Das vierhundertjährige Jubiläum eines Allbekannten

Textdaten
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Autor: B.
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Titel: Das vierhundertjährige Jubiläum eines Allbekannten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 583
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[583] Das vierhundertjährige Jubiläum eines Allbekannten. Ein in allen Kreisen Wohlbekannter, in allen Kreisen Wohlgelittener und Hochwillkommener, der sich seit Jahrhunderten überall im Palaste wie in der Hütte solch ungeheuchelten, allseitigen Wohlwollens zu erfreuen hat, daß Jeder wünscht, er möge tausend-, ja hunderttausendfach bei ihm einkehren, feiert heuer sein vierhundertjähriges Jubiläum. Hoch und Nieder, Reich und Arm, Jung und Alt, alle Kreise der Bevölkerung, die Angehörigen aller Stände, die Anhänger aller Confessionen, die Männer aller politischen Parteien bringen dem Jubilar in gleichem Maße ihre Verehrung entgegen.

Trotz dieser im wahrsten Sinne des Wortes allgemeinen Sympathien, deren sich der Jubilar erfreut, wird sein Jubiläum doch recht ruhig vorübergehen. Von einer Jubelfeier wird sehr wenig zu merken sein; es werden keine Fahnen deswegen herausgehängt, es finden keine Festzüge und keine musikalischen Aufführungen statt, obgleich die Musik, welche der Jubilar macht, Vielen die angenehmste und lieblichste der Welt ist; es werden ihm zu Ehren keine Zweckessen gehalten, wenn auch gerade nur er gewöhnlich die Abhaltung solcher ermöglicht, kurz, der ganze Apparat, der sonst bei diesen Feiern in Bewegung gesetzt zu werden pflegt, wird diesmal ruhen. Der Jubilar wird wahrscheinlich damit einverstanden sein; vielleicht hat er sich selbst jede Feierlichkeit verbeten, nachdem das deutsche Reich ihn, einen echt deutschen Sohn, von sich gestoßen und ihn zu einem Dreimarkstück degradirt hat, ja zu einem Dreimarkstück, denn von dem „Thaler“, dem altehrwürdigen Thaler, nach welchem wir und unsere Voreltern so lange Jahre gerechnet, der uns sozusagen an’s Herz gewachsen war, den aber die neue Reichswährung nicht mehr kennt, ist die Rede!

Er hat vor genau 400 Jahren, im Jahre 1484, als im Münzwesen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation große Unordnung eingerissen war, das Licht der Welt erblickt. Den Anfang zur Verbesserung dieses Zustandes machte Erzherzog Sigismund von Tirol, der letzte selbstständige Fürst dieses schönen, damals silberreichen Landes, indem er im Jahre 1484 die ersten größeren Silbermünzen fertigte, die nach kurzer Zeit auch von anderen Münzstätten, besonders aber in der zu jener Zeit sehr silberreichen böhmischen Bergstadt Joachimsthal von den Grafen Schlick hergestellt wurden.

Nach diesem Hauptfabrikationsorte sollten die großen Silbermünzen mit dem sehr umständlichen Namen „Joachimsthaler Gulden-Grosch-Pfenning“ genannt werden, welche langweilige Bezeichnung das Volk in Joachimsthaler, Jochimsthaler abkürzte. Der ehrwürdige erste evangelische Prediger von Joachimsthal, Joh. Mathesius, berichtet hierüber: „Wie man heut’ fast aller Herrn Schlag (Gepräge), so zwei Loth halten sollen, Jochimsthaler zu nennen pfleget, weil sie hie, wiewol nicht am ersten (denn die dreiköpfigen Annaberger sind älter) mit (in) Haufen geschlagen seien.“ Auch der wackere Schuhmacher und Poet Hans Sachs kennt diese Münze; er singt in einem seiner Gedichte von ihr:

„Dem gab er einen Jochimsthaler,
Daß er wär der Sackpfeif’ ein Zahler.“

Doch kam den Leuten das Wort Jochimsthaler noch immer zu lang vor, obgleich man damals die Zeit noch nicht als Geld betrachtete; sie halfen sich durch eine neue Kürzung, schickten den Joachim heim und nannten die große Silbermünze ganz einfach einen „Thaler“!

Die Zahl der verschiedenen Prägungen von Thalern seit vierhundert Jahren ist Legion; dicke Werke sind mit Verzeichnissen, Beschreibungen und Abbildungen derselben angefüllt und fortwährend veröffentlichen die numismatischen Werke Mittheilungen über bis dahin unbekannte Gepräge. Seit der Einführung der neuen Währung werden in Deutschland keine Thaler mehr hergestellt, nur die Wiener Münze prägt noch fortgesetzt Maria-Theresia-Thaler mit der Jahreszahl 1780, die für den Handel im Orient und in Afrika bestimmt sind und merkwürdiger Weise das beliebteste Zahlungsmittel halbcivilisirter oder ganz wilder Völker bilden. Wenn er auch officiell abgesetzt und verstoßen, sowie genöthigt ist, den Wilden sein wahres Alter zu verschweigen, wird das deutsche Volk doch seines „Thalers“ nicht vergessen. Wie der oberbayerische Bauer heute noch gern nach Kronenthalern rechnet und handelt, die schon längere Zeit eingezogen sind, so wird auch der Norddeutsche noch lange nach Thalern rechnen, sodaß die Hoffnung nicht unbegründet ist, daß der Thaler von unsern Nachkommen ebenfalls nach Verdienst geschätzt und noch sein fünfhundertjähriges Jubiläum im Jahre 1984 in angenehmer Weise verbringen wird. Uebrigens wird sein heuriges doch nicht ganz vorüber gehen, ohne Erinnerungszeichen zu hinterlassen; wie wir hören, wird die Wiener numismatische Gesellschaft das „vierhundertjährige Jubelfest des Thalers“ durch Veröffentlichung einer Monographie und wenn möglich auch durch ein Gepräge verherrlichen. B.