Alfred Meißner’s Lebenswerk

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Autor: Hans Blum
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Titel: Alfred Meißner’s Lebenswerk
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, 34, S. 550, 551, 556, 558
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Alfred Meißner’s Lebenswerk.

Von Hans Blum.


In der alten Brigantia der Römer, heute Bregenz geheißen, in dem Hauptort des Vorarlbergs hat sich seit fünfzehn Jahren einer der besten und treuesten Vorkämpfer des Deutschthums in Oesterreich, Alfred Meißner, seßhaft gemacht. Hier umspannt sein Blick von der eigenen Heimstätte aus das weite schwäbische Meer von der Einmündung des Rheines bis nach Constanz, das Thal der Bregenzer Ach und des Rheins, die Appenzeller und Glarner Alpen, während Gebhardsberg und Pfänder zu noch weiterer Rundsicht locken. Wahrlich, kein Dichter kann sich einen lieblicheren Erdenwinkel erträumen, als Alfred Meißner ihn sein eigen nennt. Auf einer entzückenden Landschaft haftet täglich der Blick des Dichters. Noch fesselnder aber, als Strom, Gebirg und See, mit ihrem stets wechselnden Farbenspiel, ist für den Sinnenden das gewaltige Stück Welt- und Culturgeschichte, welches dieses weite reiche Land seit Jahrtausenden erzählt. Von den Anfängen menschlichen Daseins geben die zahlreichen Pfahlbauten Kenntniß, die aus dem festgewordenen Boden des einstigen Seebettes zu Tage gefördert wurden. Von den Anfängen deutscher Geschichte reden diese Ufer. Von hier aus brachen die unübertroffenen Meister des Straßenbaus, die Römer, ihre Alpenstraßen über die Joche Graubündens, die Thalstraßen in das innere Helvetien und an den Oberrhein über Vindonissa und Augusta Rauracorum gegen Basel; die Straßen, auf denen später die germanische und hunnische Völkerwanderung zur Bewältigung des römischen Weltreiches vordrang. Auf diesem See lieferte eine römische Kriegsflotte unter Tiberius in der Nähe von Bregenz, beim heutigen Lindau, im Jahre 9 vor Christus den Vindelikern und Bojern eine Seeschlacht. In diesem See spiegelte sich die uralte deutsche Kaiserpfalz Bodmann und gab ihm seinen heutigen Namen. Auf den felsigen Höhen des Hegau erwachsen die Burgen deutscher Herren als Schirm des Landes, der reichen Klöster und Ansiedelungen der Niederung. Von diesen alten Tagen erzählt uns Scheffel’s Ekkehard. Aber immer noch liegt ein Jahrtausend fast zwischen den Zeiten Ekkehard’s und den unsern. Ein Jahrtausend, das dem starken Volk des Bodensees viel Kampf und Blutvergießen brachte, viel Noth und Drangsal aller Art, aber doch stetig wachsende Cultur und Gesittung bis zum heutigen Tage, wo an diesem See die Schweiz, Oesterreich und drei deutsche Bundesstaaten die Hand sich reichen in friedlichem Wettbewerb um die Güter und Segnungen des Friedens, in guter Völkernachbarschaft.

Was ist ein einzelnes Menschenleben, selbst das größte, im Vergleich zu diesen Sagen und Erinnerungen von Jahrtausenden, die vor Alfred Meißner lebendig werden, wenn sein Blick vom Söller seines Hauses die weite Landschaft umfaßt? Und dennoch, wie dankbar sind wir für jede Aufzeichnung, die uns Selbsterlebtes aus diesen dahingerauschten Jahrhunderten treu vermittelt. Die Erdensorgen und Mühen, die Hoffnungen und Täuschungen, die einst die Männer bewegten, welche im Schatten des Klosters oder in der Actenstube des hochgiebligen Rathhauses oder in der schwarzbraunen Bücherei des alten Rittersitzes ehrwürdige Pergamente mit der Geschichte ihres Lebens füllten, mögen längst für das heutige Geschlecht alles Interesse verloren haben. Unverloren aber und unvergessen, zu neuem Leben erweckt, sind durch diese Aufzeichnungen die großen Ideen, welche in den Tagen der Verfasser um Geltung rangen in der Geschichte der Völker, und mit ihnen treten die Gestalten der vornehmsten Kämpfer im Streite der Geister vor unser Auge, als lebten sie heute.

Mit warmer Dankbarkeit für die Treue und Wahrhaftigkeit des Verfassers wird die Nachwelt einst auch nach dem Memoirenwerk greifen, das Alfred Meißner unter dem bescheidenen Titel „Geschichte meines Lebens“[1] soeben veröffentlicht hat, und das, kaum erschienen, drei Auflagen erlebte. Wir Mitlebenden aber sollten uns die Freude gönnen, es unserm eigenen Bücherschatz einzuverleiben und unsern Kindern zu vererben mit der Bedeutung, daß in diesem schlichten Buch ein guter Theil der edelsten Gedanken und Bestrebungen niedergelegt sei, die unser Jahrhundert groß machten. Unmöglich ist es, dem Leser in dem knappen Raum, der uns zugemessen ist, den reichen Inhalt des Meißner’schen Werkes, seine glänzende Schilderung der geschichtlichen Ereignisse und der hochberühmten Zeitgenossen, mit welchen ihn seine Lebensbahn zusammenführte, auch nur im Auszug zu bieten. So muß denn versucht werden, den Lebensgang des Dichters nach diesen Blättern in Kürze zu erzählen. Jeder unserer Leser wird dann gewiß das Bedürfniß fühlen, aus der klaren köstlichen Quelle selbst zu schöpfen.

Alfred Meißner ist geboren in Teplitz am 15. October 1822. Sein Vater war ein Arzt aus Dresden, der sich in Teplitz Grundbesitz und Vermögen erworben hatte, seine Mutter eine Schottin. Englisch waren die ersten Sprachlaute und Liedertexte, die an sein Ohr drangen. Seine Kinderjahre verlebte er einsam im Elternhaus, ohne Gespielen, ohne Geschwister. Teplitz war damals noch ein kleines stilles Landstädtchen, in das nur im Sommer Badeleben kam, nicht entfernt in dem Umfang wie heute. Da sah der kleine Alfred zur Sommerszeit in dem elterlichen Hause wunderliche Leute, einen uralten polnischen General Klicki, der unter Napoleon gefochten, eine greise gelähmte Gräfin Stolberg und das siebenzigjährige Liebespaar Tiedge und Elise von der Recke. Sie zeigen dem Knaben das Grab eines Dichters, das sie bei Teplitz pflegen, das Grab Seume’s. Vor den Augen des Neunjährigen ziehen dann die gesprengten Schaaren von Polen vorüber, welche im letzten Verzweiflungskampf gegen Rußland gerungen hatten, von den Bewohnern des Teplitzer Thals, wie überall in Oesterreich und Deutschland, in einer Zeit furchtbaren Drucks und gewaltthätiger Reaction, als die Kämpfer der Freiheit gefeiert.

Durch Censur, Bücher- und Zeitungsverbote suchte das damalige Metternich’sche Oesterreich sich und seine Unterthanen vor dem geistigen Ansteckungsstoff der von der „Freiheitsseuche^ ergriffenen Länder zu schützen. Harte Strafe stand auf dem Halten verbotener „ausländischer“, d. h. deutscher Zeitungen; verboten war aber Alles, sogar der harmlose „Nürnberger Correspondent“, den Meißner’s Vater heimlich hielt. Eines Tages sieht Alfred den Vater, von einem „Grenzjäger“ verfolgt, in das Haus fliehen. Einen Haufen Papierblätter wirft der Arm des Vaters in fliegender Eile in den Ofen. Die Flamme prasselt hoch auf. Der Beamte ringt mit dem Vater um die brennenden Blätter; er versucht sie dem Feuer zu entreißen, um Ueberführungsstücke zu gewinnen. Er zieht die Hand, den Arm, übel verbrannt, zurück. Der Mann, den er verfolgt, legt ihm Oel und Verband auf. Aber mit harter Strafe ahndete der Staat Oesterreich das Verbrechen des Dresdener Arztes, eine deutsche Zeitung zu lesen.

Sonderbare Gedanken erweckte dieser Vorgang in dem Haupte des sinnenden Knaben, und noch sonderbarere und traurigere ein anderer Vorfall, der bald folgte und auch dem kindlichen Gemüth offenbarte, daß der Staat, der so drakonisch drohte und strafte, zu anderen Zeiten nicht einmal den Willen oder die Kraft besaß, seiner Bewohner Landfrieden, Leben und Eigenthum zu schützen. Da dieser Vorgang von entscheidender Bedeutung für Meißner’s fernere Erziehung und Verhältnisse, ja seinen ganzen Lebensgang wurde, so muß desselben hier eingehender gedacht werden.

Meißner’s Vater erkannte im Sommer 1831 bei einigen seiner Patienten die asiatische Cholera. Er machte kein Hehl daraus, verlangte Veröffentlichung aller Cholerafälle und die Absperrung der Häuser, in denen solche Fälle sich ereigneten. Er sagte einem fürstlichen Badegaste, den er behandelte, mit aller Offenheit, daß die Cholera im Orte sei. Dessen Abreise, die Abreise sehr vieler Curgäste war die Folge. Gegen den Arzt, der seine klare Pflicht geübt, während Behörden und Bevölkerung die Krankheit verheimlichen wollten, wandte sich die ganze Wuth der in ihrem Gelderwerb Geschädigten. Mehrere Nächte hindurch wurde das Haus der Eltern Meißner’s belagert, zu stürmen versucht, wurden alle Fenster, alles Glas und Geräth durch Steinwürfe zertrümmert. Die Regierungsbeamten rührten keine Hand gegen den schweren Landfriedensbruch. Nur wenn der Arzt die Stadt [550] verlasse, könne man ihm sicheres Geleit versprechen, sein und der Seinen Leben schützen. So mußte Meißner’s Vater als Flüchtling von Haus und Hof sein Eigen um Schleuderpreise verkaufen, in reifen Jahren sich in Karlsbad einen ganz neuen Wirkungskreis suchen, weil er sich nicht dazu hatte hergeben wollen, eine Krankheit^ wegzulügen, die nach späteren amtlichen Berichten in Böhmen allein in zwei Jahren von einer Bevölkerung von damals vier Millionen über 23,000 Einwohner getödtet, über 63,000 auf das Krankenlager geworfen hat!

Meißner’s Eltern scheinen in den ersten Jahren ihres Karlsbader Aufenthaltes unter schweren Sorgen gelitten zu haben. Dem geliebten einzigen Kinde wollten sie den Anblick ihres Kummers ersparen. Deshalb ward der Knabe auf das Gymnasium der Piaristen zu Schlackenwerth (etwa zwei Stunden von Karlsbad) gebracht und in das Haus des dortigen Regens Chori Herrn Hessenteufel in Pension gegeben. Alle Noth des Lebens hat der arme Knabe dort an seiner Umgebung und an sich selbst erfahren. Der Pensionsherr hatte eben nur drei- bis vierhundert Gulden Gehalt, und seine schon zahlreiche Familie vermehrte sich jährlich um ein Glied. Da gab es Kartoffeln und Klöße in angenehmer Abwechselung das ganze Jahr, Fleisch sehr selten. Einmal Schweinebraten! Aber um welchen Preis! Erst Jahre später ward Meißner sich darüber klar. Ein durchreisender deutscher Fürst hatte Gefallen gefunden an dem bildschönen, gutherzigen Dienstmädchen des armen Hessenteufel und sie mit sich an seinen Hof genommen, nachdem Herr Hessenteufel seine entrüstete Einsprache aufgegeben.

Zu Weihnachten 1832 durfte Alfred zum ersten Mal wieder in das Vaterhaus in Karlsbad seine Schritte lenken. Die Knappheit der elterlichen Verhältnisse konnte auch dem kindlichen Auge nicht entgehen. Auf dem Gabentisch unter dem Weihnachtsbaum lag ihm ein einziges Geschenk. Aber ein köstliches: „Schiller’s Werke“ in einem Band, die Cotta’sche Ausgabe von 1830 mit dem Stich des Schiller-Kopfes nach Dannecker’s Marmorbild. Der gute Vater hatte auf dem ersten Blatt ein längeres Gedicht eingeschrieben, aus dem wir nur die eine Strophe geben, die deutlich sagt, was sein Herz bewegte:

„Nichts ist mehr, wie es gewesen,
Nichts wie Du gewohnt es bist,
Und Geschenke, auserlesen,
Bringt nicht mehr der heil’ge Christ.“

Nach drei langen, bangen Jahren ward Alfred Meißner endlich aus Schlackenwerth erlöst, als die Eltern im October 1835 beschlossen, die Wintermonate in Prag zuzubringen. Der Knabe ward in das Altstädter Gymnasinm versetzt und athmete auf unter den freieren Verhältnissen, die sich hier boten. Zum ersten Mal schloß er innige Freundschaft, namentlich mit dem Classengenossen Moritz Hartmann. Das Weihnachtsgeschenk von 1832 fesselte ihn täglich mehr durch die Wunder und Hoheit seines Gehaltes. Die „Ilias“ Homer’s übte ihren unvergleichlichen Zauber, nicht minder aber die wunderbare uralte Stadt. In den höheren Classen beseligten Byron, Grabbe, Grillparzer die Mußestunden der jungen Leute, und mancher eigene Ritt ward auf dem Pegasus unternommen. Gleichwohl ward auch das Ziel der Schule in rechter Zeit gewonnen, nur Moritz Hartmann fiel durch, um fortan als – Erzieher in den Häusern von Wiener Geldaristokraten ein behagliches schöngeistiges Leben zu führen, dessen warmen Abglanz seine Briefe dem Freunde in Prag vermittelten.

Meißner aber studirte, wohl mehr nach dem Willen des Vaters, als aus eigenem Drang, in Prag Medicin bis an’s Ende. Eine Fülle bedeutendster Namen der Heilkunst zierte damals die böhmische Hochschule. Hyrtl, Redtenbacher und vor allen Oppolzer. Ihren wissenschaftlichen Verdiensten, ihren menschlichen Vorzügen hat Meißner in dem vorliegenden Werke das schönste Denkmal pietätvoll errichtet.

In diesen Jahren flammt in dem Jüngling der heiße Strahl der ersten Liebe auf – zu einer Polin, der einzigen Tochter einer armen adligen Wittwe, die ihre letzten Mittel daran wendet, den erloschenen Glanz der alten Familie noch einmal leuchten zu lassen. Trauriger als die Geschichte dieser ersten Liebe unseres Dichters ist keine, welche diese Blätter erzählen. Ihr Verlauf kann hier nur angedeutet werden. Ueber manches Capitel dieser Erinnerungen ist sie verstreut. Eben sind die jungen Leute sich ihrer Liebe klar geworden, als die Baronin sie trennt, die Tochter in unbekannte Ferne entführt. Jahre vergehen, da entdeckt Meißner in Karlsbad durch einen Zufall den Aufenthalt der Geliebten. Sie hat die Mutter verloren, lebt in Paris, Straße und Hausnummer werden notirt. Wieder vergehen Jahre – wir greifen unserer Erzählung vor, um diese Episode im Zusammenhang zu geben – zum ersten Mal kommt Meißner nach Paris. Sein erster Gang ist zu Celeste. In wunderlichem Negligé öffnet sie selbst die Thür und erkennt ihn. Sie ist allein, in eleganten Räumen. Auf alle seine Fragen antwortet ihm nur ein Thränenstrom. Ungestüm drängt sie ihn wieder hinaus, ihn, „ihren ersten, einzigen Jugendfreund“. Keine Brücke kann ihn mehr hinüberführen zu der Verlorenen. Ihr Versprechen ihm zu schreiben, zu erklären, wagt sie nicht zu erfüllen. So bleibt sie ihm verschollen. Heil dem Manne, der nach solchem Herzensschicksal sich unausrottbaren Idealismus zu wahren verstand und nicht, wie der lachende Wiener Zauberpossendichter Ferdinand Raimund sagt: „Ich habe von den Menschen stets das Schlechteste gedacht, auch von mir seldst, und habe mich nie getäuscht.“

Und doch ist es keinem Geschlechte so schwer gemacht worden, an die idealen Güter und Züge unseres Volkes zu glauben, als den jungen warmen Herzen, die in der Mitternachtssonne des Metternich’schen Staates zu Jahren kamen!

Gegenwart und Zukunft hatte das officielle Oesterreich in Bande geschlagen. Nur die unschädliche Vergangenheit war freigegeben. In die ruhmreiche Vergangenheit des glaubensfreien, ungebrochenen Böhmerlandes, wie es in den Tagen des Johann Huß, vor der Schlacht am weißen Berge gewesen, tauchte Meißner’s Blick. Sein „Ziska“ gewann Farbe und Leben! Tausendjährige Vergangenheit redete von den alten Bauwerken der Stadt zu dem Studenten der Medicin, der nahe vor dem Examen im Garten beim Spital sein Heldengedicht niederschrieb. Vorher schon war ein Band „Gedichte“ Meißner’s bei Philipp Reclam in Leipzig erschienen und günstig angenommen worden. Honorar hatte Reclam natürlich nicht gezahlt. Gedichte wurden damals nicht für Honorar gemacht, jedenfalls zahlte der Buchhändler keins. Der Erfolg ermuthigte zur Vollendung des großen Epos, drängte zum Abschluß der Universitätsstudien. Am 2. Juli 1846 promovirte Meißner feierlich im großen Karolinsaal zu Prag als Doctor der Medicin. Ernst und nachdenklich blickte von der Wand das Bild des Großvaters, des weiland Prager Professors der schönen Wissenschaften August Gottlieb Meißner, auf den Enkel. „Thränen traten mir in’s Auge,“ erzählt Meißner, „als Professor Oppolzer, den ich wie ein höheres Wesen verehrte, mich in seine Arme schloß. Und nun war Alles vorbei, die Trompeter auf der Estrade bliesen ihre uralte traditionelle Fanfare.“

Ja, es war Alles vorbei, und zwar bereits, ehe der medicinische Doctorhut errungen war, zunächst die Illusion, als könne und werde der junge Doctor je den Beruf des Arztes ausüben. Alfred Meißner fühlte sich „die Stahlnerven versagt, ein ernstes Duell mit dem Tode zu führen“. Nun mußte das Schwerste gethan sein: der gute Vater mußte erfahren, daß der Sohn nie dem Alternden im Berufe beistehen, nie die neue schöne Karlsbader Praxis des Vaters übernehmen werde. Die Wahrhaftigkeit des Sohnes gestaltete den Kampf noch härter. Denn nicht blos Unlust und Ungeschick zum ärztlichen Beruf machte der Sohn für seine Weigerung geltend, sondern noch nachdrücklicher sein ausschließliches Interesse für poetisches Schaffen, seinen Dichterberuf. Als Thorheit, Trotz und Verblendung ward dieser Entschluß vom Vater gescholten; selbst die Drohung, für immer die Hand vom Sohn abzuziehen, kam aus diesem gütigen Mund. Vergebens! Der Sohn fühlte sich dadurch nur in dem Entschlusse gestählt, seinen „Ziska“ baldigst zu vollenden und erscheinen zu lassen.

Sowie die Dichtung dem Abschluß nahe war, begab sich Meißner nach Leipzig. Denn wehe dem Dichter so ketzerischer, politischer und religiöser Freiheitslieder, wie sie „Ziska“ enthielt, wenn er innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle zu greifen gewesen wäre! Zudem ließ sich mit dem Verleger leichter persönlich unterhandeln, und auch der Zwiespalt mit dem Vater heilte wohl aus der Ferne besser.

[556] Es war im September 1846, als Meißner nach Leipzig kam. Der Verleger für „Ziska“ war bald gefunden. Das Heldengedicht erschien und hatte ungeheuren Erfolg. Meißner konnte am Morgen nach der ersten Ausgabe von sich sagen, wie Byron, daß er über Nacht berühmt geworden sei. Die erste Auflage war in der ersten Woche vergriffen. Alle Zeitungen, alle Literaturzeitschriften – von denen es damals eine Fülle gab – waren voll des einmüthigsten Lobes, obwohl Meißner den einflußreichen Freunden jedes Wort über das Werk verboten hatte. Selbstverständlich machte dieser glänzende Wurf den vierundzwanzigjährigen Dichter in allen Schriftsteller- und Künstlerkreisen begehrt und beliebt, ebenso sehr aber auch seine persönliche Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit. Leipzig und Dresden konnten damals als die Heimathsitze der namhaftesten deutschen Schriftsteller und Künstler gelten. In Leipzig lernte Meißner Heinrich Laube, Herloßsohn, Ignaz Kuranda, Ernst Willkomm, Johannes Nordmann, Oettinger etc. kennen, in Dresden Gutzkow, Auerbach, Richard Wagner, Robert Schumann, Rietschel, Semper, Julius Hübner, Julius Schnorr, Hähnel, Ferd. Hiller. In treffendster Weise wird jeder dieser Männer von Meißner geschildert. Gutzkow’s „Uriel Acosta“ war für ihn das letzte literarische Ereigniß in Dresden. Er mußte unfreiwillig und plötzlich von der sächsischen Hauptstadt Abschied nehmen.

In Oesterreichs amtlichen Kreisen war nämlich Meißner’s „Ziska“ keineswegs mit der Begeisterung aufgenommen worden, wie im Volke. „Ziska“ ward im Gegentheil von der kaiserlich königlichen Censurhofstelle mit dem damnatur belegt. Die strafrechtliche Verfolgung des österreichischen Verfassers war damit angesagt. Daß diese in Form eines „Kreisschreibens“ an die österreichischen Regierungsämter im Werke sei, erfuhr Meißner durch die anonyme Zusendung dieses lithographirten Actenstückes von Seiten eines vertrauten Freundes in Prag. Trotz der damaligen sprichwörtlichen Bereitwilligkeit des sächsischen Staates, Oesterreich bei Ergreifung politischer Verbrecher starke Hand zu leisten, weilte Meißner noch in Dresden. Eben erst hatte er das lithographirte „Kreisschreiben“ erhalten.

Es war ein feuchtkalter Januarabend des Jahres 1847, als er mit Richard Wagner, Friedrich Pecht und Hähnel aus Helbig’s Restaurant an der Brücke trat und seiner Wohnung in der Neustadt zuschritt. Da redete ihn, dicht am Hause, ein Friseur leise und vorsichtig in breitem Sächsisch an und vertraute ihm, daß Polizei seit einer Stunde auf seinem Zimmer seiner warte und eine Droschke in der Nähe auf sie Alle.

„Sehen Sie dort die Droschke, mein gutes Herrichen,“ schloß der freundliche Warner, „es ist die bewußte.“

„Ich blickte in die angegebene Richtung,“ sagt Meißner, „betrachtete das mir freundlich zugedachte Vehikel, war aber entschlossen, dasselbe nicht zu benutzen.“

Ohne Zeitverlust nahm unser Dichter den nächsten nach Preußen abgehenden Eisenbahnzug.

Seine Wanderzeit begann. Erst in Köln machte er Halt. Dann ging es weiter nach Brüssel. In dem bunten Flüchtlingsgewimmel der belgischen Hauptstadt gewinnt Meißner einen lieben, bedeutenden Freund, den geistvollen, bescheidenen Jacob Kaufmann. Am 8. Februar 1847 betritt Meißner zum ersten Male Paris. Sein unseliges Wiedersehen mit Céleste an diesem Tage ist schon oben erzählt. Am 10. Februar schon sucht er Heinrich Heine auf. Das Verhältniß der beiden Dichter gestaltet sich von Anfang an überaus herzlich. Kein Anderer hat über Heine’s Verhältnisse, Gedanken, schriftstellerische Schöpfungen und Pläne der folgenden Jahre so tiefe und unbefangene Aufschlüsse gegeben, wie Alfred Meißner. Was er selbst darüber geschrieben, Strodtmann und Eduard Engel mitgetheilt hat, darf als beste und untrüglichste Quelle der Nachrichten aus dem letzten Jahrzehnt des unglücklichen Dichters gelten. Diese Mittheilungen über Heine füllen einen großen Theil der beiden Bände des Meißnerschen Memoirenwerks. Darum allein schon lohnt sich dessen Besitz.

Aber auch für die Kenntniß der hervorragendsten Gelehrten, Schriftsteller, Dichter des damaligen Frankreich sind diese Erinnerungen Meißner’s ungemein werthvoll. Jules Michelet, Béranger, Alexander Dumas Vater z. B. sind sämmtlich köstlich geschildert. Der Dialog, der sich mit Vater Béranger bei Meißner’s Besuch entspinnt, ist die beste Lustspielscene, die man sich denken kann. Béranger hält Prag für die Hauptstadt Ungarns, verwechselt es dann mit dem aus der polnischen Erhebung berühmten Praga und hält Meißner trotz aller Belehrung für einen Ungarn. Als ihm auch dieser Irrthum benommen ist, macht er die verworrenen staatsrechtlichen Verhältnisse Deutschlands dafür verantwortlich, daß er, der klare Franzose, sich nie darin zurecht finden könne. Alexander Dumas dagegen versichert ernsthaft, er arbeite an einer Uebersetzung von Schiller’s „Kabale und Liebe“ – „eine Arbeit,“ sagt Meißner, „die um so erstaunlicher erscheint, wenn man bedenkt, daß Dumas kein Wort Deutsch verstand.“ Endlich lernt Meißner damals auf einer Eisenbahnfahrt von Havre nach Paris eine reizende junge Deutsche kennen, die er fortan häufig spricht, und zwar so oft er nach Paris kommt, mit der er stundenlang durch die Umgebungen der Weltstadt wandert, die aber um ihren Namen, ihre Familie, ihre Wohnung undurchdringliches Geheimniß webt. Erst viele Jahre später, nach dem Tode Heine’s, erfährt Meißner von ihr selbst, daß sie Heine’s „Monche“ (Camilla Selden) gewesen, von der unseren Lesern Eduard Engel zu Beginn dieses Jahres eingehend berichtet hat.

Im September 1847 kehrte Meißner nach Deutschland, zunächst nach Heidelberg, zurück. Der kurze Aufenthalt daselbst ward von entscheidender Bedeutung für die Richtung seines poetischen Schaffens. Er traf dort Berthold Auerbach, Adolf Stahr, Jacob Moleschott, Hermann Hettner, Ludwig von Rochau. Den Freunden theilte er mit, daß er weitere zwei Epen aus der böhmischen Geschichte „Georg von Podiebrad“ und die „Weißenberger Schlacht“ fast vollendet habe. Auerbach und Hettner erheben lebhafte Einsprache, erklären den Stoff für undeutsch, der deutschen Sache in Böhmen gefährlich. Inzwischen war nämlich die czechische Nation erfunden worden. Meißner wehrt sich, streckt aber die Waffen vor der verstärkten Gegenrede der Freunde. Die Gedichte wandern in den Ofen, und am Abend kann er den Freunden verkünden, daß es bei ihm „mit den alten Böhmen für immer vorüber sei“.

Diese That erweist sich nach seiner Rückkehr nach Prag, Ausgangs 1847, als eine wirklich gute, deutsche That. In dem wilden Nationalitätenstreite, den das Jahr 1848 in der böhmischen Hauptstadt wachsen sieht, wären Meißner’s czechische Epen wirklich nur den Feinden der Deutschen in Oesterreich Rüstzeug gewesen. Unvergleichlich lebendig ist die Schilderung der Scenen und Persönlichkeiten, welche der Frühling des „tollen Jahres“ in der böhmischen Hauptstadt über die öffentliche Schaubühne führt. Meißner schildert sie aus erster Quelle, denn der Dichter des „Ziska“ ward von den begeisterten Volksmassen in die provisorische Regierung Böhmens, den „Nationalausschuß“ gewählt. Doch immer fremder und unbehaglicher fühlt sich Meißner in der Stadt seiner Jugend bei der wachsenden Unklarheit der Köpfe und Ziele. Auf das Frankfurter Parlament ist sein Hoffen, seine Zuversicht gerichtet. Er eilt zu Pfingsten nach Frankfurt; von Leipzig an macht er die Fahrt mit Arnold Ruge. Er bleibt in Frankfurt bis gegen Neujahr und sieht hier alle die Hoffnungen in Trümmer gehen, die er auf die Versammlung in der Paulskirche gesetzt. Die Erstürmung Prags und die Wiens durch Windischgrätz liegen dazwischen. Meißner stand ganz auf dem Boden der Frankfurter Linken, und auch sein Werk steht heute nach sechsunddreißig Jahren noch auf diesem Boden. Der Historiker mag es deshalb tadeln; dem Freunde treuer zeit- und culturgeschichtlicher Schilderung bietet es eine Fülle köstlichsten, frischesten Stoffes. An der großen Revolutionsbewegung selbst hatte sich Meißner nur durch ein „Octobergedicht“ aus Anlaß der Wiener Octobertage betheiligt. Dieses sollte nach der Meinung des Prager Staatsanwalts eine wahre Fundgrube politischer Verbrechen enthalten, nämlich: „1) Schmähung des Landesfürsten, mit der Absicht, gegen ihn Abneigung zu erwecken; 2), 3) und 4) Aufforderung zum Aufruhr, zur Unterjochung des Vaterlandes durch einen äußeren [558] Feind (deutsche Reichsarmee) und zu gewaltsamer Veränderung des österreichischen Kaiserstaates.“ Meißner traute dem Landfrieden in Frankfurt nicht mehr. Er hatte auch geschäftlichen Grund in’s Ausland zu reisen, da ihm ein Frankfurter Verleger den Auftrag ertheilt hatte, ein Buch über die sociale Bewegung im republikanischen Frankreich zu schreiben.

So geht es denn abermals über Köln nach Paris. In Köln macht Meißner die Bekanntschaft von Freiligrath und Karl Marx. Der Letztere giebt ihm an einen Herrn Sarpi in Parts ein Paket mit, das in einer wilden Straße, im Dunkeln, unter seltsamen Paßworten abgeliefert werden soll. Ein Mann in den Vierzigern, blaß, mit schwarzem Vollbarte, nimmt es dort begierig in Empfang. Als wenige Wochen später die Zeitungen das Bild des revolutionären Volkstribunen und Herrschers von Rom veröffentlichen, erkennt Meißner in Signor Sarpi – Joseph Mazzini. Auch Alexander Herzen und Telecky lernte Meißner in Paris kennen! Den Hauptreiz dieser Pariser Capitel bilden aber auch diesmal die tiefen Gespräche Heinrich Heine’s über Zeit und Menschen.

Der Mai 1849 ist gekommen, der letzte Act des Trauerspiels der Revolution. In Dresden, Baden, der Pfalz und ganz Oesterreich-Ungarn herrscht das Standrecht. In Oesterreich allein enden nach authentischen Quellen von 1848 bis 1852 am Galgen oder unter den Kugeln des Standrechts 2187 politische Verbrecher! Da litt es Meißner nicht mehr in der Heimath, in Karlsbad, wohin er inzwischen wieder zurückgekehrt ist. Er sucht die Einsamkeit. Seine liebsten Freunde leben in der Verbannung, sind gestorben, verdorben in den furchtbaren Jahren. Er eilt nach England, in das freie Inselreich, das, unberührt von der wilden Reaction des Festlandes, sein freies Staatsleben weiter entwickelt. Natürlich wimmelt es auch in London von Flüchtlingen. Da findet Meißner Moritz Hartmann wieder, dann Ludwig Bamberger, Arnold Ruge, Adolf Stahr, Fanny Lewald, selbst Ladislaus Rieger und Franz Pulsky. In den feinsten Familien und Gesellschaften Englands erhält Meißner Zutritt, bei Lord Russell wie im Carlton-Club. Im Hochsommer bricht er zum Besuche der schottischeu Hochlande auf, der Mutter Heimath. Da ist auf stürmischer Seefahrt die Bibel das einzige Buch an Bord. Unser Dichter liest die Geschichte des Königs David, tagelang. Der Plan seiner ersten dramatischen Arbeit „Das Weib des Urias“ ist in seinem Haupte vollendet, als er das Buch der Bücher aus der Hand legt. Sofort wird die dramatische Dichtung geschrieben und gedruckt. Sie hatte in damaliger Zeit keine Hoffnung, aufgeführt zu werden, vornehmlich wegen ihrer historischen Treue. An poetischem Werthe stellten sie einzelne Kritiker, wie z. B. Julian Schmidt, über Alles, was Meißner bis dahin geleistet.

Sofort nach dem Erscheinen dieses Werkes im Sommer 1851 ging Meißner an eine zweite dramatische Arbeit „Reginald Armstrong oder die Welt des Geldes“, eine Tragödie, die alsbald in Prag, Braunschweig und Hannover mit dem glänzendsten Erfolge gegeben, von den Hoftheatern in Berlin, München und Dresden zur Aufführung angenommen wurde. Aber die Aufführung in Wien, in der Saison morte von 1852, verdarb die glänzenden Aussichten, die das Stück verdiente. Dasselbe war nichts für die damalige Wiener Gesellschaft: viel zu innig, durchgeistigt, freisinnig – und zudem hatte der Dichter des „Ziska“, der Freiheitslieder des „tollen Jahrs“ dort einflußreiche Feinde. Das Wiener Theaterpublicum aber galt damals in ganz Deutschland als die inappellable Instanz über den Werth oder Unwerth eines neuen dramatischen Werkes. Hier wurde auch Meißner’s spätere dramatische Arbeit „Der Prätendent von York“, trotz ihres großen Erfolges in Weimar, durch die kühle Haltung des Burgtheaterpublicums zu Grabe getragen.

Damit war leider Meißner’s Entschluß besiegelt, dem dramatischen Schaffen zu entsagen und sich ausschließlich dem Romane zuzuwenden. Was er auf diesem Gebiete geleistet, wissen wir Alle. Aber seine Lebenserinnerungen brechen an dem Punkte ab, wo er in diese neue Bahn einlenkt, in der er Jahrzehnte ausharrte und Kranz um Kranz errang.

Dreißig Jahre sind darüber hingegangen. Aus dem Dreißiger ist ein Sechsziger gemordet. Aber frisch, aufrecht und schaffensfreudig, mit jugendlich warmem Herzen hält er die Wacht deutscher Gesinnung und Gesittung, deutscher Poesie nach wie vor in Oesterreich. Seine Ideale sind die seiner Jugend. Seine Feder ist sein Schwert, und er schlägt eine so kräftige Klinge wie irgend ein anderer Deutsch-Oesterreicher durch Reden im Reichsrath, oder durch Leitung eines der großen Organe der Wiener Presse. So möge dem trefflichen tapferen Dichter noch ein langes Schaffen und Genießen und bald auch Zeit und Lust beschieden sein, die Geschichte seines Lebens bis auf die Gegenwart weiter zu erzählen.


  1. Wien und Teschen. Karl Prochaska. 2 Bände, 1884.