Auf daß sie alle eins seien/Nachwort: Heimgang und Gedächtnis

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Nachwort
Heimgang und Gedächtnis

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| |  Heute, als am Montag nach dem Sonntag vom guten Hirten, entschlief unsere geliebte


Frau Oberin-Mutter
Therese Stählin


 In tiefer Bewegung stehen wir an ihrer Bahre und stellen über alles, was uns angesichts dieses für die Geschichte unseres Hauses so bedeutsamen Ereignisses die Herzen erfüllt, den Dank für die Barmherzigkeit Gottes, nach der der gestrige Sonntag seinen Namen hat und die durch die Entschlafene unser Haus so überaus reich gesegnet hat. Die letzten Wochen verbrachte unsere Frau Oberin-Mutter in großer Schwachheit. Ihr Sterben, auf das wir schon seit Tagen mit viel Gebet warteten, war ein ganz stilles Einschlafen.

 Unserer Dankbarkeit für die große und edle Gottesgabe, die unserem Hause in Frau Oberin-Mutter geschenkt und so lange gelassen war, möchten wir auch durch die Form der Bestattung Ausdruck geben. Frau Oberin-Mutter wird in der Kirche aufgebahrt und von hier aus nach einem Trauergottesdienst am Mittwoch nachmittag 3 Uhr zu Grabe geleitet.

 „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr und Dank für Seine Gnade!“

Neuendettelsau, 23. April 1928

D. Lauerer


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Zum Gedächtnis
Ansprache von Herrn Rektor D. Lauerer am Grabe von Frau Oberin-Mutter Therese Stählin an deren 100. Geburtstag, dem 22. Dezember 1939.

 Heute als am 100. Geburtstag unserer lieben Frau Oberin Therese Stählin hat uns die Dankbarkeit an ihrem Grabe versammelt, die Dankbarkeit gegen Gott und gegen die heimgegangene Mutter unseres Hauses, durch die Gott unserem Haus und Werk so viel Gutes getan hat.


Wofür danken wir?

 Wir Alten, die wir Frau Oberin noch gekannt und mit ihr gearbeitet haben, haben in diesen Tagen das Recht, ihr Bild uns wieder gegenwärtig zu machen, und die Pflicht, es vor alle hinzustellen. Das bedeutet nicht die Bindung an eine vergangene oder gar überwundene Entwicklungsstufe unseres Werkes, so wie sonst die Zeit um 1900 für unser Denken so viel weiter zurückliegt, als die Zahl der Jahre besagt, die inzwischen vergangen sind. Das eben gehört zu dem Charakteristischen unserer Frau Oberin, daß bei ihr zwischen ihrer Beweglichkeit und Aufgeschlossenheit auf der einen Seite und der Treue gegenüber dem ihr anvertrauten Gut auf der andern Seite ein gesunder und wie selbstverständlicher Ausgleich war. Wie behend und beweglich war sie doch schon rein körperlich auch noch in ihren alten Tagen! Und dabei war ihre Gestalt und ihr Auftreten so würdevoll und ehrfurchtgebietend, eine Dienerin und eine Gebieterin zugleich. Sie hat das Telefon nicht geliebt. Wenn irgendwo im Anstaltsgedinge ein Anliegen war, pflegte sie selbst hinzueilen, – ein Ideal, auf das wir mit Wehmut zurückblicken. Und dabei war sie doch für eine ruhige, seelsorgerliche Besprechung immer zu haben, wenn auf einer Seele eine Sorge lag, – eine Notwendigkeit, die auch wir mit Nachdruck festhalten wollen.

|  Vor meinen Augen stehen in dieser Stunde ihre Mitarbeiterinnen im Mutterhaus, geistig bedeutende Schwestern, Persönlichkeiten, die rings um dies Grab schlafen. Sie hat deren Gaben und Kräfte anzuwenden und zu entfalten gewußt, und dabei hatte man doch mit Ausnahme der allerletzten Zeit ihres Amtes das Gefühl, daß sie alles selbst in festen und treuen, in starken, hilfreichen Händen hielt.

 Frau Oberin lebte immer in der Gegenwart und war dabei durchaus gebunden an die so gesegnete Geschichte unseres Werkes. Diese Vereinigung von Beweglichkeit und Treue war ihr deshalb möglich, weil sie ein Ewigkeitsmensch war. Sie war in der Geschichte unseres Werkes vielleicht die Persönlichkeit, die Löhe am nächsten stand und am besten ihn verstand. Sie hat die ewigen Fundamente gekannt und sich zu eigen gemacht, auf die unser Vater Löhe das Werk begründet hatte. Und wo man von der Ewigkeit lebt, da ist Aufgeschlossenheit und Treue zur Einheit geworden. Frau Oberin hat Wesentliches dazu beigetragen, daß unser Werk dasselbe blieb, auch wenn die Rektoren wechselten und jeder eine ausgeprägte Art mitbrachte.

 Wir danken Frau Oberin für das lautere Vorbild an Frömmigkeit und Gebetskraft, an nüchterner lutherischer Kirchlichkeit, das sie uns gegeben hat; für alle die Liebe und Barmherzigkeit, für die Mütterlichkeit, mit der sie auch der Geringen sich angenommen hat, mit der sie gerade auch die Schwächsten in unseren Anstalten nicht vergaß; für die Schlichtheit und Einfachheit ihrer Lebenshaltung, für ihren Fleiß, der sie auch im Alter nicht müde werden und untätig sein ließ. Das Größte aber, was sie ihren Schwestern gegeben hat, war doch die Einführung in Gottes Wort, im besten Sinne klar und lehrhaft, wie sie eine geborene Lehrerin und Erzieherin war, und dabei doch ganz lebendig und praktisch auf Schritt und Tritt vorgelebt.

 Unsere Frau Oberin war eine bedeutende Persönlichkeit und, was noch mehr ist, ein wahrhaft begnadeter Mensch. Sie lebte wirklich von der Gnade Gottes, und darum ist es Gott selbst, dem wir in dieser Stunde für allen Segen danken.


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Wodurch danken wir?

 Unser Dank sei unser Dienst. Wir wollen nicht nachahmen, sondern nachfolgen in wahrhaft evangelischer Freiheit und Gebundenheit. Wir wollen aus der Lebensquelle schöpfen, die dieselbe ewige Quelle der Kraft und des Dienstes für alle Jünger und Jüngerinnen Jesu bleibt, ob nun die einen kommen und die andern gehen. Unser Werk hat einen gottgegebenen Reichtum an geschichtlicher Erfahrung und reichlicher Erkenntnis. Lasset ihn uns nützen, und zwar so, daß wir an allen, die mitbauen durften, das Ewige sehen. Das Ewige aber ist Jesus Christus. Wer in der Vergangenheit das Ewige zu finden weiß, der hat auch in der Gegenwart die Ewigkeit, und damit ist er geschickt zur Treue in der Beharrung und zur Beweglichkeit. Ewigkeitsmenschen sind bei aller Schwachheit und Zaghaftigkeit jeder Zeit gewachsen, weil sie gewöhnt sind zu gehorchen und auf Gottes Hand zu sehen.

 Unsere Frau Oberin hat oft gewünscht und gebetet, daß unser Werk bleiben möchte, bis der Herr wiederkommt. Das haben wir in Einfalt und Demut dem Herrn zu überlassen. Es ist genug, daß wir bei Ihm bleiben als Seine Knechte und Mägde, die Seiner warten.


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Gedenktafel im Mutterhaus


Gott sei Dank für Seine Gabe!


Diakonisse
Therese Stählin
1839–1928


Sie war 73 Jahre Diakonisse,
38 Jahre Oberin.


Des Stifters treue Schülerin, der Nachfolger Gehilfin in steter Verbundenheit des Geistes, des Hauses berufene Mutter, der Schwestern geheiligte Erzieherin.
Ihr Glaube war zur Verantwortung freudig, zum Tragen geduldig, durch Wort und Sakrament genährt, gebetsgeübt, lutherisch, kirchlich, in der Liebe tätig.


Unser Dank sei unser Dienst!



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