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Titel: Am Nilmesser und im Harem
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 571–575
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Am Nilmesser und im Harem.

Kein Land verdient wohl mehr den Namen eines Wunderlandes als Aegypten; kein Fluß eignet sich mehr dazu, der Abgott eines Volkes zu werden, als der Nil. Wer dem wundersamen Spiel seines Steigens und seiner Ueberfluthung zugesehen, kann nicht umhin, dieses maßvolle, regelmäßige, innerhalb der gezogenen Schranken sich emsig fortbewegende Walten, mit einem Worte: die allmächtige Kraft der Natur zu bestaunen.

„In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her.
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben.
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und webe der Gottheit lebendiges Kleid.“

Haben wohl von den zwanzig Millionen, die diesen Donnerspruch des Erdgeistes in „Faust“ gelesen, zwanzig Erdensöhne den Sinn desselben gefaßt? Wenn diese scheinbar so compacte Erde am Ende nichts Anderes als ein Luftbild, die Natur mit ihrer tausendfachen Erzeugung und Zerstörung blos der Wiederschein unserer inneren Kraft, die Phantasie unserer Träume oder das lebende, sichtbare Gewand Gottes wäre, wie es Goethe’s Erdgeist nennt!

Ich stand auf der Brücke von Ghesireh, als diese Gedanken in meinem Gehirn kreuzten – unter mir rollten die gelben Fluthen des Nils langsam dem Meere entgegen. Wahrlich, es waren seltsame Gedanken für ein atheistisches Kind dieser jetzt so atheistischen Welt. Indeß ist das Wunder der jährlichen Ueberfluthung des Nils so groß, es entfaltet sich so still, so majestätisch, so ohne alle menschliche Hülfe, daß der Mensch vor dieser unsichtbaren allmächtigen Triebfeder fast die Kniee beugen möchte und sich einer gewissen Scham über sein eigenes so winziges Schaffen nicht erwehren kann. Davon überzeuge sich der Leser durch Nachstehendes selbst!

Nicht die labyrinthischen Mumienkatakomben, wo ganze Geschlechter in ewigem Schlafe ruhen, nicht die großartigen Tempel, nicht die im Schutte noch majestätischen Paläste der Pharaonen, die Pyramiden im Todtenfelde von Memphis bilden das größte Wunder dieses Wunderlandes. Diese Ruinen sind sämmtlich von einem geheimnißvollen Schleier umhüllt, der zwar auf jedes poetische Gemüth einen großen Zauber ausüben muß, aber dennoch dem weit nachsteht, den der alte heilige Nil, der Schöpfer, Erhalter und Ernährer Aegyptens besitzt, ja Schöpfer, denn das Nildelta wurde einzig und allein durch die allbefruchtenden Anschwemmungen des Nil gebildet, der die einstige weite Bucht zwischen den Hügelzügen der Libyschen und den Bergen der arabischen Wüste mit culturfähigem Schlamm ausfüllte, diese Ausfüllung noch fortwährend vergrößert und gegen das Mittelmeer hin ausdehnt. Die jährlichen im Hochlande Abessiniens, sowie in den Tropengegenden des inneren Afrika niedergehenden periodischen Regen bedingen ein Steigen des Stromes in seinem ganzen Laufe bis zum Meere. In Kairo wird das erste Steigen des Nil erst zu Anfang Juli bemerkbar. Von dieser Zeit an beschäftigt sich das ganze Land mit dem Flusse, denn durch ihn und mit ihm lebt Aegypten; er ist die Lebensader des Landes, deren Pulsschläge nur ein klein wenig zu stark oder zu schwach zu sein brauchen, um eine ganze Bevölkerung in Noth und Elend zu versetzen.

Bei so bewandten Umständen kann es uns nicht wundern, daß die alten Aegypter dem Flusse die höchste Vergötterung zollten, daß Sie alljährlich den ihnen als Vorbote der Ueberschwemmung geltenden Stern Sirius mit großer Bangigkeit beobachteten, daß sie die zu Ehren der Flußgottheit abgehaltenen religiösen Feste mit zaghafter Genauigkeit innehielten, im Glauben, die geringste Vergessenheit könnte den Gott erzürnen und ein Ausbleiben des Steigens der Gewässer mit sich führen. Was Wunder, wenn die Aegypter in der Verehrung des heiligen Flusses so weit gingen, daß sie ihm das kostbarste der Opfer, ein Menschenleben, weihten und alljährlich eine mit Geschmeide und werthvollen Gewändern geschmückte Jungfrau in seinen Wellen begruben.

Das in alten Zeiten mit so vieler Feierlichkeit begangene Fest des Nilsteigens ist zwar im Laufe der Zeit sehr heruntergekommen, aber es ist noch immer das größte nationale Fest Aegyptens, welches sich von den übrigen arabischen Volksfesten darin unterscheidet, daß es von der ganzen Bevölkerung, ohne Religionsunterschied, von Mohamedanern, Kopten und Juden mit gleich großer Freude gefeiert wird.

Das erste Fest fällt auf den 17. Juni. Es ist wohl kaum nöthig zu erwähnen, daß das Steigen des Nils trotz aller Regelmäßigkeit nicht jedes Jahr am nämlichen Tage, zur nämlichen Stunde bemerkbar ist; doch die Araber glauben, daß der Fluß mittelst eines vom Himmel fallenden wunderthätigen Tropfens Wasser alljährlich in der Nacht des 17. Juni zu steigen beginne. Die Einwohner Kairos und die der benachbarten Ortschaften pflegen diese Nacht am Ufer des Nils, entweder in den längs dem Flusse stehenden Häusern, oder unter Gottes freiem Himmel zu verbringen, und zwar unter Spielen, Kaffeetrinken und Geschichten-Erzählen. Der mohamedanische Theil der Einwohnerschaft macht gewöhnlich in dieser Nacht einen Abstecher nach dem Bulak gegenüberliegenden Dorfe Imbabi, wo einer der heiligsten Heiligen Kairos, nach welchem der Ort genannt ist, nämlich Ismail Imbabi, begraben liegt, an dessen Todestag, der mit der Lelet-en-Noctu (Nacht des Tropfens) zusammentrifft, Koranlesungen und religiöse Gebete und Tänze abgehalten werden.

In dieser Nacht pflegen die Aegypter, namentlich die Aegypterinnen, ein Stück Teig in eine Schüssel voll Wasser zu legen und diese außerhalb des Fensters zu stellen. Hat der Teig am nächsten Morgen Sprünge, so prophezeit man ein günstiges Steigen des Nils, hat er aber keine, so wird das Entgegengesetzte angenommen.

Von Anfang Juli an wird die Höhe des Nil täglich in allen Zeitungen veröffentlicht; alle Ministerien und Gouvernementsbureaus werden jeden Morgen von dem Wasserstand in Kenntniß gesetzt. Privatleuten wird die Nilhöhe durch eigens dazu angestellte Ausrufer verkündet, welche jeden Morgen auf den Gassen und in den Höfen der Vornehmeren den Stand des Wassers proclamiren. Diese Ausrufer werden Muneddi-en-Nil genannt. Der Muneddi, der alle Morgen in meinen Hof zu kommen pflegte, war ein stattlicher Aegypter, schön gebaut, mit edlen Gesichtszügen, in die schöne ägyptische Tracht gekleidet. Weil er blind war, stützte er sich auf die Schulter des ihn begleitenden Knaben. Es machte mir stets Freude, ihn in seiner königlichen stolzen Haltung durch den Thorweg schreiten zu sehen und seinen gewohnten monotonen und dennoch nicht reizlosen Singsang zu hören. Jeder Muneddi hat einen kleinen Knaben bei sich, der mit ihm den üblichen eigentümlichen Zwiegesang absingt.

Die Verkündigungen der Muneddi dauern gegen fünf Wochen. Wenn der Nilmesser sechszehn Pikken zeigt, so zieht der Muneddi mit einer Anzahl kleiner Knaben in seinem Viertel herum. Sie tragen farbige Fähnchen in den Händen und verkünden singend die Wisa-en-Nil (die Vollendung des Nil), das heißt: daß der Nil die Höhe erreicht hat, bei welcher die Regierung den [572] Canal des Kalg durchstechen läßt, um das Nilwasser durch die Stadt zu leiten.

Die Muneddis erfahren den Wasserstand vom Scheich des Nilometers, zu dem sie sich jeden Morgen begeben, bevor sie ihre Wanderungen durch die Stadt beginnen. Selbstverständlich erhaltet sie für ihre Mittheilung ein kleines Trinkgeld; doch von den mittleren und niedrigen Classen bekommen sie meistens nur ein Stück Brod.

Der Nilmesser, auf arabisch Mikjas, der schon auf hieroglyphischen Denkmälern häufig in den Händen der Gottheiten als Symbol naturgemäßer Eintheilung und Abstufung erscheint, ist für Aegypten das wichtigste Maß, weil derselbe die fetten und mageren Jahre verkündet. Er steht auf Rodha, jener Insel des Nil, die gleich nach der Eroberung Aegyptens durch die Araber die Aufmerksamkeit der Statthalter der Khalifen durch den Reiz ihrer Fruchtbarkeit und schönen Lage auf sich zog. Schon im vierundfünfzigsten Jahre der Hedschra ward hier ein Arsenal für Schiffe gebaut, das älteste aller Arsenale, die von demselben ihren Namen empfangen haben. Hier erbauten die Khalifen Paläste für ihre Lieblingsweiber; hier legten sie die herrlichsten Gärten an, deren Ruhm nicht nur in Aegypten, sondern bis Irak erscholl. Berühmter als durch Paläste, Moscheen und Gärten ward Rodha durch die von Melek Saleh, dem siebenten und vorletzten Fürsten des Hauses Cjub, hier angelegte Festung, deren Bewachung seinen Mameluken anvertraut wurde. – Von diesen Merkwürdigkeiten ist heute keine Spur mehr vorhanden, aber noch besteht aus der Mitte des neunten Jahrhunderts die Säule, welche den Nil mißt, von Sultan Selim dem Ersten neu überwölbt. Wenn der Nilmesser unter Vierzehn zeigt, das ist wenn die Fluth nicht vierzehn Ellen hoch steigt, so plagt Hunger das Land; fünfzehn Ellen und zehn Zoll sind das Maß, bei dessen Erreichung die Eröffnung des Canals des Nil, welcher Kairo durchschneidet, als ein öffentliches Dankfest mit Jubel gefeiert wird; gewöhnlich erreicht der Nil die Höhe von sechszehn Ellen; die größte Höhe, deren die Geschichte erwähnt, war achtzehn Ellen und zehn Zoll, die kleinste zwölf Ellen und neun Zoll, jene das Jahr des größten Ueberflusses, diese der schrecklichsten Hungersnoth Aegyptens.

Gegenwärtig gehört der den Nilmesser umgebende Grund Hassan Pascha, dessen Palast an der äußersten Spitze der Insel steht. Touristen bleibt der Eingang in diesen reizenden Erdenfleck nicht verschlossen. Ich bin oft auf Rodha gewesen, wo man die schönste Aussicht der Welt genießt. Indeß war ich noch nie im Sommer, das heißt bei hohem Wasserstande dort gewesen, und da ich auch diesen sehen wollte, begab ich mich am Tage vor der Fülle des Nil nach Alt-Kairo, mit der Absicht, dem Nilometer einen Besuch abzustatten.

Es wird heute just ein Jahr, als mich ein schöner arabischer Knabe in seinem alterthümlichen Boote übersetzte. Ich traf auf der Insel mehrere mir bekannte Damen. Vereint schritten wir nach dem Palaste. Als wir vor demselben standen, sprangen zwei schreckliche Eunuchen hervor, wie aus dem Erdboden kommend und gleich Besessenen schreiend: „Fih Harem guwa (es ist ein Harem drinnen).“ Dabei bedeuteten sie uns, daß ich, der einzige Mann unter den Damen, nicht eintreten dürfe.

„Herr der Schöpfung!“ spottete eine meiner Begleiterinnen. „Diesmal gilt es zu gehorchen, diesmal sind die Götter dem armen maltraitirten schwachen Geschlechte günstig. Auf Wiedersehen!“

Damit wollte sie fortgehen.

„Mit nichten!“ rief ich. „Ich lasse Sie nur mit der Bedingung durch, daß Sie mir morgen genauen Bericht über das Gesehene erstatten. Fügen Sie sich der Bedingung, sonst sage ich dem Eunuchen, daß Sie ein verkleideter Herr sind.“

„Ich füge mich; ich füge mich,“ rief mir die Dame zu und verschwand dann mit ihren Gefährtinnen hinter dem festen Haremsthore. Wäre ich kein so gewissenhafter Berichterstatter, ich thäte, was schon so viele Correspondenten gethan, die ihre Unwissenheit orientalischer Verhältnisse durch die Behauptung documentiren, daß man ganz leicht in die Harems kommen könne, und ich erzählte ein pikantes Haremsabenteuer, doch ich bin gewissenhaft und bleibe daher bei der Wahrheit.

Es ist fürwahr ein Glück für solche Correspondenten, daß ihre Leser all die von Eunuchen und Dienern bewachten Vorhöfe, Vortreppen und Vorsäle nicht sehen können, durch welche man dringen müßte, um zu den Haremschönen zu kommen; sie würden sonst jedes Haremsabenteuer bezweifeln.

Am folgenden Tage erhielt ich von meiner Freundin einen Brief, den ich hier in seiner ganzen Damenhaftigkeit wiedergebe.

„Mein lieber Freund!

Obgleich ein unter der Spitze eines Messers gegebenes Versprechen – war die Drohung, mich vor den Eunuchen für einen verkleideten Herrn auszugeben, nicht schlimmer als tausend Messerspitzen? – obwohl ein solches Versprechen gar keinen Werth hat, will ich mich dennoch um das Himmelreich verdient machen und Ihnen erzählen, was uns gestern hinter jenem Thore passirte, auf das Sie so sehnsüchtige Blicke fallen ließen. Dieses Thor führt in den Garten des Palastes. Wir hatten noch keine zwei Schritte gethan, als uns eine Schaar hellgekleideter Frauen entgegensprang; hinter ihnen trabte ein kolossaler, häßlicher Eunuche her.

Ich erfuhr heute, daß besagte Damen dem Harem der Prinzen angehören. Die uns entgegenkommenden Frauen waren sämmtlich in Kattun gekleidet; nirgends eine Spur von Geschmeide, und bei mancher steckten die nackten kleinen Füße in rothen Pantoffeln. ‚Sclavinnen der abwesenden Herrin,‘ flüsterten wir einander zu, und gingen leicht grüßend an ihnen vorüber. Ich drückte den Wunsch aus, den Nilmesser zu sehen.

Die Damen lachten laut auf, wahrscheinlich ob meines unarabischen Accents, und stoben auseinander wie verscheuchte Vögel. Wir schritten durch jenen Laubgang, der zu dem Mikjas führt. Apropos, was wollten Sie denn dem Nilometer absehen? Der Nilometer ist noch immer ein achteckiger Pfeiler und steht noch immer inmitten des unter der Erdfläche ausgegrabenen Raumes, und das Wasser erreicht jetzt fast den auf dem Pfeiler ruhenden Querbalken; die kufische Schrift rings herum ist noch immer kufisch. Waren Sie vielleicht darüber im Zweifel?

Wir wurden nun von der Kalsa, das heißt der Gouvernante des Harems, eingeholt. Sie trug rothe Pantoffel, weite, sehr weite Beinkleider, die sie im Gehen zu hemmen schienen, darüber ein faltenreiches Kleid aus blauem Kattun. Sie war ziemlich hübsch, hatte aber einen lässigen Zug um dem Mund, als wäre sie über all dem Wachehalten versauert; ihren Kopf bedeckte ein schneeweißer Turban.

Sie ließ uns das Pförtchen öffnen, das die zu dem Nilmesser hinunterführende Treppe verschließt, und führte uns hernach in dem Garten herum. Dabei fragte sie uns recht gehörig über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Sie kennen den Balcon, der um das Erdgeschoß des Palais herumläuft. Die Aussicht, die man von hier genießt, ist immer schön, doch gegenwärtig ist sie es über alle Maßen.

Die Wassermasse ist jetzt fürwahr imposant. Der Nil, von der Insel in zwei Arme getheilt, trennt sich hier zu Füßen des Palastes; er fluthet so mächtig gegen Norden, als wolle er die Insel mit fortschwemmen, und dennoch brechen sich seine Fluthen schäumend und gurgelnd an dem massiven Gesteine des Gebäudes. Links ragen die Pyramiden von Gizeh, Sakkarah und Abusir über den reizendsten Palmenhain empor, und rechts glüht der rothe Mokattam im Scheine der sinkenden Sonne, welche die nadelfeinen Minarets der Citadelle und auch die Segel eines einsamen auf der Fläche des Wassers hingleitenden Schiffleins goldig färbt.

‚Es ist sehr schön, nicht wahr?‘ fragte plötzlich eine Frauenstimme auf arabisch.

Die Sprechende war eine der Damen. Sie hatten sich Alle unbemerkt herangeschlichen, während wir im Anblicke der sinkenden Sonne versunken waren. Wahrlich, eine herrliche Erscheinung, dieses Mädchen aus dem Harem! Sie trug ein schneeweißes Gewand, ihr wunderschönes schwarzes Haar fiel in zwei langen Flechten vom stolz gebogenen Nacken herab und war vorn durch ein goldgelbes Atlasband nach hinten gebunden. Hände und Füße waren winzig, und das Gesicht war so schön und fein, daß ich in meinem Inneren die Harems segnete, die diese orientalischen Schönen verhüllen, denn wenn solche Schönheit in Eure Mitte träte, Ihr Männer, so müßten wir gar bald abdanken und den Orientalinnen das Scepter überlassen.

Die übrigen Damen waren ziemlich alt, einige Backfischchen ausgenommen, die reizende Mädchen zu werden versprachen. Alle standen um uns herum und beschauten unsere Toiletten mit [574] jener allen türkischen und arabischen Frauen eigenen Neugierde. Ich lobte die Aussicht, und somit war das Eis gebrochen. Sie stürmten an uns heran und überhäuften uns mit Fragen. Die Eine wollte wissen, ob meine fliegenden Aermel neumodisch seien, die Andere, zu was mein Lorgnon gehöre, eine Dritte, ob ich in Paris gewesen, und die erwähnte Schöne bedauerte mich, weil mich mein Gatte so unverschleiert ausgehen lasse. Als ich fragte, was daran zu bedauern wäre, erklärte sie mir, daß dies ein Beweis seiner Gleichgültigkeit sei, und sie setzte hinzu, sie müßte sterben, wenn ihr Pascha sie nicht einschlösse, wenn er sie unverschleiert ausgehen ließe, da sie daraus ersehen würde, daß ihm nicht viel an ihr gelegen sei.

Eine harte Arbeit war es, den neugierigen Damen auseinanderzusetzen, was für Dienste ein Lorgnon leistet. Ich meinte es recht hübsch erklärt zu haben, da brachen sie aber Alle in Beileidsbezeigungen aus, die meiner vermeinten Blindheit galten. Ich erklärte ihnen den Zweck des Lorgnons von Neuem, worauf sie recht kluge Gesichter machten, die mich erkennen ließen, daß sie meine Kurzsichtigkeit für Affectation hielten.

Sie reichten uns die Blumen, die sie in Haar und Gürtel trugen; die Backfische verfertigten einige ‚Fullehs‘ für uns. Es sind dies Jasminblüthen, die in gewissen Mustern auf Strohhalmen angefädelt werden. Zuletzt wurde uns der beste Mokka in reizenden, mit Diamanten bespickten goldenen Schalen gereicht, und dann nahmen wir Abschied von diesen liebenswürdigen Damen, nachdem wir das Versprechen hatten abgeben müssen, recht bald wiederzukommen.

Wer weiß, ob ich Ihnen nicht auch über den zweiten Besuch Bericht erstatte! Wir werden ja sehen.

Die Ihrige
Ch. v. M.“

Unterdessen hatte der Nil die Höhe erreicht, die den Durchstich des Canals in Altkairo erfordert, um zu verhindern, daß der Fluß den an der Mündung des Canals errichteten Damm, der um die Zeit des Nilsteigens aufgeworfen wird, nicht von selbst durchbreche und Verheerungen aller Art anrichte.

Die Vorbereitungen für das Fest waren schon getroffen. Auf der rechten Seite des Canals, etwa zwölf Meter oberhalb des Dammes, standen die Zelte der Regierung, und links, also diesen gegenüber, waren all die Feuerwerke aufgestellt, mit denen man dieses ägyptische Nationalfest zu feiern pflegt.

Gegen neun Uhr wurde die erste Rakete losgelassen.

In den Zelten der Regierung, die mit wahrer orientalischer Pracht ausgestattet waren, befand sich eine zahlreiche Versammlung eleganter Damen und uniformirter Herren. Zuweilen flammte plötzlich ein bengalisches Feuer auf, das mehr als ein schönes syrianisches Antlitz, mehr als ein classisches griechisches Profil hell erleuchtete, um gleich wieder Alles in geheimnißvollem Halbdunkel erscheinen zu lassen.

Schön war es, wenn dieses rothe Feuer auf die auf dem gegenüberliegenden Plane stehende Menschenmenge fiel, auf die zahllosen herrlichen dunklen Gesichter, auf die farbenreichen malerischen Trachten dieses so schönen Volkes.

Unter uns lag der Damm des Canals. Nach der Seite hin, wo der Nil sich gegen denselben bricht, waren hohe Palmenwedel aufgestellt; auf dem Damme selbst befand sich eine fröhliche Schaar Aegypter und Araber, die sich in der ihnen angeborenen harmlosen Weise unterhielten. Einer ging im Kreise herum und schenkte den Umherliegenden Kaffee aus, während eine Art Gaukler ihnen jenen Tanz vortanzte, der hier zu Lande so viel Gefallen findet. Der Tänzer hält ein langes Rohr über das Haupt und dann über die rechte oder linke Schulter, hebt ein Bein in die Höhe und schaut mit so viel Wohlgefallen um sich her, als habe er ein äußerst schweres Kunststück vollbracht. Dabei nicken die Zuschauer einander zu, und Jeder ist fest überzeugt, daß nur ein Diener Allahs so Etwas zu Stande bringen kann. Auf der andern Seite des Dammes standen in einer langen Reihe Arbeiter, die mit der Hacke unermüdlich die Erde des Dammes weglösten, während eine große Anzahl kleiner Knaben diese Erde in Körben wegschaffte.

Bei dieser Gelegenheit hat es sich wieder einmal erwiesen, wie muthig Fatalisten sind.

Man weiß, daß Mohamed seinen Gläubigen die Lehre der Vorherbestimmung einprägte. Der Mohamedaner verweilt mit der größten Gleichgültigkeit in Städten, wo eine Epidemie wüthet; er geht ohne Sorge und Befürchtungen ruhig wie immer seinen Geschäften nach und läßt sich nicht durch die Zukunft beunruhigen, da doch schon Alles vorausbestimmt ist. So schritten auch neulich die Araber unbekümmert an den Feuerrädern vorüber und wichen dem glühenden Sprühregen mit bewunderungswerther Ruhe aus. Selbst die Kinder, welche die Erde des Dammes fortschafften, von denen keines mehr als acht Jahre alt war, ließen sich durch einen auf sie herabfallenden Regen glühender Funken in ihrer Arbeit nicht stören.

Auf dem Flusse glitten zahllose kleinere und größere Boote hin, sämmtlich ausgeschmückt mit farbigen Fahnen und Lämpchen und besetzt von heiteren Menschen, die singend und spielend sich ihres Lebens freuten.

Dem Canal gegenüber ankerte ein großes, mit grellen Farben bemaltes und mit bunten Fähnchen und Laternen verziertes Schiff, auf dessen Verdeck ein viereckiges, mit rothen und gelben Draperien verhängtes Häuschen stand, um das ein kleiner Balcon lief. Es wird dieses Schiff vom Volke Aarus-en-Nil, das ist die Braut des Nil, genannt, und es soll einstens, als Aegypten noch nicht den Arabern gehörte, zur Beförderung der dem Flußgotte zum Opfer gebrachten Jungsfrau gedient haben.

Amr-Ibn-el-Asi, der Eroberer Aegyptens, schaffte diesen barbarischen Brauch als eine dem Gotte des Islam widrige Handlung ab, und seitdem begnügte sich der Aegypter mit dem bloßen Symbol der Braut des Nil, nämlich mit dem Schiffe.

Die Araber erzählen, daß der Nil in dem Jahre der Abschaffung des Menschenopfers zu steigen sich weigerte. Drei Monate waren schon seit der Nacht des Tropfens vergangen, und der Fluß hatte noch immer dieselbe Höhe, worüber das Volk außerordentlich bestürzt war, weil es meinte, es würde von der Hungersnoth heimgesucht werden. Da meldete Amr-Ibn-el-Asi dem Chalifen Omar in Medina, daß er das jährliche Menschenopfer abgeschafft und daß nun das Land vom größten Elende bedroht sei.

Der Fürst der Gläubigen lobte seinen Feldherrn für diese That und sandte ihm ein Schreiben mit der Weisung, dasselbe in den Nil zu werfen. Dieser Brief enthielt folgende Worte: „Von Abd-Allah-Omar, Fürst der Gläubigen, an den Nil von Aegypten! Fließest du aus eigenem Willen, dann fließe nicht; ist es aber Gott der Einzige, der Allmächtige, der dich fließen heißt, so bitten wir Gott, den Einzigen, Allmächtigen, er möge dich fließen lassen.“

Amr-Ibn-el-Asi leistete dem Befehl seines Fürsten Folge, und darauf hin soll der Nil in einer Nacht seine höchste Höhe erreicht haben.

Interessanter und schöner als die Feier des Vorabends ist das Fest der Eröffnung des Canals, vielleicht weil bei diesem die Sonne mit ihrer magischen Beleuchtung mitspielt. Es flatterten die bunten Fahnen so lustig; das Grün der Bäume auf Rodha leuchtete wie lauter Smaragden, die Menschen, die das Ufer des Canals bedeckten, prangten in einer so farbenreichen Tracht, daß jede auch noch so gut geschriebene Schilderung des Festes nur ein schwaches farbloses Schattenbild wäre.

Unter wiederholten Salven wurden die den Damm zierenden Palmenwedel in den Nil geworfen; gurgelnd leckte der verrätherische Fluß an dem nur noch einen Fuß breiten Damm, als habe er nicht übel Lust, denselben von selbst zu durchbrechen. Hierauf traten etwa zwanzig Arbeiter an den engen Erdstreifen hin, um denselben einzuhauen, die eine Hälfte im Trocknen, die andere im Wasser stehend. Von dem abfälligen Ufer des Canals stürzte sich ein Araber nach dem anderen in das Wasser, manche angekleidet, die meisten baar jeder Kleidung, schwimmenden Meerungeheuern gleich, die brüllend und keuchend ihr Opfer zu verlangen schienen. Furchtbar war das Getöse, als das gelbe, chocoladenartige Nilwasser die letzten Ueberreste des Dammes durchbrach und von dem Canale Besitz nahm.

Die Meeresungeheuer traten jetzt an’s Land und führten vor dem Zelte des Sultans von Zanzibar einen so tollen Tanz auf, daß man sie fürwahr für die wildesten Wilden halten konnte. Dies geschah nämlich, um dem Sultan die Goldstücke zu entlocken, welche die Vicekönige ihnen früher in den Canal hinabwarfen und die sie durch Tauchen erhaschten. Es war aber schon vor dem Beginn der Ceremonie eine beträchtliche Summe unter [575] das Volk vertheilt worden, denn man wirft das dem Volke gebührende Trinkgeld seit zwei Jahren nicht mehr in die Fluth, weil dies jedes Jahr mehrere Menschenleben zu kosten pflegte.

Somit war die Feier zu Ende. Der Sultan von Zanzibar, sowie die Behörde kehrte nach der Stadt zurück, die Araber blieben aber noch lange am Fleck. Keiner von ihnen geht an diesem Tage davon, ohne sich in dem Canal gebadet oder zum Mindesten gewaschen und einen Trunk aus dem wunderthätigen Flusse gethan zu haben. Viele füllen das Wasser, welches an diesem Tage Glück bringen soll, in Gefäße und tragen es mit nach Hause. Ich sah auch, daß sie die Palmenwedel, welche den Damm schmückten, wie Reliquien fortschleppten.

Herzlich lachen mußte ich, als ich im Nachhausefahren einem pudelnassen sogenannten orientalischen Heiligen begegnete, der mit zerzausten Haaren, triefenden Gewändern und verzückten Mienen baarhäuptig durch die Straßen wandelte, hinter ihm eine Art Meßner, der einen hellgrünen Sonnenschirm über ihn hielt.

Der Nil steigt zur Stunde fortwährend, bis er seine höchste Höhe erreicht, was zwischen dem 20. und 30. September eintritt. Auf seinem höchsten Stande verweilt er etwa vierzehn Tage, wonach das Sinken beginnt, sodaß er Mitte November wieder auf die halbe Höhe seines Steigens gesunken ist und zwar auf die Höhe, die er jetzt hat.

Die dem Nil am nächsten liegenden Felder sind bereits überschwemmt, was dem Flusse eine wahrhaft imposante Breite verleiht. Bald werden auch die entfernteren Gründe mittels der Canäle von dem befruchtenden Wasser bedeckt sein. Das ganze Land wird aber nicht ein See sein; selbst wenn der Nil den höchsten Punkt seines Steigens erreicht hat, steht nicht, wie eine häufig gebrauchte Redensart lautet, ganz Aegypten unter Wasser; denn obgleich einzelne Landstriche ganz davon bedeckt sind, so sind doch die Fluthen überall durch Dämme eingeengt und zertheilt, sodaß selbst der Verkehr zwischen den Dörfern selten ganz gehemmt ist. Dies ist nur der Fall, wenn die segensreiche Ueberfluthung zur verheerenden Ueberschwemmung wird – was Gott verhüten möge!