Andreas Hofer (Die Gartenlaube 1860/8)

Textdaten
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Autor: M.
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Titel: Andreas Hofer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 122–126
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[122]
Andreas Hofer.
Zur fünfzigjährigen Todtenfeier seiner Ermordung.

Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schaar;
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach! in Schmach und Schmerz,
Mit ihm das Land Tyrol. –

So klingt das schöne Lied des schwer erkrankten Julius Mosen zum Andenken des unsterblichen Volkshelden von Tyrol, der vor fünfzig Jahren, am 20. Februar 1810, von den Franzosen auf den Wällen von Mantua erschossen wurde und mit seinem Blute seine Treue für das Haus Oesterreich besiegelte.

Wenn man auf der Wanderung durch das schöne Tyrol in das ernste Passeierthal tritt, auf das der hohe Jausen, der Mons Jovis der Römer, melancholisch niederschaut: so gelangt man auf steinigem, zerrissenem Pfade zu einem Hause von zwei Stockwerken, mit einer Doppelgallerie geziert. Dort wohnte der Sandwirth Andreas Hofer mit seiner treuen Ehefrau Anna Ladureer und gab den einkehrenden Gästen ein Obdach und ein Glas von dem rothen Landwein, so gut er es selber hatte. Nebenbei betrieb er die Sennwirthschaft und einen einträglichen Pferdehandel, der ihn bis nach dem benachbarten Italien führte und mit vielen Menschen zusammenbrachte. Er hatte zu jener Zeit sein [123] einundvierzigstes Jahr zurückgelegt und stand im kräftigsten Mannesalter; sein Wuchs war hoch wie die Tannen seiner Berge, seine Gestalt herkulisch, sein Auge schwarz, voll Demuth, wenn er betete, aber gleich einer verzehrenden Flamme, wenn er zürnte oder sich ereiferte. Besonders auffallend war sein langer, dunkler Bart, den er in Folge einer Wette bis zum Gürtel wachsen ließ und sorgsam pflegte. Er ging in der Tracht seines Thales, nur daß er einen großen schwarzen Hut mit breiter Krämpe und niederhangender, gekrümmter Feder trug. Seine gewöhnliche Kleidung war ein kurzer, grüner Lodenrock, ein rothes Unterwamms, darüber ein grüner Hosenträger; rings um den Leib nach Landessitte der schwarze Gürtel, kurze Beinkleider, rothe Strümpfe und Schuhe, die nur bei hohen Festtagen oder auf weiten Reisen mit Stiefeln vertauscht wurden. An seinem Halse hing ein kleines Crucifix, das er jeden Morgen und vor dem Einschlafen andächtig küßte. In Nichts unterschied er sich von den übrigen Landleuten der Gegend und doch übte er von jeher auf Alle einen großen Einfluß aus, nicht durch seinen überlegenen Geist, sondern weit mehr durch die Biederkeit und Treue seines Charakters, durch die Trefflichkeit seines Gemüthes und durch die erprobte Liebe zum gemeinsamen Vaterlande. Er war die lautere Wahrheit selbst, für Lüge und Heuchelei hatte er durchaus keinen Sinn. Wie Schiller’s Tell war er kein Freund von Worten, aber wo es galt, zu helfen und zu handeln, wo eine That, ein Opfer verlangt wurde, da zögerte er nicht lange und stürzte sich ohne Bedenken in die Gefahr. Mit seinen Landsleuten theilte er ihre begeisterte Anhänglichkeit für den Glauben der Väter und die Treue für das österreichische Kaiserhaus.

Als im Jahre 1805 Kaiser Franz nach dem unglücklichen Kriege sich durch Napoleon gezwungen sah, Tyrol an Baiern abzutreten, da war Andreas Hofer unter den Abgeordneten seines Thales, von denen der geliebte Erzherzog Johann zu Brunnecken einen rührenden Abschied nahm. Seitdem hatte der Sandwirth keinen andern Wunsch, kein anderes Gebet, als seinen alten Herrn wieder in Tyrol zu sehen und die verhaßten Baiern zu verjagen. Vor dem Ausbruche des neuen Kampfes im Jahre 1809 ging er mit mehreren seiner Landsleute nach Wien, um dort mit dem populairen Erzherzog Johann im Geheim den Aufstand des Landes zu verabreden, der sich im Stillen vorbereitete. Reich an Versprechungen kehrte er in die Heimath zurück, wo er Alles zum Ausbruch vorbereitete.

Auf das von Wien gegebene Signal erhob sich plötzlich das ganze Land wie ein Mann, die Feuerzeichen loderten von den Bergen zum Himmel auf. Botschafter flogen von Dorf zu Dorf, rothe Fähnchen, Blut und Mehl wurden in den Inn geworfen, um die bewaffnete Mannschaft aufzubieten, die Sturmglocken geläutet, und ehe die überraschten Feinde eine Ahnung hatten, sahen sie sich angegriffen und im mörderischen Kampfe von den Bauern geschlagen. Wie in Spanien siegte das Volk, welches für seinen Glauben und die Freiheit kämpfte.

Allen voran zog der Sandwirth Hofer; auf der Ebene des Sterzinger Mooses griff er die Baiern muthig an. Der verderblichen Wirkung ihrer Geschosse begegnete er durch vorgeschobene Heuwagen, hinter denen geborgen seine Schützen ihre mörderischen Kugeln sandten. Dort war es, wo eine muthige Bauerndirne sich auf die durch das Kanonenfeuer scheu gemachten Pferde schwang und unter lautem Jauchzen den ungeheueren Wagen lenkte. Zahllose Feinde bedeckten den blutigen Boden und die Ueberlebenden mußten die Waffen strecken. In achtundvierzig Stunden waren die Baiern aus Tyrol vertrieben und Innsbruck befreit. Unter lautem Jubel hielten die Sieger ihren Einzug und grüßten den österreichischen Adler mit ihren Thränen und heißen Küssen. „Gelt!“ rief ihm ein alter Bauer zu, „Du Saggra-Schwanz, sein Dir halt doch die Federn wieder gewachsen!“

Zum Lohn für so große Liebe und Treue erließ der Kaiser Franz folgendes Schreiben an seine tapferen Tyroler aus dem Lager von Welkersdorf, den 29. Mai 1809:

„Im Vertrauen auf Gott und meine gerechte Sache erkläre ich hiermit meiner treuen Grafschaft Tyrol, mit Einschluß des Vorarlbergs, daß sie nie mehr von dem Körper des österreichischen Kaiserstaates soll getrennt werden und daß ich keinen andern Frieden unterzeichnen werde – als den – der dieses Land an meine Monarchie unauflöslich knüpft. – So bald möglich wird sich mein lieber Herr Bruder, der Erzherzog Johann, nach Tyrol begeben, um so lange der Anführer und Schützer meiner treuen Tyroler zu sein, bis alle Gefahren von der Grenze der Grafschaft Tyrol entfernt sind.“

Gestützt auf dieses feierliche Versprechen ihres Kaisers gelobte das Volk von Tyrol dagegen: bis an’s Ende auszuharren und die ganze Welt zu überzeugen, daß es eher möglich sei, den Tyroler über dem Erdboden zu vertilgen, als ihm seine angeborene Liebe und Anhänglichkeit für Eure Majestät und Dero durchlauchtigstes Kaiserhaus zu benehmen.

Es sollte bald anders kommen.

Nach dem Siege bei Aspern, den der Erzherzog Karl gegen das französische Heer erfochten, wandte sich das Kriegsglück; eine Niederlage folgte der andern; Kaiser Franz sah sich genöthigt seine Hauptstadt aufzugeben, in die Napoleon einzog. Mit der geschlagenen Armee floh jener nach Ungarn und schloß endlich den Waffenstillstand zu Znaym mit dem übermüthigen Sieger. In einem Artikel desselben verpflichtete er sich, seine in Tyrol mit dem Volke verbundenen Truppen zurückzuziehen und das treue Land den einrückenden Baiern und Franzosen Preis zu geben. Er entschloß sich um so leichter dazu, da schon vorher in der nächsten Umgebung des Kaisers bedenkliche Stimmen laut wurden, welche den Tyroler Aufstand als ein böses Beispiel bezeichneten. Es hieß: „Was das Volk heute für den Kaiser leistet, könne es ein ander Mal gegen ihn thun!!!“

Unglaublich erschien den Betheiligten diese Schreckensbotschaft, wodurch die Regierung sich von ihnen öffentlich lossagte; um so mehr, da die Nachricht ihnen nicht auf gesetzmäßigem, officiellen Wege zukam, sondern nur durch ein Zeitungsblatt, welches ein bairischer Vorposten zwei Tyroler Schützen zustellte. Außerdem hatte der Erzherzog Johann noch am 18. Juli aus dem Hauptquartier zu Téth, zwischen Raab und Papa, an den Baron von Buol, den Befehlshaber der österreichischen Truppen, folgenden Brief erlassen:

„Da es sein kann, daß ein feindlicher Parlamentair Ihnen den Befehl bringt, Tyrol in Folge eines Waffenstillstandes zu räumen, so haben Sie diesem Befehl nicht nachzukommen, ausgenommen, er wäre von mir unterfertigt.“

Konnten und durften die Tyroler unter solchen Verhältnissen die Waffen niederlegen?

Bald aber bestätigte sich die Nachricht von dem abgeschlossenen Waffenstillstande; die österreichischen Soldaten rüsteten sich zum Abzuge aus Tyrol; sie thaten es knirschend und forderten wiederholt die Anführer des Aufstandes auf, sie zu begleiten und ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Viele thaten es, aber Hofer blieb, unerschüttert, er vertraute noch immer auf das Wort seines Kaisers. Als er auch seinen treuen Waffenbruder, den tapferen Speckbacher, unter den Flüchtigen erblickte, da rief er schmerzlich: „Joseph, Joseph! Du willst mich auch in Stich lassen?“ – Bei diesen Worten sprang Speckbacher ohne Hut von dem Wagen, auf dem er bereits saß, wieder herab und folgte seinem alten Cameraden. Beide waren entschlossen, den Krieg auf eigene Faust fortzusetzen und den einrückenden Franzosen den entschiedensten Widerstand zu leisten. – Sie wurden dazu außerdem durch die Sprache des Wiener Cabinets und durch das Benehmen des Erzherzogs Johann aufgemuntert, der es nicht an geheimen Instructionen und Aufforderungen fehlen ließ. Der Regierung mußte Alles daran gelegen sein, Napoleon während des Waffenstillstandes so viel Schwierigkeiten als möglich zu bereiten; es lag daher ganz und gar in ihrem Interesse, den Aufstand in Tyrol im Stillen von Neuem anzufachen, während sie sich öffentlich von den Insurgenten lossagte. Zu diesem Zwecke hatten die abziehenden Oesterreicher nach des Erzherzogs Weisung einige tausend Stück Gewehre und mehrere kleine Gebirgskanonen mit der nöthigen Munition zurückgelassen.

Vielen versuchten Unterofficieren und Soldaten wurde zu verstehen gegeben, man würde sie nicht als Deserteure ansehen, wenn sie bleiben und mit den Tyrolern fortkämpfen wollten. Auch die nöthigen Geldmittel wurden den Häuptern zur Disposition gestellt. Das Alles geschah mit so großer Vorsicht, daß man sich durchaus nicht compromittiren und im Nothfalle das arme Volk für die eigene Rettung opfern konnte. – Verführt durch das zweideutige Spiel der Regierung, durch die Versprechungen ihres geliebten

[124]

Ermordung Andreas Hofer’s.
Originalzeichnung von H. Plüddemann.

Erzherzogs, rückten sie dem Feinde entgegen. Der Abzug der österreichischen Truppen machte sie nicht muthlos, nur um so kühner; sie vertrauten der eigenen Kraft. Der Herzog von Danzig, welcher sich vom Elsasser Müllerburschen bis zum Marschall von Frankreich emporgeschwungen, erfuhr, mit welch einem gefährlichen Gegner er es zu thun hatte. Er wünschte sich die österreichischen Generäle zurück, von deren Talenten er eine nur sehr geringe Meinung hatte. „I wollt’,“ rief er in seinem derben elsassischen Dialekt, „sie wäret not herinne, die Confusionsräth.“

Hofer und Speckbacher, im Verein mit dem Kapuziner Haspinger, dem Rothbart, waren Meister des Gebirgskrieges; wo sie sich zeigten, war der Sieg mit ihnen.

Eine furchtbare Niederlage erlitten die damals mit den Franzosen verbündeten Sachsen, welche sich durch ihre Tapferkeit und Menschlichkeit in dem Tyroler Kriege auszeichneten und zum Dank von Napoleon stets der größten Gefahr ausgesetzt wurden. Hinter dem Dörfchen Mittewald, zwischen waldgekrönten Bergen, erwarteten achthundert Tyrolerschützen den anrückenden Feind unter dem Befehle des Generals Rouyer. Der größte Theil seiner Truppen bestand aus den braven Sachsen, welche muthig und sorglos vorrückten. Ein achtzigjähriger Tyroler gab das Beispiel für alle seine jüngeren Waffenbrüder; er richtete seinen Stutzen vorzugsweise auf die sächsischen Officiere. Endlich auf seinem Felsen umgangen und von hinten, wie von vorn angegriffen, schleuderte er die Büchse von sich, packte einen feindlichen Soldaten mit noch immer kräftigen Armen und stürzte sich mit ihm: „Juchhe! in Gottes Namen!“ – rufend, in den tiefen Abgrund. Das war noch nicht das Schrecklichste.

Die Tyroler hatten sich hinter den Felsen verborgen, an deren steiler Wand die Straße hinläuft, welche der Feind passiren mußte; auf der andern Seite schäumte die wilde, durch Regengüsse angeschwollene Eisack, über die hier beim Laditschpasse eine hölzerne Brücke führt. Hohe schwarze Lärchbäume waren oben gefällt, mit Wieden aneinander gebunden, mit Erde, Gesträuch und schweren Steinen belastet, durch einige Seile an starke Tannen befestigt, wie eine drohende Wetterwolke von dem Berge niederschwebend. Jetzt zog in der Tiefe die feindliche Colonne vorüber. „Steffel! soll ich abhacken?“ tönte eine Stimme. „Noch nicht!“ lautete die Gegenrede. [125] Alles lauschte still und machte unwillkürlich Halt; dem General Rouyer wurden die geheimnißvollen Worte hinterbracht; er achtete nicht darauf und befahl den Weitermarsch. Die Avantgarde ist glücklich vorüber, die Hauptmasse folgt. Da erschallt die schreckliche Mahnung: „Hiesel, hau’ ab im Namen der heiligen Dreieinigkeit!“ – Laut tönt die Axt, ein dumpfer Donner dröhnt vom Fels zum Felsen und weckt das Echo in den Klüften.

„Da hob zu dröhnen und zu wandern an
Der Berg und ging, ein rollend Weltgericht,
Hinunter in die Tiefe! – Alsobald
Klang ein erschrecklich Wimmern aus dem Schlunde,
Geschrei und Heulen, wie dicht bei uns, tönte.
Drauf stieg ein Dampf empor und rollte qualmend,
Die Schlucht bedeckend bis zu unseren Füßen.
Wir aber schossen durch den Dampf hinab,
Daß, wer noch lebt, empfing vom Blei sein Grab!
Wie nun der Staub vergangen war, so stiegen
Wir von dem Grat und gingen zu den Feinden.
Da sahn wir nichts, als Stein’ gethürmt auf Stein,
Gebrochne Augen, rauchendes Gebein,
Die Brücke lag in Trümmern, und die Eisack,
Von wild verschränkten Todtengliedern starrend,
Sprang wie ein rasend Unthier über’s – Schlachtfeld!“

Nach einer Reihe von entscheidenden Siegen mußte der Herzog von Danzig mit den Franzosen auf den Rückzug denken. An der Spitze der siegreichen Tyroler rückte Hofer zum zweiten Mal in das befreite Innsbruck ein, wo er jetzt als Obercommandant von Tyrol seinen dauernden Sitz nahm und das ganze Land im Namen seines Kaisers regierte. Die neue Größe fand ihn bescheiden und demüthig; der Regent von Tyrol brauchte für seine Person täglich kaum einen Gulden; er frühstückte nur Käse und Brod und aß zu Mittag aus einem gewöhnlichen Speisehause. Jeder Tyroler nannte ihn Du und redete ihn mit seinem Vornamen „Anderl“ an. Nur mit einer Leibwache hatte er sich umgeben; sie bestand aus den bildschönen, riesengroßen, aber auch furchtbar groben Burschen des Passeierthals in ihrer kleidsamen Landestracht.

Bei seinem Einzuge in Innsbruck drängte sich das Volk um ihn und jubelte dem Sieger zu; er dankte mit naiver Rede: „Grueß Enk Gott, meine lieben Innsprucker! Weil ös (ihr) mi zum Obercommandanten g’wöllt habt, so bin i holt do. Es sein aber viele Andere do, die koane (keine) Innsprucker sein. Alle, dö (die) unter meine Waffenbrüder sein wöll’n, dö muessen für Gott, Koaser und Vaterland, als tapfere, rödle und brave Tyroler streiten, dö aber dös nit thun wöll’n, dö solln heimziehn. Dö meine Waffenbrüder werden wöll’n, dö soll’n mi nit verlassen, i wer Enk aa (auch) nit verlassen, so wahr i Andere Hofer hoaß. G’sagt hab i Enks, g’söhn habt’s mi, b’hied Enk Gott.“

Als der Jubel kein Ende nehmen wollte, zog er sich in die nah gelegene Franziskaner-Hofkirche zurück, um zu beten. Mittags brachten ihm die Studenten eine Tischmuslk, die er sich jedoch verbat, weil sein Herz von ernsten Dingen beschwert sei.

In der That ruhte eine schwere Last und eine hohe Verantwortung auf den Schulten des schlichten, einfachen Mannes. Trotz seiner wiederholten Siege war die Gefahr keineswegs beseitigt. An den Grenzen sammelte sich ein bairisches Heer, während der Herzog von Danzig neue Verstärkungen an sich zog. Vom Kaiser und dem Erzherzog blieb trotz wiederholter und demüthiger Bitten jede Botschaft aus. Endlich kamen zwei von den geflüchteten Tyrolern aus dem österreichischen Hauptquartier; sie brachten für Hofer dreitausend Dukaten, die große goldene Gnadenkette mit der goldenen Verdienstmedaille, das geistliche Verdienstkreuz für den Kapuziner und ansehnliche Geschenke für Speckbacher und die übrigen Häupter des Aufstandes. Außerdem ließ der Erzherzog Hofer mündlich durch die beiden Abgeordneten zu wissen thun, wie Oesterreichs Kriegsmacht wieder 300,000 Mann zähle, wie wichtig es sei, daß Tyrol sich standhaft behaupte bis zum erneuten Kriege oder zum Frieden, daß England es nicht an Geld fehlen lassen werde, und daß Preußen und Rußland gegen Napoleon sich rüste. Solche Nachrichten mußten nothwendiger Weise Hofer in seinem Thun bestärken und ihn auf das Aeußerste anspornen.

Am Namensfeste des Kaisers, am 4. Oktober, wurde in der Hofkirche zu Innsbruck am Grabe Maximilians ein feierliches Hochamt abgehalten und das Tedeum gesungen. Hierauf weihte der ehrwürdige Abt von Wiltau, der einzige des Prälatenstandes, der treu zum Vaterlande hielt, die auf einer silbernen Schüssel befindliche Gnadenkette und hing sie dem knieenden Hofer, um den Hals. Das war der schönste, aber leider auch der letzte Freudentag in dem Leben des Helden!

Acht Tage später schloß Oesterreich mit Napoleon den Frieden zu Wien, worin der Kaiser Franz, uneingedenk seines feierlichen Wortes und seiner Versprechungen, Tyrol an Baiern zurückgab und das treueste Volk der Erde rücksichtslos aufopferte. Ein Handbillet des Erzherzogs Johann bestätigte die unglaubliche Schreckenspost mit nichtssagenden Ermahnungen zur Ruhe. Zugleich erließ der Vicekönig von Italien, der hochherzige Eugen, einen Aufruf an die Völker Tyrols, die Waffen niederzulegen.

Die meisten Anführer fügten sich der Nothwendigkeit; auch Hofer war anfänglich geneigt, dem Befehle zu gehorchen. Aber seine Rathgeber, unter denen sich der halbverrückte Herr von Kolb und der verrätherische Priester Joseph Denay von Schlanders befanden, überredeten aus eigennützigen Gründen den leider nur zu bigotten und von der niederen Geistlichkeit fanatisirten Mann, von Neuem die Fahne des Aufruhrs zu erheben. Vergebens bemühte sich der menschenfreundliche General Baraguay d’Hilliers und der trotz des französischen Bündnisses deutsch gesinnte Kronprinz Ludwig von Baiern, den Verirrten zu retten, umsonst warnte ihn der bekannte Hormayr vor dem trügerischen Pfaffen; Hofer konnte zu keinem Entschlusse kommen und schwankte, von den widersprechendsten Gefühlen hin- und Hergetrieben. Im entscheidenden Augenblicke verließ ihn die ruhige Besonnenheit, durch Oesterreichs Verfahren hatte er den festen Boden verloren und wurde zum Spiel und Werkzeug in den Händen schlauer und gemeiner Intriguanten. Den 15. November forderte er von Neuem seine Landsleute zum Kampfe gegen den Feind auf, mit dem Zusatze: „Dieses sehe ich mich verpflichtet, Euch in Kürze zu melden, wenn ich mich nicht selbst als ein Opfer meiner eigenen Leute Preis geben will, welches auch Ihr von meinen Leuten zu hoffen hättet, wenn Ihr unthätig und nichts mehr für Gott und Vaterland zu thun bereit sein wollt.“

Nur Wenige folgten diesem neuen Aufrufe; bald wurden die Insurgenten von der Uebermacht der Feinde unterdrückt und Hofer sah sich mit den übrigen Häuptern gezwungen, zu fliehen. In einer verfallenen Sennhütte, auf den in dieser Jahreszeit fast unnahbaren Schneebergen, fand er mit seinem Schreiber Dönniger, einem verdorbenen Studenten, eine Zuflucht. Aber auch hier war er nicht sicher vor Verrath; ein Bauer, Namens Raffel, entdeckte ihn und eilte, trotzdem ihn Hofer beschwor, Niemandem von seinem Aufenthalte Etwas zu sagen, zu dem General Baraguay d’Hilliers, um in Gemeinschaft mit dem Pater Denay das auf Hofers Kopf ausgesetzte Blutgeld von 1000 Gulden zu verdienen. Noch funkelten am 27. Januar die Sterne am Himmel, als eine Abtheilung französischer Soldaten die Hütte umringte, in der Hofer mit seiner Familie schlief. Ruhig und gefaßt trat er seinen Häschern entgegen.

„Sie sind,“ sagte er zu dem Commandanten des Piquets, „gekommen, mich gefangen zu nehmen, hier stehe ich; mit mir mögen Sie thun, was Sie wollen, denn ich bin schuldig, aber für mein Weib, meinen Sohn und meinen Schreiber, den jungen Menschen, bitte ich um Gnade, denn sie sind wahrhaftig unschuldig.“

Doch man achtete nicht auf seine rührende Bitte, sondern fesselte ihn und all die Seinigen. So wurden sie zunächst nach Botzen gebracht, der Zulauf des Volkes war groß, Einige weinten, Andere beteten, doch fehlte es auch nicht an Abtrünnigen, die Hofer als die alleinige Ursache des Unglücks verwünschten und beschimpften. Der französische General benahm sich edel und menschenfreundlich, er achtete den besiegten Helden, ließ ihm die schweren Ketten abnehmen und wies ihm ein anständiges Gefängniß an. Hofers Frau und Sohn wurden sogleich von ihm freigegeben, dagegen der Schreiber am nächsten Morgen mit nach Mantua abgeführt. Herzzerreißend war der Abschied des Gefangenen von seiner Familie, die er nicht mehr wiedersehen sollte. In Mantua wurde sogleich ein Kriegsgericht über Hofer niedergesetzt; die Stimmen waren getheilt, mehrere sprachen sich nur für Gefängniß aus. Ein junger, talentvoller Advocat jüdischer Religion, Namens Basera, wendete seine ganze Beredsamkeit an, um ihn zu retten, aber aus Mailand kam der Befehl zu Hofers Hinrichtung. Während man in der Hofburg zu Wien über die nahe bevorstehende Verlobung Napoleons mit der österreichischen Erzherzogin Marie Louise jubelte, schrieb der Verurtheilte an seine verlassene Familie seinen letzten Gruß: – – „und so lebt’s denn Alle wohl auf der Welt, bis wir oben im Himmel wieder zusammenkommen und dort Gott loben ohne Ende. – Alle Passeyrer und Bekannten sollen meiner eingedenk [126] sein im heiligen Gebete und meine Wirthin (Hofers Frau) soll sich nicht gar so bekümmern. Ich werde bitten bei Gott für Euch Alle. – Ade du schnöde Welt! – So leicht kömmt mir das Sterben an, daß mir nicht die Augen naß werden.“

Der 20. Februar 1810 war der Tag seiner Hinrichtung. Hofer nahm das Abendmahl aus den Händen des Erzpriesters Manifesti, der ihn bis zum letzten Augenblicke nicht mehr verließ voll Bewunderung für den Heroismus dieses Märtyrers der Treue. Schlag elf Uhr traten die Führer des Executionscommando’s in sein Gefängniß, um ihn abzuholen; er hielt ein mit Blumen umwundenes Crucifix in seinen Händen. Als er an der Porta Molina bei den Casematten vorbeikam, worin viele seiner Landsleute gefangen saßen, lagen Alle auf den Knieen, laut betend und weinend; die Tyroler, welche frei herumgehen durften, warfen sich vor ihm nieder und flehten um seinen Segen. Er bat sie um Verzeihung, wenn er an ihrem Unglück schuld sei; sie möchten nur getrost und standhaft bleiben, treu dem Vaterlande.

Dem Geistlichen übergab er das Letzte, was er besaß, fünfhundert Gulden zur Vertheilung an die Unglücklichen; seine silberne Tabaksdose, einen schönen Rosenkranz und das silberne Crucifix, welches er trug, hinterließ er dem treuen Begleiter zum Andenken.

Auf einer breiten Bastion, nicht weit von der Porta Ceresa, machte das Commando Halt; die Grenadiere bildeten ein nach rückwärts geöffnetes Viereck; zwölf Mann und ein Sergeant traten vor. Der Tambour forderte Hofer auf, sich die Augen verbinden zu lassen und niederzuknieen; er wies das Tuch zurück und blieb fest und aufrecht stehen.

„Ich stehe,“ sagte er mit lauter Stimme, „vor Dem, der mich erschaffen hat und stehend will ich ihm meinen Geist wiedergeben.“

Den Sergeanten mahnte er, „gut zu schießen“, und schenkte ihm einen Tyroler Zwanziger, „der ihn noch in diesem Augenblicke an sein unglückliches Vaterland erinnere.“

Darauf rief er: „Gebt’s Feuer!“

Nicht gleich zu Tode getroffen, sank er zu Boden; erst die Kugel des Sergeanten endete das Leben des Helden.

Die Franzosen ehrten den todten Feind; die Grenadiere bedeckten ihm das Haupt mit seinem Hute und trugen ihn auf einer schwarz ausgeschlagenen Bahre in die Pfarrkirche von St. Michael, wo die Exequien gehalten und die Leiche feierlich ausgestellt wurde, damit alles Volk sich überzeugen sollte, daß der gefürchtete Sandwirth wirklich todt sei.

In dem Gärtchen seines würdigen Seelsorgers wurde er beerdigt; eine einfache Tafel mit italienischer Inschrift verkündigte: „Hier liegen die Ueberreste des Andreas Hofer, genannt General Barbone, Obercommandant der Tyroler Milizen, erschossen am 20. Februar 1810 in Mantua und hier begraben.“

Weder Kaiser Franz, noch der biedere Erzherzog Johann hatten einen Schritt gethan, um den treuesten Mann der Welt, der hundertmal sein Blut für sie vergossen, zu retten, obgleich es dem zukünftigen Schwiegervater Napoleon’s vielleicht nur ein Wort gekostet hätte, um das Todesurtheil zu hindern.

Vierzehn Jahre lag der todte Held vergessen in fremder, ungeweihter Erde. Erst im Jahre 1823 faßten drei muthige Jägerofficiere, geborene Tyroler, den Entschluß, mit Erlaubniß des Gartenbesitzers die Leiche auszugraben und nach dem Vaterlande zu bringen. Mit den theueren Ueberresten zogen sie über den Brenner und den Berg Isel, an Hofer’s Kampf- und Ehrenfeldern vorüber, bis nach Innsbruck. Ihr patriotisches Unternehmen, von dem Volke laut gerühmt und gebilligt, mahnte die Regierung endlich an ihre Pflicht. Dieselbe ordnete die feierliche Bestattung des Helden in der Hofkirche zu Innsbruck an, neben dem Grabmale des ritterlichen Max und der schönen Philippine Welserin. Sein Marmorbild, von Johann Schaller, einem vaterländischen Künstler, gefertigt, bezeichnet Hofer’s jetzige Ruhestätte. Auch für seine Familie wurde gesorgt, die Kinder in den Adelstand erhoben, auf kaiserliche Kosten erzogen und mit Gütern reichlich ausgestattet.

Im Herzen des Volkes aber lebt noch immer der treue Sandwirth von Passeier, der für seinen Kaiser so treu und muthig in den Tod gegangen.
M.