Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Die Ursachen, welche die Einführung der Reformation in den Herzogthümern befördert haben

Ein Sittenspiegel aus Stade, angeblich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Johann Bornemacher, ein Märtyrer der Reformation
[89]
15.
Die Ursachen, welche die Einführung der Reformation in den Herzogthümern befördert haben.

Um die großen und schnellen Erfolge des von Luther begonnenen Werks zu erklären, pflegt man viele Gründe beizubringen. Mit der Gotteskraft Luthers, sagt man, habe sich der Geistesreichthum der ganzen freisinnigen Jugend verbunden, durch die Reformation seien den Fürsten Kirchengüter, den Priestern Weiber, den Völkern Freiheit geboten worden. Es ist Wahrheit in diesen Worten. In vielen Gegenden unsers Vaterlandes fand daran die Reformation einen kräftigen Beistand. Aber für das Herzogthum Bremen treffen seine Gründe nicht zu. Die Anzahl und der Einfluß der freisinnigen Männer – wenn es deren überhaupt im Anfange gab – war nicht nennenswerth. Der Fürst konnte nicht durch geistliche Güter gelockt werden, weil er sie als Erzbischof schon besaß. Den Priestern brauchte man keine Weiber zu bieten, denn sie hatten leider mehr als genug. Dem Volke konnte die Freiheit nicht mit Erfolg vorgehalten werden, denn eine größere staatliche Freiheit ist nie gewesen im Herzogthum, als in den letzten Zeiten der katholischen Herrschaft.

Will man den raschen Sieg der lutherischen Lehre in dieser Provinz erklären, so muß man sich nach andern Gründen umsehen.

Wie anderswo, so zeigt sich auch hier der innere Verfall des Katholicismus. Er war verweltlicht, ein Formendienst, lauter Aeußerlichkeit ohne Leben. Wallfahrten, bestimmte Gebetsformeln, lateinischer Gottesdienst und die Anbetung von widerlichen Reliquien. Die Religion war [90] allerhand geworden, ein Erwerbsmittel, eine Zerstreuung, eine Schwärmerei, eine Lebensversicherung – aber sie war nicht geblieben, was sie sein sollte, eine Anbetung Gottes und eine Richtschnur des Lebens.

Diesem erstarrten Wesen setzte Luther das ewige Recht der Menschheit, die Macht der öffentlichen Meinung und die ganze Kraft seiner Persönlichkeit entgegen. Gegenüber der hohlen Werkheiligkeit des Katholicismus stellte Melanchthon ein einfach großes Glaubenssystem auf (Loci comm. Witt. 1521), wodurch er die Reformation vor der Bildung und Gelehrsamkeit seiner Zeit siegreich rechtfertigte. Ausgehend von der tiefsten Hülflosigkeit der Menschen, die sich in der Lehre von der Erbsünde darstellt, zeigt es uns in Christo die vollkommene Genugthuung der göttlichen Gerechtigkeit für die Sünden des menschlichen Geschlechts. Im Glauben d. h. in der Hingabe des ganzen Gemüths an Christum ist das alleinige Heil. Was von den Satzungen und Werken der Kirche den Glauben fördert, ist heilsam; was ohne ihn geschieht, unnütz; was ihm entgegen, verwerflich. Mit dieser Waffe schlugen die Reformatoren den Katholicismus.

Aeußere Forderungen traten hinzu. Die bischöfliche Gewalt in den einzelnen Ländern Deutschlands war schwach geworden. Wir müssen etwas zurückblicken in die früheren Jahrhunderte, um dies zu erklären.

Ursprünglich wurden die deutschen Bischöfe von dem Kaiser eingesetzt. Gestützt auf die Macht desselben erlangten sie in ihren Bezirken allmählig einen größeren oder kleineren Kreis weltlicher Herrschaft. Da begann der große erschütternde Streit, zwischen dem Pabstthum und der Kaisergewalt über das Recht, die Bischöfe zu ernennen, – ein Streit, der Keinem zum Segen, aber Vielen zum unersetzlichen Schaden gedient hat. Seit der Zeit ist die weltliche Macht der geistlichen feind geworden und eine ehrliche volle Versöhnung hat nicht stattgefunden bis auf diese Stunde. Das ist der unselige Streit zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. Die geistliche Macht siegte, aber der Sieg war die Quelle bitterer Demüthigung in den folgenden Zeiten. Wären die Päbste im Stande gewesen, ihr [91] Ernennungsrecht in jedem Falle durchzuführen und hätten sie Umsicht, Gerechtigkeit und Selbstverleugnung genug besessen, um es zum Besten der Kirche auszuüben, so würde es eine segensreiche Errungenschaft gewesen sein. Aber kaum hatte das Pabstthum gesiegt, so sprang eine andere unerwartete Macht in’s Leben und forderte Theilung der Beute.

Das waren die Domkapitel. Ursprünglich einfache, wenig beachtete Mönche an der bischöflichen Kirche, hatten sie sich durch nichts ausgezeichnet, als durch den geringen Schimmer, welchen der Bischof auf sie als seine unmittelbare Umgebung warf. Sie besaßen auch vielleicht etwas mehr wissenschaftliche Bildung, als andere Mönche, und zeigten den lebhaftesten Eifer, den Pabst in seinen Ansprüchen zu unterstützen. Als aber mit ihrer Hülfe die Ernennung der Bischöfe den Kaisern entrissen wurde, waren sie es, welche sich unverzüglich gerade den Gegenstand anmaßten, um welchen so heftig gekämpft wurde. Der Streit war noch nicht einmal entschieden, als sie bei vorkommender Gelegenheit das Recht der Bischofswahl auszuüben wagten. So in Verden 1097.

Als Ruhe nach dem Kampfe eintrat, war die Bischofswahl von Seiten der Kapitel eine vollendete Thatsache und nicht ohne große Bedenken zu ändern. Es wurde freilich eine Bestätigung sowohl dem Kaiser, als dem Pabste zugestanden, aber das waren leere Formen ohne das Wesen wahrer Macht. Oft genug, namentlich bei streitigen Wahlen, suchten die Päbste einzugreifen und es gelang ihnen auch meistens, aber es waren vereinzelte Siege ohne nachhaltige Folgen. Die geistliche Disciplin wurde hiedurch gründlich untergraben und die weltliche Stellung der Kirche gegen die anwohnenden Fürsten geschwächt, denn dem Kaiser, der sie sonst mit starkem Arm geschützt, hatte sie sich entzogen und der Pabst wohnte fern und ist immer ohnmächtig gewesen, wenn er es mit entschlossenen Leuten zu thun hatte.

Während zur Zeit des kaiserlichen Regiments nur sehr angesehene oder fromme und gelehrte Männer Bischöfe wurden, konnte nun jeder einzelne Domherr – so nannte [92] sich sehr bezeichnend von dieser Zeit an die sonst so bescheidenen Mönche der Kathedrale – sich Hoffnung auf diese Würde machen. Mönchsleben war bis dahin wenig begehrt von angesehenen Leuten; von nun an aber drängte der umwohnende Adel seine Mitglieder in die Domkapitel und wir finden seitdem selten andere als adelige Domherren. Der zu wählende Bischof mußte vorher einen Vertrag mit den Domherren machen – eine Wahlcapitulation – worin er von seinen Einkünften und Vorrechten etwas den Domherren abgab. Um recht viel zu erhalten, wurden oft absichtlich schwache Männer erwählt.

Dies Verhältniß, welches sich in seinen Hauptzügen im ganzen Deutschland wiederholte, war im Erzbisthum Bremen vollkommen ausgebildet. Wenn daher irgend ein Angriff auf die geistliche Gewalt gemacht wurde, wie zur Zeit der Reformation, so waren beide, Bischof und Capitel, gezwungen, ihre Macht zusammen zu legen, um dem gemeinsamen Feinde zu begegnen. Wenn sie das nicht konnten oder wollten, so waren sie besiegt.

Im Anfang stand der Bischof an der Spitze des Clerus und ernannte sämmtliche hohe und niedere Geistliche. Weil aber bei dem bedeutenden Umfange der Bisthümer nicht wohl Alles von ihm allein besorgt werden konnte, so wurde ein Mittelglied eingefügt. Das waren die Archidiakonen. Man kann sie in Beziehung auf den Umfang ihrer Sprengel und manche Amtsthätigkeit mit den jetzigen Superintendenten vergleichen, aber ihre Macht war bei weitem ausgedehnter. Sie besaßen bedeutende Einkünfte und große Befugnisse, ernannten sämmtliche Geistliche in ihren Dörfern und übten – mit Ausnahme der unmittelbar unter dem Bischof stehenden Klöster – die umfassendste Kirchendisciplin aus. Durch diese neue Gliederung behielt aber doch der Bischof die ihm nöthige centralisirte Gewalt, denn die Archidiakonate wurden von ihm allein besetzt und blieben völlig abhängig. Die Macht der Archidiakonen war sehr groß, aber es war immer nur eine geliehene Macht.

Lange sehnten sich die Domherren nach Vergrößerung ihrer Gewalt und blickten neidisch auf die Befugnisse der [93] Archidiakonen. Aber erst nach beinahe zwei Jahrhunderten wagten sie es, die Macht derselben sich anzueignen. Da mußte bei einer neuen Wahl (1231) der Bischof eidlich versprechen, die Archidiakonate im Fall der Erledigung fortan nur den Domherren zu verleihen. Dieser höchst bedenkliche Schritt der Domherren hat ihnen selbst wenig genützt, aber der erzbischöflichen Gewalt und der Kirche selbst unermeßlich geschadet. Vorher saß der Archidiakon in der Mitte seiner Diöcese, um ihn seine Pfarrer und Kaplane. Er selbst hatte seine eigene Gemeinde, kannte das Volk und dessen Bedürfnisse und beurtheilte die Dinge aus persönlicher Anschauung. Seine Einkünfte waren bedeutend, und erlaubten ihm eine unabhängige Stellung. Die Disciplinar-Gewalt, welche er auf seine Geistlichen ausübte, war rasch und traf sicher, denn sein Kreis war so eng, daß seine Rechtspflege nie fehl ging.

Als aber die Domherren mit dieser Würde bekleidet wurden, ging die gedeihliche Wirksamkeit der Einrichtung gänzlich verloren. Die Archidiakonate wurden Vicaren übergeben, die Domherren selbst saßen in der Stadt bei der Kathedrale, hatten keinen seelsorgerischen Gemeindekreis und kannten die Bedürfnisse eines solchen viel zu wenig. Ihre Disciplinar-Gewalt war schwach, weil spät und in der Ferne geübt. Durch den Mangel an naher Beaufsichtigung kam aber in die niedere Geistlichkeit ein mehr und mehr wachsender Unabhängigkeitssinn. Bei dem Eintritte der Reformation zeigte sich dies sehr deutlich. Der Erzbischof und das Domkapitel lebten in offener Fehde und die Strafmacht beider war schwach. Ging ein Dorfgeistlicher zur neuen Lehre über, so fürchtete er sich weder vor dem Erzbischof, der ihm niemals hatte etwas befehlen können, noch vor dem Domherrn, dessen Strafgewalt trage und verspätet war.

Ein zweiter Grund, durch welchen die Reformation begünstigt wurde, war die allgemeine Entsittlichung der katholischen Geistlichkeit. Sie wird von sämmtlichen Geschichtschreibern jener Zeiten als etwas Unleugbares dargestellt und selbst eifrige Katholiken, in denen der sittliche Unwillen nicht durch Partheileidenschaft erstickt ist, sprechen die [94] wehmüthigsten Klagen und bittersten Vorwürfe aus. In neueren Zeiten, wo es bei manchen Schriftstellern Sitte geworden ist, die Reformation als unberechtigt, als Revolution und willkührliche Auflehnung gegen göttliches und menschliches Recht zu schildern, sucht man diesen Vorwurf abzuschwächen und die Ueberschreitungen der Geistlichkeit als vereinzelt und von den Gegnern übertrieben darzustellen. Wir werden die Falschheit dieser Annahme beweisen.

Das sittliche Leben der Geistlichen ist eine mächtige Wehr gegen die Angriffe auf die Lehre. Nicht nur wahre Tugend, sondern auch äußere Unanstößigkeit des Wandels ist ein starker Schutz. So lange die katholischen Geistlichen leidlich tugendhaft lebten, wurden alle Angriffe auf ihre Lehre zu Schanden. Es sind vor Luther genug Reformatoren aufgestanden, ihre Bemühungen sind vergeblich gewesen, sie kamen zu früh. Es giebt elf gedruckte deutsche Bibelausgaben vor der lutherischen – sie sind ohne ersichtliche Wirkung geblieben, die Zeit war nicht reif. Es ist nicht genug, daß ein großer Mann oder eine große That kommt, sie muß auch im rechten Augenblick kommen. Der Anfang des 16ten Jahchunderts ist die Zeit, in welcher die Geistlichen sowohl in der Entstellung der Lehre, wie in der Entartung des persönlichen Lebens den Höhepunkt erreichten. Aber gerade dies Untergehn in den schreiendsten Lastern, welches die Reformation hier antraf, machte ihr den Sieg leicht. Wie eine faule Frucht fiel der Katholicismus vom Baum, als der frische Wind den Stamm rüttelte.

Eine verworfenere Gemeinschaft, als die Geistlichkeit unserer Provinz in jener Zeit ist nicht wohl denkbar. Ein hartes Wort, aber wir werden die Wahrheit desselben darthun.

Der letzte katholische Erzbischof dieser Provinz war Christoph, ein geborner Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Sinnliche Lust war das allgemeine Laster der Zeit, aber der Bischof überbot darin seine Zeitgenossen. Neben zahllosen vorübergehenden Verbindungen unterhielt er beständig drei Concubinen, in Bremen, Verden und Rotenburg. Er huldigte ihnen mit unerhörter Rücksichtslosigkeit. Im Jahre 1522, also zu einer Zeit, wo Luther’s [95] Flugschriften wie Brandraketen durch Deutschland flogen und alle Bischöfe aus ihrem Taumel aufschreckten, ließ er Thaler schlagen mit der Umschrift „Elige cui dicas.“ Die Ergänzung dieser Worte giebt der Vers des Ovid – Tu mihi sola places. (A. A. 1, 42.) Welch ein Maß von Schamlosigkeit bei einem Mann, der ein christlicher Bischof sein wollte und den Anflug von classischer Bildung, welcher aus seiner Jugend zurückgeblieben war, auf so unwürdige Weise zur Schau trug. Buhldirnen waren damals die Begleiter fast aller Geistlichen; der kleinste Dorfpfaffe wie der höchste Würdenträger der Kirche trug diese Schande mit sich herum. Diese Schmach wurde damals nicht nur von dem katholischen Clerus entschuldigt, sondern im Gegensatz zu den Ehen der protestantischen Geistlichen öffentlich vertheidigt. (Sleidan. de stat. reip. cap. 4.) Die Buhlerinnen waren nicht gekleidet, wie andere Frauenzimmer; ihr Anzug bewies schon, daß sie „an der Unehren“ saßen. Die Mode jener Zeiten verlangte bei ehrbaren Frauenzimmern dunkle, fest anschließende, wenig kleidsame Gewänder mit steifen Falten und unbehülftichem Schnitt. Die geistlichen Dirnen aber trugen andere Gewänder von hellen Farben und leichten hübschen Formen. Statt des hohen weißen Kopfputzes von gestreiftem Leinen trugen sie ein seidenes faltiges Tuch mit herabhängenden Spitzen. Noch jetzt sieht man im Dom zu Lübeck das Bild einer solchen bischöflichen Buhlerin in Holz geschnitzt, phantastisch gekleidet mit turbanartigem Kopfputz, ein Bild überraschend durch große Schönheit, wie durch die tiefe Zerknirschung in den Gesichtszügen und gerungenen Händen der Sünderin.

Der Erzbischof war sittenlos – seine Untergebenen waren es nicht minder. Am Dom zu Verden und den damit in Zusammenhang stehenden Einrichtungen lebten zur Zeit der Reformation etwa hundert Geistliche als Domherren, Rectoren, Collegiaten, Vicare u. s. w. Sie waren im Stande, die Meßformulare abzulesen und etliche Litaneien zu singen, welche aber höchst selten einer von ihnen dem Sinne nach verstand. Dies geistlose Geschäft schloß, wie sie meinten, die volle Gewährleistung der Seligkeit in sich; ihr übriger Lebenswandel mochte beschaffen sein, wie er [96] wollte. Es war nichts Seltenes, Geistliche selbst auf ihren Berufswegen trunken zu sehen; etliche brachen in diesem Zustande den Hals. Der Umgang mit liederlichen Dirnen ward ohne Scheu öffentlich getrieben. Bei allen Domkirchen damaliger Zeit war ein Nebengebäude errichtet, in welchem diejenigen Geistlichen übernachteten, denen die Frühmetten oblagen. Es war eine Einrichtung aus frommer alter Zeit; die Geistlichen sollten der Gefahr entnommen werden, ihren heiligen Dienst zu verschlafen; es sollte aber auch durch den einsamen stillen Aufenthalt im Schlafhause eine nüchterne feierliche Stimmung in ihnen hervorgerufen werden. Aber gerade diese Nächte wurden auf das Wildeste durchschwärmt. Buhldirnen, Wein, Würfel, sogar Musik wurde herbei geholt, um den Domgeistlichen die lange Nacht zu verkürzen. Aus diesem Taumel wankten sie dann in das Gotteshaus, warfen die Meßgewänder über und sangen mit unsicherer Stimme die Frühmetten. Es kam sogar der Fall vor, daß ein Vicar im tollen Uebermuth der Trunkenheit seine Buhlerin mit dem heiligen Gewande bekleidete und durch sie die Messe lesen ließ. – Es kann nicht überraschen, wenn eine solche Verderbtheit auch nach anderen Seiten hin sich kund that. Geistliche stahlen, brachen in Häuser ein, nothzüchtigten unbeschützte Frauen und scheuten den Mord nicht. Es gab für sie keine Strafe. Nur ein unmittelbar gegen die Person ihres Vorgesetzten gerichtetes Vergehen konnte ernsthafte Folgen haben. Ein Domdechant, also im Range der dritte Würdenträger der ganzen Kirche, stahl dem Erzbischof Geld vom Tische. Er mußte fliehen und wurde für einen Schelm erklärt.

Doch genug von diesen Dingen. Wir würden kein Ende finden, wenn wir wiedergeben sollten, welche Entartungen in Bremen, Stade und vor allen in den Klöstern der Provinz angetroffen wurden. Letztere konnte man vielleicht mit Recht die Pestbeulen des Landes nennen.

So tief bedauerlich diese Entsittlichung eines ganzen Standes war, so machte sie doch der Reformation den Sieg leicht. Es würde ihr unter anderen Umständen schwer geworden sein, Eingang zu finden. Die Unkunde des Volks in geistlichen Fragen war zu groß und seine äußere Bildung [97] viel zu gering, als daß es die Angelpunkte der protestantischen Lehre so schnell hätte fassen können. Was half es, die Bibel als den einzigen Probirstein alles dessen aufzustellen, was die Kirche lehrte, wenn unter Hunderten noch nicht Einer war, der sie je gesehen hatte oder lesen konnte? Was konnte es helfen, den so schwer verständlichen Begriff von der Rechtfertigung durch den Glauben in einer Zeit aufzuwerfen, wo sich Alles vor der Gewalt des Pabstes beugte? Aber das fühlte auch das rohe ungebildete Gemüth, daß ein Leben, wie die Geistlichen es führten, keine Nachfolge des Erlösers, sondern ein Schandfleck seines heiligen Namens sei. Jene ganze Zeit war freilich mit Sünde und Uebertretung angefüllt. Fürsten und Grafen, Junker und Knechte lebten zügellos. Rauben und Morden brachte keine Schande. Ein Menschenleben war oft keinen Apfel werth. Ein Einbruch war eine Kleinigkeit, Brandstiftung ein Vergnügen. Unzählige Male lies’t man in den Schriften jener Zeit von den sich befehdenden Großen: „er zog mit Stank davon“, womit das schließliche Anzünden der Überfallenen Häuser, Dörfer und Felder gemeint ist. In diesem wilden und lasterhaften Leben gingen viele Tugenden zu Grunde, aber Eine Tugend blieb in Ehren und wurde gleich einem theuren Kleinode gewahrt, die eheliche Treue. Ungemein selten lesen wir von Verletzungen derselben; man möchte glauben, das eheliche Verhältniß wurde damals heiliger gehalten, als jetzt. Welch einen tiefen und verletzenden Eindruck mußte es aber auf den Geist der Laien machen, daß von den Dienern der Religion gerade die Tugend am Ungescheutesten verletzt wurde, welche sie selbst am Meisten in Ehren hielten.

Ein dritter Grund, durch welchen die Reformation gefördert wurde, war die Persönlichkeit des Erzbischofs. Christoph wurde als Knabe von 13 Jahren vom Erzbischof Johannes Rhode in Bremen zum Coadjutor angenommen. Man erzählt, der Erzbischof habe, von der Ritterschaft gereizt, durch die Annahme eines solchen Mittelregenten den Ständen eine Ruthe binden wollen und erwähnt eine darauf bezügliche Anekdote. Bei einer ritterschaftlichen Versammlung in Basdahl habe ein adliger [98] Herr aus einem Stückchen Holz einen Leisten geschnitzt und denselben als einen Hinweis auf die niedrige Geburt des Erzbischofs mit spöttischen Worten unter den Anwesenden herumgehen lassen, worauf der Betroffene erwiedert, er wolle über diesen Leisten ihnen einen Schuh machen, der sie hart genug drücken werde. Es liegt nahe, daß bei der großen Macht, welche die Stände, und bei dem bedenklichen Einflusse, welchen die benachbarten Fürsten im Stifte ausübten, der Erzbischof sich nach Hülfe umsehen mußte. Er fand sie am nächsten und leichtesten bei dem Herzog Heinrich dem Aelteren von Braunschweig, und auch ohne jene Ungebühr würde er sich um seinen Beistand bemüht haben, der am einfachsten durch Berufung seines Sohnes zum Coadjutor zu erreichen war. Die Individualität des Knaben war ihm gleichgültig, wenn sie ihm überhaupt bekannt war.

Christoph zeigte als Knabe wenig Neigung für den geistlichen Stand. Er war ein kräftiger, mit bedeutenden Anlagen ausgestatteter, Charakter, dem ein stilles heiliges Leben nicht zusagte. Ritterlicher Prunk, Pferde, Waffen und blitzendes Geschmeide beschäftigten die Gedanken des Fürstensohns; ein Leben unter stillen Domherren und finsteren Mönchen war ihm zuwider. Um diese Abneigung zu überwinden, wußte der Vater eine Gelegenheit zu finden, ihm den Glanz geistlicher Würden in besonders blendendem Lichte zu zeigen. Der Cardinal Raymund durchzog damals Deutschland und predigte innere Einigkeit, um alle Kräfte gegen die Türken, den gemeinsamen Feind der Christenheit, verwenden zu können. Zugleich trieb er aber auch einen großen Ablaßhandel, wobei er die reicheren Classen auf eine unerhörte Art brandschatzte. Die vornehmsten Fürsten nahmen ihn als ihres Gleichen auf und überhäuften ihn mit Ehrfurcht und Dienstleistungen. So auch Herzog Heinrich. Der Cardinal wurde nach Wolfenbüttel von ihm eingeladen und mit ausgesuchter Pracht empfangen. Mit Kreuz und Fahnen, mit Processionen und Glockenklang wurde er in die Stadt und in den Dom geleitet. Alles beugte sich vor seiner geistlichen Würde; durch staunende, knieende Menschenhaufen begab er sich in [99] das Gotteshaus. Selbst Herzog Heinrich, vielleicht der stolzeste Mann in Deutschland, begegnete dem Cardinal mit zur Schau getragener Demuth. Diese Wahrnehmungen verfehlten ihren Eindruck auf das Gemüth des Knaben nicht. Er sah in den Cardinal etwas Höheres, als ihm bisher entgegen getreten war, und um in dem Glanze dieses neuen Lichtes sich sonnen zu können, reisete er ihm in dem folgenden Jahre entgegen, schloß sich ihm an und verrichtete in Lübeck bei ihm die Geschäfte eines Subdiakonen. Bei dem Einzuge des Cardinals in Bremen am Himmelfahrstage prangte der sechszehnjährige Knabe als Coadjutor des Erzbischofs. Der Widerwille gegen den geistlichen Stand war überwunden.

Entschlossen, ein Würdenträger, nicht ein Diener der Kirche zu werden, wurde Christoph von seinem Vater in dem Streben nach möglichster Ausdehnung der Herrschaft unterstützt. Er war zum Nachfolger des Erzbischofs Johannes von Bremen designirt und erhielt nach und nach Antheil an dessen Geschäften. Als der Bischof Barthold von Verden gestorben war, schien die Erledigung, dieses Bisthums eine passende Gelegenheit darzubieten, die Macht Christophs zu vergrößern. Die Mehrzahl der Domherren in Verden war aber seiner Wahl abgeneigt. Sie sahen keinen Vortheil in der Vereinigung beider Bisthümer und konnten weder in der Persönlichkeit Herzog Heinrichs, noch in der seines Sohnes viel Heil für sich und ihre Kirche erblicken. Heimlich versammelten sie sich, entschlossen, eine passendere Wahl vorzunehmen. Plötzlich trat der Herzog, von einigen Freunden benachrichtigt, in ihren Kreis und wußte durch seine persönliche Erscheinung, durch freundliches Erbieten, große Geschenke und durch ein Uebermaß von Versprechungen den Zweck zu erreichen. Sein Sohn wurde zum Bischof von Verden erwählt. Es war aber vom Domkapitel ein großes Versehen begangen. Die bischöfliche Macht, schon früher beschränkt genug, wurde in den Verhandlungen mit dem Herzog Heinrich auf ein solches Mindestmaß gebracht, daß ein unbefangenes Auge die trüben Folgen voraussehen konnte. Es ist fraglich, ob ein so ungebändigter Charakter, wie Christoph ihn [100] besaß, sich auf die Dauer überhaupt Beschränkungen gefallen lassen würde; eine solche Vereinigung der bischöflichen Gewalt aber hätte niemand ertragen und ein ehrlicher Mann wäre zu rechter Zeit zurückgetreten. Das that Christoph nicht; er leistete bereitwillig die größten Versprechen und war entschlossen, nicht ein einziges davon zu halten.

Er wurde Erzbischof von Bremen und zugleich Bischof von Verden. Auf dieser Höhe entfaltete er die Leidenschaften seiner Seele. Der hervortretendste Zug seines Charakters ist eine maßlose Eitelkeit. Sie hatte ihn in den geistlichen Stand geführt, sie machte ihn zu einem leidenschaftlichen Freunde des katholischen Wesens und folgeweise zu einem erbitterten Feinde des Protestantismus. Eine Lehre, welche einen Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit forderte und ihren Dienern Selbstverleugnung, Demuth und schwarze Kleider auferlegte, konnte die Neigung seines Herzens nie gewinnen. Er fand nur Befriedigung in den glänzendsten Feiern der katholischen Kirche. Die Messe celebrirte er mit einer Pracht, wie es die Kirchen dieser Provinz noch nicht gesehen hatten. Es gab in jener Zeit wenig Schmuck in Kleidungen und die Angaben der damaligen Schriftsteller über kostbare Gewänder und Kleinodien dürfen nicht nach jetzigen Anschauungen gemessen werden. Nur die Fürsten und der höchste Adel trugen goldene Ketten bei festlichen Gelegenheiten (Chytr. chron. p. 143), die Landedelleute hatten zwei oder drei goldene Ringe auf einem linnenen Bande am Halse hangen. Während in ähnlicher Weise die früheren Bischöfe sich mit einem bescheidenen Meßgewande und einer sammetnen Mitra begnügt hatten, an denen etwas Goldborde und ein wenig Stickerei zu sehen war, ließ sich Christoph aus dem Brautkleide seiner Mutter, einer gebornen Herzogin von Pommern, ein Amtskleid und einen Bischofshut machen, mit Gold-Perlen und Edelsteinen übersäet und feierte darin in Bremen und Verden seine erste Messe. Er konnte dies nach kanonischen Gesetzen erst im dreißigsten Jahre und hatte seiner Eitelkeit dadurch einen langen harten Zwang anthun müssen. Sein Zweck aber wurde erreicht, die [101] Städte staunten über die Herrlichkeit der bischöflichen Gewänder. – Aus Eitelkeit überschätzte er die Macht seiner persönlichen Erscheinung. Unter den ungünstigsten Umständen bewarb er sich um das Bisthum Hildesheim, als es 1537 erledigt war. Er reisete hin, weihete daselbst eine neue Taufe, sang Metten, Hochmesse und Vesper. Seine wunderschöne Stimme, seine hohe Gestalt, breite Brust, stolze Haltung, sein feuchtes goldgelbes Haar und die anmuthige Bewegung seiner Hände hielt er für unwiderstehlich. Vergebens. Ohne Hoffnung auf Erfolg mußte er sich wegbegeben. – Die Eitelkeit trieb ihn an, alle Reichstage zu besuchen und sich in seinem Kleiderglanze zu zeigen, obwohl er bei seinen ungenügenden Geldmitteln den Fall vorhersehen konnte, welcher fast jedesmal eintrat, daß er seine Kleinodien versetzen mußte, um nur die Rückreise antreten zu können.

Diese Eitelkeit machte ihn fortwährend arm, und es ist leicht zu beweisen, daß seine zerrütteten Finanzen ihn hinderten, kräftig der Reformation zu widerstehen. Seine Vorgänger im Amte, Johannes Rhode in Bremen und Bischof Barthold in Verden, waren gute Haushalter gewesen und hinterließen ihm reichliche und wohlgeordnete Einnahmen. Es wird in den Geschichtsquellen rühmend hervorgehoben, wie letzterer so gut gewirthschaftet habe, daß der Zinsfuß der Stiftsschulden auf 8 Procent gesunken sei. Diese Bemerkung läßt uns einen Blick in die große Gefahr thun, welche jeder Bischof lief, der beträchtliche Schulden machte. Bei dem übermäßigen Zinsfuß jener Zeiten war es sehr schwer, sich ihrer zu entledigen. Kaum war Christoph zur Regierung gekommen, als er die von seinen Vorgängern mit Mühe und Opfern geordneten Finanzen gründlich zerrüttete. Er ist während seiner fast funfzigjährigen Herrschaft immer ein armer Mann geblieben. Geld ist Macht. In jenen Zeiten war es eine große Macht und Christoph hat sie nie gebrauchen können. Immer fehlte es ihm am Gelde und das war der Grund, daß er die bremischen Landstände mehr schonte, als in seiner Neigung lag, denn sie waren fast die einzige Quelle, woraus ihm Erleichterung seiner Noth zu Theil werden konnte. [102] Seine stete Verlegenheit brachte ihn zu den empörendsten Ungerechtigkeiten. Während der Kriegszüge, von denen seine Länder heimgesucht waren, hatte er Volrad Mansfeld, den Sohn des bekannten Grafen Albrecht Mansfeld, auf eine höchst leichtsinnige Art zur Rache gereizt, indem er nach geschlossenem Frieden aus offenbarem Frevelmuth einen Theil seines Gepäcks rauben ließ. Mansfeld war nicht der Mann, diese Beleidigung zu vergessen. Nach einiger Zeit kam er mit gewaffneten Banden in’s Land, um Vergeltung zu üben. Die Landstände unterhandelten mit ihm, um das Unglück abzuwenden, und erkauften seinen Abzug durch das Versprechen von 2400 Thalern. Diese Summe wurde zusammengebracht, 1000 Thaler gaben die Stände her, 1400 die Bauern (Elardi v. d. Hude Chr. p. 93). Der Erzbischof nahm aber von dem letztern Beitrage mit Gewalt 1000 Thaler vorweg; mit großer Mühe liehen die Stände die fehlende Summe zusammen, um die Zahlungsfrist einhalten zu können und die armen Bauern mußten nachher zum zweiten Male zahlen. Das kümmerte den Erzbischof wenig, denn menschliches Mitleid wohnte nicht in seiner Seele. Und hätte es auch darin gewohnt, seine Noth war zu groß. Alles Silberwerk, was die Kirchen im Bisthum Verden hatten, raubte er ihnen, obgleich er es im Erzstift Bremen nicht wagte. Kein Mittel blieb von ihm unversucht, um sich seinen Verlegenheiten, wenn auch nur auf Augenblicke, zu entreißen. Anleihen, Verpfändung und Erpressung, Alles war ihm recht.

Wir fragen, was war der Grund seiner steten Armuth? Einen Theil der Schuld trugen äußere Umstände. Das Bisthum Verden bezog einen Theil seiner Einkünfte aus dem Lüneburgischen Lande. Herzog Ernst aber, der Bekenner, war ein so eifriger Protestant, daß er diese Einkünfte mit Gewalt zurückhielt und sie nur denen von den Verdener Präbendaren verabfolgen ließ, welche zur neuen Lehre übergingen. Viele Stiftsherren, namentlich von Bardowik, wurden dadurch zum Uebertritt veranlaßt. Der Bischof verlor aber seine Lüneburgischen Einkünfte gänzlich. Das hatte er persönlich nicht verschuldet. Ebenso mußte [103] er die Kriegszüge, womit er das Land Wursten vier Mal heimsuchte und welche große Summen verschlangen, seiner Stellung nach übernehmen. Es ist hier nicht der Ort, diese Ereignisse im Einzelnen darzustellen, aber jeder Unbefangene muß eingestehen, daß der Erzbischof durch den Trotz der Wurster, die Mißhandlung seiner Diener und die muthwillige Abwerfung seiner Herrschaft berechtigt war, diese Provinz mit Waffengewalt zu unterwerfen. Diese Dinge hätten ihn aber nicht arm gemacht, wenn nicht seine schändlichen Lüste, seine kostspieligen Reisen, seine verderblichen Rechtshändel zu Rom und Speyer und seine leichtfertige Umgebung ihm Alles entzogen hätten. Seine Günstlinge nahmen die Einkünfte vorweg. Was er im gewöhnlichen Laufe der Dinge erhielt, verschleuderte er an seine Buhldirnen und an mancherlei Versuche unnützer Bauten. Hatte er einmal über eine bedeutendere Snmme zu verfügen, so veranlaßte ihn seine verschwenderische Eitelkeit, verschwenderische Reisen zu machen und auf Reichstagen und an Höfen zu prunken. Bei seiner Rückkehr war er jedesmal ärmer als zuvor. Durch seine steten Geldbedrängnisse und den Ueberlauf der Gläubiger war er zuletzt dermaßen geängstigt, daß ihm seine Stellung verleidet und er zu dem Entschluß gebracht wurde, einen Coadjutor anzunehmen, welcher seine Schulden bezahlen und ihm eine jährliche Pension aussetzen sollte. So weit hatte ihn fortwährende Noth gebracht, daß er, der entschiedenste Feind der Reformation, sich sogar entschließen wollte, einen lutherischen Coadjutor anzunehmen und es gethan haben würde, wenn nicht der Tod seine Absichten vereitelt hätte. – Denken wir uns, daß er statt dieser drückenden Armuth großen Reichthum besessen hätte. Wie ganz anders wäre dann seine Stellung zur Reformation gewesen. Statt der Landstände zu schonen, würde er, gestützt auf sein scheinbar göttliches Recht, ihren Widerstand mit Gewalt unterdrückt haben. Die festen Burgen, welche er im Herzogthum besaß, – Hagen, Stotel, Ottersberg, Neuhaus, u. a. – und welche in den Händen der Beamten pfandweise blieben, weil sie nicht bezahlt wurden, wären ihm Stützpunkte gewesen, von wo aus er jede Lebensäußerung [104] des Protestantismus hätte vernichten können. Eine starke und verläßliche Kriegsschaar wäre seines Rufes allezeit gewärtig gewesen, denn Tausende von Landsknechten zogen in Deutschland umher und dienten Jedem, der sie bezahlen konnte. Christoph aber hatte kein Geld, er war ein armer Fürst.

Eitelkeit war es, welche den Streit zwischen ihm und den beiden Domkapiteln zu Bremen und Verden anfachte und unterhielt, und seine Kraft gegen die Reformation lähmte. Statt es zu versuchen, durch friedfertige und glimpfliche Mittel der wirklich tief gesunkenen bischöflichen Macht aufzuhelfen, konnte er es nicht abwarten, sich in dem Vollbesitze der Herrschaft zu sehen. Er fing mit den Kapiteln Streit an, um der lästigen Erfüllung der Wahlbedingungen überhoben zu sein. Während er die Domherren in Verden auf’s Aeußerste quälte, beraubte, vertrieb und verhöhnte, konnte er gegen die von Bremen nicht so verfahren. Er war machtlos gegen die stolze Handelsstadt, auf welche das Kapitel sich stützte; seine Befehle blieben wirkungslos, und die Domherren setzten seinen Machtsprüchen eine solche Gleichgültigkeit und Nichtachtung entgegen, daß er allenthalben lieber, als in Bremen verweilen mochte. Dieser nie geschlichtete Streit zwischen dem Erzbischof und den Domkapiteln, in welchen auch die Landstände hineingezogen wurden, hat der Reformation viel genützt. Die Kräfte, welche naturgemäß beide Partheien, als katholische Geistliche, gegen sie hätten verwenden müssen, vergeudeten sie in nutzlosem Kampfe gegen einander. Die meisten Domherren gingen allmählig zum Lutherthum über, zum Theil unzweifelhaft aus Ueberzeugung, zum Theil aber auch aus Erbitterung gegen den Bischof, der ihnen ihre Einnahme vorenthielt, ihre Kassen und Archive beraubte, sie mit Gottesdiensten bei Tag und Nacht quälte, sie zwang, ihre Sammtmäntel und Degen abzulegen, lange Kleider zu tragen, ihr Haupthaar wachsen zu lassen und den Bart zu scheren. (El. v. d. Hude Chron. 77.)

Aus diesem Streite gingen ungewöhnliche Folgen hervor. Da das Domkapitel nicht, wie der Erzbischof bisweilen, eine Kriegsschaar aufstellen konnte, um zu seinem [105] Rechte zu kommen, so verklagte es ihn bei dem Reichskammergerichte. Dies entsetzte den Bischof mehre Male (1531, 1541, 1552) seines Standes und Amtes. In solchen Zeiten war völlige Anarchie in beiden Bisthümern. Das Domkapitel hatte dann gesetzmäßig das Regiment, aber die Beamten und Voigte, welche vom Bischof abhingen, gehorchten dem Domkapitel nicht, die niedere Geistlichkeit wußte selbst nicht, wem sie zu gehorchen hätte, und so that jeder, was er wollte.

Während Christoph mit seiner Geistlichkeit auf diese Weise offen und heimlich kämpfte, entfremdete er sich die Herzen seiner Unterthanen. Ein größeres Elend, wie unter seiner Herrschaft, ist nie in dieser Provinz gewesen. Die Kriegsunruhen hörten niemals auf. Bald waren es die Landsknechte des Erzbischofs, bald die Wurster und ihre gedungenen Kriegsschaaren, bald die schmalkaldischen Bundesgenossen, bald kaiserliche Truppen, bald die Gläubiger des Regenten, welche mit Waffen das Land durchzogen und schreckliche Verheerungen anrichteten. Der Erzbischof hat nicht all dies Unglück verschuldet, denn damals war keine Provinz Deutschlands von Kriegslast frei, aber er hat nie etwas gethan, um seine Unterthanen zu schützen oder dem Unheil zu wehren, sondern er hat es oft freventlicher Weise in’s Land gerufen. Er hatte kein Herz für die Seinigen. Als 1547 Bremen auf seine Veranlassung von kaiserlichen Truppen belagert wurde, stand er an einem kalten Februartage auf dem Kirchhofe des Dorfes Burg und betrachtete die Anstalten zur Einschließung der Stadt. Als er sah, wie die Kriegsleute die Häuser im Blocklande in Brand steckten und die helle Flamme aus den Strohdächern schlug, „ward er frölich lachen, ließ die Hand um den Kopff kommen und sagte, so muste es gehen.“ (Renner II. 131). Auf einem Fürstencongreß zu Halberstadt rühmte er sich öffentlich, daß er auf dem Kriegszuge im Lande Wursten 300 Weiber getödtet habe.

Während seiner Regierung war keine Gerechtigkeit und Sicherheit zu finden. Das Land war ausgesogen und bitterlich arm, die benachbarten Fürsten schalteten darin nach Belieben, namenloses Elend, Krieg, Raub, Nahrungs-Mangel, [106] Erpressung und Hunger fanden sich aller Orten – unmöglich konnten die Unterthanen einen Herrn lieben, der mit gleichgültigem Herzen all diese Trübsal anschaute, und nicht einmal ein Wort des Trostes für sie hatte. Sein eigner Bruder, Herzog Heinrich, ein Katholik mit Leib und Leben, wurde durch das tyrannische Verfahren so empört, daß er den Ständen geradezu rieth, sie möchten seinen Bruder absetzen und ins Kloster stecken. Das ist freilich nicht geschehen.

Solch ein Mann war Christoph. Wie sein ganzes Leben von Eitelkeit getragen wurde, und die hauptsächlichste Triebfeder aller seiner Handlungen war, ist sie auch Veranlassung seines Todes gewesen. Unzufrieden mit der Aufnahme, welche er bei einem Besuche am Hofe zu Berlin fand, reisete er an dem nämlichen Tage bei dem schlechtesten Wetter in einem Kutschwagen mit kleinem Verdeck ab. Unterwegs wurde er ernsthaft krank, eine Halsbräune brach aus und raubte ihm die Sprache. Er erkannte sein nahes Ende, legte sich auf dem Lager zurecht, faltete die Hände, schaute gen Himmel, schien ein Gebet zu flüstern und entschlief sanft und still. In Verden ist er begraben. Der letzte Feind der Reformation. Mit eiserner Hand hielt er sie nieder, wo er es konnte. Im Bisthum Verden wurde bei seinen Lebzeiten auch nicht Ein Geistlicher lutherisch; im Erzbisthum Bremen blieb dagegen fast kein Geistlicher katholisch. Er war kein ebenbürtiger Gegner der neuen Lehre. Bei aller angebornen Thatkraft seines Geistes, bei großem persönlichen Muthe und rücksichtsloser Festigkeit des Willens besaß er weder den heiligen Zorn, welche die Vertheidigung einer gerechten Sache, noch die siegreiche Sanftmuth, welche ein gutes Gewissen einflößt. Dieser Mann hätte jeder Sache geschadet, die er schützen wollte.

F. W. Wiedemann,
Pastor in Bargstedt.
Ein Sittenspiegel aus Stade, angeblich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts Nach oben Johann Bornemacher, ein Märtyrer der Reformation
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