Textdaten
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Autor: Amand von Schweiger-Lerchenfeld
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Titel: Am „Eisernen Thor“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 7–11
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Am „Eisernen Thor“.
Von A. v. Schweiger-Lerchenfeld.0 Mit Zeichnungen von V. Schramm.

Serbisches Brautpaar.
Der Felsen „Babakaj“.

Die „schöne blaue“ Donau ist – wenn man von der eigentlich schon zu Asien gehörigen Wolga absieht – der größte Fluß Europas. Gleichwohl schrumpft sie gegenüber anderen Riesenströmen der Erde zu einem Bache zusammen. In das Stromgebiet des Amazonas verlegt, würde sie zu einem kaum beachteten Nebenflusse herabsinken. Die physisch wahrnehmbare Größe giebt aber bei Strömen so wenig den Ausschlag wie bei Menschen. Der gewaltige Amazonas, der Mississippi, der ungeschlachte Kongo: sie alle haben keine Geschichte. Nur im Vergleich mit dem Nil tritt die Donau in den Schatten zurück. Aber ein Band verknüpft beide, den Riesen und den Zwerg, miteinander – der sagenhafte Zug des Sesostris, der über Kleinasien bis zur Donau gegangen sein soll. Das ist freilich eine Fabel, die uns Herodot aufgetischt hat; aber sie ist immerhin bezeichnend für den alten Ruhm des größten europäischen Stromes, der in Ueberlieferungen eine Rolle spielt, welche noch über die Argonautenmythe hinaufreichen.

Außer den Helden der Sage haben indes auch die größten geschichtlichen Eroberer an der Donau gestanden und an ihren Ufern Lorbeeren gepflückt: der Perserkönig Darius, der makedonische Alexander, Trajan, Attila, Karl der Große, Dschingis-Khan, Suleiman, Napoleon. Das „Nibelungenlied“ verknüpft die beiden sagenreichsten Ströme Europas – Donau und Rhein – miteinander. Wenn gleichwohl der letztere so viel im Liede verherrlicht worden ist, während sein Rivale leer ausging, so liegt die Schuld auf Seite der alten Sänger und der modernen Wander-Rhapsoden, welche die Idylle der gewaltigen Majestät vorzogen, die örtlich beschränkten Märchen anziehender fanden als die wilden Völkersagen des Ostens. Diese Schuld ist noch immer nicht abgetragen, denn noch harrt die Donau ihres Biographen, welcher Sage und Geschichte zu einem fesselnden Gesammtgemälde vereinigt und das altersgraue Haupt des Vater Danubius mit dem Lorbeer schmückt.

Eine Donaureise vom Ursprung des Stromes bis zu dessen Mündung ist eine Fahrt durch halb Europa. Sie bringt den Wanderer aus den romantischen Thälern des Schwarzwaldes bis vor die Thore von Konstantinopel. Von der Gesammtlänge des Stromes mit 2860 Kilometern entfallen 954 Kilometer auf die deutsche und österreichische Strecke, 940 auf die ungarische, 966 auf die rumänisch-bulgarische. Nimmt man die durchschnittliche Geschwindigkeit des Wasserlaufes mit 1 Meter in der Sekunde an, was der Wahrheit ziemlich nahe kommt, so benöthigt ein Wassertheilchen, das im Strome treibt, 33 Tage, um die ganze Strecke von Donau-Eschingen bis Sulina zurückzulegen.

Wenn Geschehnisse, welche in außergewöhnlichem Maße die Einbildungskraft beschäftigen, geeignet sind, einem Landschaftsbild zur besonderen Folie zu dienen, darf unser Strom in diesem Sinne als besonders bevorzugt gelten. Es wird hier nicht etwa auf das Thun der Menschen angespielt, das ganz und gar zurücktritt vor dem Walten stärkerer Gewalten. Weder Sesostris und seine Schlachtwagen, noch der blondlockige Jason, der das Schilfmeer im Delta des Istros rauschen gehört, beschäftigen unsere Gedanken. Das sind Gestalten von gestern gegenüber den Erscheinungen, welche mit der Entstehungsgeschichte unseres Stromes zusammenhängen.

Die Brigrada-Bank.

Wir greifen um ungezählte Jahrtausende zurück und schauen über die blaue Spiegelfläche eines Meeres. Dieses Meer ist das große Oceanische Wasserbecken, das von Osten her bis zu den Alpen gereicht und das ganze ungarische Tiefland bedeckt hat. Die Kleinen Karpathen und der Bakonyer-Wald sind Inseln in diesem weitläufigen Binnenmeere, in die Alpen hinein erstrecken sich lange, schlangenartig gewundene Fjorde. An die Sandsteinwände und Klippen aus Nummulitenkalk schlägt die salzige Fluth. Das Rauschen der Brandung dringt zu immergrünen Uferwäldern herauf; durch Lauben von Myrthen und Palmen, Feigen- und Seifenbäumen glänzt der Meeresschaum, der um Korallenriffe wirbelt. In den Schilfdickichten wimmelt es von tapirartigen Paläotherien, die Feigenwälder sind von Affen belebt, in den Wassern tummeln sich allerlei wunderliche Thiere.

Das war die „Morgenröthe“ eines neuen Schöpfungstages – das „Eocän“, die erste Periode der Tertiärzeit. Wie lange an den Ufern jenes Meeres die Bambusen rauschten, die Mimosen über Nymphäen und Viktorien ihre Schatten breiteten, die zahlreichen Flederthiere in den Felsschluchten hausten, ist nicht festzustellen. Angenommen wird, daß mit der nächsten Erdperiode – der Neogenzeit – das tropische Klima in ein gemäßigteres überging. Die Umwälzung war nicht ohne gewaltige Erschütterungen vor sich gegangen. Die jungtertiäre Umwälzung hatte auch die [8] Wasserfläche aus ihrem Zusammenhang gebracht. Aus dem „pannonischen“ Meeresgolfe wurde ein brackischer, d. h. schwach salziger Binnensee, alsdann – gegen Ende der Neogenperiode – ein Süßwasserbecken, das vom Kahlenberg bei Wien bis in die Gegend von Basiasch unterhalb Belgrad reichte. Zuletzt wichen hier die Felsen auseinander, der Binnensee floß ab, und auf dem ungeheueren Schlammgrunde, den heute das ungarische Tiefland einnimmt, blieb ein Netzwerk von Flußläufen zurück, mit der Donau als Hauptstrom.

Die Széchényi-Straße.

Der Schlund aber, durch welchen sich die Wasser Bahn gebrochen haben, sind jene romantischen Engen in der südwestlichen Ecke Ungarns, welche gemeinhin „das Eiserne Thor“ genannt werden. Die Sache verhält sich aber genauer so: das eigentliche Eiserne Thor ist eine ungeheuere Felsbank, ein Klippengewirre, das bereits außerhalb jener Engen liegt, mit sehr unansehnlichen Ufern und von einer Gestaltung, welche lebhaft an die sogenannten „Nilkatarakte“ erinnert. Es ist ein mächtiges Schäumen der Wasser zwischen Riffen und Blöcken in einsamer Gegend. Zwischen dieser Kataraktenstelle im Osten – der „Prigrada-Bank“ – und dem westlichen Eingange in die Donau-Enge entrollt sich ein Strombild von urwüchsiger Schönheit, umrankt von den Arabesken der Sage und von der Erinnerung an die Thaten großer Männer, die mit eisernem Schritte durch die Welt gegangen sind. Hier, wo die Steinadler über der grünen Schlange des Stromes kreisen und in der Abendbeleuchtung die hohen Felsen wie Natriumfackeln aufleuchten, ruderten einst Jason und seine Begleiter dem Unbekannten entgegen. Die Phantasie, welche das Spiel der Gegensätze liebt, sieht neben der schwarzhaarigen Medea das braune Zigeunermädchen stehen, das vor einem geflickten Zelte lagert, die Hand über die Augen legt und in das gleißende Licht hinaufschaut. Durch die Schluchten wimmert der Ostwind und giebt den symphonischen Grundton zu dem eindrucksvollen Bilde.

Gleich am Eingang zu den Engen steht ein hoher Fels mitten im Wasser – der „Babakaj“. Wenn ihn der Oststurm umwirbelt, klingt es in seinen Fugen wie dort am heiligen Nil um die Säule des Memnon. Die Einbildungskraft des Volkes hat hierzu eine Ballade geschaffen. Ein eifersüchtiger Türke soll seine Gattin an den Felsen geschmiedet und sie dem Hungertod preisgegeben haben. Von ihren Jammerrufen hallten die nahen Felsen wieder; daher „Babakaj“, was so viel heißt wie das „schreiende Weib“. In nächster Nähe erhebt sich die malerische Ruine „Golubac“, einst von Fehde umklirrt, jetzt ein runzeliges Gemäuer, an dessen felsigen Fuß die Wellen anschlagen. Hier erschienen einst am Ende des 14. Jahrhunderts die ersten Türken, welche von der Uferhöhe in das jenseitige Land, das ihre Nachkommen erobern sollten, hineinschauten. Es waren die Janitscharen Bajesids I. Sie setzten den Halbmond auf die Stromburg, in welcher später Brankowitsch mit seinen Kumpanen zechte und die Spielleute Romanzen aus dem serbischen Heroenzeitalter zum besten gaben.

Serbischer Sänger. 0 Sprengarbeiten am Felsenriff „Greben“

Weniger romantisch ist die „Golubacer-Fliege“; diese Mücke überwintert in ungeheuren Schwärmen in der nahen Golubacer-Höhle, die am österreichischen Ufer, hart an der Straße, sich öffnet, und überfällt mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit das Weidevieh. In Bezug auf die Verheerungen, welche diese kleine Bestie anrichtet, ist sie ein würdiger Geschlechtsgenosse der afrikanischen Tsetsefliege. Alle Versuche, sie unschädlich zu machen sind bisher gescheitert. Dem Menschen ist sie ungefährlich, dem Vieh aber bringt ihr Stich sicheren Tod.

Bald hinter diesen Oertlichkeiten beginnt sich das Strombett einzuengen. Die sogenannte „Kataraktenstrecke“ nimmt ihren Anfang. Es sind Felsriffe und Bänke, welche das Strombett durchsetzen und der Schiffahrt schwere Hindernisse bereiten. Das erste dieser Riffe führt den Namen „Stenka“. Weitaus die meisten drängen sich aber auf der kurzen Strecke von Drenkowa bis über Milanowac hinaus zusammen. Da ist zunächst die „Kozla“, alsdann die Bank „Dojke“, die Klippen, welche die Bezeichnung „die Büffel“ führen, die Felsrippen „Islaz“, „Tachtalia“ und „Greben“ und die Stromschnelle von „Jucz“.

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Im Kazan-Paß. 0 Felsenstampfer.

Weiterhin ist der Strom wieder frei von Hindernissen und im ferneren Verlaufe nimmt er eine Gestaltung an, die ein völlig verändertes Bild abgiebt. Dieser Abschnitt des Stromes ist der „Kazan“ (Kessel). Ungeheure Felswände engen das Donaubett hier ein und geben ihm die riesige Tiefe von 74 Metern, wohl die größte Stromtiefe, die in Europa gemessen wurde. Würde die Donau stromauf und stromab trocken liegen, im Kazan bliebe ein See zurück, der noch immer eine durchschnittliche Tiefe von 40 Metern besäße. In diesem großartigen Engpaß sind bemerkenswerth die prachtvolle Széchényi-Straße mit ihren Galerien und Ausmauerungen; die „Veteranihöhle“, welche als Vertheidigungsstütze der Oesterreicher in den Türkenkriegen zweimal eine Rolle gespielt hat; die Spuren des „Trajansweges“ auf dem serbischen Ufer mit der noch erhaltenen „Trajanstafel“.

Um das Jahr 100 n. Chr. hauste in dem mauerumgürteten Sarmizigethusa (im siebenbürgischen Streblthal unweit des heutigen Hatszeg) der thatkräftige Dakerkönig Dekebalus. Mehr als einmal hatten die Römer in Mösien die kriegslustigen Nachbarn unangenehm zu fühlen bekommen und vergeblich waren ihre Versuche, sie auf die Dauer zu bändigen. Da gelangte Trajan zur Herrschaft und alsbald führte er seine Legionen in jene unwirthlichen Engen, um in das transsylvanische Hochland einzubrechen. Den thurmhohen, zum Theil überhängenden Felsen wurde der Raum für eine Heerstraße abgerungen. Wer die herrliche Széchényi-Straße hinabfährt, sieht die Spuren dieses Weges am jenseitigen (rechten) Donauufer. Dermalen ist er ein in den Felsen gehauener Steig, doch war seine Bahn einst viel breiter, denn man gewahrt oberhalb der Hochwasserlinie zwei Reihen von Löchern im Gestein, von denen die größeren zur Aufnahme der Tragbalken, die kleineren zur Befestigung der Stützbalken dienten, so daß die Straßenkrone zur Hälfte über dem Strome schwebte.

Fünfzehn deutsche Meilen war dieser Weg lang, und an ihm lagen überall dort, wo das Ufer sich weitete und eine Verbindung mit dem Hinterland gegeben war, befestigte Militärposten. Nach Fertigstellung des Weges rückte Trajan in zwei Kolonnen bis Sarmizigethusa vor, wo Dekebalus aufs Haupt geschlagen wurde. Damit schien die Sache abgethan. Der gedemüthigte Dakerkönig aber wurde rückfällig, und Trajan sah sich zu einem zweiten Feldzuge gezwungen. Diesmal ließ Trajan von dem berühmten Baumeister Apollodorus von Damaskus gleich unterhalb des „Eisernen Thores“ eine Pfeilerbrücke mit hölzernen Spannungen herstellen, ein Werk, zu dessen Nachahmung sich bisher nicht einmal die moderne Technik aufschwingen konnte. Die meisten Pfeiler sind noch in schier unverwüstlichen Resten vorhanden und ragen bei außergewöhnlich niedrigem Wasserstand über die Wasserlinie hervor.

Das Ergebniß dieses zweiten Dakerkrieges war die endgültige Vernichtung der Herrschaft des Dekebalus. Dieser hatte sich schon vor der Katastrophe in sein Schwert gestürzt.

Bohrfloss
Grosser Bagger„Vaskapu“ 0 Französisches Bohr- und Sprengschiff

An die Triumphe römischer Straßenbaukunst erinnert die schon erwähnte Tafel. Früher benutzten Hirten vielfach die Felsennische zur Unterkunft, und die von ihnen angezündeten Lagerfeuer schwärzten mit [10] ihrem Rauche das Denkmal. Jetzt ist der Zugang durch Mauervorbauten abgewehrt. Auf der Tafel selbst sind bloß die Titel des Kaisers deutlich erhalten. Der verstümmelte Schluß läßt nur errathen, daß der Kaiser sagen will, er habe sich mit diesem Bau durch eine schwierige Bergwelt Bahn gebrochen.

Zigeunerlager. 
 Die Trajanstafel.

Bevor die Schienenverbindung mit Orsowa, der Örtlichkeit jenseit der Strom-Engen, hergestellt war, haben Orientreisende nur zu oft die Annehmlichkeiten der Kataraktenstraße durchgekostet. Bei Niederwasser war an den Verkehr der großen Dampfer nicht zu denken. Landesübliche Fuhrwerke und kleine Dampfschiffe sorgten für die Weiterbeförderung der Passagiere. Erst in der rumänischen Station Turn-Severin konnten wieder die prachtvollen großen Eildampfer bestiegen werden. Nach jahrzehntelangen Bemühungen ist endlich das internationale Abkommen, welches die Beseitigung der Schiffahrtshindernisse zum Ziele hat, zustande gekommen. Seit einiger Zeit arbeiten da und dort, an der großen Prigrada-Bank am „Eisernen Thore“ sowohl als an den Bänken und Riffen zwischen Drenkowa und Milanowac, Felsenstampfer und Bohrflöße, Sprengschiffe und Baggermaschinen, es donnern die Minen, die Wasser stürmen gegen die ihnen unwillkommenen Dämme, dumpf rollen die Steinschüttungen in den unersättlichen Abgrund.

Gewiß ist, daß die Schienennetze welche auf der einen Seite die Balkanhalbinsel, auf der andern Seite Ungarn und Rumänien durchziehen, auch in Zukunft dem Reisen auf dem großen Strome gewaltigen Abbruch thun werden. Ebenso gewiß aber werden sich immer Naturfreunde finden, auf welche die großartigen Stromlandschaften der Donau ihren vollen Reiz ausüben. Grau und mächtig wie die Felsen, die über den Wassern ragen, wirken die verblaßten Geschehnisse aus vergessenen Zeiten auf die Einbildungskraft ein. Hier die leuchtenden Schleier über den finsteren Forsten und vergoldeten Schrofen – ein Tummelplatz der Luftelfen – dort als Staffage ein schmuckes Serbenmädchen in Tressen und flimmerndem Tand; oder ein blinder Sänger, um den sich ein andächtig den alten Heldenliedern horchendes Häuflein drängt; oder die wilde Jagd berittener Marktleute – malerisch in Erscheinung, Farben und Gehaben, eine Mahnung an den nahen Orient. Da ist auch das Inselchen „Ada-Kaleh“, dicht bei Orsowa, ein Stück Morgenland an der großen Strompforte, mit finsteren Winkeln und Kasematten. In der Sonne glänzt der türkische Friedhof, und die wandernden Wasser eilen vorüber – ein Sinnbild des Bleibenden im Wandel der Dinge.

Wie alt die kulturgeschichtliche Bedeutung der Donau ist, das wird durch nichts nachdrücklicher bewiesen als durch jenen sagenhaften Zug der Argonauten den „Istros“ aufwärts bis zu seinen „schattenverhüllten“ Quellen. Selbstverständlich darf man dabei nicht an die Quellen im Schwarzwald denken. Man muß zur Erklärung die Save zu Hilfe nehmen, die bei jener scharfen Biegung der Donau in der Nähe von Belgrad einmündet und in den Anfängen einer geographischen Kenntniß dieser Lande recht wohl für den Hauptstrom gehalten werden konnte.

Ruine Golubac.

Da nun der Argonautensage unbestreitbar ein uralter Handelszug zu Grunde liegt, darf von der Donau behauptet werden, daß, der Nil ausgenommen, kein anderer Strom der Erde in Bezug auf die Betriebsamkeit der Menschen soweit in den Ueberlieferungen zurückreicht. Kein Wunder also, daß dieser herrliche Strom, welcher vom unwirthlichen kimmerischen Bereich bis in das Herz unseres Erdtheiles eindringt, durch Jahrtausende die Aufmerksamkeit der Völker erregt hat. Handel und Krieg bewegten sich auf dieser Wasserflur von Osten nach Westen. Ihr folgte zum Theile die Richtung jener gewaltigen Völkerstürme, welche den Erdtheil wiederholt umgestaltet hatten – von den Wogen der Völkerwanderung bis zu den Heeren der türkischen Sultane. Zugleich hat dieser Strom die Schiffe fast aller Völker und Zeiten des näheren Orients getragen, vom plumpen „Kolchisfahrer“ bis zur modernen serbischen „Tschaike“, vom phönikischen Ruderschiff bis zum heutigen Salondampfer.

Wie die Donau und der Nil in mancher Beziehung zu Vergleichungen Anlaß geben, so fügt es sich auch, daß die Natur beiden Strömen äußerlich ein gemeinsames Kennzeichen aufgedrückt hat: die Riffe und Bänke, welche sich der Schiffahrt als schweres Hinderniß entgegenstellen.

Wie alles am Nil im Vergleich zur Donau ungleich großartiger ist, so sind es auch diese Hindernisse. Umsomehr muß es überraschen, daß ein solcher Zustand der Dinge bei der Donau, inmitten des reichen Kulturlebens unserer Zeit, sich erhalten konnte, denn die Bestrebungen, die Donau in ausreichendem Maße dem Völkerverkehr zu erschließen, sind verhältnißmäßig sehr jungen Ursprunges.

Am 4. September 1830 trugen die Wellen des Stromes den ersten Dampfer von Wien nach Budapest. Mit diesem Ereigniß ist der Name des Grafen Stephan Széchényi für [11] immer unzertrennlich verknüpft. Er war es, der in einem einfachen Sina’schen Holzschiff zu Beginn des Jahres 1830 die Donau bis zu ihrer Mündung befuhr und von hier die Reise mittels eines Segelschiffes bis Konstantinopel fortsetzte. Auf Grund der hieran sich knüpfenden Anregungen Széchényis trat die Donau- Dampfschiffahrtsgesellschaft ins Leben, welche eine wenn auch nur vorübergehende Periode des Glanzes erlebte.

Die Insel Ada-Kaleh. 
 Türkischer Friedhof.


Der Entwicklung der Schiffahrt stellten sich die mehrfach erwähnten Hindernisse auf der unteren Donau derart störend entgegen, daß schon Széchényi an deren Beseitigung dachte. Er erreichte dieses Ziel auf mittelbarem Wege, indem er jene prachtvolle Kunststraße schuf, die seinen Namen trägt und welche im Jahre 1837 dem Verkehr übergeben wurde. Einige mit großem Eifer, aber unzulänglichen Mitteln unternommene Regulierungsarbeiten im Strome selbst hatten keinen Erfolg. Széchényi beschäftigte sich noch bis zum Jahre 1847 mit zahlreichen, die Erschließung des „Eisernen Thores“ und der „Kataraktenstrecke“ betreffenden Arbeiten. Da brachen die Stürme des Jahres 1848 herein, und mit den unermüdlichen Bestrebungen dieses „zweiten Trajan“ war es zu Ende.

Ganz eingeschlummert sind indes die Arbeiten und Studien niemals. Die ersten greifbaren Formen erhielten dieselben durch den seitens Oesterreich-Ungarns mit der Pforte am 19. Juni 1873 abgeschlossenen Vertrag, dessen Ausführung unmittelbar bevorstand, als (1877) an der unteren Donau abermals kriegerische Zwischenfälle eintraten. Der Artikel 57 des Berliner Vertrages vom Jahre 1878 aber legte die Angelegenheit der Stromregulierung von neuem in die Hände Oesterreich-Ungarns. Nach langen fachmännischen Vorarbeiten und nach Ueberwindung mannigfacher finanzieller Schwierigkeiten wurde das gewaltige Werk endlich am 2. September des Jahres 1889 in Angriff genommen.

Rumänische Grenzwache.   Arbeiten an der Prigrada-Bank. 

Die Arbeiten bestehen in der Anlage von genügend tiefen, in die Riffe und Bänke eingesprengten Schiffahrtskanälen, was mittels Spreng-, Stampf- und Bohrschiffen geschieht. Beim eigentlichen „Eisernen Thore“ (der Prigrada-Bank) werden überdies parallele Dämme aufgeführt. Außergewöhnlich schwierig gestalteten sich die Arbeiten am Felsen „Greben“, wo die zu der Festigung der Dammbauten erforderlichen „Steinwürfe“ von der Gewalt des Wassers immer wieder fortgerissen wurden. Erst als man eine größere Zahl von sogenannten „Tschaiken“ (serbischen Segelschiffen) mit Bruchsteinen befrachtete und sie versenkte, wurde ein fester Grund zum Weiterbauen gewonnen.

Ueber kurz oder lang wird dieses großartige Unternehmen zu Ende geführt, die Donau ihrer Schiffahrtshindernisse entkleidet, der Strom dem unbeschränkten Verkehr übergeben sein. Ueber diesem großen civilisatorischen Werke aber waltet der Geist Széchényis, dessen Thatkraft vor Jahrzehnten sich an eine Riesenarbeit heranwagte, deren Lösung einer späteren, von größerem Unternehmungsgeist getragenen und durch reichere maschinelle Hilfsmittel unterstützten Zeit vorbehalten blieb.