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Artikel „Kölbing, Eugen“ von Max Hippe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 329–331, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%B6lbing,_Eugen&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:30 Uhr UTC)
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Kölbing: Eugen K., Anglist und Skandinavist. Geboren am 21. September 1846 zu Herrnhut in Sachsen als Sohn eines praktischen Arztes, besuchte K. zunächst die Schule seines Heimathsortes, später das Pädagogium in Niesky und schließlich das Gymnasium in Bautzen. Nachdem er hier im September 1865 die Reifeprüfung bestanden hatte, bezog er die Universität Leipzig, wo er Philosophie, classische Philologie und Germanistik studirte und insbesondere von Georg Curtius, Adolf Ebert und Friedrich Zarncke wichtige, für die Richtung seiner späteren gelehrten Thätigkeit bedeutsame Einwirkungen erfuhr. Im J. 1868 wurde K. in Leipzig auf Grund einer Studie „Ueber die nordische Parzivalsage und ihre Quellen“ zum Doctor promovirt, und ebenda legte er im folgenden Jahre die Prüfung pro facultate docendi ab. Er war dann von Michaelis 1870 bis Ostern 1872 an höheren Lehranstalten in Dresden, Schneeberg in Sachsen und in Chemnitz thätig und arbeitete hierauf ein Jahr lang an der damals neu geschaffenen Kaiserl. Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg i. E. Am 15. Juli 1873 habilitirte sich K. an der Universität Breslau für das Fach der germanischen Sprachen und Litteraturen mit einer Arbeit „Ueber die nordischen Gestaltungen der Partonopeus-Sage“, und der Universität Breelau hat er bis zu seinem Tode, im ganzen 26 Jahre, seit 1880 als außerordentlicher, seit 1886 als ordentlicher Professor der englischen Philologie, angehört. Obwol K. über eine sehr feste Gesundheit verfügte, war sie auf die Dauer den übergroßen Anstrengungen, die er sich viele Jahre lang in rastloser Arbeit auflegte, nicht gewachsen. Seit dem Herbste 1896, wo sich die ersten Anzeichen eines inneren Leidens bemerkbar machten, schwankte sein Gesundheitszustand. Im Sommer 1899 ging er auf den Rath der Aerzte nach dem Curorte Herrenalb im Schwarzwalde. Hier verschied er unerwartet infolge eines Herzschlages am 9. August 1899. Auf dem Friedhofe zu Herrenalb hat er auch seine letzte Ruhestätte gefunden.

[330] Die Wirksamkeit, die K. während der Jahre seiner Breslauer Amtsthätigkeit ausgeübt hat, war eine ungewöhnlich reiche und fruchtbare. Von Studien zur älteren nordischen Litteratur ausgehend, hat er sich bald der englischen Philologie zugewendet, und wenn er auch gelegentlich immer wieder zu Gegenständen der skandinavischen Litteraturen zurückgekehrt ist, so stand doch die englische Philologie fortan im Mittelpunkte nicht nur seiner amtlichen, sondern auch wissenschaftlichen Interessen. Eine lange Reihe hervorragender Arbeiten sind aus seiner Feder hervorgegangen, von denen hier nur die wichtigeren berührt werden können.

K. hat die Wissenschaft der Anglistik, die in den Tagen, da er an die Arbeit ging, noch in den Anfängen lag, mit schaffen helfen. Seine Bedeutung beruht in erster Linie auf seiner umfassenden, mit tiefgehendster Sachkenntniß und seltenem Erfolge ausgeübten editorischen Thätigkeit. Als einer der ersten hat er die von der classischen Philologie ausgebildete Methode bei der Herausgabe mittelenglischer Denkmäler zur Anwendung gebracht und meisterhaft gehandhabt. Seine Ausgaben mittelenglischer Dichtungen (Sir Tristrem 1882; Amis and Amiloun 1884; Sir Beues of Hamtoun 1885–94; Ipomedon 1889; Arthour and Merlin 1890) sind Musterleistungen editorischer Akribie, die nicht nur durch die Sorgfalt und Zuverlässigkeit der Textgestaltung, sondern auch durch die Fülle und Gediegenheit des erklärenden Apparates ihres Gleichen suchen. K. pflegte keinen Text herauszugeben, ohne ihn in Einleitung und Anmerkungen nach allen Richtungen hin aufs gründlichste durchzuarbeiten und alle litterarhistorischen oder sprachgeschichtlichen Fragen, die durch den Text nahegelegt waren, eingehend zu erörtern. So sind die interpretatorischen Beigaben, die Kölbing’s Editionen begleiten, eine unerschöpfliche Fundgrube für die Geschichte der Sprache und Dichtung Englands im Mittelalter geworden. Was den hierhergehörigen Publicationen Kölbing’s ihren besonderen Charakter gab, war die Neigung des Herausgebers, ein Denkmal nie für sich, sondern stets im Zusammenhange der litterarischen Tradition, der es angehörte, zu behandeln. Kölbing’s Hauptinteresse gehörte den romantischen Sagenstoffen des Mittelalters, die, meist nach französischen Vorlagen, in der englischen, wie in den andern großen Litteraturen des mittelalterlichen Occidents ihre poetische Ausgestaltung gefunden hatten. Um nun die Dichtungen jener Stoffkreise, die zumeist nur handschriftlich oder in ganz ungenügenden Drucken vorhanden waren, der Forschung möglichst umfassend zugänglich zu machen, beschränkte sich K. nicht auf die Publication englischer Dichtungen, sondern edirte auch Texte aus andern Litteraturen; so gab er eine Reihe nordischer Denkmäler (Riddarasögur 1872; Tristrams Saga ok Isondar 1878; Elis Saga ok Rosamundu 1881; Amícus ok Amilíus Rímur 1884; Flóres Saga ok Blankiflúr 1896; Ivens saga 1898) und mehrere französische Texte (Amis and Amiloun zugleich mit der altfranzösischen Quelle 1884; Hue de Rotelande’s Ipomedon, herausgegeben mit E. Koschwitz 1889) heraus. Bei all dieser unermüdlichen und vielseitigen Herausgeberthätigkeit blieb der Mittelpunkt und das Hauptziel seiner Studien immer die Gesammtüberlieferung, die Ergründung der Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse jener romantischen Dichtungen in den verschiedenen nationalen Litteraturen. Proben solcher vergleichenden Untersuchungen hatte er bereits 1876 in seinen „Beiträgen zur vergleichenden Geschichte der romantischen Poesie und Prosa des Mittelalters“ vorgelegt, und er hegte den Wunsch, seine langjährigen Studien in vergleichender mittelalterlicher Litteratur dereinst in eine Gesammtdarstellung, eine Geschichte der romantischen Sagenkreise, zusammenzufassen. Leider war [331] es ihm nicht beschieden, diesen Plan, für dessen Ausführung er wie kein zweiter vorbereitet war, zu verwirklichen.

Erst in späteren Jahren hat K. begonnen, sich in productiver Arbeit auch der neueren Litteratur zuzuwenden. Das Gebiet, auf dem er sich hier bethätigte, waren Byron’s Werke. Mit Begeisterung warf er sich auf den einmal gewählten Gegenstand, und mit der unerschrockenen Gründlichkeit, die all sein Arbeiten auszeichnete, faßte er alsbald den Plan, die Dichtungen Byron’s in Ausgaben, die nach den strengen Regeln philologischer Kritik gearbeitet waren, zu veröffentlichen. Nur wenige Theile dieses Programms war es ihm vergönnt zur Ausführung zu bringen: Byron’s Siege of Corinth. Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben 1893; The Prisoner of Chillon and other Poems by Lord Byron. In kritischen Texten mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben 1896. Hatten diese Ausgaben gezeigt, wie viel an eindringender kritischer Arbeit für Byron noch zu leisten ist, so war andererseits auch klar geworden, daß der Maßstab, in dem das Unternehmen begonnen war, sich für die Folge nicht hätte festhalten lassen.

Ein dauerndes großes Verdienst hat sich K. auch durch die Begründung und langjährige Leitung der „Englischen Studien“ (Band I–XIII Heilbronn 1877–1889, Band XIV–XXVI Leipzig 1890–1899) erworben. Er hat als erster in Deutschland – die „Anglia“ ist erst ein wenig später ins Leben getreten – eine der englischen Philologie ausschließlich gewidmete Zeitschrift geschaffen, und er hat es verstanden, trotz mancher Fährnisse und Klippen die „Englischen Studien“ zu einem fachwissenschaftlichen Organ auszugestalten, das sich der ungetheilten Hochachtung und Werthschätzung von seiten der Fachgenossen erfreute und noch heut unter der Leitung von Johannes Hoops in hoher Blüthe steht.

K. hat sich auch als akademischer Lehrer reicher Erfolge rühmen können. War ihm auch das zündende, die jungen Seelen von selbst gefangen nehmende Wort versagt, so wirkte er durch die ruhige, klare, schlichte Art seines akademischen Vortrags und durch sein offenes, argloses, liebenswürdiges, immer hülfsbereites Wesen, das ihm die Herzen seiner Schüler in einem Maße gewann, wie es nur wenigen Universitätslehrern beschieden ist. Eine große Anzahl von Arbeiten, die aus seiner Schule hervorgegangen sind, legen beredtes Zeugniß ab von dem Eifer und dem Erfolge, mit dem er seinem akademischen Unterrichtsberufe obgelegen hat.

K. war als Mensch von einfachem und schlichtem, aber frischem Wesen. Ein Feind aller Phrase und Pose gab er sich so natürlich und rückhaltlos, daß er leicht Vertrauen gewann und Zuneigung erntete. Kein Mann der Gesellschaft, war er doch ein Freund der Geselligkeit in zwanglosem gleichgestimmtem Kreise. In behaglichen Verhältnissen und in glücklichem Familienkreise lebend, suchte und fand er den Mittelpunkt des Lebens lediglich in der Arbeit, und er hat im Dienste der Wissenschaft unter einer Last von selbstgewählten und freudig getragenen Pflichten, unentmuthigt durch manche Enttäuschungen und Bitternisse, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit rastlos und hart gearbeitet wie wenige. Wenn wir darum zurückschauend sein Lebenswerk betrachten, blicken wir dankbar nicht nur auf die reichen Ergebnisse seiner Arbeit, sondern voll Ehrfurcht auch auf den ehernen, entsagungsvollen Fleiß und auf die opferfreudige, selbstvergessende Hingabe an die Wissenschaft, die Kölbing’s Leben und Schaffen begleitet und ausgezeichnet haben bis ans Ziel.

Max Kaluza, Eugen Kölbing in: Englische Studien XXVII (1900), S. 163 ff. – G. Sarrazin, Eugen Kölbing in: Chronik der Kgl. Univers. zu Breslau. Jahrg. 14 (1900), S. 119 ff.