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 Vor meinen Augen stehen in dieser Stunde ihre Mitarbeiterinnen im Mutterhaus, geistig bedeutende Schwestern, Persönlichkeiten, die rings um dies Grab schlafen. Sie hat deren Gaben und Kräfte anzuwenden und zu entfalten gewußt, und dabei hatte man doch mit Ausnahme der allerletzten Zeit ihres Amtes das Gefühl, daß sie alles selbst in festen und treuen, in starken, hilfreichen Händen hielt.

 Frau Oberin lebte immer in der Gegenwart und war dabei durchaus gebunden an die so gesegnete Geschichte unseres Werkes. Diese Vereinigung von Beweglichkeit und Treue war ihr deshalb möglich, weil sie ein Ewigkeitsmensch war. Sie war in der Geschichte unseres Werkes vielleicht die Persönlichkeit, die Löhe am nächsten stand und am besten ihn verstand. Sie hat die ewigen Fundamente gekannt und sich zu eigen gemacht, auf die unser Vater Löhe das Werk begründet hatte. Und wo man von der Ewigkeit lebt, da ist Aufgeschlossenheit und Treue zur Einheit geworden. Frau Oberin hat Wesentliches dazu beigetragen, daß unser Werk dasselbe blieb, auch wenn die Rektoren wechselten und jeder eine ausgeprägte Art mitbrachte.

 Wir danken Frau Oberin für das lautere Vorbild an Frömmigkeit und Gebetskraft, an nüchterner lutherischer Kirchlichkeit, das sie uns gegeben hat; für alle die Liebe und Barmherzigkeit, für die Mütterlichkeit, mit der sie auch der Geringen sich angenommen hat, mit der sie gerade auch die Schwächsten in unseren Anstalten nicht vergaß; für die Schlichtheit und Einfachheit ihrer Lebenshaltung, für ihren Fleiß, der sie auch im Alter nicht müde werden und untätig sein ließ. Das Größte aber, was sie ihren Schwestern gegeben hat, war doch die Einführung in Gottes Wort, im besten Sinne klar und lehrhaft, wie sie eine geborene Lehrerin und Erzieherin war, und dabei doch ganz lebendig und praktisch auf Schritt und Tritt vorgelebt.

 Unsere Frau Oberin war eine bedeutende Persönlichkeit und, was noch mehr ist, ein wahrhaft begnadeter Mensch. Sie lebte wirklich von der Gnade Gottes, und darum ist es Gott selbst, dem wir in dieser Stunde für allen Segen danken.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/281&oldid=- (Version vom 10.11.2016)