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Titel: Am Grabe der Mutter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 576–579
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Am Grabe der Mutter.

Es war eine seltene heilige Stunde, als nach der Riesenschlacht von Leipzig der König, nach seiner Hauptstadt zurückgekehrt, still und heimlich hinauswanderte nach einem dunklen Haine und dort unter heißen Thränen einen Lorbeerkranz niederlegte auf das Grab seiner Gattin, seiner Louise, die den großen Tag der von ihr so heiß ersehnten Vaterlandsbefreiung nicht erleben sollte. Allein mit Gott, kniete er zu den Füßen des geliebten Bildes und schmückte es in wehmütig dankbarer Erinnerung mit Blumen und mit dem Siegerkranze, den er ihr so gern – so sehr gern noch auf das lebende Haupt gedrückt. –

Mehr als ein halbes Jahrhundert war verflossen seit jenem Tage, und der kleine Tempel war immer mehr zu einem Wallfahrtsort geworden, seit auch Friedrich Wilhelm dort zur Ruh gegangen, und desselben Meisters Hand, die jenes holde Marmorbild

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Am Grabe der Königin.
Originalzeichnung von A. Schaal.[WS 1]

[578] geformt, auch seine hohe ernste Gestalt auf seinem Sarkophag gemeißelt hatte. Der zweite ihrer Söhne war nun Preußens König, und hielt als der Schutzherr eines neuen, in harten Zeiten gebildeten Bundes das Schwert Deutschlands in fester Hand. Jenseits des Rheines wieder saß auf wankendem Thron des großen Kaisers widerliches Zerrbild und schleuderte in unzähmbarer Gier nach deutschem Lande die Kriegsfackel mit zitternden Händen hinein in die Segnungen des Friedens. Krieg nur vermochte mit Blut und Gloire das morsche Gefüge seiner verbrecherischen Herrschaft neu zu dichten, und Lug und Trug spinnend entpreßte eine seiner Creaturen dem königlichen Greise jene stolz zürnenden Worte, die Jenem genügend schienen, eine Welt in Brand zu setzen, während sie einen jauchzenden Wiederhall fanden, soweit deutsche Herzen schlugen.

Im Triumph kehrte auch dieser König zurück in seine Hauptstadt, im Triumph, wie er vordem niemals über die Straßen donnerte, ward der greise Herrscher empfangen, und überall jauchzte ihm das Volk seine Uebereinstimmung und seinen Kampfesmuth entgegen. Bis aber die entscheidende Stunde geschlagen und der freche Corse nun wirklich die Kriegserklärung in die friedlichen deutschen Lande geschleudert, als von allen Seiten die Söhne des Vaterlandes zu ihren Fahnen eilten, da war es wieder der stille Hain, der von einem Könige aufgesucht wurde, ein König an der Hand seines Sohnes und seines Bruders. Was an dem Grabe seiner Mutter der Mann in Silberhaaren dem Enkel der Entschlafenen gesagt, wie er dort gebetet und den Schutzengel des Landes um Hülfe für sein gutes Recht angefleht – wir wissen es nicht, aber es mögen wohl heiße innige Bitten gewesen sein, die da zum Himmel aufstiegen – Bitten für sein Haus, sein Land und sein Volk. Und diese Bitten werden Erhörung finden; der Himmel wird mit den Deutschen sein, weil das Recht mit ihnen ist. Sohn und Enkel werden baldigst wieder einen Lorbeerkranz zu Füßen der geliebten Mutter und Großmutter legen können, und dann wird auch der stille Hain in Charlottenburg, mehr als je, wieder der Wallfahrtsort Aller werden, die ein Herz haben für die Geschicke unseres theuren Vaterlandes und seines unvergeßlichen Schutzengels – Louise!


Am Ende einer dunklen Tannenallee erhebt sich im Schloßgarten zu Charlottenburg das bekannte und vielbesuchte Mausoleum der Königin Louise, rings von schattigem Gebüsch und reizenden Blumenanlagen umgeben. Nach dem Entwurf des berühmten Architekten Schinkel aus geschliffenem rothen Granit gebaut, gleicht es einem griechischen Tempel, würdig und edel, ein wahres Heiligthum. Einige Stufen führen durch das eherne Portal in das Innere, wo uns eine durch bunte Glasscheiben bewirkte milde Dämmerung umfängt. Mit unwillkürlicher Scheu betreten wir die geweihte Stätte, unter der in gewölbter Gruft das geprüfte Königspaar, Friedrich Wilhelm der Dritte und die „unvergeßliche Louise“, ruhen. Ihren Gräbern fehlt es nie an Kränzen und frommen Blumenspenden, aber den schönsten Schmuck bieten ihre Marmorbilder von der Meisterhand des genialen Rauch.

Von der innigsten Pietät beseelt, schuf dieser nach dem Tode der Königin das Meisterwerk, das die Seele des Beschauers mit der höchsten Bewunderung erfüllt. Auf ihrem Ruhebett liegt die Fürstin gleich einer Schlummernden, die schöne Gestalt züchtig von dem faltenreichen Gewand verhüllt, das edle Haupt mit dem königlichen Diadem geschmückt, die Arme auf der Brust verschlungen, ein Bild der reinsten, vollendeten Weiblichkeit. Ein unendlicher Liebreiz, mit königlicher Würde gepaart, umschwebt die hold verklärten Züge, aus denen der Friede des Himmels und die Ruhe der Seligen spricht.

Das ist das Bild der Königin Louise, wie es der Künstler in Wahrheit geschaut, wie es ihre Zeitgenossen kannten und wie es fort und fort in dem Herzen des Volkes lebt. Sie war als Frau, Mutter und Königin die erste ihres Geschlechts, lebend eine Zierde des Throns, nach ihrem Tode der Schutzgeist des Vaterlandes, vor Allem aber das Muster und das unerreichbare Vorbild einer deutschen Frau. Denn mitten in Noth und Drangsal war sie es, die Einzige fast unter Stärkeren, die aufrecht blieb in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Wiedergeburt ihres Vaterlandes, eine so rechte, wahre Königin, daß nach ihrem frühen Tode noch, als das Volk erwachte und der gebeugte Herrscher sich entschloß, das Joch der Fremdherrschaft zu brechen, ihr Name ein Panier wurde, um das alle Treuen sich schaarten, unter ihm zu sterben oder zu siegen, mit Gott, für König und Vaterland; und wie sie von dem Tage ihrer Vermählung an, zu einer Zeit und an einem Hofe, wo leider die Sittenlosigkeit und französische Lüderlichkeit herrschte, im Vereine mit ihrem Gatten, dem Kronprinzen; das Beispiel einer echt deutschen, von wahrer Liebe und Treue beseelten Ehe gab, die nicht ohne Nachahmung und Einfluß auf ihre Umgebung und auf das ganze Land blieb: so bewährte sie auch auf dem Throne als Königin die frühere Bescheidenheit, Einfachheit und Weiblichkeit einer deutschen Hausfrau.

Wohl nahm sie an den großen politischen Begebenheiten den lebendigsten Antheil, aber niemals hat sie sich in die Regierung selbst gemischt. Nur als es sich um die Ehre und das Ansehen des preußischen Staates handelte, als Napoleon der Erste im frechen Uebermuth den König durch die schmachvollste Verletzung der von diesem bewahrten Neutralität herausforderte und durch den Bruch des Völkerrechts ihr sittliches Gefühl auf das Tiefste verletzte, verlangte auch sie die Wahrung der preußischen Ehre.

In ihrer Gegenwart, am Sarge Friedrich’s des Großen in der Garisonkirche zu Potsdam wurde von Friedrich Wilhelm dem Dritten und dem zum Besuch anwesenden Kaiser Alexander von Rußland um Mitternacht in der hell erleuchteten Totengruft das Bündniß gegen den französischen Eroberer beschworen, das für Preußen so verhängnisvoll werden sollte.

Der Krieg wurde erklärt und an einem Unglückstage die Monarchie Friedrich’s des Großen vernichtet; um aus ihrem Untergange nur nach Jahren der Prüfung um so herrlicher wieder zu erstehen. In jenen Tagen der Schmach, des Abfalls und Verraths bewahrte die Königin vor Allen ihren hohen Sinn. Auf ihrer Flucht von Berlin nach Ostpreußen, als eine Schreckensnachricht die andere jagte, sprach sie zu ihren beiden ältesten Söhnen die folgenden herrlichen Worte: „Ach, meine Söhne, Ihr seid in dem Alter, wo Euer Verstand die großen Ereignisse, welche uns jetzt heimsuchen, fassen und fühlen kann; ruft künftig, wenn Eure Mutter und Königin nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in Euer Gedächtniß zurück; weinet meinem Andenken Thränen, wie ich sie jetzt in diesem schrecklichen Augenblicke dem Umsturze meines Vaterlandes weine! Aber begnügt Euch nicht mit Thränen allein, handelt – entwickelt Eure Kräfte; vielleicht läßt Preußens Schutzgeist sich auf Euch nieder; befreit dann Euer Volk von der Schande, dem Vorwurfe und der Erniedrigung, worin es schmachtet; suchet den jetzt verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frankreich zurückzuerobern, wie Euer Urgroßvater, der große Kurfürst, einst bei Fehrbellin die Niederlage und Schmach seines Vaters an den Schweden rächte. Lasset Euch, meine Prinzen, nicht von der Entartung dieses Zeitalters hinreißen; werdet Männer und geizet nach dem Ruhme großer Feldherren und Helden. Wenn Euch dieser Ehrgeiz fehlte, so würdet Ihr des Namens von Prinzen und Enkeln des großen Friedrich unwürdig sein. Könnt Ihr aber mit aller Anstrengung den niedergebeugten Staat nicht wieder aufrichten, so sucht den Tod, wie ihn Louis Ferdinand gesucht hat.“

Mitten in der allgemeinen Auflösung und Zerrüttung gehörte die Königin zu den Wenigen, welche in dem furchtbaren Unglück die Hand Gottes, die wahren Ursachen dieses unerwarteten Schlages erkannten und zugleich an die nöthige Umschaffung und Regeneration des preußischen Staates dachten. Je tiefer sie die Wucht des eisernen Verhängnisses empfand, desto höher richtete sich ihr Geist auf. Sie hob, selbst des Trostes bedürftig, den gesunkenen Muth des Königs und arbeitete im Verein mit einem Stein, Schön und anderen edlen Männern an der Wiedergeburt und Erhebung des gefallenen Vaterlandes.

In einem aus jener Zeit erhaltenen Briefe giebt die Königin eine Schilderung ihres Familienlebens, das ihr im größten Unglück den schönsten Trost gewährte. „Der König,“ schreibt sie, „der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller denn je. Oft glaube ich in ihm den Liebhaber, den Bräutigam zu sehen. Unsere Kinder,“ fährt sie fort, „sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Hoffnung und Zufriedenheit auf ihnen. Der Kronprinz (Friedrich Wilhelm der Vierte) ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Empfindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealen Sinn an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit [579] und seine komischen, überraschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb, und spreche oft mit ihm davon, wie er sein wird, wenn er einmal König ist. Unser Sohn Wilhelm (der regierende König von Preußen) wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Aeußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt.“

Welche schwere Duldungen der Königin noch harrten, ist bekannt; nach dem Frieden von Tilsit, welcher mit fast unerschwinglichen Opfern erkauft wurde, lebte sie in den beschränktesten Verhältnissen, nur mit dem Gedanken an das Vaterland und ihre Familie beschäftigt. Ihr Geist richtete sich immer mehr zum Himmel, sie hoffte Nichts mehr von der Gegenwart, Alles von der Zukunft. Die vielen Leiden hatten ihre Gesundheit erschüttert. Die Blüthen auf ihrem holden Angesicht waren verbleicht und man sah es ihren eingesunkenen Augen an, daß sie viel geweint.

Eine letzte Freude ward ihr noch: nach langer Abwesenheit kehrte sie an der Seite ihres königlichen Gemahls in das von den Franzosen geräumte Berlin unter dem Jubel des treuen Volkes zurück. Aber schon auch neigte sich ihr Leben zu seinem Ende. Auf einem Besuche in Strelitz erkrankte sie, ohne daß ihr gebrochener Körper im Stande gewesen wäre, diese neue Prüfung zu ertragen. Fern ihrem Volke, aber im Arme des Königs, der aus Berlin herbeigeeilt war, und umgeben von ihren Söhnen, hauchte sie ihre edle, große Seele aus.

Das ganze Volk trauerte um den Verlust der Königin, am meisten der unglückliche König und die königliche Familie. Ihr Andenken aber lebte in dem Herzen Aller und umschwebte die tapferen Krieger in dem bald darauf folgenden Befreiungskampfe. In Wort und Lied der besten Dichter wurde Louise gefeiert als der Genius und Schutzgeist ihres Landes, auf ihren Sarg legte Friedrich Wilhelm den Siegerkranz nieder, den er sich mit seinem ruhmreichen Heere auf dem Leipziger Schlachtfelde erkämpft hatte, und gewiß blickte der selige Geist Louisens auch in jener schweren und bedeutungsvollen Stunde der jüngsten Tage, da ihr Sohn um Segen flehend sich ihrem Grabe genaht hatte, auf diesen und auf das deutsche Volk herab, wieder stärkte sie ihn und all’ die Seinigen im schweren Kampfe gegen den alten Feind, und wieder sprach ihre Geisterstimme wie schon früher, da sie ihre Umgebung um Ausdauer in der schweren Zeit der Noth beschworen: „Es kann nur gut werden auf der Welt durch die Guten.“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: C. Schaal