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Artikel „Zehender, Ferdinand“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 768–770, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zehender,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:43 Uhr UTC)
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Zehender: Ferdinand Z., geboren am 5. December 1829 als Sohn des um das Schulwesen seines Heimathkantons Schaffhausen hochverdieuten Joh. Kaspar Zehender (1799–1880), welcher 57 Jahre lang an den höheren Schulen von Schaffhausen, zuletzt 1851–76 als Director der städtischen Realschulen, thätig war, vollendete seine theologischen Studien in Halle und Berlin und wirkte seit 1852 zunächst als Hülfsprediger und Religionslehrer in seiner Vaterstadt. 1860 wurde er nach Diessenhofen (Kt. Thurgau) an die zweite Pfarrstelle gewählt, mit der zugleich vielseitige pädagogische Thätigkeit an der dortigen [769] Secundarschule (Deutsch, Geschichte, Französisch, für eine kleinere Zahl von Schülern auch Latein und Griechisch) verbunden war; eine volle Lehrstelle an der Kantonsschule in Frauenfeld, die ihm schon nach Jahresfrist angeboten wurde, schlug er aus, nahm dann aber 1865 den Ruf als Prorector der Mädchenschule in Winterthur an, die unter seiner Leitung um zwei obere Classen vermehrt und zugleich zum Lehrerinnenseminar ausgebildet wurde. 1875 vertauschte er diesen Wirkungskreis mit demjenigen eines Rectors der höheren Töchterschule in Zürich, die eben damals im Entstehen begriffen war; auch hier wurde allmählich ein vierclassiges Seminar neben und im Anschluß an die Töchterschule zur Ausführung gebracht. Auch den Näherstehenden unerwartet, brach Zehender’s Kraft, durch Todesfälle in seiner Familie erschüttert, vor der Zeit zusammen; er starb an einem rasch sich entwickelnden Herzleiden den 24. September 1885 in Zürich.

Der Grundzug in Zehender’s Wesen war ein tiefes Gefühl für alles Schöne und Edle. In ihm war ein reiches Erbe Herder’schen Geistes, und ein sinniges Gemüth hatte die Grundstimmung humaner Auffassung harmonisch verarbeitet. Auch sein theologisches Denken war auf diese Basis gestellt, weitherzig und liebevoll, getragen von einem kindlich frommen, idealen Sinn. Als Lehrer zeichnete ihn eine treffliche Lehrgabe aus. Was er bot, war stets klar und bestimmt; er verstand in vorzüglicher Weise durch Frage und Antwort einen Gedankengang zu entwickeln. Ganz besonders eignete sich seine Art für den Töchterunterricht, einerseits durch die gemüthlich anregende Kraft, andererseits dadurch, daß ihm alle bloß sentimentale Gefühlsträumerei ferne war und er auf wirkliche Geistesarbeit drang. Milde und Ernst, liebevolles Eingehen auf die Individualität und doch volle und wenn nöthig durchgreifende Energie zeichneten auch seine Schulleitung aus; „es will mir scheinen“, sagte ein kurz nach seinem Tode erschienener Nekrolog, „es wäre der Lehrer in ihm noch leichter zu ersetzen als der Rector“. Mit der ruhigen Bestimmtheit seines Wesens und der eigenen selbstlosen Hingabe gelang es ihm, auch bei heterogener Gestaltung des Lehrercollegiums eine gewisse Harmonie des Gesammttons und ein sicheres Hinarbeiten auf ein einheitliches Ziel zu erreichen. Ueber dem Unterricht stand ihm das charakterbildende Wirken; durch die Verehrung und Anhänglichkeit, die er seitens der Schülerinnen genoß, gelang es ihm nicht nur auf deren sittliche Entwickelung großen Einfluß zu gewinnen, sondern auch der von ihm geleiteten Anstalt das allgemeine Vertrauen in den weitesten Kreisen der Bevölkerung zu erwerben. So war er in einer Zeit, da in Stadt und Land die theoretische Ausbildung des weiblichen Geschlechts verhältnißmäßig noch zurückstand, mit Erfolg bemüht, der höheren und gründlichen Bildung der Mädchen in der öffentlichen Meinung bleibenden Rückhalt zu sichern; das Richtige fand er weder in völliger Gleichstellung der Anforderungen an Knaben und Mädchen noch in einfacher Reduction der Aufgabe der Mädchenschule gegenüber der Knabenschule; er wollte für beide Geschlechter eine gleichwerthige, aber nach der Verschiedenheit der Naturen nicht eine völlig gleichförmige Bildung. In diesem Sinne suchte er auch durch Gründung und Leitung des Vereins für schweizerisches Mädchenschulwesen zu wirken.

Neben und im Anschluß an seine berufliche Thätigkeit widmete Z. gerne seine Mußezeit gemeinnützigen Bestrebungen, namentlich auf dem Gebiete der Erziehung. Schon in Diessenhofen gründete er einen Sonntagslesesaal mit Bibliothek für Lehrlinge und Gesellen; auch in Winterthur und Zürich schloß er sich der Pflege der diesfälligen Institutionen mit Eifer und Hingabe an; mehrere Jahre war er Präsident der von der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft aufgestellten ständigen Commission für das Fortbildungsschulwesen. Die Einbürgerung [770] der Kindergärten in städtische Verhältnisse hatte in ihm einen ebenso thätigen als besonnenen Förderer. Mit ausgebreiteten Kenntnissen über das Gebiet der Jugendlitteratur ausgerüstet, veröffentlichte er 1880 eine kurze „Uebersicht der Entwickelung der deutschen Jugendlitteratur, begleitet von Rathschlägen zur Begründung von Jugendbibliotheken“ und stellte für die Landesausstellung in Zürich 1883 eine Musterjugendbibliothek zusammen; auf seine Initiative hin ward im Anschluß an eine Pestalozzi-Ausstellung während des Lehrertages in Zürich 1878 als bleibende Frucht derselben das „Pestalozzistübchen“ begründet und von dieser Stelle aus eine Jubiläumsausgabe von „Lienhard und Gertrud“ veranstaltet (1881), deren Redaction er übernahm. Mehrfach hat er sich selbst als Jugend- und Volksschriftsteller bethätigt; noch in jugendlichen Jahren durch anmuthige „Erzählungen für das Volk“ („Der Leuenhof“, „Der Schatzgräber“ u. s. w.) und die Redaction der von ihm begründeten belehrenden Unterhaltungsschrift „Schaffhauserblätter“, später namentlich durch die Herausgabe von fünf Bändchen „Hauspoesie“ (Gesammtausgabe 1882), einer Sammlung kleiner dramatischer Gespräche zur Aufführung im Familienkreise, und durch das populär geschriebene Lebensbild: „Dr. Jakob Dubs, ein schweizerischer Republikaner“ (1880). Z. war sehr gewandt in der Ausführung kleiner dichterischer Schöpfungen und bot solche Arbeiten mit großer Gefälligkeit, wenn nur ein leiser Wunsch geäußert wurde; so empfing die Antiquarische Gesellschaft in Zürich, an deren wissenschaftlichem Leben er auch den regsten Antheil nahm, von ihm für festliche Gelegenheiten eine Anzahl liebenswürdig ausgedachter Poesien, deren Werth über der gewöhnlichen Gelegenheitsdichtung steht. Seine pädagogischen Arbeiten legte er zunächst in den Programmen der Mädchenschulen von Zürich und Winterthur, sowie in der „Schweizerischen Zeitschrift für Gemeinnützigkeit“ und in der von Bühlmann herausgegebenen „Praxis der schweizerischen Volks- und Mittelschule“ nieder; als selbständige Veröffentlichungen erschienen 1871 seine „Uebersicht der deutschen Litteraturgeschichte von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart“ (für den Schulgebrauch zusammengestellt); „Vorträge über Fragen der Erziehung“ (1879); „Litterarische Abende für den Familienkreis: biographische Vorträge über Dichter und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts“ (1885) – alles Schriften, die nicht hervorragende wissenschaftliche Bedeutung beanspruchen, aber dazu bestimmt waren, für Pflege des Guten und Schönen in engeren und weiteren Kreisen zu wirken und diese Bestimmung auch reichlich erfüllt haben.

Nekrologe in der Neuen Zürcher Zeitung und in der Schweizerischen Lehrerzeitung 1885. – Biographischer Abriß in Hunziker’s „Bildern zur neueren Geschichte der schweiz. Volksschule“. Zürich 1889, S. 89–94.