Auch eine Art von Kurpfuscherei

Textdaten
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Titel: Auch eine Art von Kurpfuscherei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 448
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[448] Auch eine Art von Kurpfuscherei. Es ist noch nicht so lange her, daß die Sitte, im Sommer aus der heißen Atmosphäre der Städte in irgend einen ländlichen Aufenthalt zu flüchten, allgemeiner in Aufnahme kam; die natürliche Folge davon war, daß eine Reihe von Dörfern und Landstädtchen, welche leidliche landschaftliche Reize für sich anzuführen hatten, in pomphaften Zeitungsanzeigen sich einem verehrlichen Publikum als passende Luftkurorte empfahl. Das hätte nun an und für sich weiter nichts auf sich; denn daß ein paar Wochen auf dem Lande auf den vom Lärm und Dunst der Großstadt geistig und körperlich Erschöpften eine erfrischende Wirkung auszuüben vermögen, das wird ja kein verständiger Mensch in Abrede stellen. Aber vergessen wird vielfach von den Urhebern jener Anzeigen, daß die Würde als Luftkurort auch die Bürde ernsthafter Verpflichtungen nach sich zieht, daß es nicht genügt, ein paar Bänke und Wegzeiger für Spaziergänger anzubringen und allenfalls noch einen Aussichtspavillon anzulegen. Wer sich seinen Mitmenschen als Helfer in der Noth anpreist, wer ihnen Erholung von den Leiden einer vielfach überreizten Kultur verspricht, der muß auch dafür sorgen, daß diejenigen, welche solchen Verheißungen Vertrauen schenken, nicht Gefahr laufen, schwerere Schäden an ihrer Gesundheit davonzutragen, als die waren, von denen sie Heilung suchten. Dazu gehört eine sorgfältige Auswahl der zur Vermiethung an Kurgäste geeigneten Zimmer, eine genaue Kenntniß und gewissenhafte Durchführung der grundlegenden hygieinischen Vorschriften, insbesondere eine strenge Beaufsichtigung der Brunnen und Trinkwasserleitungen. Welch gewissenlose Mißachtung dieser einfachsten Forderungen vorkommen kann, dafür nur ein warnendes Beispiel, das kürzlich durch eine gerichtliche Verhandlung an die Oeffentlichkeit drang und das um so krasser ist, als es sich dabei nicht um einen neu aufgetauchten Luftkurort handelt, sondern um ein seit mehr als einem Jahrhundert besuchtes Bad, und als dabei ein Arzt unmittelbare Mitschuld trägt.

In diesem Bade – wir unterdrücken hier den Namen, weil er an und für sich bedeutungslos ist und weil es sich für uns nicht um eine Brandmarkung desselben, sondern lediglich um die Sache selbst handelt – herrschte im vergangenen Jahre eine Typhusepidemie. Nicht weniger als einundfünfzig Personen erkrankten, mehrere starben. Um aber den Besuch des Bades nicht zu schädigen, unterließ der Badearzt die vorgeschriebene Anmeldung, und das brachte den Mann erst vor das Schöffengericht und dann infolge der Berufung des Staatsanwalts sogar vor die Strafkammer, bei welcher die Anklage gegen ihn erhoben ist, daß er „eine zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit von der zuständigen Behörde angeordnete Maßregel wissentlich verletzt“ habe. Wodurch aber war jene Typhusepidemie entstanden? Durch das verdorbene Wasser eines Brunnens, der sich in unmittelbarer Nähe einer Abortgrube und einer Düngerstätte befand.

Wir führen diesen Fall an als einen Fingerzeig, wo die Sorgfalt der berufenen Verwalter der eingangs besprochenen Kurorte einzusetzen hat, wo die Gefahren lauern, denen zu begegnen ihre ernste Pflicht ist. Eine Versäumniß dieser Pflicht würde sie in eine Linie stellen mit den Lieferanten jener trügerischen Heilmittel, deren Anwendung werthlos oder gar gefährlich ist.