitern) stehen fast senkrecht auf kleinen Bühnen, und nun denke man sich an diesen Gerüsten Hunderte von Menschen klammern, die in einem ganz bestimmten Tempo „einfahren“. Daneben, hinter einem Bretterverschlag von mehreren hundert Metern Höhe, werden die „Hunte“ mit den Erzmassen emporgetrieben, und auf der andern Seite des engen Schachtes ist die Wassersäulenmaschine eingebaut.

Tiefer und tiefer steigen wir hinab. Ein Blick nach oben zeigt uns das Mundloch des Schachtes wie einen blassen Nebelfleck am tintenschwarzen Nachthimmel. Nach unten blicken wir lieber nicht: die kleinen Lichtel da unten in dem grauenhaften Abgrund möchten uns unsicher machen. Endlich vermeldet der uns begleitende „Steiger“ „erste Gezeugstrecke“, die sogenannte „Kugelstollnsohle“, das ist, weniger bergmännisch ausgedrückt, das oberste Geschoß des Bergwerks. Ein dunkler, einsamer Felsengang nimmt uns auf und dieser führt zu einem ganzen Labyrinth solcher Felsengänge – alle einsam, öde, das Schweigen der Ewigkeit herrscht in ihnen – es sind verlassene Baue, schon vor Jahrhunderten verlassen.

Links und rechts von den Gängen liegen oft ungeheure Höhlen, die ihrer Größe nach mit Kirchengewölben wetteifern. Das sind alte Brennörter, wo man in früheren Jahrhunderten das Erz durch Ausbrennen gewann. Man sprengte zunächst kleine Höhlen in den Zinnzwitter und setzte diese mit dürrem Holz aus. Die Feuersgluth machte das Gestein der Decke mürbe, es brach in Massen herein. Aus den Trümmern wurde ein neuer Feuerherd ausgerichtet, bis abermals die Decke zusammenbrach, und so fort. Erst wenn man ungeheure Vorräthe von Schuttmassen angesammelt, dachte man ans Fördern derselben, und dadurch waren Hohlräume entstanden von ungeheurer Größe. In einem solchen könnte das Straßburger Münster aufrecht stehen, berichtet die Chronik. Aber der Berg rächte sich für solche Wühlerei in seinen Eingeweiden.

Schon 1545 fand ein großer Tagebruch statt, durch welchen 10 Bergzechen verschüttet wurden; 1578 folgten zwei andere Zechen nach; der größte Bergbruch aber vollzog sich am 24. Januar 1620. Es war eine stürmische Winternacht, erzählt der Chronist; der Schnee lag in Massen auf dem rauhen Gebirg, ruhig arbeitete der Bergmann in der Tiefe. Plötzlich, als eben die Glocke vier Uhr schlug, erfolgte ein Krachen, als wenn das jüngste Gericht anbrechen sollte, der Berg mit vier Göpeln und einem Dutzend Zechenhäusern ging in den Abgrund. Der in einem Augenblick entstandene Schlund hatte 304 Lachter im Umfang und war 30 Lachter tief (etwa 700 und 70 Meter). Glücklicherweise war ein Treibeschacht unbeschädigt geblieben und – welch ein Wunder! – man konnte Hunderte von Bergleuten bis auf vier Mann unversehrt herausfördern. Drei von den Verschütteten fand man nach drei Tagen auch noch lebend auf in einem Hohlraum inmitten des zerdrückten Gebirgs; nur der Vierte ward nie wieder gesehen.

Wir fahren noch zwei Gezeugstrecken tiefer und kommen endlich „vor Ort“, das heißt an die eigentlichen Abbauörter. Hier erhält das ganze Bergwerk ein anderes Gesicht. Wir stehen nicht mehr im festen Gestein, sondern befinden uns inmitten eines mehrere hundert Meter hohen Trümmerhaufens, wie man das schiebende Gebirg recht wohl nennen kann. Der Berg ist zermürbt und darum sind alle Gänge mit starken Hölzern ausgezimmert.

Aber wie sehen diese Zimmerungen aus?! Ganze Reihen von Stämmen sind zersplittert und zerborsten wie Streichhölzchen von dem furchtbaren Druck der Gebirgsmassen. Dem Laien ist es unbegreiflich, daß nicht täglich Unglücksfälle vorkommen; aber glücklicherweise ist der Druck des Gebirgs ein sehr gleichmäßiger, langsam wirkender, sodaß das kundige Auge des Bergmanns rechtzeitig an den Bewegungen erkennen kann, ob Gefahr an den Mann geht. Dieser Umstand macht es erklärlich, daß in den letzten 30 Jahren nur zwei größere Unglücksfälle vorgekommen sind.

Gerade diese beständig drohenden Gewalten sind gleichzeitig die besten Freunde des Bergmanns; sie erhalten ihn konkurrenzfähig, ja, das Bergwerk zu Altenberg würde wahrscheinlich längst zum Erliegen gekommen sein, wenn es nicht im „schiebenden Gebirg“ läge. Der natürliche Druck arbeitet dem Bergmann in die Hände und ermöglicht die Anlage von sogenannten „Schubörtern“. Jahrelang schieben sich an einem solchen Ort die Erzmassen ganz von selbst herein, der Bergmann braucht nur abzufahren.

Die „Bruchörter“ liegen im festeren Gestein; hier muß das Pulver die Hauptarbeit übernehmen; doch sind diese nicht beliebt, weil der Abbau nicht lohnt; sie müssen dennoch betrieben werden, am neue abbauwürdige Strecken aufzuschließen.

Böse Wetter, „Schwaden“, kennt glücklicherweise der Altenberger Zinnbergbau nicht. Es herrscht ein so frischer Wetterzug in dem tollen Durcheinander von Gängen, daß man einzelne mit Thüren versehen muß, um die Leute vor Erkältungen zu schützen. Die Zinnbergleute sind denn auch im ganzen gesünder als die Kohlen- und Silberbergleute, unter denen man weniger silberbehaarte Gestalten findet, als zu Altenberg.

Das Ausfahren auf den „Fahrten“ ist abermals ein mühselig Stück Arbeit, von dem nur ein Thürmer eine blasse Ahnung haben kann. Und doch wird es so gern gethan nach einer sieben- bis vierzehnstündigen Schicht. Die Freude der Erlösung und Auferstehung, wenn die letzte Sprosse erklommen und das goldene Licht des Tages noch über die Welt dahinfluthet, kennt der Bergmann allein.

Das Ausscheiden des Zinnes geschieht durch einen endlosen Schwemm- und Waschprozeß der zu Sand zerstoßenen Erzmassen. Siebzehn Pochwerke mit 1272 Pochstempeln, sowie 15 Wäschen mit 80 Stoß-, Schüttel- und Glauchherden sind thätig. Ihre Spuren sind noch viele Meilen von Altenberg sichtbar; sie färben die Müglitz und selbst noch die Elbe auf eine weite Strecke hin roth wie Zinnzwitter. Zuletzt erscheint das Zinnerz als ein grauer, unansehnlicher Sand, der sich erst im Schmelzofen zu dem weichen, geschmeidigen Metall veredelt. Man gießt es in Blöcke und in Stangen, und in dieser Form wandert es von Altenberg vorwiegend nach Wien, wo sich ein bedeutender Zinnbedarf für den Orient erhalten hat. Dort wird es in Zinnsalze zum Rothfärben aufgelöst.

Möchte es auch wieder Eingang in die deutsche Familie finden und wieder in seiner Ehrlichkeit und Gemüthlichkeit ein Schmuck des gutbürgerlichen Haushaltes werden, gegenüber manchen äußerlich schillernden, aber wenig haltbaren und gehaltvollen Erzeugnissen des modernen Kunstgewerbes.

Th. Gampe.