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Artikel „Ziemann, Adolf“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 193–195, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ziemann,_Adolf&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 07:39 Uhr UTC)
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Ziemann: Adolf Z., Germanist, wurde am 3. Septbr. 1807 in der Neustadt Quedlinburg als Sohn eines evangelischen Gärtners geboren und entwickelte bei zarter Gesundheit schon früh einen regen Lerntrieb. Nachdem er zu Ostern 1822 das Gymnasium verlassen hatte, um das väterliche Geschäft zu erlernen, trat er noch im Herbst des gleichen Jahres wieder in die Anstalt ein und führte nun mit verdoppeltem Eifer und trotz körperlichen Anfechtungen seine Schulstudien zu erfreulichem Abschluß. Ostern 1826 bezog er als Student der Philologie die Universität Halle, im Februar 1830 verließ er sie, ausgestattet mit einem vorzüglichen Oberlehrerzeugniß, und begann am Gymnasium seiner Vaterstadt das Probejahr. In den nächsten Jahren fand er mehrfach als Hilfslehrer auswärts Verwendung, so namentlich 1831 auf 1832 in Pforta; und hier war es, wo ihn zunächst die Persönlichkeit und bald auch der Studienkreis August Koberstein’s lebhaft anzog, so daß er von jetzt an das Studium des Altdeutschen, mit dem er auf der Universität keine Fühlung gewinnen konnte, mit wahrem Feuereifer betrieb. Ostern 1832 kehrte er mit fester Anstellung an das Quedlinburger Gymnasium zurück, in dessen Herbstprogramm noch eine Abhandlung von ihm: „in Demosthenem de bello Philippi Olynthico commentatio“ erschien, wohl nur die Frucht seines Hallischen Examens, denn schon traten bei Z. die altphilologischen Interessen ganz zurück, und, indem er vom Lernen unmittelbar zum Lehren überging, warf er sich mit beängstigender Hast auf die Schaffung von Hilfsmitteln zum Studium des Altdeutschen. Schon 1833 kamen heraus ein „Grundriß zur Buchstaben- und Flexionslehre des Altdeutschen, nebst Wurzelverzeichniß, nach Grimm bearbeitet“ und ein „Altdeutsches Lesebuch“, beide auch als „Altdeutsches Elementarbuch“ zusammengefaßt; 1834 ließ Z. eine „Gothischhochdeutsche Wortlehre“ folgen, die er sogar Jac. Grimm zu widmen wagte, obwol sie lediglich aus dessen „Grammatik“ und keineswegs fehlerlos compilirt war.

Reichliche Muße wurde dem Arbeitsamen unerwünscht zu Theil: im Sommer 1835 zwang ihn ein vorgeschrittenes Lungenleiden, Urlaub zu nehmen, der schließlich bis zum Sommer 1837 ausgedehnt werden mußte, und wenn er dann auch wieder in das Collegium, in dem seine feine und liebenswürdige Persönlichkeit allgemein geschätzt wurde, zurücktrat, so geschah es doch nur mit halber [194] Kraft, und immer wieder war er zu kurzen oder längern Unterbrechungen gezwungen. 1840 rückte er noch zum Oberlehrer auf, aber sein Leiden erwies sich mit dem Herbst dieses Jahres, nach einem Besuche Helgolands, als hoffnungslos. Längst zum Schatten abgezehrt, ist er am 11. December 1842 gestorben.

Ziemann’s wissenschaftliche Arbeiten und Interessen sind seit dem Jahre 1835 aufs engste verknüpft mit dem groß gedachten, aber schlecht überlegten, mit unzureichenden Kräften begonnenen und höchst ungleichmäßig weiter geführten Unternehmen der „Bibliothek der gesammten deutschen Nationallitteratur von der ältesten bis auf die neuere Zeit“, mit dessen Subscriptionsanzeige der Quedlinburger Verleger Gottfr. Basse im October jenes Jahres beim Publicum Erstaunen und bei den Urtheilsfähigen vielfach Kopfschütteln erregte. Der eigentliche Begründer und geistige Leiter dieser Sammlung war ein rühriger Commis des Bassischen Geschäfts, J. C. St. Schmalz, der auch die weitausgedehnte Correspondenz führte. Z. aber scheint sein wissenschaftlicher Berather bei Aufstellung des Planes und Werbung der Mitarbeiter gewesen zu sein. Er eröffnete denn auch alsbald die Bibliothek mit einer Ausgabe der „Kutrun“ (1835 als Bd. 1 der ersten Abtheilung ausgegeben), die zum ersten Male eine vollständige Umschrift in die alten Sprachformen gab und auch durch manche glückliche Einzelbesserung einen Fortschritt über v. d. Hagen hinaus bezeichnete, aber im Ganzen flüchtig gearbeitet war und durch Willkür in der Textbehandlung wie durch Unsicherheit im idiomatischen Verständniß des Mittelhochdeutschen bei berufenen Kritikern wie W. Grimm und M. Haupt anstieß. Gleichzeitig begann Z. als 1. Band der dritten Abtheilung des Bassischen Unternehmens ein „Mittelhochdeutsches Wörterbuch zum Handgebrauch nebst grammatischer Einleitung“, das 1838 als stattlicher Großoctavband zum Abschluß gelangte und dem Minister v. Stein zum Altenstein gewidmet war. Das Werk kam unzweifelhaft einem dringenden Bedürfniß entgegen, aber Jac. Grimm urtheilte gleich mit mildem Ernst, es sei „sichtbar zu schnell und zu wenig aus eigner Errungenschaft bearbeitet, als daß nicht sein Verfasser begierig sein sollte, einmal reife Früchte an die Stelle der unzeitig gebrochenen zu setzen“ (Kl. Schr. 5, 285). Ein leidenschaftlicher Ankläger und grausamer Richter aber trat in W. Wackernagel auf, der durch die zweite Ausgabe von Ziemann’s „Altdeutschem Lesebuch“ sein gleichbetiteltes Werk bestohlen glaubte und fürchten mußte, daß dies oberflächliche Machwerk seiner eigenen, ungleich gediegenern Leistung den Markt verderben würde (Beilage zu Wackernagel’s zweiter Auflage). In fieberhafter Erregung und mit einem erhitzten Selbstgefühl, das wir sonst nicht an ihm wahrnehmen, hat sich Z. gegen diese Angriffe vertheidigt (Rechtfertigung gegen Herrn W. Wackernagel. Quedlinburg im November 1838), die nicht nur seine wissenschaftliche Competenz, sondern auch seine Ehre antasteten und die schimmernde Hoffnung auf einen Eintritt in die akademische Laufbahn, mit der sich der Todkranke noch geschmeichelt zu haben scheint, zerstören mußten. Die reifen Früchte waren ihm nicht mehr beschieden; sein ganzes Schaffen verräth den Hektiker, der sich durch athemloses Hasten und den ersehnten Anblick schnellfertiger Bücher über das fortschreitende Uebel hinwegtäuschen möchte. Z., der nicht nur zu Lachmann und den Grimms, sondern auch zu v. d. Hagen und Maßmann mit Bewunderung emporblickte, konnte über die Dürftigkeit seiner Ausrüstung nicht in Zweifel sein, und es verräth einen gleichmäßigen Mangel an wissenschaftlicher wie an pädagogischer Einsicht, wenn er trotzdem glaubte, in der Ausbreitung und Popularisirung der jungen Wissenschaft auch mit seinen schwachen Kräften einen Beruf zu erfüllen, zu dem sich andere, wie er klagte, zu vornehm dünkten.

Nachrichten des Directors Prof. Dr. Richter im Programm des Königl. Gymnasiums zu Quedlinburg f. d. Schuljahr von Ostern 1842 bis Ostern 1843, [195] mir mit brieflichen Zusätzen vermittelt durch Prof. Dr. S. Kleemann in Quedlinburg.