Am Grabe Heinrich Laube’s

Textdaten
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Autor: Ferdinand Groß
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Titel: Am Grabe Heinrich Laube’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 561–563
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Am Grabe Heinrich Laube’s.

Am 3. August haben wir Wiener den Mann begraben, der achtzehn Jahre hindurch – vom December 1849 bis zum September 1867 – das Burgtheater leitete und ihm den Ruf der ersten deutschen Bühne verschaffte – ein Ruf, der, offen gestanden, seither nicht ohne allen Grund hier und da bemäkelt wurde. Fünfunddreißig Jahre hat Laube unter uns gelebt; er war einer der Unserigen geworden, er fühlte sich als ein Adoptiv-Wiener, noch ehe die österreichische Residenzstadt ihm – bei Gelegenheit seines siebenzigsten Geburtstages das Bürgerrecht verlieh. Als er hier die Leitung des Burgtheaters übernahm, erschien er als ein neues, ungewohntes Element: er war nicht von Adel, er war kein Katholik, er hatte weder äußerlich noch innerlich das Zeug zum Hofschranzen, und doch vertraute man ihm die Direction der vornehmsten Wiener Kunststätte an, und er durfte ziemlich frei schalten und walten, ja er drang bei den Oberbehörden mit Vorschlägen und Anträgen durch, welche schier unvereinbar aussahen mit dem österreichischen Polizeistaate der Reactionszeit.

Was Laube als Director des Burgtheaters vollbracht hat, sowie seine Position im deutschen Schriftthume überhaupt, muß einer späteren pragmatischen Würdigung überlassen bleiben; er war als Politiker, als Schriftsteller und als Bühnenleiter eine so markant ausgeprägte Persönlichkeit, er schöpfte und schuf immer so ganz aus seiner Zeit heraus, er hielt immer so beharrlich Schritt mit der Epoche, in der er lebte, daß eine zusammenhängende Darstellung seines Wirkens sich, wenn sie ihre Aufgabe richtig löst, zu einem culturgeschichtlichen Ueberblicke gestalten muß. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, eben von dem offenen Grabe Heinrich Laube’s kommt, der ist vor der Zumuthung sicher, ein abschließendes Wort sagen zu sollen über die Thätigkeit einer der eigenartigsten Erscheinungen unserer nationalen Literatur. Es kann sich heute nur darum handeln, dem Entschlafenen einen Gruß nachzurufen, keinen letzten Gruß, denn Deutschland darf erwarten, daß eine zureichende Feder sich bereit finden wird, Laube ein Denkmal in Form einer eingehenden Monographie zu setzen.

Heinrich Laube.
† am 1. August 1884.

Aber wie gesagt, wir Wiener betrauern in Laube unseren engeren Landsmann; mag er in Sprottau geboren worden sein, in Wien hat er sich als dramaturgischer Marschall bewährt, wir beanspruchen ihn für uns, obwohl ein Drittel seiner Persönlichkeit uns nur durch Ueberlieferung bekannt geworden: der Politiker.[1] Als solcher hatte er vor seiner Uebersiedelung nach Wien abgeschlossen. Er betheiligte sich von da an nicht mehr direct am öffentlichen Leben, aber in seinem Salon fiel so manches kräftige Wörtlein über Regierungskünstler und ihre Sünden, und namentlich in den letzten Jahren durfte Laube’s Haus als eine der Schutz- und Truzvesten des arg bedrohten Deutschthums gelten. Bei den letzten Gemeinderathswahlen machte Laube, was er früher nicht gethan, von seinem Stimmrechte Gebrauch, er wußte, daß in Zeitläuften, wie den jetzigen, jeder einzelne Wähler von Wichtigkeit sei, und er wollte seinen Mann stellen in dem Kampfe um den deutschen und freiheitlichen Charakter der Communalvertretung.

Wenn es wahr ist, daß Rafael ein malerisches Genie gewesen wäre, auch wenn er keine Hände besessen hätte, so darf man auch sagen: Laube hätte großen Einfluß geübt, auch wenn er keinem bestimmten Berufe angehört haben würde. Seine Bedeutung lag vielleicht mehr in dem, was er bei Anderen bewirkte und zur Reife brachte, als in dem, was er selber producirte. Er hatte der Politik entsagt und übte durch seine bloße Conversation größeren politischen Einfluß, als so mancher active Abgeordnete. Er war kein Theaterdirector mehr und galt doch als oberste Instanz in allen dramaturgischen Dingen. Schauspieler fragten ihn, ob sie Talent haben. Dichter brachten ihm ihre Stücke zur Begutachtung, und er prüfte Alles und Jedes mit eisernem Fleiße. In seiner hochgelegenen Arbeitsstube im vierten Stockwerke, von wo er auf das rege Treiben der Ringstraße hinabsah, ließ er Probe spielen und las er Manuscripte, die ihm „eingereicht“ wurden, als hätte er ein Haus und ein Personal, um sie aufzuführen. Er war Director in partibus infidelium, er leitete eine unsichtbare Bühne – das „Laube-Theater“, das erst an dem Tage geschlossen wurde, da sein Herz aufhörte zu schlagen.

Seit siebenzehn Jahren war er nicht mehr Director des Burgtheaters, er machte die Leipziger Episode durch, stand zwei Mal an der Spitze des von ihm gegründeten Wiener Stadttheaters, aber insgeheim meinten die Wiener doch, eines Tages müsse er wiederum einziehen in das kaiserliche Schauspielhaus am Michaelerplatz. Nach ihm kamen Wolf, Dingelstedt, Wilbrandt, aber hinter ihnen ragte immer der Schatten Heinrich Laube’s empor, und sie Alle, die ihm gefolgt, erschienen uns doch nur wie Platzhalter für ihn, der eines Tages wiederkommen müsse. Daß er altere, daß seine Thatkraft erlahmen könne, das wollte uns nicht in den Sinn.

Er lebte uns allzeit so, wie er in der Vorrede zu dem zweiten Bande seiner „Reisenovellen“ sich charakterisirt hatte: „Wenn es das Publicum interessirte, so würde ich eingestehen, daß ich eigentlich nie habe schreiben wollen, daß mir das Handeln viel interessanter ist, und daß ich nur schreibe, wenn ich nichts zu thun habe.“ Er mochte es nicht Wort haben, daß es ihm genüge, Schauspieler zu dirigiren, Bücher und Dramen zu schreiben. Als ein Mann der persönlichen That wollte er gelten. Jene Vorrede zu den „Reisenovellen“ hatte er vor mehr als vierzig Jahren erscheinen lassen; in der neuesten Zeitwieder betonte er öffentlich – aber es klang das wie eine leise Selbstironie aus dem Munde des Dramaturgen, der ohne Bühne nicht leben konnte –, daß er in die Thätigkeit eines Theaterdirectors ohne seinen vorgefaßten Willen hineingedrängt worden. In einer längeren Auseinandersetzung erzählt er, wie seine Stadttheaterdirection erster Periode geendet: „Da ergriff meine Behörde (er meint den „Directionsrath“, dem Freiherr von Scheh präsidirte) der herrschende Kleinmuth: sie verlangte ein wohlfeiles Theater. Das ist nicht meine Sache. Ich habe die Theaterdirection nicht gesucht und bin ihr nur treu geblieben, so lange als ich etwas der Rede Werthes [562] schaffen konnte. Mittelmäßiges mühsam zu ermöglichen, das schreckt mich ab und bringt mich zu der Stimmung, welche mich beim Eintritt in diese Laufbahn beherrschte, bringt mich zu der Frage: Wozu? Dies Wozu war jetzt nur kläglich zu beantworten, und deshalb trat ich zurück. Daß ich das Stadttheater nach Verlauf eines Jahres doch wieder übernahm, spricht nicht dagegen. Ich übernahm es jetzt nur als Hülfsarbeiter, als Helfer in der Noth, und wie man trocken sagt: aus verdammter Schuldigkeit, weil es für mich errichtet worden sei.“ ... Ich citire gern dieses Stück Laube’scher Prosa, weil ein stets arbeitssamer und dabei so scharfverständiger Mensch wie Laube am besten sich selbst erklärt.

Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß die beiden bedeutendsten Dramaturgen, die in Wien gewirkt: Franz Dingelstedt und Heinrich Laube, vorgaben, ihren Beruf nicht als hinreichend zu erachten für ihre Ansprüche. Ihre Gründe waren verschieden. Laube fand, daß er viel mehr arbeiten könnte, als ein Theaterdirector muß. Dingelstedt wäre gern über den Hofrath und den Baron emporgestiegen, und als Theaterdirector konnte er über diese Rangstufen nicht hinauskommen.

Wie Laube auch gedacht haben mag über seinen dramaturgischen Beruf, Wien betrachtete ihn vorzugsweise als Leiter des Burgtheaters. Von seinem Schriftstellerthume war den Wienern nur die dramatische Seite bekannt. Von seinen erzählenden Werken wußte man hier wenig, und als die „Presse“ seinen Roman: „Der deutsche Krieg“ veröffentlichte, war der Erfolg ein geringer. In der „Neuen Freien Presse“ ließ er später seine heftigen Artikel über und gegen das Burgtheater, sowie seine „Erinnerungen“ erscheinen. Jene interessirten durch ihren polemischen Ton, diese durch die Fülle des in ihnen angehäuften thatsächlichen Materials. Je älter er wurde, desto mehr drängte es ihn, sich zu beschäftigen. Eine Novelle folgte der anderen; er redigirte eine Gesammtausgabe seiner Werke, einen illustrirten „Lessing“, in den letzten Lebenstagen den Beginn zu einem illustrirten „Heine“; er ließ im Burgtheater ein Stück aufführen, das entschieden mißfiel, aber wann hätte ihn eine Niederlage entmuthigt! Er schien ewige Jugend und eine unerschöpfliche Energie zu besitzen. Jeder Mißerfolg spornte ihn nur zu neuem Ringen und Kämpfen an.

Heinrich Laube auf dem Todtenbette.
Originalzeichnung von W. Gause.

Er ist gestorben; ermüdet ist er nie ... Vor fünf Jahren noch lag ihm der Gedanke nicht fern, ein Berliner Theater zu übernehmen. Auch das Frankfurter Stadttheater stand für ihn in Frage.

Keines dieser Projecte verwirklichte sich, und Laube verblieb weiter in Wien. Hier war er populär wie Wenige. Ganz Wien kannte den gedrungenen, knochenfesten Mann in dem altmodischen, hinten mit einer Spange versehenen Rock, wie er, mächtigen Schrittes ausgreifend, die Hauptallee des Praters täglich um dieselbe Stunde durchmaß, gefolgt von seinen Jagdhunden, begleitet von einem befreundeten Künstler oder Schriftsteller. Ein ebenso regelmäßiger Prater-Spaziergänger war Erzherzog Franz Karl, der im Jahre 1878 verstorbene Vater Kaiser Franz Joseph’s, ein eifriger Theaterfreund. Der Erzherzog gesellte sich gar oft zu dem Director, und dann unterhielten die Beiden sich über das Burgtheater, und der Erzherzog war untröstlich, als er nicht vermochte, durch seinen Einfluß die Intriguen zu durchkreuzen, welche im Jahre 1867 Laube verdrängten.

Während Laube in Leipzig lebte, entbehrte das Wiener Localbild eine liebgewordene Figur. Aber sie kam wieder, Laube machte wieder seine täglichen Promenaden – nur die leise Aenderung trat nach und nach ein, daß er den Prater zu Wagen besuchte und in dem geräumigen Gefährte sein Nachmittagsschläfchen hielt nicht mehr der stramme, aufrechte Fußgänger von ehedem ...

Als ich ihn das letzte Mal besuchte – es war im Winter von 1883 auf 1884 – war er emsig damit beschäftigt, die Grillparzer-Biographie zu schreiben, seine starke, markige Schrift (immer Antiqua) bedeckte einen stattlichen Stoß von Quartblättern. Das Buch ist seitdem erschienen und hat Laube viele Anfeindungen eingetragen. Er hätte, sagen die Leute, aus Grillparzer’s Aufzeichnungen manche Bemerkung über das Verhältniß zu Katharina Fröhlich, seiner „ewigen Braut“, weglassen sollen. Die Angriffe, die es gegen ihn regnete, brachten ihn so wenig aus der Fassung, daß er sich sofort an einen Roman: „Ruben“ machte, welcher die „Judenfrage“ behandelt.

Laube ist in hohem Alter gestorben. Bis an die Grenze des menschlichen Lebens gelangte er; er hat sein Dasein ausgenützt und ausgekostet, hat gearbeitet und genossen; Ehre, Ruhm und Wohlstand, Familienglück wurden ihm zu theil; sein Hingang hat also keinen tragischen Zug, und doch klang es den Wienern wie ein schreckliches Märchen, als die Kunde durch die Stadt eilte: „Heinrich Laube ist gestorben“ – schrecklich, weil Laube uns als ein Sinnbild kraftstrozender Männlichkeit galt, als eine Eiche, die manchem heftigen Sturme Widerstand leisten könne. Er gehörte zu den Auserlesenen, die Einen vergessen machen, daß allen Sterblichen das gleiche Loos zugetheilt ist, und deren Scheiden uns darum wie ein Elementarereigniß ergreift.

Es muthete uns wie ein koketter Scherz an, wie Laube im September 1874, als er von der Direction des Stadttheaters zurücktrat, sich in einer Abschiedsrede einen „alten Knaben“ nannte, der „vielleicht“ wieder einmal vor das Publicum hintreten dürfe. Ein Jahr später führte der „alte Knabe“ zum zweiten Male die Direction des Stadttheaters, und die Zeit verging und Niemand wollte glauben, daß auch an ihm die Jahre ihre Wirkung üben könnten, er selbst glaubte es am wenigsten ... Er bäumte sich gegen das Greisenthum. Edle Geselligkeit war eines seiner Mittel, sich die Frische der geistigen Regungen zu erhalten.

So lange seine Gattin Iduna lebte, bildete sie den Mittelpunkt eines gewählten Kreises, durch welchen Laube in Verbindung blieb mit allen Aeußerungen der modernen Bewegung. Nach dem Tode der Gattin stand er allein – sein Sohn Hans war schon im Jahre 1863 gestorben – aber nach wie vor versammelte [563] er gerne Männer und Frauen aus den verschiedensten Lebensschichten um sich. Umgang mit Menschen, die Jagd und eifrige literarische Arbeit füllten nun seine Zeit aus, sollten ihn das Alleinsein vergessen machen. Er trug sich mit Plänen auf Jahre hinaus, aber in der letzten Zeit wollten die intellectuellen Kräfte nicht mehr gehorchen, und verzweifelt wies er oft auf seine Stirn und sagte: „Es ist nichts mehr drinnen, ich bin zu nichts mehr gut.“

Willig unterzog er sich der ärztlichen Behandlung. Er liebte das Leben und wollte nicht von ihm lassen. In Karlsbad, wohin er in diesem Sommer zum achtundvierzigsten Male gekommen, suchte er Heilung. Er fand sie nicht, mußte dort die Cur unterbrechen, wollte dann in die berühmte Wasserheilanstalt von Professor Winternitz in Kaltenleutgeben gehen, aber sein schweres und schmerzhaftes Unterleibsleiden machte alle Projecte zu nichte.

Am 1. August um sechs Uhr Morgens hauchte er seinen Geist aus. Seine Pflegetochter, Fräulein Cornelia Haas, befand sich an seinem Sterbebette. „Wegnehmen,“ lautete sein letztes Wort …

Sein Begräbniß war ein Anlaß zu arger Enttäuschung. Das Burgtheater ließ sich nicht vertreten. Director Adolf Wilbrandt fehlte, die Regisseure fehlten, die Schauspieler und Schauspielerinnen fehlten, welche er „entdeckt“, ausgebildet, sozusagen „gemacht“ hatte. Tiefe Entrüstung machte sich geltend gegen all diese Herren und Damen, die sich um Laube’s Leichenbegängniß willen nicht aus ihren Sommerfrischen aufstören ließen. Der Dichter Josef Weilen, der als Präsident des Journalisten- und Schriftstellervereins „Concordia“ das Wort führte, gab der Stimmung aller Anwesenden Ausdruck, indem er sagte: „Was Du als Director des Burgtheaters geleistet, Berufenere sollten es an dieser Stelle aussprechen …“ Heinrich Laube war ein streitbarer Mann; es dünkt uns wie ein selbstverständlicher Abschluß seiner Laufbahn, daß über sein offenes Grab ein polemisches Lüftchen dahinweht.
Ferd. Groß.
  1. Vergl. „Gartenlaube“ 1868, S. 516.