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Artikel „Zupitza, Julius“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 501–503, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zupitza,_Julius&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 22:15 Uhr UTC)
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Zupitza: Julius Z., Germanist und Anglist, wurde am 4. Januar 1844 zu Kerpen bei Ober-Glogau als Sohn eines Landwirths katholischer Confession geboren, besuchte seit 1854 das Gymnasium zu Oppeln und bezog im Herbst 1862 als Student der Philologie die Universität Breslau, die er nach drei Semestern mit Berlin vertauschte. Im December 1865 hat er dort promovirt, im Februar 1866 die Staatsprüfung abgelegt. Sein Studium hatte die classische und deutsche Philologie umfaßt, daneben Sanskrit und die neueren Sprachen, soweit sie ihm auf der Universität zugänglich wurden. Den größten Einfluß gewann auf ihn K. Müllenhoff, dem er sich mit Liebe und Bewunderung anschloß und dem er zeitlebens mit der Treue anhing, die der Kern seines grundtüchtigen Wesens war. Nachdem er sein Probejahr am Oppelner Gymnasium absolvirt und demnächst drei Semester als Hülfslehrer am katholischen Matthiasgymnasium zu Breslau gewirkt hatte (bis Michaelis 1868), habilitirte er sich zu Ostern 1869 an der Viadrina und dehnte den Kreis seiner Vorlesungen bald über das Gebiet der deutschen Philologie hinaus auf Englisch, Altfranzösisch und Provenzalisch aus. Ostern 1872 erhielt er eine Berufung als außerordentlicher Professor für „nordgermanische Sprachen“ an die Universität Wien, wo er [502] vor allem den Grund zum wissenschaftlichen Betrieb des Englischen legen sollte. Er begann seine Vorlesungen dort im October 1872, nachdem er durch einen halbjährigen Aufenthalt in England sein Rüstzeug für die neue Aufgabe completirt hatte. 1874 ward er Ordinarius und 1876 traf ihn, den 32jährigen, die Berufung auf den neugegründeten Lehrstuhl der englischen Philologie zu Berlin. Hier hat er alsbald und durch mehr als 19 Jahre hindurch eine fruchtbare Lehrthätigkeit entfaltet, von der zahlreiche tüchtige Dissertationen, Ausgaben und Monographien seiner Schüler Zeugniß ablegen. Den strebsamen Studenten trat er rasch persönlich nahe und mit vielen blieb er über die Universitätsjahre hinaus verbunden; als Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen war er in freier wissenschaftlicher Aussprache wie in zwanglos heiterer Geselligkeit Haupt und Mittelpunkt eines stattlichen Kreises älterer und jüngerer Freunde. Die Ferien widmete er gerne dem Besuch der englischen Bibliotheken, aus denen er einen reichen Schatz von Abschriften und Collationen heimbrachte. Aus voller Schaffensfreudigkeit, aus einem glücklichen Familienleben ward er in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1895 durch einen tödlichen Gehirnschlag abberufen.

Z. gehörte in seinen wissenschaftlichen Anfängen der Gruppe junger Germanisten an, die Müllenhoff zur Herausgabe seines „Deutschen Heldenbuchs“ erzog und anleitete: seine Dissertation „Prolegomena ad Alberti de Kemenaten Eckium“ (1865) und seine Habilitationsschrift „Verbesserungen zu den Drachenkämpfen“ (1869) stellen Vorarbeiten für die Editionsleistung dar: der ganze 5. Band „Dietrich’s Abenteuer“ ist von ihm bearbeitet: Virginal, Goldemar, Sigenot, Eckenlied, was alles Z. noch dem Albrecht von Kemenaten zuschrieb. Er bewährte dabei die in Haupt’s und Müllenhoff’s Schule erlernte Technik, wenn er sich auch für die schwierigen litterarhistorischen Fragen noch nicht ausreichend gerüstet erwies. – In einer kleinen Schrift widerlegte er (1867) „Franz Pfeiffer’s Versuch, den Kürenberger als den Dichter der Nibelungen zu erweisen“, sein pädagogisches Geschick trat zuerst hervor in der „Einführung in das Studium des Mittelhochdeutschen. Zum Selbstunterricht für jeden Gebildeten“ (1868), die es bis zu einer 5. Auflage gebracht hat. Von Zupitza’s Beschäftigung mit der Liederedda gab ein textkritischer Aufsatz in der Zeitschr. f. dtsche. Philologie Bd. 4 (1873), S. 445–451 die letzte Kunde, während ein lange geplantes Specialglossar auf Zetteln liegen blieb.

Seit dem Jahre 1872 beherrschte die englische Philologie Zupitza’s ganze, sehr rege Production, deren Ausbreitung man in chronologischer Reihenfolge bei Kölbing, Engl. Studien 21, 456 ff., in stofflichen Gruppen bei Napier in Herrig’s Archiv 95, 248 ff. überblicken kann. Sie umspannt das ganze Gebiet der Anglistik, bevorzugt aber doch entschieden die alt- und mittelenglische Periode, und hier leistet sie das beste in der Kritik und sprachlichen Commentirung der Texte und in allen jenen Vorarbeiten über Ueberlieferung und Filiation, Alter, Heimath und Quellenverhältniß der Denkmäler, deren der Litterarhistoriker bedarf, ehe er zur Darstellung schreiten kann. Die Darstellung selbst war nicht Zupitza’s Sache, aber auch niemals das Ziel seines Ehrgeizes. Er griff zu, wo Arbeit Noth that, und wie er sich frohgemuth schwierige und weitaussehende Aufgaben stellte, erledigte er auch mit leichter Hand eine Masse von Nebenwerk, wie es ihm die Lectüre und die Bibliotheken darboten. Diese Vielgeschäftigkeit, die seit 1889 durch die Redaction des ehemals Herrig’schen „Archivs für das Studium der neueren Sprachen“ (Bd. 84–94) noch gesteigert wurde, und Zupitza’s früher Tod sind daran Schuld gewesen, daß gerade die größern Unternehmungen dieses rastlosen Gelehrten unvollendet geblieben sind: so entbehrt die kritische Ausgabe von „Aelfries Grammatik und Glossar“ (1881) [503] in gleicher Weise der Einleitung wie die Facsimile-Edition des Beowulf (1882), und von der umfassenden Publication aller Fassungen des mittelenglischen Romans von „Guy von Warwick“, der er sich auf eine Anregung Müllenhoff’s hin gleich zu Beginn seiner anglistischen Wirksamkeit zuwandte (vergl. „Zur Litteraturgeschichte des Guy von Warwick“, 1873) ist nur der erste Band (The Romance of Guy of Warwick. The second or 15th century version, London 1875, 76) mit reichhaltigen – und vielbenutzten – Anmerkungen ausgestattet, während die 1883. 88. 91 erschienenen Fassungen der Auchinleck-Hs. und der Hs. des Cajus Collega jeder Beigaben ermangeln.

Zupitza’s Bedeutung für die englische Philologie ist in erster Linie eine erzieherische. Diese schlichte, arbeitsfrohe Persönlichkeit, dieser Gelehrte von guter methodischer Bildung und regem philologischem Gewissen war ein rechtes Glück für die junge Wissenschaft, der er vortreffliche Lehrmittel bot, wie das wiederholt aufgelegte „Alt- und mittelenglische Uebungsbuch“ (zuerst 1874), „Cynewulf’s Elene“ (zuerst 1877), den Prolog der Canterbury Tales (1882), der er aber auch Muster philologischer Arbeit lieferte und eine Reihe wackerer Mitarbeiter heranzog. Durch die klare und, wo es Noth that, rücksichtslose kritische Beleuchtung oberflächlicher und unehrlicher Leistungen säuberte er das kaum urbar gewordene Feld vom rasch aufschießenden Unkraut, und indem er sich für keinerlei Aufgabe zu gut dünkte, hob er sozusagen das Niveau der wissenschaftlichen Tagesarbeit, zu der der hochstrebende und geistig vornehmere ten Brink nur selten herabstieg.

Die Collegien Zupitza’s hatten beim Verzicht auf jeden Reiz der Form und des Vortrags ihren besondern Werth durch die Fülle der Mittheilungen aus eigenstem Erwerb. Statt Litteraturgeschichte gab Z. eine rubricirte Uebersicht des litterarischen Materials, das er freilich bis in die Winkel der Manuscriptenschränke kannte; seine umfänglichen grammatischen Vorlesungen strotzten wahrhaft von Thatsächlichem. Anziehend war von vorn herein keines dieser Collegien, und doch haben sie kaum weniger als die litterarischen Arbeiten dazu beigetragen, Zupitza’s Ruf bei uns wie in England und Amerika zu festigen: der imponirenden Gelehrsamkeit ging ein ehrliches, prunkloses Wesen und eine rege Freude am Wissenserwerb zur Seite, und gerade den reiferen Zuhörern ward hier am meisten geboten. –

Zahlreiche Nekrologe, aus denen ich hervorhebe: Napier und Rödiger im Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen Bd. 95, S. 241–258 (mit Porträt); Kölbing in den Englischen Studien Bd. 21, S. 452–471 (mit vollständ. Biogr.). – G. Tanger im Shakespeare-Jahrb. Bd. 32, S. 296 bis 301. – A. Brandl, Deutsche Rundschau Bd. 85, S. 302–305.