Textdaten
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Autor: Ferdinand Groß
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Titel: Amalie Haizinger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 582–583
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Amalie Haizinger.

Sie war die Letzte von jener „alten Garde“, welche den Ruhm des Wiener Burgtheaters begründen und festigen half. Und nun ist auch sie dahingegangen, wenige Tage nach Laube, und die glänzende Vereinigung, die wir ehedem bewunderten, lebt jetzt nur noch im Reiche der Erinnerung. Amalie Haizinger wandelte unter uns als lebendiges Zeugniß dafür, daß die Kunde von dem Zusammenwirken jener seltenen schauspielerischen Begabungen keine bloße Mythe, sondern volle, preisenswerthe Wirklichkeit gewesen, eine Wirklichkeit, die Niemand berührt hat, ohne ihm unvergeßlich zu werden für alle Tage des Daseins. Laube und die Haizinger waren noch die einzig vorhandenen persönlichen Documente für die herrlichste Zeit des Burgtheaters; nachdem Beide von uns geschieden sind, gehört jene ruhmreiche Epoche ganz und gar der Tradition an, und vielleicht in einigen Fällen mag die von der „alten Garde“ auf eine jüngere Künstlergeneration geübte Nachwirkung davon Zeugniß liefern, daß Heinrich Anschütz, Ludwig Löwe, Karl Fichtner, Friedrich Beckmann, Karl La Roche und Julie Rettich im Burgtheater ein leuchtendes Beispiel gegeben, wie die Schauspielkunst geübt werden müsse, um sich den anderen Künsten ebenbürtig an die Seite stellen zu dürfen.

Wir Wiener, die nicht dem Greisenthum nahe stehen, haben Amalie Haizinger nicht anders gekannt, denn als „komische Alte“, und nicht nur, daß wir sie nicht anders gekannt, wir konnten sie uns kaum anders vorstellen. Für meinen Theil – um ein Beispiel zu nennen – habe ich die Haizinger nie anders gesehen, als wie sie in dem nebenstehenden Portrait wiedergegeben ist: in der Matronenhaube, deren reiche Spitzengarnirung das faltenreiche, aber stets gutmüthig in die Welt blickende Antlitz so angemessen umrahmte. Wie, die behäbig drollige, gutmüthig geschwätzige Frau, die als Amme in „Romeo und Julia“ so erheiternd ängstlich zu rufen verstand: „Wo steckt das Kind nur? Julchen, hörst Du nicht?“ – sie soll selbst einmal die schöne, sinnberückende Julia gewesen sein, welche liebeglühend ihrem Romeo sagte: „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“?

Schier unglaublich will solche Nachricht uns klingen, und doch, wir dürfen sie nicht bezweifeln, sie ist beglaubigt, verbrieft und besiegelt. Ja, die Zeitgenossen von Amalie Haizinger’s Jugend können sich nicht fassen vor Entzücken über den Liebreiz der Künstlerin, wofür wir vollgültige Zeugnisse von Goethe und Heine besitzen.

Sie entging dem Schicksale, den Wienern als gealtert zu gelten, weil sie gleich zu Beginn ihres Wiener Engagements dem jugendlichen Fache entwachsen erschien. Einstens freilich ist sie in Wien als Liebhaberin aufgetreten, aber vor einem Geschlechte, das, seiner Mehrzahl nach, nicht mehr existirt. Vor neunundfünfzig Jahren spielte sie am Burgtheater gastweise die Preciosa in Wolff’s gleichnamigem romantischen Schauspiele. Im Mai 1838 erschien sie wieder als Gast. Sie gab damals Rollen, wie die Schiller’sche Maria Stuart.

Amalie Haizinger.
† am 11. August 1884.

Neben ihr zeigten sich ihre Töchter Louise und Adolphine. Letztere, geboren 1819, starb 1844 in der Blüthe ihrer Jahre und ihres Könnens. Louise, geboren 1817, wurde noch vor der Mutter in Wien engagirt und zwar im Frühling 1839; sie gehörte dem Burgtheater bis 1856 an, zu welcher Zeit sie sich mit dem Grafen Karl Schönfeld vermählte. In den Jahren 1839, 1842 und 1845 erschien die Mutter abermals als Gast; dann endlich trat sie als Mitglied in den Verband des Burgtheaters ein, dem sie vom Januar 1846 bis an ihr Lebensende angehörte. Bei Gelegenheit ihres dritten Gastspieles zeigte sie sich bereits in dem Fache, in welchem sie dann ein Liebling jenes Publicums geworden, das ihr das letzte Geleite gegeben. Sie theilte mit Laube das Schicksal, daß eine bedeutsame Hälfte ihrer Wirksamkeit vorüber war, als sie sich in Wien dauernd niederließ: bei Laube der Politiker, bei der Haizinger die reizvolle Liebhaberin. Laube haben wir als Dramaturgen kennen gelernt, die Haizinger als Matrone. Aber wir haben uns gern erzählen lassen, wie Laube sich in der Paulskirche in Frankfurt geberdet und wie die Haizinger als Schönheit gefeiert wurde.

Noch mochte die Haizinger eine stattliche Frau gewesen sein, als sie sich in Wien niederließ, aber ihre angeborene Lebensklugheit veranlaßte sie, sich von Anfang an hier als „Mama Haizinger“ zu gehaben. Ihre Collegen nannten sie „Mama“, und sie liebte es, das ganze Personal des Burgtheaters zu bemuttern. In einem ähnlichen Verhältnisse stand sie zu dem Publicum. Sie hatte seit neun Jahren nicht mehr gespielt, und doch betrachtete man sie als vom Burgtheater unzertrennlich. Sie und La Roche wurden weder pensionirt noch zu Ehrenmitgliedern ernannt; eines wie das andere hätte sie bitter gekränkt. Sie blieben eben engagirte Mitglieder, die sich mit Plänen von baldigem Wiederauftreten trugen, bis der Tod sie abberief. Dem alten La Roche schickte die Direction, um ihm eine harmlose Freude zu bereiten, bis in seine letzten Tage Rollen zum Memoriren; er hat sie natürlich nie gelernt, versicherte aber stets, er werde „nächste Woche“ wieder spielen. Die Haizinger trug sich mit der Hoffnung, seinerzeit im neuen Burgtheater bei der festlichen Eröffnung wenigstens stumm zu statiren, wie sie in den Jahren 1876 und 1877 in der melodramatischen Darstellung von Schiller’s “Glocke“ – jauchzend bejubelt – als Großmutter erschienen war, ohne etwas sprechen zu müssen. Ihre letzte eigentliche Rolle spielte sie am 2. December 1875 als Katharina Ausdorf in Benedix’ Einacter „Eigensinn“. – Zu den größten Genüssen gehörte es, sie als Partnerin von La Roche zu sehen. Die Beiden hatten auf dem Kothurn begonnen; aber die mit den Jahren wachsende Selbsterkenntniß führte sie auf das Gebiet des Bürgerlichen, auf das Familienstück, auf das Drama des häuslichen Herdes, und innerhalb dieses Gebietes konnten sie mit souveräner Willkür erheitern oder rühren. Ihre Gestalten waren so ziemlich von gleicher Größe; sie sprachen Beide einfach und natürlich, und bei der Haizinger erzeugte das „Schwäbeln“ einen Beigeschmack von naiver Weichheit. In Benedix’ „Störenfried“ hatten die Beiden eines ihrer köstlichsten Duette. Die Haizinger gab die störende Schwiegermutter, La Roche den bei dem Schwiegersohne eingelebten alten Leberecht, der ihr mit seinen ungeschminkten Manieren und mit seiner Tabakspfeife so unangenehm ist. Und wenn sie mit einander spielten, äußerten sich ihre intimen Beziehungen zu dem Auditorium. Jede Wendung, die sich mit Freundlichkeit auf sie deuten ließ, wurde mit Jubel oder mit der Heiterkeit des Einverständnisses aufgenommen. Die Beiden hinwieder setzten sich durch ein Augenzwinkern, durch eine leise Bewegung mit den Zuhörern in Verbindung wie mit der eigenen Familie. Die Haizinger konnte sich vom Burgtheater noch schwerer trennen, als La Roche. So lange es ihr möglich war, kletterte sie die drei steilen Treppen zur Theaterloge allabendlich empor, blieb voll Antheil bis zum Schlusse jeder Vorstellung, und gar manches Mitglied fühlte sich angeeifert, weil es vor der „Burgtheater-Mama“ zu spielen die Ehre hatte. Als es mit dem Steigen ein Ende hatte, wohnte sie hinter den Coulissen den Aufführungen bei, und als sie überhaupt nicht mehr ausgehen konnte, machten die [583] Collegen ihr Besuche. Sie kam nicht zum Burgtheater, so kam das Burgtheater zu ihr.

Die trockenen Daten ihrer Lebensgeschichte fasse ich in Kürze zusammen, denn sie sind oftmals mitgetheilt worden. Am 6. Mai 1799 in Karlsruhe als Tochter des badischen Kammerfouriers Morstadt geboren, betrat sie, zehn Jahre alt, zum ersten Male die Bühne, und zwar in Wranitzky’s Oper „Oberon, König der Elfen“. Alsbald widmete sie sich gänzlich der Bühne und heirathete 1816 den Schauspieler Neumann. Aus der Ehe mit ihm stammen die oben erwähnten Töchter Louise und Adolphine. Auf längeren Reisen begründete sie ihren Ruf und galt, noch ehe sie zwanzig Jahre zählte, als berühmte Künstlerin. Im September 1823 starb ihr Gatte; vier Jahre später schloß sie eine zweite Ehe mit dem Sänger Anton Haizinger. Mit Letzterem ging sie nach Paris, London, Petersburg und in die bemerkenswerthesten deutschen Städte. Ueberall entzündete sie lichterlohen Enthusiasmus. In Leipzig gründete man ihr zu Ehren einen Rosenorden, zu dessen Großmeisterin sie ernannt wurde. Im Jahre 1824 sagte Goethe von ihr: „Man sehe die Darstellungen der Frau Neumann; sie thun sich so zierlich und liebenswürdig hervor, als die Schauspielerin selbst.“ Unwillkürlich erinnert man sich daran, daß auch La Roche das Glück genossen hatte, Goethe zu kennen und von ihm beurtheilt zu werden.

Im Jahre 1836 erschien ein starker Band „Erinnerungsblätter aus dem Leben und Künstlerwirken der Frau Amalie Haizinger“, eine genaue Zusammenstellung aller Triumphe, die sie von 1810 bis 1836 gefeiert, aller Huldigungen, die sie innerhalb dieser Zeit erfahren. Sie hatte in Paris mit großem Erfolge gespielt, und man glaubte sich deshalb bemüßigt, sie mit der und jener französischen Künstlerin zu vergleichen. Mit Recht schrieb damals ein süddeutsches Blatt:

„Sie ist nicht gemacht, wie uns Deutschen eine Mars erscheinen müßte, nicht mit ihrer Genialität über die Schnur hauend wie die Dorval; nicht groß und dämonisch wie die Rachel. Amalie Haizinger war als Prototyp eines deutschen Mädchens geboren, sie war eine deutsche Schönheit ganz und gar mit ihrer lieblichen Fülle, ihren blonden Flechten, ihren Veilchenaugen, ihrem weichen Tone; ihr Herz war voll deutscher Empfindung. Trotz erweiterter Ausbildung und eines ausgedehnten Rollenkreises in verschiedenen Fächern ist die reine Unmittelbarkeit eines scharf ausgeprägten süddeutschen Naturells der Künstlerin geblieben. Sah man sie früher als Margarethe in den ‚Hagestolzen‘, hörte man sie singen: ‚Was frag’ ich viel nach Geld und Gut?‘, sah man sie herzige Kußhändchen zum Fenster des alten Hofrathes hinaufwerfen, so war’s das Mädchen aus Weinheim oder tiefer aus dem Odenwalde, wie es leibt und lebt. Sah man sie als Baronin in der ‚Lästerschule‘, so war es keine Puppe, komödiantisch aufgesteift, à peu près eine Salondame repräsentirend, wie man sie sich vorstellt, wenn man davon gelesen hat; die Baronin der Haizinger war eine durchaus deutsche Frau der höheren Gesellschaft, ganz in ihrem eigenthümlichen Sichgehenlassen, und zwar allereigentlichst, wie sie aus eigener Erfahrung dieselbe kannte, mit Einem Worte, wie sie selbst eine war …“

Zu solchen Citaten muß Unsereins seine Zuflucht nehmen, will man sich ein Bild von ihr machen aus der Zeit, da sie noch weit entfernt war von der „komischen Alten“, aus der Zeit, da noch das Gretchen in „Faust“, die Thekla in „Wallenstein“, die Melitta in Grillparzer’s „Sappho“ ihr zufielen. Was sie in Wien an besonders festlichen Gelegenheiten erlebte, das hing mit ihrem vorgerückten Alter zusammen. Ihr fünfzig- und ihr fünfundsechszigjähriges Künstlerjubiläum, ihr siebzigster und ihr achtzigster Geburtstag gaben Anlaß zu rauschenden Ovationen, wie die Leipziger „Rosenkönigin“ sie nicht rauschender erlebt haben konnte.

Die Rollen, mit denen sie in Wien so lange nachhaltig gewirkt, liegen alle in der Richtung ihrer Lieblingsrolle: der alten Bärbel in „Dorf und Stadt“. Es war etwas Herzbezwingendes, wenn sie sang: „Ueber’s Jahr, über’s Jahr, wenn i wiederum komm“ – und wohl niemals ergriff sie mit diesem Liede die Zuhörer so tiefinnig, wie an jenem 19. December 1856, als ihre Tochter Louise als Lorle in „Dorf und Stadt“ Abschied nahm von der Bühne und die Haizinger die Bärbel gab. In dieser Rolle trat ihr ganzes künstlerisches Wesen zu Tage, ein Wesen, an dem absolut nichts Unklares, nichts Räthselhaftes war. Amalie Haizinger besaß jenen Theaterinstinct, der sicherer geleitet als alle Reflexion; sie traf immer das Richtige, weil sie immer einfach, wahr und natürlich sein wollte und weil sie immer viel mehr sich selbst spielte als die Rolle, und weil sie selbst eine liebenswürdige, heitere, kreuzbrave, humorvolle und dabei tiefempfindende Frau war, eine allerliebste „Mama“. Es hat größere Darstellerinnen gegeben als sie, aber kaum eine stärkere Natur, geboren für die theatralische Vertretung der bürgerlichen Wirklichkeit. Es überkam Alle, die ihr Grab umstanden, ein wehmüthiges Gefühl, als der Oberregisseur des Burgtheaters, Herr Adolf Sonnenthal, ihr nachrief: „Nimmer wird das Lied der treuen Bärbel ertönen: ‚Wann i kumm, wann i kumm, wann i wied’rum kumm‘, denn nimmer wirst du wieder kommen …“ Ferd. Groß.